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Der Aschentagger

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Dicht an einem Wald lebte einmal ein Bauer, der drei Söhne hatte. Die älteren zwei waren rüstige Buben, die dem Vater an die Hand gingen und tüchtig arbeiteten. Der jüngste aber war ein Lappe und konnte zu keiner Arbeit angestellt werden. Er trug, obwohl er schon zwanzig Jahre alt, noch einen Kinderrock aus Loden und saß den ganzen Tag auf dem Herd. Hier machte er sich immer mit der Asche zu schaffen, und man nannte ihn deshalb den Aschentagger. Da ereignete es sich, daß der Bauer todkrank wurde. Als er sah, daß für ihn kein Kräutlein mehr gewachsen war, sagte er zu seinen drei Söhnen: »Ich kann euch wenig hinterlassen. Wenn aber ein jeder von euch in den drei ersten Nächten zu meinem Grab kommt, werde ich euch mit Rat und Tat helfen.«
Als er dies gesagt hatte, starb er und wurde bald begraben. Da nahte nun die erste Nacht, in der der älteste zum Grab des Vaters gehen sollte. Dieser aber fürchtete sich, allein auf den Friedhof zu gehen, und ging in die Küche, wo der Aschentagger auf dem Herd saß. Zu diesem sprach er: »Hansl, wenn du anstatt meiner zum Grab meines Vaters gehst, geb‘ ich dir einen Laib Brot.«
Da lachte Hansl vor Freude hellauf und antwortete: »Um Brot geh‘ ich dir alle Nacht auf den Friedhof.«
Hansl bekam nun von seinem Bruder einen Laib Brot, aß ihn und ging, als es Nacht war, zum Grabe seines Vaters. Dort wartete er bis Mitternacht. Als es auf dem Kirchturm zwölf Uhr schlug, stieg der Vater aus dem Grab und sprach, als er den Hansl sah: »Sieh, bist du da! Du bist halt der erste und der Beste, und deshalb will ich dir etwas Gutes geben. Da hast du einen Roßzaum. Bewahre ihn gut auf, denn er wird dir einmal großen Nutzen bringen.«
Hansl nahm den Roßzaum und dankte dem Vater, der sogleich wieder verschwand. Hansl kehrte nun lustig nach Hause zurück, ging dort in den leeren Stall und hängte den Roßzaum an eine Wand. Dann ging er in seine Kammer und schlief, bis der Morgen graute. Als am anderen Tag die Brüder ihn fragten, erzählte er ihnen sonst alles, nur vom Roßzaum verlor er kein Wörtchen. Er saß wieder auf dem Herd und wühlte wie gewöhnlich in der Asche.
Da sprach der zweite Bruder zu ihm: »Hansl, du fürchtest dich nicht. Geh du anstatt meiner auf den Friedhof. Ich gebe dir dafür einen Laib Brot.«
Hansl lachte nun hellauf und sprach: »Gib mir nur das Brot, ich werde schon zum Vater gehen.«
Er bekam sogleich das Brot, aß es und war guter Dinge. Er blieb auf dem Herd und tändelte in der Asche, bis es dunkle Nacht war. Dann ging er auf den Gottesacker und wartete bei dem Grab seines Vaters bis Mitternacht. Als es vom Kirchturm zwölf Uhr schlug, stieg der Vater aus dem Grab und war ganz verwundert, wie er den Hansl sah. »Hansl, bist du wieder da? Du bist halt der Beste und Folgsamste«, sprach er. Dann gab er dem Aschentagger eine Geißel mit den Worten: »Hebe sie gut auf, denn sie wird dir von großem Nutzen sein.«
Kaum hatte er es gesagt, war er auch verschwunden, Hansl ging mit der Geißel wohlgemut nach Hause und steckte sie im Stall neben dem Roßzaum auf. Dann suchte er sein Lager auf und schlief, bis es Morgen wurde. Dann zog er seinen Rock an und setzte sich auf den Herd. Seine Brüder fragten ihn, wie es ihm auf dem Friedhof ergangen sei. Da erzählte er ihnen alles, nur von der Geißel sagte er kein Wörtchen.
In der dritten Nacht traf ihn die Reihe, und er ging wieder zu dem Grab. Da stieg der Vater wieder aus der Erde und sprach: »Sieh, der Hansl ist heute auch da! Du bist der Beste und erste, und ich will dir auch dafür etwas geben. Da hast du ein spanisches Stäblein. Bewahre es gut auf, denn es wird dir zu großem Nutzen gereichen.« Der Vater reichte ihm ein spanisches Stäblein und verschwand.
Der Aschentagger ging damit seelenvergnügt nach Hause, steckte seinen Stab zu dem Zaum und der Geißel und ging dann schlafen. Am folgenden Tag erzählte er seinen Brüdern, wie es ihm auf dem Gottesacker gegangen war, allein von dem spanischen Röhrlein sagte er ihnen kein Wort. Seitdem hockte er wieder auf dem Herd und spielte mit der Asche.
