Es hatte aber der Bauer einen herzguten Jungen, Frieder mit Namen, der tat dem armen Tier alle Liebe. Wenn die Stalltür aufging, etwas leiser wie sonst, drehte der Hansel gleich den müden Kopf herum, zu sehn, ob es der Frieder sei, der ihm heimlich sein Morgen- oder Vesperbrot brachte. So kommt der Junge auch einmal hinein, erschrickt aber nicht wenig: denn auf des Braunen seinem Rücken sitzt ein schöner Mädchenengel mit einem silberhellen Rock und einem Wiesenblumenkranz im gelben Haar und streicht dem Hansel die Bückel und Beulen glatt mit seiner weißen Hand. Der Engel sieht den Frieder an und spricht:
„Dem wackern Hansel geht’s noch gut,
Wenn ihn die Königsfrau reiten tut.
Arm Frieder
Wird Ziegenhüter,
Kriegt aber Überfluß,
Wenn er schüttelt die Nuß,
Wenn er schüttelt die Nuß!“
Solches gesagt, verschwand der Engel wieder und war nicht mehr da. Den Knaben überlief’s, er huschte hurtig aus der Tür. Als er aber den Worten, die er vernommen, weiter nachsann, ward er fast traurig. „Ach!“ dachte er, „der Ziegenbub vom Flecken sein, das ist doch gar ein faul und ärmliches Leben, da kann ich meiner Mutter nicht das Salz in die Suppe verdienen. Aber Nüss‘? Woher? In meines Vaters Garten wachsen keine; und wenn ich sie auch ganzer Säcke voll schütteln sollte, wie der Engel verheißt, davon wird niemand satt. Ich weiß, was ich tun will, wann ich die Ziegen hüten muß: ich sammle Besenreißig nebenher und lerne Besen binden, da schafft sich doch ein Kreuzer.“ Solche Gedanken hatte Frieder jenen ganzen Tag, sogar in der Schule und schaute darein wie ein Träumer. „Wieviel ist sechs mal sechs?“ fragte der Schulmeister beim Einmaleins. „Nun, Friederl, was geht dir heut im Kopf herum? schwätz!“ Der Bub, voll Schrecken, wußte nicht, sollt‘ er sagen: Besenreißig oder sechsunddreißig, denn eigentlich war beides richtig; er sagte aber: „Besenreißig!“ Da gab es ein Gelächter, daß alle Fenster klirrten, und blieb noch lang ein Sprichwort in der Schule, wenn einer in Gedanken saß: der hat Besenreißig im Kopf.
In der Nacht konnte Frieder nicht schlafen. Einmal kam es ihm vor, als sei es im Hof nicht geheuer; er richtete sich auf und sah durchs Fenster über seinem Bett. Sieh da!, drang eine Helle aus dem Stall und kam der Hansel heraus und der Engel auf ihm, der ritt ihn aus dem Hof so sachten Tritts, als ging es über Baumwolle weg. Im ersten Augenblick will Frieder schreien, doch gleich besinnt er sich und denkt, es ist ja Hansels Glück! – legt sich also geruhig wieder hin und weint nur still in die Kissen, daß jetzt der Hansel fort sein soll und nimmer wiederkommen.
Wie nun die zwei auf offener Straße waren und der Gaul im hellen Mondschein seinen Schatten sah, sprach er für sich: „Ach! bin ich nicht ein dürres Bein! eine Königin säße mir nimmermehr auf.“ Der Engel sagte weiter nichts hiegegen und lenkte bald seitwärts in einen Feldweg ein, wo sie nach einer guten Strecke an eine schöne Wiese kamen; sie war voll goldener Blumen und hieß die unsichtbare, denn sie von ordinären Leuten nicht gesehen ward und ging bei Tage immer in einen nahen Wald hinein, daß sie kein Mensch ausfand. Kam aber guter armer Leute Kind mit einem Kühlein oder Geiß daher, dem zeigte der Engel die Wiese; es wuchs ein herrliches Futter auf ihr, auch mancherlei seltsame Kräuter, davon ein Tier fast wunderbar gedieh. Auf demselbigen Platz stieg der Engel jetzt ab, sprach: „Weide, Hans!“ lief dann am Bach hinunter und schwand in die Lüfte, nur wie ein Stern am Himmel hinzückt. Der Hansel seinerseits fraß aber tapfer zu; und als er satt war, tat’s ihm leid, so fett und milchig war das zarte Gras. Endlich kommt ihm der Schlaf; also legt er sich stracks an den Hügel dort bei den runden Buchen und ruht bei vier Stunden. Weckt ihn mit eins ein Jägerhorn, da war es Tag und stund die Sonne hell und klar am Himmel. Risch, springt er auf, sieht seinen Schatten auf dem grünen Rasen, verwundert sich und spricht: „Ei! was bin ich ein schmucker Kerl geworden! unecket, glatt und sauber!“ So war es auch, und glänzte seine Haut als wie in Öl gebadet.
