Irgendwo in einem Zarenreich, in einem fernen Reich, lebte einst ein grimmer Zar, berühmt in allen Ländern, gefürchtet von allen Königen und Königssöhnen. Der Zar gedachte zu heiraten und ließ diese Kundmachung in alle Städte und Dörfer ergehn: Wer ihm eine Braut fände, strahlender als die Sonne, leuchtender als der Mond und weißer denn Schnee, den wolle er belohnen mit unermeßlichem Reichtum.
Das Gerücht davon drang durch das ganze Reich; vom Geringsten bis zum Höchsten besprachen und beredeten sie’s alle, aber nicht einer erbot sich, solch eine Schönheit aufzufinden. Nicht weit vom Zarenpalast stand eine große Bierbrauerei. Einmal geschah es, daß sich Arbeitervolk zusammenfand und darüber sprach, wieviel Geld man da wohl vom Zaren erhalten könnte, aber wo solch eine Braut hernehmen! »Ja, Brüder!« sagte einer der Bauern, mit Namen Nikita Koltoma, »ohne mich wird niemand dem Zaren die Braut verschaffen; nehm ich’s aber auf mich, find ich sie gewiß!« – »Was prahlst du, Dummkopf! Wie willst du in Teufels Namen diese Tat vollbringen? Es gibt vornehme und reiche Leute genug, für uns ist das nichts, und selbst jene kneifen den Schwanz zwischen die Beine! Nicht einmal im Traum wird dir’s gelingen, geschweige denn in Wirklichkeit.« – »Denkt, was ihr wollt, ich verlaß mich auf mich selbst; hab ich gesagt, ich bringe sie, so bring ich sie auch!« – »Ach, Nikita, prahle nicht! Weißt selbst, unser Zar ist mächtig; für leeres Gewäsch läßt er dich hängen.« – »Glaub nicht, daß er mich hängt, sondern mich reich beschenkt!« Sofort hinterbrachte man dieses Gerede dem Zaren; er ward froh und befahl, Nikita vor sein Angesicht zu führen. Soldaten eilten hin, ergriffen Nikita Koltoma und schleppten ihn in den Palast; die Kameraden aber schrien hinter ihm her: »Nun, Bruder, hast du’s erreicht? Glaubst du, du kannst mit dem Zaren spaßen? Jetzt geh und verantworte dich.«
Nikita wurde in die hohen Gemächer geführt, und der grimme Zar sprach zu ihm: »Du rühmst dich, Nikita, daß du mir eine Braut, strahlender als die Sonne, leuchtender als der Mond und weißer denn Schnee erlangen kannst?« – »Ich kann’s, Eure Majestät!« – »Gut, Bruder! führst du’s aus, so belohn ich dich mit unermeßlichen Schätzen und mache dich zum ersten Minister; hast du aber gelogen, so laß ich dich’s büßen, leg dir den Kopf zu deinen Füßen.« – »Zu Befehl, Eure Majestät! Erlaubt mir aber, vorher einen Monat lang in Saus und Braus zu leben.« Der Zar war’s zufrieden und gab Nikita ein offenes Schreiben mit seiner Unterschrift, damit man ihn in allen Kneipen und Garküchen unentgeltlich mit Speise und Trank bewirte. Nikita Koltoma ging in die Hauptstadt zechen: in welche Kneipe er auch kam, er zeigte nur das Schreiben vor, und sofort brachte man ihm alles, was die Seele begehrt. Er feierte einen Tag, den zweiten und den dritten, er feierte eine Woche, die zweite und die dritte; bald war die Zeit herum, er mußte zum Zaren. Nikita nahm Abschied von seinen Freunden, kam in den Palast und bat den Zaren, ihm zwölf kühne Burschen zusammenzusuchen, von gleichem Wuchs, mit gleichem Haar, mit gleicher Stimme, und ferner dreizehn weißleinene, goldverzierte Zelte anfertigen zu lassen. Beim Zaren ist alles rasch bereit: im Augenblick waren die Burschen beisammen und die Zelte angefertigt. »So, Eure Majestät!« sagte Nikita, »jetzt macht Euch auf und laßt uns auf die Brautsuche reiten.« Sie sattelten ihre stattlichen Rosse und luden die Zelte auf; dann wurde das Gebet um glückhafte Reise gesprochen, den Bewohnern der Stadt Lebewohl gesagt, aufgesessen und fortgesprengt, daß der Staub in Säulen aufwirbelte!
