In einem kleinen Gebirgsdorf lebte einmal ein armer Korbflechter mit seiner alten Mutter. Er war sehr hässlich von Gestalt, lahm und schielte mit dem linken Auge. Die Leute im Dorf sagten er habe den »bösen Blick« und gaben sich nicht gern mit ihm ab. Weit und breit nannte man ihn den »dummen Georg«, denn er hatte ein sehr gutes Herz und teilte auch noch sein letztes Stückchen Brot mit den Menschen, die es verlangten. Und das hielten die Leute für Dummheit. Die jungen Leute im Dorf trieben nur Spott mit ihm, die alten aber wichen ihm aus, weil sie sich vor dem »bösen Blick« fürchteten. So lebte nun der arme Korbflechter einsam und allein mit seiner Mutter am Ende des Dorfes in einer kleinen Hütte und ging tagtäglich in den Wald, um Ruten zu schneiden, aus denen er Körbe flocht, die er dann in der Stadt verkaufte.
Ein Jahr verstrich nach dem anderen, und Georg lebte noch immer allein mit seiner Mutter in der kleinen Hütte am Ende des Dorfes. Da wurde einmal die alte Frau krank, und fühlte, dass bald ihre letzte Stunde schlagen werde. Sie rief deshalb ihren Sohn zu sich und sprach zu ihm: »Gräme dich nicht, mein Sohn Georg, und bekümmere dich nicht um das Gerede der Leute. Du wirst noch einmal schön und reich werden, und das schönste Weib der Erde wirst du heiraten.« Bald darauf starb sie, und Georg ließ sie begraben, vom Popen aber eine Woche hindurch jeden Tag eine Messe lesen. Nach einer Woche verkaufte er seine Hütte am Ende des Dorfes und zog in die Welt. Wo er einen Wald fand, da schnitt er sich Ruten und flocht daraus Körbe, die er den Leuten verkaufte.
Einmal kam Georg in einen Wald, wo er sehr schöne Ruten fand. Er schnitt sich einige davon ab und ging tiefer in den Wald hinein, wo er noch schönere fand. Je weiter er aber in den Wald hineinging, desto schönere Ruten fand er. Kaum hatte er sich einige Bündel geschnitten, so musste er sie schon wegwerfen, denn stets fand er noch schönere, die ihm besser gefielen. So kam er immer tiefer in den Wald hinein, bis er gegen Abend auf silberne Ruten stieß. Schnell warf er die Bündel weg und schnitt sich von den silbernen Ruten mehrere Bündel ab. Aber bald fand er sogar goldene Ruten, und warf auch die silbernen weg, um sich goldene zu schneiden.
Als er mehrere Bündel goldener Ruten zusammenhatte, bemerkte er zu seinen Füßen eine Quelle fließen. Er ging die Quelle entlang und kam zu einem goldenen Felsen, aus dem das Wasser weiß wie Milch hervorsprudelte. Neben dem Felsen saß ein Mädchen, schön wie die Sonnenkönigin, doch so nackt wie sie auf die Welt gekommen. Ringsum war es schon ganz dunkel, nur um das Mädchen herum glänzte es wie goldener Sonnenschein.
Georg trat näher und sagte mit bebender Stimme : »Ich habe mich im Wald verirrt und kann den Ausweg nicht finden.« Darauf erwiderte das Mädchen: »Als du auf die Welt kamst, fiel gewiss kein Stern auf die Erde! Aber es ist für dich ein großes Glück, dass du diese Quelle gefunden hast. Wer nämlich darin badet, der wird so schön wie ich. Wenn du mir versprichst, keinen Menschen ein Sterbenswörtchen davon zu sagen, so will ich dir erlauben, dich in dieser Quelle zu baden!«
Der arme Korbflechter versprach, das Geheimnis zu bewahren, und legte sich, so wie er war, ins Wasser. Nach einer Weile sagte die Jungfrau: »Komm jetzt heraus aus dem Wasser und sieh dich in dem Spiegel an!« Darauf stieg Georg aus dem Wasser, sie reichte ihm einen Spiegel. Als er sich im Spiegel besah, rief er aus: »Das bin ich nicht!« Die Jungfrau entgegnete lächelnd: »Ja, du bist gar schön geworden!«, und sie betrachtete den Jüngling von allen Seiten, der in prächtigsten Kleidern vor ihr stand. Da fragte er die Maid: »Fürchtest du dich nicht, hier im Wald allein zu wohnen?«
»Nein!«, entgegnete sie. »Hierher kommt nur selten jemand, und mir kann überhaupt kein lebendes Wesen schaden. Ich lebe auch nicht lange. Gestern kam ich auf die Welt, und nach einem Jahr falle ich als Schaum ins Wasser zurück. Dann steigt ein anderes Mädchen aus dem Wasser hervor, das auch nach einem Jahr verschwindet, und so geht es fort und fort.«
Da wurde der Jüngling sehr traurig, denn er hatte die wunderschöne Maid lieb gewonnen. Nach einer Weile fragte er sie: »Und dürft ihr nicht heiraten oder euch wenigstens von hier entfernen?« »Nein«, antwortete die Maid, »wir können nur die Frau des Mannes werden, der die Quelle der Klugheit gefunden und aus ihr getrunken hat. Dann werden wir wie die anderen Jungfrauen auch, aber behalten unsere Schönheit. Doch das kommt ganz selten vor, dass eine von uns solchen Mann findet.«
»Wo ist denn die Quelle der Klugheit?«, fragte der Korbflechter. »Das weiß ich nicht!«, entgegnete das Mädchen. »Und sei sie am Ende der Welt! Ich muss sie finden, und binnen Jahresfrist kehre ich zu dir zurück!«
Da lachte das schöne Mädchen und sprach : »Nun, so geh! Ich will stets von dir träumen, und wenn du so glücklich bist, die Quelle der Klugheit gefunden zu haben, so bringe auch mir Wasser mit.« Traurig entfernte sich nun Georg mit seinen goldenen Rutenbündeln und erreichte nach längerem Herumirren eine Wiese, wo er sich niedersetzte und über das Geschehene nachdachte.