Nicht fern von der Heimat des Aschentaggers war eine steile Felswand, auf deren Höhe sich eine sehr schöne Ebene befand. Vorn war der Anstieg so jäh, daß nur ein geübter Fußgänger hinaufgehen konnte. Von der Rückseite führte aber ein guter Weg zur Anhöhe. Da ließ einmal der König verkünden, wer imstande sei, auf der Vorderseite bis zur Ebene hinaufzureiten, werde die Königstochter zur Frau erhalten. Dazu bestimmte der König einen Tag, an dem die Versuche gemacht werden sollten.
Da kamen Ritter und Herren von weit und breit, um dies Schauspiel zu sehen oder selbst ihr Glück zu versuchen. Als der vom König bestimmte Tag angebrochen war, sagten zum Aschentagger seine zwei Brüder: »Hansl, wir gehen die Ritter anschauen, bleib du fein daheim und hüte das Haus!« Dann gingen sie zur Wand hinaus.
Da dachte sich Hansl: Ich bleib auch nicht daheim, ging in den Stall, nahm dort Zaum und Geißel und humpelte in den Wald hinaus. Dort fand er einen wunderschönen Schimmel, der an eine Tanne gebunden war, und an einem anderen Baum hing eine prachtvolle, silberne Rüstung. Hansl konnte sich an dem schönen Roß und der funkelnden Wehr nicht satt sehen und dachte hin und her, wem es etwa gehören möchte. Allein umsonst, denn niemand ließ sich sehen.
Da sagte Hansl: »Wenn beides so leer dasteht, will ich es nehmen.« Er zog seinen Lodenrock aus, schnallte sich die herrliche Rüstung an und stieg auf den mutigen Schimmel. Kaum saß aber Hansl droben, als das Pferd schnell wie der Wind davoneilte und ihn zur steilen Felswand trug. Dort machten alle Zuschauer dem unbekannten Ritter Platz, und der mutige Schimmel schritt sicher und behende die steile Wand hinauf, bis er auf der Höhe stand.
Da war ein Jauchzen und Jubeln unter den Zuschauern, und niemand konnte den guten Reiter genug bewundern. Auf der grünen Ebene droben befand sich die Königstochter. Als diese den schönen, mutigen Ritter sah, eilte sie freudig auf ihn zu, wollte ihn umarmen und ihn küssen. Hansl aber verstand nicht, was sie wollte, stieß sie von sich und mochte durchaus keinen Kuß. Er ritt sogleich wieder davon wie der Wind und sprengte über Stock und Stein in den Wald zurück. Dort stieg er vom Pferd, legte die Rüstung ab und zog wieder den schmutzigen Lodenrock an. Dann lief er nach Hause, setzte sich auf den Herd und tat, als ob er ihn gar nicht verlassen hätte.
Der Königstochter hatte aber der fremde Ritter so gut gefallen, daß sie den König bat, er möchte dies Reitspiel noch einmal veranstalten. Vielleicht komme dann der schöne Reiter wieder. Der König tat nach dem Willen der Prinzessin und ließ auf den folgenden Tag alle Ritter zum Spiel einladen.
Als am folgenden Morgen das Spiel abermals beginnen sollte, sprachen wieder die zwei Brüder zum Aschentagger: »Hansl, bleib du daheim und hüte das Haus, wir gehen zum Spiel hinaus.«
Da ließ der Hansl sie gehen, dachte aber: Ich bleib‘ auch nicht da. Er ging wieder in den Stall, nahm Zaum und Geißel und trottete in den Wald hinaus. Dort fand er wieder die wunderschöne Rüstung und den prächtigen Schimmel. Er zog den Lodenrock aus, legte die blanke Rüstung an und bestieg dann das Pferd. Hui! Wie rannte dieses zur Felswand und trug den unbekannten Reiter glücklich zur Höhe.
Da gab es ein Jubeln und Jauchzen, und des Staunens war kein Ende. Droben eilte die Königstochter wieder auf ihn zu und wollte ihn küssen. Hansl aber verstand das nicht, stieß die Prinzessin fort und sprengte spornstreichs über die Wand hinunter und wollte in den Wald eilen.
Da wurde er aber aufgehalten, denn der König hatte eine Reihe starker Wachen dort aufgestellt und ihnen befohlen, den fremden Ritter um keinen Preis fortzulassen. Der König selbst stand bei den Wächtern. Hansl war bald umringt, und als er dennoch alles aufbot, um durchzukommen und mit der Geißel rechts und links Hiebe verteilte, da wurde er am rechten Fuß verwundet. Als er dies sah, schien er nachgeben zu wollen und rief nach einem Verband. Da nahm der König sein eigenes Sacktuch und verband damit die Wunde des fremden Ritters. Wie dieser aber bemerkte, daß die Wächter sich etwas zerstreut hatten, gab er dem Roß die Sporen und verschwand ins Weite.
