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Märchenbasar

Der arme Fischerknabe

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Einst war ein Fischer, den der Himmel in seinem Zorne mit sehr viel Kindern und mit noch mehr Unheil bedacht hatte. So sass er wieder einmal am Strande und wartete auf die Fische, die in sein Netz gehen sollten; weil aber nicht ein einziger so gefällig war, so überliess er sich ganz seiner Verzweiflung. Da kam ein vornehmer Herr und fragte ihn herablassend, wie es ihm denn gehe. »Herr!« antwortete er, »mir geht es schlecht, ganz miserabel; ich weiss nicht mehr, was anfangen.« – »Nun«, sagte der Herr, »ich kann dich leicht reich machen. Du hast einen hübschen kleinen Knaben, der Almerich (Almerigo) heisst, bringe ihn morgen früh zu mir in den Garten und führe ihn zur grossen Cypresse auf der Wiese vor dem Hause. Neben dem Baume wirst du ein Kistchen voll Gold finden, das nimm du und trage es heim, den Knaben aber lasse beim Baum, für den wird gesorgt werden.« Gar schön bedankte sich der Fischer bei dem Herrn, und that am andern Morgen ganz genau, wie ihm geheissen worden war.
Zu derselben Zeit befand sich im nahen Sieben- Sterngebirge das Haus einer mächtigen Zauberin, Namens Sabina, unter deren Herrschaft eine Menge der schönsten Mädchen waren, die sie aber alle an Schönheit weit übertraf. Am nämlichen Tage, als der Fischer sein Kind in den Garten führte, unternahm Sabina einen kleinen Morgenspaziergang durch die Luft und sah den kleinen Knaben weinend bei der Cypresse stehen, denn er hatte nicht blos Zeitlang, sondern auch Hunger.
Armes Kind, sagte sie für sich, indem sie den kleinen Krauskopf mit Wohlgefallen betrachtete, für eine Hand voll Goldes hat dich dein Rabenvater an einen Höllengeist verkauft, der dich verderben wird. Nein, das soll nicht geschehen, ich will dich retten. Sie nahm den Knaben zu sich in den Wagen und führte ihn in ihr Haus, wo er eine vortreffliche Erziehung erhielt. Als ihr Zögling zweiundzwanzig Jahre alt und ein sehr schöner Mann geworden war, wusste er noch immer nichts von seiner Abkunft und glaubte zur Familie zu gehören, bis ihn einst ein Feenmädchen scherzend fragte, wo es ihm besser gegangen sei, zu Hause oder hier. Auf seine verwunderte Gegenfrage erzählte sie ihm dann die Art, wie er in die Feenwohnung gekommen war, dass er das Kind eines Fischers sei, seine Eltern jetzt in London und durch das für ihn erhaltene Geld reiche Leute geworden seien, und dass er sie nur mit Sabinen’s Erlaubniss werde wiedersehen können. Jung und freudig, wie unser Feenzögling war, beschäftigte der Wunsch, seine Eltern kennen zu lernen und die Welt zu sehen, jetzt seine ganze Seele, und er wandte sich allsogleich an Sabina und bat um ihre Einwilligung.
»Nein«, sagte diese, »du darfst mich nicht verlassen; denn einmal weg von hier, kehrst du schwerlich jemals wieder.« Erstaunt, sich in so vielen Jahren die allererste Bitte abgeschlagen zu sehen, aber doch die einmal gefasste Idee nicht aufgebend, stiftete er die Mädchen an, bei Sabinen für ihn ein Vorwort einzulegen, und das geschah gerne, denn alle hatten ihn lieb; aber auch ihre Verwendung blieb lange fruchtlos, bis Sabina endlich nachgab. »Wohlan«, sprach sie, »so mag er ziehen, aber unter der Bedingung, nie und nirgends meiner, meines Hauses oder meiner Angehörigen Erwähnung zu thun; aber wehe euch Allen, wenn er nimmer wiederkehrt, denn ihr habt mich zu dieser unklugen Nachgiebigkeit beredet.«
Alle verstummten anfangs, dann aber liefen sie zur Wette, ihm die freudige Kunde zu bringen. Voll Freude eilte Almerich zu Sabinen, ihr zu danken, und nachdem er die Bedingung zu halten versprochen, nahm er zärtlichen Abschied von ihr. Eilends nahm er aus ihrem Stalle vier Pferde, drei Bediente, und fort gings mit Windesschnelle durch die Luft nach London, wo er in der Locanda reale, gegenüber dem königlichen Palaste, abstieg. Am nächsten Morgen öffnete er die Läden seines Zimmers und wusch sich. Da bemerkte ihn eine der königlichen Töchter, lief schnell zu ihrer Mutter und erzählte ihr, welch schöner Fremdling, ohne Zweifel ein Prinz, in dem Einkehrhause gegenüber wohne. Die Königin, nicht minder neugierig als ihre Töchter, schickte allsogleich einen Diener in den Gasthof, Erkundigung einzuziehen, und als diese ziemlich befriedigend lautete, liess sie den schönen Fremdling zu Tische bitten, welche Ehre natürlich höflichst angenommen wurde.