Viele Tage vergingen und Georg suchte noch immer in der Welt herum, ohne die Quelle der Klugheit gefunden zu haben. Da gelangte er einmal in eine wüste Gegend; kein Baum und kein Gras wuchs dort. Er irrte in dieser Wüste herum und kam endlich am dritten Tage in einen Wald, in dem er an einem Fluss entlangging, bis er eine Quelle fand.
An der Quelle, deren Wasser wie lauter Gold glänzte, saß ein dickes, fettes Weib und schlummerte. Der schöne Korbflechter trat heran und rief : »Wisst Ihr, wo die Quelle der Klugheit fließt?« Das Weib erwachte, sah den schönen Jüngling an und sprach: »Was geht mich die Quelle der Klugheit an! Hier ist die Quelle des Reichtums, und wer in ihrem Wasser badet, der wird reich, denn jeder Stein, den er angreift, verwandelt sich in seinen Händen zu Gold. Huh! Ich bin hungrig!«
Darauf ergriff sie mit ihren Zähnen ihren Arm und verzehrte ihn. Kaum hatte sie ihn verschlungen, so wuchs ein noch dickerer und fetterer Arm an Stelle des früheren. Nun sagte das Weib zum Jüngling: »Weil du so wunderschön bist, so will ich dir erlauben, in dieser Quelle zu baden, wenn du mir versprichst keinen Menschen davon ein Sterbenswörtchen zu sagen.«
Georg versprach, das Geheimnis zu bewahren, und legte sich so, wie er war, in das Wasser. Als er herausstieg, war das Weib schon wieder fest eingeschlafen, und Georg zog weiter in die Welt.
Das Jahr war bald um, und Georg hatte die Quelle der Klugheit noch immer nicht gefunden. Wohin immer er kam, hatten ihn die Leute wegen seiner Schönheit und seines Reichtums lieb; die schönsten Frauen liefen ihm nach, aber er beachtete sie überhaupt nicht, sondern erkundigte sich immer nur nach der Quelle der Klugheit. Doch niemand konnte ihm Auskunft geben, wo er diese Quelle finden könne.
An einem Morgen zeitig in der Frühe ging er über eine schöne Wiese und sah einen weißen Hirsch mit goldenem Geweih langsam über das Gras hinweg dem nahen Walde zuschreiten. Georg folgte ihm nach und gelangte gegen Mittag in ein Gebirge, wo der Hirsch auf einmal spurlos verschwunden war. Kein Weg, kein Steg war zu sehen, und so ging denn Georg immer weiter, bis er endlich eine Quelle fand, an der ein alter Mann saß. Er fragte ihn : »Ist dies die Quelle der Klugheit?« Der Alte antwortete: »Ja! Ich weiß schon, dass du sie suchst! Nun also trinke aus dieser Quelle und werde klug!«
Georg trank und schöpfte in eine goldene Flasche Wasser aus dieser Quelle, um es seiner Geliebten, dem schönen nackten Mädchen von der Quelle der Schönheit, zu bringen. Dann hob er einige große Steine auf, und verwandelte sie in Gold und wollte sie dem alten Mann geben, doch dieser lachte und sprach: »Behalte das Gold! Wenn ich wollte, so könnte ich mir durch meine Klugheit große Reichtümer erwerben. Doch ich begnüge mich mit dem, was ich habe. Du aber gehe in die Welt und lehre die Menschen, damit sie klüger werden!« Georg bedankte sich, ging weiter und fand durch seine Klugheit gar bald den kürzesten Weg zu seiner Geliebten, die vom mitgebrachten Wasser trank und sich dadurch in die schönste menschliche Jungfrau verwandelte. Georg heiratete das schöne Mädchen, wie es seine alte Mutter vorrausgesagt hatte, und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr seliges Ende.

Quelle
(Transsilvanische Roma)