Da blieb dem König und seinen Dienern das Nachschauen, denn niemand konnte den flüchtigen Reiter mehr einholen. Hansl sprengte über Stock und Stein in den Wald, legte die Rüstung ab und zog seinen Lodenrock an. Dann eilte er heim, trug Zaum und Geißel in den Stall und ging in die Küche, wo er sich auf den Herd setzte und in der Asche klaubte. Bald kamen seine Brüder vom Spiel zurück und erzählten davon. »Wer ist etwa der dumme Ritter, der immer davonläuft? Den möchte ich kennen.«
Hansl dachte sich, ich wüßte den schon, und grabbelte in der Asche, als ob er ihre Rede nicht verstanden hätte.
Die Königstochter war über das Entfliehen des schönen Ritters ganz untröstlich und bat ihren Vater eindringlich, er sollte ihr den Bräutigam nicht entkommen lassen.
Da ernannte der König eine Kommission, die mußte landaus, landein alle Burschen und Männer visitieren und den verwundeten Ritter suchen. Die mit diesem Auftrag betrauten Männer kamen auch in das Haus der drei Brüder und visitierten die älteren beiden. Doch da fanden sie keine Wunde und keine Schramme. Die Sucher fragten: »Ist noch jemand hier zu Haus?«
Da hieß es: »Ja, ein Lappe«, und sie wurden in die Küche geführt, wo Hansl auf dem Herd saß.
Als die Männer den dummen Burschen sahen, dachten sie sich, der ist’s doch nicht, und wollten weitergehen. Aber es fiel ihnen ein, wie sie den strengsten Befehl hätten, jeden zu untersuchen, und deshalb kehrten sie um und visitierten den Hansl. Und siehe! Als sie seinen Rock aufhoben, schimmerte ihnen das Sacktuch des Königs entgegen. Als sie sich vom Staunen erholt hatten, packten sie den rußigen Aschentagger und führten ihn zum König und zur Königstochter. Wie aber diese den schmutzigen Hansl erblickte, fing sie an zu weinen und zu rufen: »Nein, der ist’s nicht! Nein, den mag ich nicht.«
Jetzt dachte sich der König: Was ist nun zu tun? Ich ließ den Reiter überall suchen, und nachdem er gefunden ist, mag ihn meine Tochter nicht. Wie er so hin und her dachte, fiel ihm ein Ausweg ein. Es hielt sich damals in einem nahen Wald eine furchtbare Schlange auf, die Vieh und Leute auffraß. Deshalb sagte nun der König zum Aschentagger: »Du mußt noch eine Probe deiner Ritterlichkeit ablegen, wenn du meine Tochter zur Ehefrau haben willst. Geh in den Wald hinaus und erlege die Schlange, die weit und breit alles Land verheert. Ich werde selbst nachkommen und deinem Kampf zusehen.«
Hansl war nicht faul, ging heim und holte sein spanisches Röhrlein aus dem Stall. Dann trottete er munter in den Wald hinaus und blies auf einer Schwegel, die er einmal als Marktkram bekommen hatte. So wanderte er lange fort. Endlich kam er zur fürchterlichen Viper, die pfeifend auf ihn losstürzte. Hansl wich ihr aus und schlug mit dem Stäbchen aus das giftige Tier. Und siehe! Gleich lag es mausetot auf der Erde. Als der König dies sah, war er voll Freude, daß er einen so tapferen Schwiegersohn bekomme. Allein die Königstochter weinte und jammerte und wollte vom Hansl nichts wissen. Da sprach der König zu ihr: »Dein Bräutigam hat die Spiele gewonnen, du mußt ihn halt nehmen.«
Hansl mußte nun nach dem Hofe gehen und dort wohnen. Allein die Prinzessin weinte Tag und Nacht, so daß es dem Aschentagger zu arg wurde. Er verließ den Hof und ging heim, wo er vom Stall Zaum und Geißel holte. Dann ging er in den Wald hinaus und fand dort wieder den schönen Schimmel und die silberne Rüstung. Er zog nun den Rock aus, legte die glänzende Rüstung an und bestieg das Roß. Dann sprengte er spornstracks nach dem Hof zurück.
Als er in die Königsburg einritt, stand die Prinzessin am Fenster und sah den herrlichen Ritter. Da kam sie vor Freude fast außer sich und rief: »Mein Bräutigam, mein Bräutigam!«
Sie eilte ihm entgegen und begrüßte ihn huldreich. Da gefiel ihr Hansl so, daß sie ihn sogleich zum König führte und noch am nämlichen Tag Hochzeit hielt. So war nun der Aschentagger eines Königs Schwiegersohn und Erbe geworden.

(gehört bei Absam)
[Österreich: Ignaz und Joseph Zingerle: Kinder und Hausmärchen aus Süddeutschland]

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