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Märchenbasar

Der Bär im Wirtshaus

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Es war einmal ein Mann, der ein kleines Gasthaus bewirtschaftete. Obwohl alle Dorfbewohner gern auf ein Maß Bier, einen Krug Wein oder eine einfache Mahlzeit zu ihm kamen, reichten die Einnahmen dem Wirt kaum zum Leben, denn das Dorf war klein und nur selten verirrte sich ein Wanderer in diese Gegend. Doch der Mann war beliebt bei jedermann, sein Leben, so karg es auch war, behagte ihm und so klagte er nicht.

Eines Abends öffnete sich die Tür seiner Wirtschaft und ein großer, brauner Bär, auf zwei Beinen gehend wie ein Mensch, trat in die Schankstube. Die beiden Bauern, die an einem der Tische saßen und ihr Bier tranken, bekamen einen solchen Schrecken, dass sie nicht zu fliehen vermochten. Auch der Wirt war wie zur Salzsäule erstarrt. Da erhob der Bär seine Stimme und verlangte brummend nach einem Maß Bier. Der schreckensbleiche Wirt gehorchte zitternd. Als er sah, wie das Pelztier mit beiden Pranken vorsichtig nach dem Becher griff und ihn artig leerte, ohne den Menschen in der Stube ein Leid zuzufügen, beruhigte er sich allmählich und schenkte dem durstigen Meister Petz nach. Er dachte bei sich: ,Der Waldbewohner mag zwar für seinen Trunk nicht zahlen können, aber ich könnte ihn in einen Käfig sperren und dressieren, um ihn auf Jahrmärkten zur Schau zu stellen. So würde ich ein gutes Stück Geld mit ihm verdienen!‘
Doch als hätte der Bär seine Gedanken gelesen, sprach er: „Ich bin ein freier Bär, und so soll es auch bleiben! Gib mir nur ab und zu ein Bier, es soll dein Schaden nicht sein.“
Der verdatterte Wirt sann einen Augenblick darüber nach. Zwar konnte er sich nicht vorstellen, welchen Vorteil er davon haben sollte, den Bären unbehelligt zu lassen, aber das Tier erschien ihm freundlich, und da er ein gutmütiger Mensch war, sagte er schließlich: „Nun, lieber Bär, so komme, wann immer du möchtest!“

Die beiden Bauern, die das Schauspiel beobachtet hatten, und auch der Wirt selbst berichteten in den kommenden Tagen jedem von dem seltsamen Ereignis. Die Kunde drang bis ins kleinste Haus des Örtchens und erreichte auch die umliegenden Dörfer in Windeseile.
So kam es, dass von nun an sich jedem Abend Menschen von nah und fern um den Tresen scharten. Die Wirtschaft wurde nur noch „Das Gasthaus zum Bären“ genannt und in der Kasse des Wirtes klingelte es. Der Bär gesellte sich fast jeden Abend zu den Zechern und unterhielt alle mit seinen Possen.

Es hätte immer so weitergehen können, wären da nicht die Wirte der umliegenden Dörfer gewesen, deren Geschäfte zusehends schlechter gingen. Sie schlossen sich zusammen und schmiedeten einen Plan, der dem ursprünglichen Ansinnen des Bärenwirts sehr nahe kam: Das Tier sollte gefangen werden und ihnen fortan zu Reichtum verhelfen.
Schon am nächsten Abend lauerten die unzufriedenen Wirte dem ahnungslosen Petz auf, als dieser aus der Gaststube trat und den Weg zum Wald einschlug. Sie warfen ein Netz über ihn, fesselten seine Pranken und schleppten ihn mit vereinten Kräften in eines der Nachbardörfer, wo sie ihn in einer Hütte versteckten. Jeden Tag wollte man ihn nun reihum in einem ihrer Gasthäuser zur Schau stellen.

Im „Gasthaus zum Bären“ wartete man indessen vergeblich auf den pelzigen Freund. Als der Wirt merkte, dass etwas nicht stimmte, machte er sich Gedanken um seinen braunen Stammgast, zumal Emily, seine Tochter, recht betrübt war. Sie hatte sich mit dem Waldesbewohner immer gern unterhalten. So war es dem Wirt auch recht, dass sie sich auf die Suche nach dem Tier machen wollte.

