An einem bestimmten Tag feierte König Conor mit seinen Edlen in dem guten Haus Emania. Liebliche Musik wurde gespielt, und nachdem der Barde die hundert Vorfahren des Königs gerühmt hatte, erhob der König selbst seine Stimme und sprach: „Ich möchte von euch wissen, ihr Prinzen und Edelleute, ob ihr je ein prächtigeres Fest erlebt habt, oder ob ihr je ein besseres Haus gesehen habt als dieses Haus Emania?“ „Nein, o König“, antworteten sie wie aus einem Mund. Und abermals frage ich euch“, fuhr Conor fort, „ob es irgend etwas gibt, was hier fehlt?“ „Es wird die Höflichkeit sein, die euch dazu verleitet, die Unwahrheit zu sagen“, sprach Conor. „Ich weiß wohl, daß ihr alle vergebens Ausschau gehalten habt, als ihr in dieses Haus kamt. Ich meine die drei jungen Männer, die Kriegsleuchten von Gael, die drei edlen Söhne von Usnach –Naisi, Aini und Ardan. Ach, daß sie so fern von uns sein müssen, nur wegen dieses Weibes.
Hart bestraft sind sie gewiß, ausgestoßen hausen sie auf einer Insel im Ozean und schlagen sich mit barbarischen Horden des Königs von Alba herum. Wie beruhigt könnten wir sein, säßen sie mit an diesem Tisch und unter diesem Dach, stets dazu bereit, das Reich Ulster verteidigen zu helfen. Ich wünschte, sie wären bei uns.“ Darauf erwiderten die Edelleute: „Hätten wir es gewagt, unsere Gedanken auszusprechen, unsere Reden hätten dieselben Worte enthalten wie die deine. Wahrlich, es ist schade, daß die drei besten Männer in ganz Erin nicht unter uns sind.“ Conor nahm wieder das Wort: „Laßt uns Boten schicken nach Alba, zu der Insel von Loch Etive und die Söhne von Usnach bitten, nach Erin zurückzukehren.“ „Aber wer ist in der Lage, sie zu überzeugen, daß ihnen in deinem Königreich kein Leid geschehen wird?“ fragten die anderen. „Es gibt nur drei unter uns allen“, sagte Conor, „deren Wort dafür bürgen kann, daß ich mich nicht von meinem Zorn fortreißen lasse; es sind dies Fergus, Cuchullan und Conell Carnach. Einen von ihnen wollen wir als Botschafter bestimmen.“ Darauf nahm der König Conell Carnach beiseite und fragte ihn, was er tun würde, falls die Söhne von Usnach zurückkehren unter dem Versprechen freien Geleits. „Wer immer ihnen ein Leid zufügen würde“, antwortete Conell Carnach, dem würde ich’s mit bitterer Todespein vergelten.“ „Daraus entnehme ich“, sagte Conor, „daß ich dir nicht lieb und wichtig bin über alles.“ Dieselbe Frage wie Carnach legte Conor Cuchullan vor, und von ihm erhielt er eine ähnliche Antwort. „Gibt es denn niemanden auf der Welt“, sprach Conor, bei sich, stiller Trauer, „der weiß, wie bitter die Einsamkeit schmeckt?“ Darauf rief er Fergus, den Sohn des Roy, befragte ihn auf die gleiche Art, und Fergus antwortete: „Dein Blut, mein König, würde ich nie vergießen, aber wer sonst Männern, denen man freies Geleit verspricht, ein Haar krümmen würde, der bliebe nicht am Leben.“ „Daraus ersehe ich“, sagte Conor, „daß du mich über alles lieb und wert hälst. Geh zu dem Clan Usnach und führe ihn her. Kehre heim auf dem Weg über Dun Barach, aber laß die Söhne von Usnach nirgends rasten, bis sie hier auf meinem Fest sind. Versprich mir, daß du dich an diesen Befehl genau hälst.“ Da band sich Fergus mit einem heiligen Eid, worauf der König und er auf das Fest zurückkehrten und mit den anderen Edlen die ganze Nacht hindurch ausgelassen feierten. Der König ließ aber Barach an einen anderen Ort rufen und fragte ihn dort, ob er in seinem Haus ein Fest vorbereitet habe. „Ich habe ein Fest ausgerichtet in Dun Barach“, sagte der Mann, „auf dem bist du und deine Edlen stets willkommen.“ „Laß Fergus nicht aus dem Haus“, sagte Conor, „ehe er bei dir gefeiert hat, wenn er aus Alba zurückkommt. Dadurch kannst du mir einen großen Dienst erweisen.“ „Er soll drei Tage bei mir feiern“, sagte Baruch, „wir gehören beide dem Kampfbund des Roten Zweigs an. Sein Eid zwingt ihn, meine Gastfreundschaft anzunehmen.“ Am nächsten Morgen brach Barach mit seinen beiden Söhnen Buini Borb und Illan Finn und mit Cailon, seinem Schildträger von Emania nach Alba auf. Sie segelten über die See und kamen nach Loch Etive zu der Insel, auf der die Söhne von Usnach wohnten.
