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Märchenbasar

Der arme Weber und die indische Königstochter

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Darauf machte er sich wie früher auf den Weg und gelangte bei seiner Verfolgung bis in den kühlen Todtenhain, um den Siddhi-Kür zu holen. Als er mit ihm auf dem Rücken die Wanderung angetreten, erzählte Siddhi-Kür wiederum folgende Geschichte.
Früh vor Zeiten lebten in einer Stadt im Norden Indiens Vater und Sohn Namens Sanggasba. Da sie kein Vermögen besassen, so pflegten sie durch Holzhandel ihr Leben zu fristen. Einstmals waren sie mit einer Tracht Holz auf dem Rücken von der Spitze eines Berges herab in einen dichten Wald gekommen. Bei dieser Gelegenheit, als sie mitten in diesem Dickicht auf einem Stück unbewaldeten Wiesengrundes sich zum Ausruhen niedersetzten, sprach der Vater Sanggasba zu seinem Sohne: »Während der in dieser Gegend wohnende Sanggasba so mächtig und einflussreich war. bin ich ganz ohne irdische Güter geblieben; wenn ich einmal sterbe, so bring meine Gebeine auf diesen Platz und bestatte sie hier; was meine Armut und Dürftigkeit anlangt, so bin ich desshalb in diese Lage gekommen, weil eine unglückliche Stätte meines Vaters Gebeine beherbergt hat. Wenn du meine Gebeine hier birgst, so wirst du mit einer Fülle von Macht und Glanz ausgestattet werden, welche die eines Königssohnes an Umfang erreicht«. Weil nun ihr Holz nach allen Richtungen gieng, so konnte der Sohn während dieser Zeit, wo er seines Vaters Geschäft betrieb, sonst nichts lernen; nur ein Tuchweber war er geworden. Einst nachdem er um Brennholz zu sammeln weggegangen war, starb der Vater. Da nahm er denn die Gebeine seines verstorbenen Vaters auf die Schultern, trug sie auf die ihm früher gewiesene Stelle und bestattete sie daselbst. Da er die Anweisungen seines Vaters nicht alle verstanden, so zog er in den dortigen Städten umher und verschaffte sich durch den Verkauf der gewobenen Tücher seinen Lebensunterhalt. Einstmals hatte er sich in eine jenseits eines Berges gelegene Stadt begeben. Nachdem er das für seine Webereien angeschaffte Garn zusammen genommen, verweilte er auf dem Rückweg im Walde, woselbst er sein Garn in einander zu schlingen und Tuch zu weben begann. Während er von Hunger und Durst gequält bei sich dachte: »ich will gehen, Wasser zu suchen«, kam eine Lerche und setzte sich auf den Webstuhl. Er schlug mit dem Weberschiffchen nach ihr und tödtete sie. Um sie zu braten und dann zu verzehren, suchte er die früher von seinem Vater besprochene Stelle auf. Dabei dachte er: »Die Worte meines Vaters: ›wenn diese Stätte meine Gebeine aufnimmt, so wirst du reich werden‹ sind offenbar falsch gewesen. Jetzt ist dieses Tuchweben in der Welt ein herabgekommenes Geschäft. Ich will von dem heutigen Tag an mein Webergeschäft aufgeben, die Gewebe verbrennen und um die Tochter des Königs von Indien werben und so dessen Eidam werden«. Mit diesem Entschluss machte er sich auf den Weg.