Während er nun mit der Königin und ihren Töchtern zu Tische sass, geschah es, dass die ältere Prinzessin sich in ihn verliebte. Die Königin Mutter, der die entstehende Leidenschaft ihrer schon ziemlich reifen Tochter nicht entgangen war, begann hierauf die Tugenden und Schönheit derselben dergestalt übertrieben vor ihrem Gaste herauszustreichen, dass derselbe, ganz unbekannt mit dem Hoftone und seit Jugend an in dem Feenhause an Aufrichtigkeit gewöhnt, mit der Bemerkung herausplatzte, sie möchte doch mit der Schönheit der Prinzessin nicht so viel Aufhebens machen, denn das hässlichste der Mädchen vom Hofe, wo er herkomme, sei viel schöner als sie.
Ueber diese Aeusserung fuhren Mutter und Töchter zornig von der Tafel empor, unser Reisender aber wanderte mit Ketten belastet und unter starker Begleitung von Wachen in einen tiefen Kerker.
Glücklicherweise sah fast gleichzeitig Sabina in ihren Zauberspiegel (batte il quaderno), und als sie ihren Liebling in Ketten erblickte, zauberte sie sich allsogleich eine grosse Armee, mit der sie in der Luft bis zu den Thoren von London vorrückte. Unterdessen hatte die Königin ihren grossen Rath versammelt, um über Almerich zu Gerichte zu sitzen. Da sprach ein alter, weiser Rathsherr: »O Königin! gebt acht, was ihr thut, wer weiss, wer der Gefangene ist? Kann es nicht ein mächtiger Prinz sein, dessen Vater uns dann die Schwere seines Zorns bitter fühlen lässt?« – Aber die Königin gab nicht nach. Da kamen am andern Morgen zwölf Wägen, reich vergoldet und von prachtvollen Pferden gezogen, vor den königlichen Palast, aus denen vierundzwanzig Prinzessinnen von wunderbarer Schönheit abstiegen und die Königin zu sprechen begehrten; diese aber liess ihnen sagen, sie sei nicht gewohnt, sich wegen irgend Jemand zu incommodiren, worauf die Prinzessinnen wieder die Wägen bestiegen und sich entfernten und vor die Stadt hinausfuhren. Da rückte Sabina mit ihrem Heere vor und umzingelte die Stadt. Mit Schrecken sieht der Feldherr der Königin vom Thurme des Palastes die drohende Gefahr, die Königin selbst eilt auf den Thurm und sieht den sturmbereiten Feind.
Schnell sendet sie ins feindliche Lager und begehrt den feindlichen Anführer zu sprechen. Da erschienen abermals die zwölf Wägen mit den vierundzwanzig Jungfrauen, liessen sich aber jetzt die Königin auf den Platz herabholen. »Gebt den Gefangenen los«, riefen sie ihr entgegen, »wo nicht, so ist in vierundzwanzig Stunden London vernichtet.« »Er hat meine Krone und meine Tochter beleidigt, dafür muss er bestraft werden«, antwortete die Königin. Da sagten die Prinzessinnen: »Wenn er eure Tochter beleidigt hat, so hat eure Krone gar nichts damit zu schaffen und zu ersterem wird er seinen Grund gehabt haben.« Aber die Königin gab nicht nach. Vergebens sprach ihr der grosse Rath und der ganze Hof zu, sie möchte doch um Himmelswillen wegen der verletzten Eitelkeit ihrer Tochter nicht ihr armes Volk der Rache des Feindes preisgeben. Als die ihr gegebene Stunde Bedenkzeit fruchtlos verstrichen war, begann der Angriff gegen die Stadt mit einem fürchterlichen Bombardement und binnen einer Stunde war halb London in Flammen. Da liess die Königin voll Angst den Gefangenen frei und schickte ihn ins Lager, den Frieden zu unterhandeln. Als er mit dem Gesandten vor Sabina erschien, machte diese ihm schwere Vorwürfe.