Deidre und Naisi saßen zusammen in ihrem Zelt. Conors poliertes Schachbrett zwischen sich. Sie spielten Schach. Als nun Fergus in den Hafen eingelaufen war, stieß er einen Schrei aus, den Jagdruf eines kräftigen Mannes, und Naisi, der den Schrei hörte, sprach: „Ich höre den Ruf eines Mannes aus Erin.“ „Das war nicht der Ruf eines Mannes aus Erin“, erwiderte Deidre, „es war der Ruf eines Mannes aus Alba.“ Da rief Fergus zum zweitenmal. „Es war doch der Ruf eines Mannes aus Erin“, sagte Naisi. „Nicht doch“, erwiderte Deidre, „laß uns weiterspielen.“ Da rief Fergus zum drittenmal. Naisi aber wußte, daß nur der Fergus so rief, und er sprach: „Wenn dies nicht der Sohn des Roy ist, will ich nicht Naisi heißen. Geh, Ardan, mein Bruder und begrüße unsere Verwandten. „Ich wußte gleich, daß es Fergus ist, der so ruft“, sagte Deidre leise. „Warum hast du denn versucht, es vor uns zu verbergen, Königin?“ fragte Naisi. Da erzählte Deidre: „In der letzten Nacht hatte ich einen Traum. Drei Vögel kamen zu uns geflogen von den Ebenen von Emania her. Sie hatten einen Tropfen Honig an ihrem Schnabel. Aber als sie wieder davonflogen, war der Tropfen Honig zu einem Tropfen Blut geworden.“ „Und was meinst du, Prinzessin, hat dieser Traum zu bedeuten?“ fragte Naisi. „Daß Fergus mit falscher Botschaft hergesandt worden ist von Conor, denn süß wie Honig ist die Botschaft des Friedens. Aber das Blut ist unser Blut, das vergossen werden wird.“ „Nein, das kann ich nicht glauben“, sagte Naisi, und zu seinem Bruder sprach er: „Fergus wird längst an Land gegangen sein. Geh, Ardan, zeig ihm den Weg zu unserem Zelt.“ Da lief Ardan hinunter zum Hafen, hieß Fergus willkommen, umarmte ihn und seine Söhne und verlangte zu wissen, was für Nachricht er aus Erin bringe. „Gute Nachricht“, antwortete Fergus, „Conor verspricht euch freies Geleit, wenn ihr nur heimkehrt nach Emania.“ „Das muß nicht sein“,sagte Deidre, „denn größer ist unser Einfluß in Alba denn Conors Einfluß in Erin.“ „In dem Land seiner Geburt zu leben“, erwiderte Fergus, „ist besser als alles andere. Wenig wert sind Macht und Reichtum für den, der nicht jeden Tag die Erde betrachten kann, die ihn hervorgebracht hat.“ „Das ist wahr“, sagte Naisi, „Erin ist meinem Herzen weit näher, selbst wenn ich in Alba sicherer und bequemer lebe.“ „Habt Vertrauen zu mir, „sagte Fergus, „ich verbürge mich für eure Sicherheit.“ „So laßt uns gehen“, sprach Naisi, „wenn sich Fergus für unser freies Geleit verbürgt, wer wollte da zweifeln!“ Als sie nun in den Hafen von Duan Barach einliefen, war Barach selbst am Kai. Er begrüßte die Söhne Usnachs und Deidre mit tückischer Herzlichkeit. Fergus aber nahm er bald auf die Seite und sprach zu ihm: „Verweile, und nimm an meinem Fest teil, denn ich lasse dich nicht abreisen, eh drei Tage vergangen sind beim Eid der Brüderlichkeit und der Gastfreundschaft, den du im Kampfbund des Roten Zweigs geschworen hast.“ Als Fergus dies hörte, wurde er purpurrot im Gesicht und sagte dies: „Du tust Böses, Barach; Wie kannst du mich zu deinem Fest bitten, da du doch weißt, daß ich zu Conors unterwegs bin und die Söhne von Usnach nicht aus den Augen lassen soll, da denen der König freies Geleit gelobt hat.“ „Das kümmert mich nicht“, erwiderte Baruch, „wenn du meine Gastfreundschaft zurückweist, spreche ich den Bann über dich.