Da die Heimkehr der Königstochter zur Burg sich lange verzögert hatte, so hatte man gerade zu der Zeit in der Nähe des fürstlichen Palastes auf einem Berge bei dem Bilde eines Garuda-Vogels von der Residenz aus ein öffentliches Dankfest veranstaltet. Auf diesen Berg stieg er empor. Er ass von den bei dem braunen Brandopfer gebräuchlichen Teigfiguren, und die an dem Garuda befestigten Seidenstoffe steckte er sich in den Busen. Zur Königsburg gelangt rief er den Pförtnern zu: »Öffnet das Thor!«. Als diese nicht öffneten, rührte er die grosse fürstliche Gesetzverkündigungs- Trommel. Auf die Frage des Königs, was das zu bedeuten habe, meldeten die Pförtner: »Ein Taugenichts wartet draussen, der sagt, er habe dem König eine Mittheilung zu machen«. Da der König den Auftrag gab, den Mann seine Mittheilung vor ihm selbst machen zu lassen, so liess man ihn vor den König. »Wesshalb«, sprach der König, »bist du gekommen? was ist dein Begehren?« »Um die Tochter des Königs zu freien und dein Eidam zu werden«, antwortete er, »bin ich gekommen«. Die Minister in der Umgebung des Königs äusserten ihre Entrüstung und riethen dem König, ihn mit dem Tode zu bestrafen. Doch der König sprach: »Man tödte ihn nicht; dabei ist kein Unglück; freit ja doch der Sohn des Bettlers um die Königstochter, und wählt wiederum der König eines Bettlers Tochter! man behalte ihn hier und lasse ihn nicht weggehen«. Bald darauf kam die Gemahlin zum König. »Dieser Mann«, sprach der König zu seiner Gemahlin, »ist gekommen, um unsere Tochter zu freien«. Die Königin gerieth in gewaltigen Zorn. »Der Mensch muss wahnsinnig sein!« rief sie, »man tödte ihn«. Doch der König sagte: »Lass ihn nicht tödten; die Sache hat ja nicht so viel auf sich«. Inzwischen war auch die Königstochter erschienen. Der König sagte im Scherze zu seiner Tochter: »Dieser Mann wirbt bei mir um dich; du musst ihn heiraten«. Allein die Tochter versetzte: »Daraus wird nichts; so ein Mann, das ist doch nur ein Scherz!« »Wenn du ihn nicht heiratest«, sprach der König, »was für einen Mann willst du künftig heiraten? Für ein Mädchen dürfte es keine so feststehende Regel sein, sich an das Beispiel der Eltern zu halten«. »Soll ich denn«, sprach die Tochter, »einen solchen Bettler heiraten?« »Nun«, fragte der König weiter, »was für einen Mann willst du denn heiraten?« worauf die Tochter antwortete: »Einen Mann, der aus Seide Stiefel zu machen versteht, möchte ich heiraten!« Unter diesen Umständen zog man dem Manne die Stiefel aus, und wie man sie näher untersuchte und in der That Seidenstoffe aus den Stiefeln hervorzog, da sah man ihn mit allgemeiner Verwunderung an und sprach kein Wort mehr. »Das ist kein gewöhnlicher Mensch«, rief der König, und gewährte ihm einstweilen den Aufenthalt. Die Königin aber dachte also: »Wenn dieser Mann hier bleibt, so kann man nicht wissen, ob er nicht meine Tochter doch noch bekommt; ich will ihn vermittelst einer List aus dem Weg zu räumen suchen«. In dieser Absicht fragte sie den Mann: »Auf welchen Grund hin machst du denn Ansprüche auf die Prinzessin? willst du sie erlangen, indem du Schätze für sie bietest? oder willst du sie durch deine Tapferkeit dir verdienen?« Der Mann erwiederte: »Ich habe keine Schätze; ich will sie verdienen, indem ich dem König und der Königin Proben meines Muthes ablege«.
Zu der Zeit dieses Gespräches war gerade ein Fürst der Ungläubigen herangerückt, den König zu bekriegen. In Folge dessen sprach die Königin zu dem Manne: »Wenn du dieses feindliche Heer zurückschlägst, so wollen wir dir unsere Tochter geben«. »So mag es geschehen!« versetzte er; »man gebe mir nur ein gutes Ross, Panzer und Bogen und Pfeile«. Die Königin war mit diesem Anerbieten zufrieden; man gab ihm Panzer, Bogen und Pfeile, gab ihm auch starken Wein, und gab ihm endlich ein Ross unter den Leib und sandte ihn so dem Feinde entgegen. Er nahm einige Leute von seiner Mannschaft zu sich; doch kaum hatte er sich etwas entfernt, so Hessen ihn diese mit den Worten: »reit jetzt nur du allein!« im Stich. Da er aber sein Pferd nicht im geringsten mit dem Mundstück zu lenken im Stande war, so trug es ihn in ein Dickicht. Unter dem Ausrufe: »ich bin des sicheren Todes!