»Habe ich es dir nicht gesagt, dass deine Abreise nur dir und mir Verdruss bereiten wird? Eine lumpige Königin hat es gewagt, dich einzusperren, und ich, die ich die Macht habe, eine Welt zu vernichten, muss mich jetzt deinetwegen herablassen, mit ihr zu unterhandeln!« Zu dem Londoner aber sagte sie: »Ihr habt das Ueble, das ich euch gethan, nicht verdient, aber euerer Königin sollte man den Palast verbrennen; fünfunddreissig Millionen Kriegskosten muss sie mir zahlen und dann sich in ihrem eigenen Palaste überzeugen, dass das letzte meiner Hoffräuleins viel schöner ist als ihre Töchter.« Und ganz genau so geschah es. Die Königin fiel dabei vor Zorn in Ohnmacht, erholte sich, wollte den Kampf von neuem beginnen, aber da sie Grosse und Kleine muthlos und blos gegen sich gewendet sah, so stiess sie sich einen Dolch ins Herz und starb.
Als die Königin von England todt und der Friede wieder hergestellt war, suchte sich Almerich mit Sabinen zu versöhnen, aber so geneigt sie auch innerlich dazu war, so verstiess sie ihn dennoch. »Du hast meinen Befehl, deinen Schwur gebrochen, du hast meiner Familie Erwähnung gethan«, rief sie. Von Sabinen verlassen suchte er möglichst bald aus der Nähe von London zu kommen; denn war gleich die Königin todt, so lebte doch ihre von ihm schwer beleidigte Tochter noch; er floh daher ins Gebirge und hielt sich schon für verloren, so hatte er mit Noth und Hunger zu kämpfen. Da traf er auf einmal drei Männer, die sich zankten, denn sie hatten drei sonderbare Dinge unter sich zu vertheilen, nämlich: einen Mantel, der unsichtbar machte, wenn man ihn umhing; einen Geldbeutel, der sich stets füllte, wenn man ihn ausleerte; ein paar Schuhe, die, wenn man sie anhatte, wie der Gedanke liefen. Als sie seiner ansichtig wurden, sagten sie: »Du kommst uns wie gerufen, sei so gut und entscheide du unsern Streit.«
»Vor allem, liebe Leute«, antwortete er, »überzeugt mich, dass ihr mich nicht zum Besten habt.« »Gerne«, riefen alle drei, und man begann damit, dass man ihm den Mantel umhing. »Seht ihr mich?« fragte er. »Nein«, antworteten die drei. »Ich glaube euch nicht«, erwiderte er, »aber probiren wir den Beutel.« Da leerte er ihn oftmals aus. »Siehe da«, sagte er, »mit dem habt ihr doch recht.« Da legte er die Schuhe an. »Wollt ihr mitkommen?« rief er den drei Verblüfften zu und war auch schon verschwunden.
Da sah die besorgte Sabina in den Zauberspiegel, um zu erfahren, wie es dem so heissgeliebten Sträfling ergehe, aber der Spiegel zeigte gar nichts, denn er war unterdess mächtiger geworden als sie selbst. Da verfluchte sie die Stunde ihrer früheren Nachgiebigkeit und spätern Strenge, denn sie fürchtete, ihn für immer verloren zu haben.
Aber auch ihn zog die gleiche Sehnsucht zu ihr. Sein erster Gedanke war, Sabinen zu besuchen, und der Gedanke und die Ausführung waren bei dem Besitzer dieser Schuhe ohnedem das Werk eines Augenblicks. Da fand er vor ihr im Palaste drei Pferde, eines von Blei, eines von Bronze und eines von Eisen. Das bleierne Pferd fragte, das bronzene antwortete und das eiserne brachte die Antwort zu. Als er an das Thor des Feenpalastes klopfte, fragte das Pferd von Blei: »Wer klopft?« Das von Bronze antwortete: »Unser mächtiger Almerich«, und das von Eisen brachte die Antwort Sabinen. Da vergass sie ihren Zorn und Würde und lief voll Freude herbei; er aber sprach mit verstelltem Ernst: »Wisse, o Grausame! dass ich jetzt dreimal mächtiger bin als du und dass ich eigens gekommen bin, dich zu züchtigen.« Da fragte das bleierne Pferd: »Ist das wahr?« »Ja wohl«, antwortete das bronzene, das eiserne aber begann beiden zuzusprechen, sie möchten sich versöhnen.
»Wohlan«, sprach Almerich zum eisernen Pferde, »werde du ein Löwe«, und zu Sabinen: »Du aber werde eine Löwin.«
Da machte die neue Löwin so ein trauriges Gesicht, dass er schnell rief: »Nein, nein Sabina! werde wieder, was du warst, komm in meine Arme und liebe mich so, wie ich dich.«
Natürlich, heiratheten sie sich und lebten unendlich glücklich, und leben wahrscheinlich noch so, denn derlei Leute sind unsterblich, und wenn sie auch alt werden, so sehen sie doch immer jung aus, weil sie sich die Runzeln und grauen Haare wegzaubern können.

[Italien: Georg Widter/Adam Wolf: Volksmärchen aus Venetien]

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