Sie ritten einen Tag und zwei und drei, da stand auf freiem Felde eine Schmiede. Nikita sagte: »Reitet ihr mit Gott geradeaus, ich aber laufe derweil in die Schmiede und rauch ein Pfeifchen an.« Er trat in die Schmiede ein; dort schmiedeten fünfzehn Gesellen das Eisen und ließen die Hämmer sausen. »Gott helf euch, Brüder!« – »Dank dir, guter Gesell!« – »Macht mir einen Stab von fünfzehn Pud.« – »Wir wollen ihn gern machen, aber wer wird das Eisen umdrehen? Fünfzehn Pud sind keine Kleinigkeit!« – »Macht nichts, Brüder! Schlagt ihr nur mit den Hämmern zu, ich werde es schon umdrehen.« Die Schmiede machten sich an die Arbeit und hämmerten einen Stab von fünfzehn Pud zurecht. Nikita ergriff ihn und ging auf das Feld hinaus, warf ihn fünfzehn Faden in die Höh und hielt den Arm unter. Der eiserne Stab fiel ihm auf die Hand, aber der Heldenkraft war er nicht gewachsen und brach in zwei Stücke. Nikita Koltoma bezahlte die Schmiede für ihre Mühe, warf ihnen den Stab zu, ritt davon und holte seine Gefährten ein.
Dann ritten sie noch drei Tage, und wieder stand auf freiem Felde eine Schmiede. »Reitet voran, ich gehe noch in die Schmiede«, sagte Nikita. Er trat ein, dort schmiedeten aber fünfundzwanzig Gesellen das Eisen und ließen die Hämmer sausen. »Gott helf euch, Kinder!« – »Dank dir, guter Gesell!« – »Schmiedet mir einen Stab von fünfundzwanzig Pud.« – »Schmieden ist nicht schwer, aber wo ist der starke Mann, der so viel Eisen umdrehen kann?« – »Ich selbst werd es umdrehen.« Er nahm fünfundzwanzig Pud Eisen, machte es rotglühend und wendete es auf dem Amboß um, die Schmiede aber schlugen mit den Hämmern zu. Sie machten einen Stab von fünfundzwanzig Pud. Nikita ergriff ihn, ging hinaus auf das Feld, warf ihn fünfundzwanzig Faden in die Höhe und hielt seinen Arm unter. Der Stab schlug auf die Heldenhand auf und brach entzwei. »Nein, er taugt nichts!« sagte Nikita, bezahlte die Arbeit, setzte sich auf sein Roß und ritt davon. Er holte seine Gefährten ein.
Sie ritten einen Tag, zwei und drei, und wieder stand auf freiem Felde eine Schmiede. Nikita sagte zu seinen Gefährten: »Reitet voraus; ich geh in die Schmiede, rauch ein Pfeifchen an.« Er tritt hinein; dort aber martern fünfzig Schmiede einen alten Mann: auf dem Amboß liegt ein grauhaariger Alter, zehn Gesellen halten ihn mit Zangen am Bart, vierzig aber dreschen mit Hämmern auf ihn ein. »Brüder, erbarmt euch!« schrie der Alte aus vollem Hals, »laßt mir mein Leben!« – »Gott helf euch!« sagte Nikita. »Dank dir, guter Gesell!« antworteten die Schmiede. »Wofür martert ihr den Alten?« – »Dafür, weil er uns allen je einen Rubel schuldig ist und ihn nicht hergibt; wie sollten wir ihn da nicht schlagen?« – »Der Arme!« dachte Nikita, »wegen fünfzig Rubel muß er solch eine Strafe leiden.« Und er sprach zu den Schmieden: »Hört, Brüder, ich werde für ihn zahlen, laßt den Alten frei!« – »Wie du willst, guter Gesell! Uns ist es gleich, von wem wir’s erhalten, wenn das Geld nur bezahlt wird.« Nikita Koltoma zog fünfzig Rubel hervor; die Schmiede nahmen das Geld, und kaum hatten sie den Alten aus den eisernen Zangen gelassen, als er im selben Augenblick aus den Augen verschwunden war. Nikita schaute sich um: »Wo mag er geblieben sein?« – »Ja, such du ihn jetzt nur!« sagten die Schmiede, »er ist doch ein Zauberer!« Nikita hieß sie einen eisernen Stab von fünfzig Pud schmieden; dann nahm er ihn, warf ihn fünfzig Faden in die Höhe und hielt seinen Arm unter: der Stab hielt es aus, brach nicht. »Dieser da taugt mir!« sagte Nikita und ritt davon, seine Gefährten einzuholen. Plötzlich hörte er hinter sich eine Stimme: »Nikita Koltoma, halt an!« Er wandte sich um und sah, der Alte, den er von der Strafe freigekauft hatte, lief ihm nach. »Dank dir, guter Gesell, daß du mich aus böser Qual befreit hast«, sagte der Alte; »wisse, daß ich genau dreißig Jahre dieses Leid erdulden mußte. Da hast du zum Andenken ein Geschenk: nimm es an, es wird dir von Nutzen sein.« Und er gab ihm eine Tarnkappe. »Setzt du sie auf – kann keiner dich sehen!« Nikita nahm die Tarnkappe, bedankte sich beim Alten und sprengte davon. Er holte seine Gefährten ein, und sie ritten gemeinsam weiter.