Nun aber jagte der König des Landes schon etliche Tage in selbiger Gegend und ging just aus dem Wald hervor mit seinen Leuten. „Ah schaut! Ah schaut!“ rief er: „was für ein schönes Roß! wie es die stolzen Glieder übt in Sprüngen und lustigen Sätzen!“ So sprechend trat er nahe herzu mit den Herren vom Hofe, die vernahmen sich alle über das Pferd und klopften ihm liebkosend auf den Hals. Sagte der König: „Reit‘, Jäger, in das Dorf hinein, zu fragen, ob dieses Tier nicht feil. Sag‘ ihnen, es käm‘ an keinen schlechten Herrn.“ Derselbe Jägersmann ritt eine Schecke, welche dem Hansel wohlgefiel, derhalben er von selbst mit in den Flecken trabte, wo die Bauern alsbald neugierig die Köpfe aus den Fenstern streckten. „Hört, Leute! wessen ist der feine Braun?“ ruft der Jäger durch die Gassen. „Mein ist er nicht! – Das ist kein hiesiger!“ hieß es von allen Seiten. „Sieh, Frieder, guck!“ sagte der Peter, „das ist ein ungrischer. Ich wollt‘, der wär‘ mein.“ Zuletzt beteuerte der Hufschmied, ein solches Tier sei auf sechs Meilen im Revier gar nicht zu Hause. Da ritt der Jäger samt dem Hansel zum König zurück, vermeldend: „das Roß ist herrenlos.“ „Behalten wir’s denn! “ versetzte der König, und ging der Zug also weiter.
Indessen meint der Peter, es wäre Zeit sein Vieh zu füttern, und stößt mit Gähnen die Stalltür auf. Hu!, macht der Rüpel Augen, wie er den leeren Stand der Mähre sieht! Lang waren ihm alle Gedanken wie pelzen. „Zum Kuckuck!“ fuhr er endlich auf, „wird nicht viel fehlen, war da vorhin der fremde Gaul mein Hansel und ist’s mit des Teufels Blendwerk geschehen, daß ihn kein Mensch dafür erkannte!“ Der Peter wollte sich die Haar‘ ausraufen: allein was konnte er machen? Der Gaul war fort. Es haben mich nur die zwei Öchslein gedauert. An denen ließ der Unmensch seinen Grimm in diesen Tagen aus und mußten sie für ihrer drei arbeiten. Was ihnen aber, nächst Püffen, Schlägen, Hungerleiden, das Leben vollends ganz verleidete, das war das Heimweh nach dem braven Hans. Sie trauerten und wurden wie verstockt und taten alles hinterstfür; deshalb der Peter leis‘ zu seinem Weibe sprach: „Es ist schon nicht anders, die Ochsen sind mir auch verhext.“ Bald wurden die Ehleute eins, daß sie das Paar für ein Spottgeld dem Metzger abließen; der schlachtete sie in der Stadt. Allein was geschieht? In einer Nacht, da alles schlief, klopft es dem Peter am Laden; schreit er: „Wer ist da drauß?“ Antworten ihm zwo tiefe Baßstimmen:
„Der Walse und der Bleß
Müssen wandeln deinetwegen,
Wollen zu fressen, fressen in ihre kalten Mägen!“
Dem Peter schauerte die Haut, er zupfte sein Weib: „Steh du auf, Ev‘!“ „Ich nicht!“ antwortete die Frau, „sie wollen halt ihr Sach von dir.“ So stund der Großmaul auf mit Zittern, warf ihnen Futter hinaus, und wie sie damit fertig waren, gingen sie wieder.