Ihr Weg führte Emily zuerst in das angrenzende Dorf, wo sie alle Leute, die ihren Weg kreuzten, nach dem vermissten Freund fragte. Keiner konnte ihr weiterhelfen, jedoch sprach ein jeder aufgeregt über das Wirtshaus, das drei Nächte zuvor abgebrannt war.
Sie setzte ihre Suche in den anderen Örtchen der Umgebung fort, musste aber immer eine ähnliche Geschichte hören: Alle Gasthäuser schienen in Schutt und Asche zu liegen, von dem Verbleib des Bären dagegen wusste niemand.
Das Mädchen zog weiter, bis es schließlich müde wurde und unter einem Baum eine Rast einlegte. Kaum hatte Emily die Augen geschlossen, als sie fremde Stimmen vernahm:
„Der Bär bringt uns nur Unglück!“
„Er muss sterben!“
„Ja, töten wir ihn!“
„Wir wollen ihn gleich heute Nacht im Schlaf erstechen!“
„Abgemacht! Um Mitternacht treffen wir uns an der alten Eiche!“

Die junge Frau erschrak bei diesen Worten. Bis Mitternacht war nicht mehr viel Zeit. Sie überlegte, wie sie es wohl bewerkstelligen könnte, ihrem Freund zu helfen. „Wenn ich nur wüsste, wo die Schurken ihn versteckt halten!“, sagte sie zu sich. Da flatterte ein Rotkehlchen auf ihre Hand und sprach: „Folge mir! Ich werde dir den Weg weisen!“
Das ließ sie sich nicht zweimal sagen und lief quer durch den Wald hinter dem Vogel her, hastete über Stock und Stein, sprang über Bäche und hielt nicht an, bis ihr kleiner Wegweiser sich auf den First einer hölzernen Hütte setzte.

Die Wirtstochter rüttelte an der fest verschlossenen Tür, sah aber keinen Weg, sie zu öffnen. „Ach, wie kann ich nur hinein gelangen?“, murmelte sie verzagt. Da vernahm sie ein leises Rascheln zu ihren Füßen und eine Stimme sprach: „Lass das nur unsere Sache sein!“
Erstaunt sah sie einigen Kaninchen zu, die in Windeseile ein Loch unter die Hütte gruben, das bald so groß war, dass Emily hindurch schlüpfen konnte. Drinnen fand sie ihren pelzigen Freund, der an den Pfoten mit dicken Seilen gefesselt war. Doch so sehr sie auch an den Knoten zerrte, sie konnte sie nicht lösen. Verzweifelt seufzte sie: „Nun bin ich so weit gekommen, aber ich bekomme die Fesseln nicht auf!“
Kaum hatte sie ausgesprochen, als zahllose Hirschkäfer herbeikrabbelten und mit ihren starken Kiefern das Seil zernagten.
„Schnell, wir müssen uns beeilen“, rief das Mädchen dem Bären zu und zog ihn mit sich ins Freie. Sofort begannen die Kaninchen, das Loch wieder zu füllen.
Einen Augenblick später hörten sie leise Schritte und schon bald standen die mordlüsternen Wirte vor der Hütte. Sie öffneten das schwere Schloss und traten einer nach dem anderen ein. Als der letzte über die Schwelle getreten war, lösten sich aus den Schatten der Bäume Waldtiere aller Art. Sie schlugen die Tür der Hütte zu, versperrten sie mir dicken Stämmen und verschwanden alsdann lautlos in der Dunkelheit.

Emily fiel ihrem pelzigen Freund um den Hals. Rasch liefen beide zurück zum Wirtshaus des Vaters, wo sie mit Jubel begrüßt wurden.
Plötzlich ertönte ein Donnerschlag und stinkender Rauch erfüllte den Raum. Als sich die Luft wieder klärte, stand ein junger, hochgewachsener Mann in der Schankstube, gerade dort, wo noch einen Augenblick zuvor der Bär gewesen war.
„Ein Prinz bin ich leider nicht“, sagte der Jüngling zu Emily, „aber du hast mich durch deine Hilfe von dem Zauber einer üblen Hexe erlöst. Ich danke dir von Herzen und möchte dich bitten, meine Frau zu werden!“
Freudig willigte die junge Frau ein und schon bald wurde Hochzeit gehalten.

Was aus den Wirten in der Waldhütte geworden ist? Nun, das Holzhäuschen löste sich mitsamt seinen Insassen in dem Augenblick in Luft auf, als der Bär seinen Pelz für immer ablegte!

Quelle: nicht angegeben

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