“ Da beriet sich Fergus mit Naisi, was er tun solle, und Deidre antwortete: „Du mußt entweder Barach im Stich lassen oder die Söhne von Usnach. Mir scheint es eine geringe Verfehlung, die Einladung zu einem Fest auszuschlagen, als Freunde allein zu lassen, die deinem Schutz anvertraut sind, doch kann ich nicht für dich entscheiden.“ „Ich sehe einen Ausweg“, antwortete Fergus, „ich werde bei Barach bleiben, doch meine Söhne Illan Finn und der rote Buini Borb werden euch begleiten und an meiner Statt für eure Sicherheit sorgen.“ „Wir brauchen deinen Geleitschutz nicht“, sagte Naisi zornig, „unsere starken Arme sind immer noch die beste Garantie für unsere Sicherheit gewesen.“ Ardan und Ainli, Deidre und die zwei Söhne des Fergus folgten ihm nach. Fergus aber blieb zurück, traurig und voll düstere Gedanken. Dann sprach Deidre: „Ich rate, wir sollten auf die Insel Rathlin ziehen und dort warten, bis Fergus uns begleiten kann, denn von jetzt an, meine ich, können wir uns auf die Zusicherung freien Geleits nicht länger verlassen.“ Aber Naisi und die Söhne des Fergus wollten nicht auf sie hören, und es wurde beschlossen, nach Emania weiterzureisen. „Ach“, klagte Deidre, „hätte ich nur nie Alba, das Land mit dem langen Gras verlassen.“ Als sie nun zu dem Wachtturm Fincairn im Gebirge von Fuadag kamen, bemerkte Naisi, daß Deidre nicht mehr bei ihnen war. Er kehrte um und fand sie in tiefen Schlaf versunken, und als er sie weckte, war sie voller Kummer und Angst. „Ich fürchte Verrat“, sagte sie, „ich hatte einen Traum. Ich sah Illan Finn für uns kämpfen, aber am Ende war sein Leib ohne Kopf. „Deine Lippen sind lieblich, aber deine Träume sind immer nur mit Bösem angefüllt“, sagte Naisi, „ich fürchte keinen Verrat. Laß uns weiterziehen. “Und so reisten sie weiter, bis sie nach Ardsallagh kamen. Dort sprach Deidre zu Naisi: „Ich sehe eine Wolke über Emania, und es ist eine Wolke vollgesogen von Blut. Ich rate euch, ihr Söhne von Usnach, geht nicht nach Emania ohne Fergus, lasst uns nach Dundalgan reisen zu unserem Nefffen Cuchullan, bis Fergus sich seiner Verpflichtung entledigt hat.“ „Ich fürchte niemanden und nichts“, sprach Naisi, „wir ziehen weiter.“ Da schrie Deidre auf: „O Naisi, siehst du denn nicht die Wolke über Emania, eine Wolke aus Blut, Eitertropfen sickern aus ihren roten Rändern. Weh mir, geh nicht nach Emania, heute abend.“ „Ich fürchte mich nicht“, antwortete Naisi, „ich will auf deinen Rat nicht hören. Ziehen wir also weiter.“ „Enkel des Roy“, erwiderte Deidre, „selten genug hat es zwischen dir und mir Meinungsverschiedenheiten gegeben. Immer waren wir ein Herz und ein Gedanke, seit dem Tag, an dem mich Lewara zu dem Platz in der Ebene von Emania schickte, wo du Musik machtest.“ „Ich habe keine Furcht“, sagte Naisi wieder. „Söhne von Usnach“, sprach Deidre abermals „es gibt einen Anhaltspunkt dafür, ob Conor Verrat gegen uns im Sinn führt oder nicht. Wenn man uns in die Häuser von Emania geleitet, brauchen wir nichts zu befürchten, weist man uns aber als Quartier das Haus des Kampfbundes vom Roten Zweig an, dann seid auf das Schlimmste gefaßt.“ Während sie dies sagte, kamen sie an den Toren von Emania an. Naisi klopfte, und der Türhüter fragte, wer da sei. „Der Clan von Usnach und Deidre“, war die Antwort.