Nun kam das Unglück Schlag auf Schlag. Der Peter brachte zwar vom nächsten Markt wieder zween Stiere heim, allein da zeigte sich’s, es wollte mit aller Lieb kein Vieh mehr in dem Stalle bleiben: die beiden Stiere samt der Kuh wurden krank, man mußte sie mit Schaden aus dem Hause tun. Der Peter läuft zu einem Hexenbanner, will sagen Erzspitzbuben, legt ihm gutwillig einen Taler hin, dafür kriegt er ein Pulver, mit dem soll er den Stall durchräuchern, Schlag zwölfe um Mittag. Er räucherte auch wirklich so handig, daß er die Glut ins Stroh brachte, und schlug der rote Hahn alsbald die Flügel auf dem Dach, das heißt, Stallung und Scheuer ging in lichten Flammen auf; mit knapper Not konnte die Löschmannschaft das Wohnhaus retten. Peter, wo will’s mit dir hinaus? – Die nächste Nacht klopft es am Kammerladen. „Wer ist da?“
„Der Walse und der Bleß
Kommen in Wind und Regen,
Wollen zu fressen, fressen in ihre kalten Mägen!“
Da fuhr der Peter in Verzweiflung aus dem Bett, schlug die Hände überm Kopf zusammen und rief: „Ach mein! ach mein! soll ich die Toten füttern und hab‘ doch bald für die Lebendigen nichts mehr!“ Das erbarmte die Tiere, sie gingen fort, kamen auch nimmermehr.
Anstatt daß der Peter jetzt in sich geschlagen hätte und seinen Frevel gutgemacht, bot er dem Jammer Trutz im Wirtshaus unter lustigen Gesellen. Je mehr sein Weib ihn schalt und lamentierte, um desto weniger schmeckt’s ihm daheim; er machte dabei Schulden, kein General hätt‘ sich dran schämen dürfen, und bald kam es so weit, daß man ihm Haus und Gut verkaufte. Jetzt mußte er taglöhnen, und auch sein armes Weib spann fremder Leute Faden. Der Frieder aber, der saß richtig vor dem Dorf, hielt einen Stecken in der Hand und wartete der Ziegen oder band Besenreis auf den Verkauf.
Drei Jahre waren so vergangen, begab sich’s einmal wieder, daß der König das Wildschwein jagte, und war auch die Königin diesmal dabei. Weil es aber Winterszeit war und sehr kalt, wollten die Herrschaften das Mittagsmahl nicht gern im Freien nehmen, sondern die königlichen Köche machten ein Essen fertig im Greifenwirtshaus, und speiste man im obern Saal vergnüglich, dazu die Spielleute bliesen. Das Volk aber stund auf der Gasse, zu horchen. Als nunmehr nach der Tafel die Pferde wieder vorgeführt wurden und man auch das Leibroß der Königin zäumte, stund vornean der Ziegenbub, der sprach gar keck zum Reitknecht hin: „das Roß ist meines Vaters Roß, daß Ihr’s nur wißt!“ Da lachte alles Volk laut auf; der Braune aber wieherte dreimal für Freuden und strich mit seinem Kopf an Frieders Achsel auf und nieder. Dies alles sah und hörte die Königin vom Fenster hochverwundert und sagt‘ es gleich ihrem Gemahl. Derselbe läßt den Ziegenbuben rufen und dieser tritt bescheidentlich, doch munter, in den Saal mit Backen rosenrot, und war er auch sonst ein sauberer Bursche mit lachenden Augen, ging aber barfuß. Red’t ihn der König an: „du sagtest ja, das schöne Pferd da unten wär‘ deines Vaters, nicht?“ „Und ist auch wahr, Herr, mit Respekt zu melden.“ „Wie willst du das beweisen, Bursch?“ „Ich will es wohl, wenn Ihr’s vergönnt. Den Reitknecht hört‘ ich rühmen, das Roß ließe niemand aufsitzen, außer die Königin, der es gehöre. Nun sollt Ihr aber sehn, ob mir’s nicht stille hält und nachläuft, wenn ich ihm Hansel rufe: darnach mögt Ihr denn richten, ob ich die Wahrheit sprach.“ Der König schwieg ein Weilchen, sprach dann zu einem seiner Leute: „bringt mir drei wackre Männer aus der Gemeinde her, damit wir hören, was sie dem Knaben zeugen.