« hielt er sich an den Zweigen eines Baumes am Gipfel desselben fest; allein da die Wurzel des Baumes ausriss, so schmetterte der Stamm viele Leute vom feindlichen Heere nieder. Die Feinde riefen: »Das ist kein gewöhnlicher Mensch; das muss sicher ein unter einer angenommenen Hülle auftretender Held sein«, und ergriffen eiligst die Flucht. Er aber nahm sofort ihre Waffen und Rosse sämmtlich mit, und als er sie dem König überreichte, freute sich dieser ungemein und versprach ihm die Tochter zu geben. Doch die Königin war damit nicht einverstanden. »Er soll erst seine Tapferkeit zeigen«, sprach sie. »Wie soll ich denn«, sprach der Mann, »meine Tapferkeit zeigen?« »Auf unserem Gebirge hier«, versetzte die Königin, »hält sich ein neun Spannen langer Fuchs auf, der mitten auf seinem Rücken ganz gestreift ist. Erlege diesen Fuchs und bring mir den Balg«. Er nahm darauf ein Pferd, ein Rind, Bogen und Pfeile und Lebensmittel in Empfang und machte sich auf den Weg. Viele Tage lang suchte er den Fuchs, ohne ihn zu finden. Schon kehrte er wieder um und war bereits in die Nähe der Königsburg gelangt. Da bemerkte er, dass er seinen Bogen verloren. »Ohne den Fuchs gefangen zu haben, ist der Verlust des Bogens ein Unglück für mich!« dachte er, und machte sich auf seinen Bogen zu suchen. Auf einem Bergrücken an einer Stelle, wo er sich zum Ausruhen niedergesetzt hatte, war der Bogen zurückgeblieben. Bevor der Mann aber noch dahin gelangte, war der Fuchs, indem er die Bogensehne entzwei zu beissen versuchte, vom Bogen, als er seine Stirne durchzwängen wollte, erschlagen worden. Auf diese Weise bekam er den Fuchsbalg und überbrachte ihn dem König und der Königin.
Die beiden stellten die neue Forderung: »Du musst noch eine Probe deiner Tapferkeit ablegen, dann geben wir dir mit Bestimmtheit das Mädchen«. Der Mann fragte: »Welche Probe soll ich denn noch ablegen?« »In der Nordgegend«, hiess es, »sind sieben berittene Dämonen der Mongolen; führe uns diese her«. Die Königstochter veranstaltete, dass man ihm zu diesem Zwecke guten Reiseproviant gab, und ebenso liess sie ihm sieben Stück zerriebene Roggen- Brote und sieben Stück weisse Weizen-Brote reichen; dabei liess sie ihn ein starkes ausdauerndes Ross besteigen. So brachte sie ihn auf den Weg. Während des Nachtlagers ass er von seinen sieben Stück (schwarzen Roggen-) Broten. Bald gelangte er in das Land der Mongolen. Auf einem mitten in einer Ebene sich befindenden Hügel machte er Halt. Er zog seine sieben Stück weissen Brote hervor; als er sie aber besah, dachte er: »Ich will doch lieber eines von den schwarzfarbigen essen«. Doch kaum schickte er sich an eines derselben zu nehmen, als ihn plötzlich der Schlucken befiel. In demselben Augenblick aber erschienen auf einmal die sieben berittenen mongolischen Dämonen. Kaum war er ihrer ansichtig geworden, so liess er seine Brote im Stich und machte sich eiligst davon. Während sie ihm nachjagten, sprach einer von ihnen: »Was sollen wir ihm nachsetzen?« Der Haufe aber rief: »Nehmen wir seine Lebensmittel!« Desshalb kehrten sie um und verzehrten sieben Stück Brote jeder von ihnen eines. Da aber in den sieben Stück Broten Gift eingemischt war, so starben die sieben Dämonen an diesem Gifte. Nachdem der Mann wieder umgekehrt war, nahm er die Pferde, sieben Köcher sammt Bogen und Pfeilen und überbrachte sie dem König. Der König war hocherfreut, gab ihm seine Tochter, errichtete einen Thron dem seinen ganz gleich, versammelte seine zahlreichen Unterthanen, veranstaltete ein grosses Fest und übergab ihm sein Reich zur Hälfte. Und von da an wurde er dem König so theuer wie sein eigenes Leben.
»Weil der Vater Sanggasba eine glückliche Stätte gefunden, desshalb ist dieser so glücklich geworden!« sprach bei diesen Worten der Erzählung der mit Glück und Wohlstand gesegnete Chân, und Siddhi- Kür versetzte: »Sein Glück verscherzend hat der Chân seinem Munde Worte entschlüpfen lassen!« und mit dem Ausrufe: »In der Welt bleibe ich nicht!« flog er durch die Lüfte davon.

[Asien: Mongolei. Märchen der Welt]

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