“ Als nun die Männer kamen und über das Pferd gefragt wurden, so fiel ihr Ausspruch nicht zu Frieders Gunsten aus. Da tät der Knabe seinen Mund selbst auf und hub an, treu und einfältig die Geschichte vom Engel zu erzählen, wie er den Hansel entführte, auch wie er ihm unlängst wieder erschienen sei und ihm die unsichtbare Wiese gezeigt habe, welche den Hansel so stattlich gemacht. Darüber waren freilich die Anwesenden hoch erstaunt, etliche blickten schelmisch, allein die Königin sagte: „gewiß, das ist ein frommer Sohn und steht ihm die Wahrheit an der Stirn geschrieben.“ Der König selber schien dem Buben wohlgesinnt, doch, weil er guter Laune war, sprach er: „das Probstück wollen wir ihm nicht erlassen.“ Hiermit rief er den Frieder an ein Seitenfenster, das nach dem Freien ging auf einen Grasplatz, weit und flach, in dessen Mitte stund ein großer Nußbaum, wohl hundert Schritt vom Haus; es lag aber alles dicht überschneit, denn es im Christmond war. „Du siehst“, sagte der König, „die große Wiese hier.“ „O ja, warum denn nicht“, rief ein Hofmann, des Königs Spaßmacher, halblaut dazwischen: „es ist zwar eine von den unsichtbaren, denn sie ist über und über mit Schnee zugedeckt.“ Die Hofleute lachten; der König aber sprach zum Knaben: „laß dich ein loses Maul nicht irren! Schau, du sollst mir auf dem Hansel einen Ring rund um den Nußbaum in den Schnee hier reiten, und wenn es gut abläuft, soll aller Boden innerhalb des Rings dein eigen sein!“ Da freuten sich die Schranzen, meinend, es gäbe einen rechten Schnack; der Frieder wurde aber so freundlich, daß er die weißen Zähne nicht wieder unterbringen konnte. Das Roß ward vorgeführt (nachdem man ihm zuvor den goldnen Frauensattel abgenommen), es jauchzte hellauf, und alles Volk mit ihm, und Frieder saß oben mit einem Schwung. Erst ritt er langsam bis zur Wiese vor, hielt an, und maß mit dem Aug nach allen Seiten den Abstand vom Baum, dann setzt‘ er den Hansel in Trab und endlich in gestreckten Lauf, das ging wie geblasen und war es eine Lust ihm zuzusehen, wie sicher und wie leicht der Bursche saß. Er war aber nicht dumm und nahm den Kreis so weit als er nur konnte; gleichwohl lief derselbe am Ende so schön zusammen, als wär‘ er mit dem Zirkel gemacht. Mit Freudengeschrei ward der Frieder empfangen, im Nu saß er ab, küßte den Hansel auf den Mund und der König am Fenster winkt‘ ihm herauf in den Saal. „Du hast“, sprach er zu ihm, „dein Probstück wohl gemacht; die Wiese ist dein. Den Hansel anbelangend, den kann ich dir nicht wiedergeben: ich hab‘ ihn meiner Königin geschenkt; soll aber dein Schade nicht sein.“ Mit diesen Worten drückte er ihm ein Beutelein in die Hand, gespickt voll Dublonen. Des war der Knabe sehr zufrieden, zumal die Königin hinzusetzte: er möge alle Jahr zur Stadt kommen, in ihrem Schloß vorsprechen und den Hansel besuchen. „Ja“, rief der Frieder, „und da bring‘ ich Euch zur Kirchweih‘ allemal ein Säcklein grüne Nüss‘ vom Baum!“ „Bleib‘ es dabei!“ sagte die Königin; so schieden sie. Der Frieder lief heim durch all das Volksgewühl und Gejubel hindurch, zu seinen Eltern. Der Peter hatte den Ritt von weitem heimlich mit angesehen, und jetzt tat er in seinem Herzen ein Gelübde – ich brauche ja wohl nicht zu sagen, worin das bestand. Genug, der Hansel und der Frieder hatten ihm wieder auf einen grünen Zweig geholfen: er wurde ein braver, ehrsamer Mann, dazu ein reicher, der einen noch reichern Sohn hinterließ. Seit dieser Zeit hat sich im ganzen Dorf kein Mensch an einem Tier mehr versündigt.
Quelle:
(Eduard Mörike)