War es lang nachher oder kurz, nah oder fern? – sie ritten an einen Palast heran. Rundherum war dieser Palast von einer hohen eisernen Umzäunung umgeben: weder gab’s eine Möglichkeit, in den Hof zu gelangen, noch für wackere Burschen hineinzureiten. Sprach der grimme Zar: »Na, Bruder Nikita! hier kommen wir ja nicht weiter.« Antwortete Nikita Koltoma: »Wie sollte da kein Eingang sein, Eure Majestät! Das ganze Weltall will ich durchwandern, um Euch die Braut zu finden. Diese Umzäunung ist für uns kein Hindernis. Heran, Kinder! Zerbrecht die Gitter, macht ein Tor in den weiten Hof.« Die kühnen Burschen stiegen von den Rossen und machten sich an die Arbeit, aber wie sie’s auch versuchten, sie konnten die Einfriedigung nicht durchbrechen: sie stand und rührte sich nicht. »He, Brüder«, sagte Nikita, »ihr schwimmt alle nur im Flachen, auf euch ist für mich kein Verlaß, ich werde selbst drangehen müssen.« Nikita sprang von seinem Roß, trat an die Umzäunung heran, packte mit den Heldenarmen das Gitter, rüttelte einmal – und schleuderte den ganzen Zaun zu Boden. Der grimme Zar und die wackeren Burschen ritten hinein in den weiten Hof, und dort auf grüner Wiese richteten sie ihre weißleinenen, goldverzierten Zelte auf. Sie aßen, was Gott ihnen beschert hatte, legten sich zur Ruhe und fielen ermüdet in tiefen Schlaf. Alle hatten ihre Zelte, nur für Nikita Koltoma war keines da. Er suchte sich drei durchlöcherte Matten aus Bast, machte sich ein Hüttchen daraus, legte sich auf die nackte Erde und wachte, erwartete, was kommen würde.
Als die Morgenröte emporstieg, erwachte in ihrem Frauengemach die Zarentochter Helene, die Wunderschöne, sah zum Fensterchen hinaus und erblickte auf der grünen Wiese dreizehn weißleinene Zelte, mit goldenen Blumen bestickt, aber vor ihnen allen stand ein Hüttchen aus Bastmatten errichtet. »Was ist denn das?« dachte die Zarentochter, »von wo sind diese Gäste hergeritten? Schau, auch das eiserne Gitter ist zerbrochen!« In großen Zorn geriet Helene, die Wunderschöne, rief einen riesenstarken Helden zu sich und befahl: »Setz dich sogleich auf ein Roß, reit zu diesen Zelten und gib allen jenen Ungehorsamen den bitteren Tod; die Leichen wirf über die Umzäunung, die Zelte aber bring mir her.« Der riesenstarke Held sattelte sein treues Roß, wappnete sich mit der Kriegerrüstung und sprengte auf die ungerufenen Gäste zu. Nikita Koltoma erspähte ihn und rief ihn an: »Wer kommt da geritten?« – »Wer bist denn du, Flegel, daß du mich anrufst?« Diese Worte behagten Nikita nicht wohl, er sprang aus seinem Hüttchen hervor, packte den Helden am Bein und zerrte ihn vom Pferd auf die feuchte Erde; schwang den eisernen Stab von fünfzig Pud, gab ihm einen derben Schlag und sagte: »Jetzt geh zu deiner Zarentochter zurück und melde ihr, sie möge nicht lange den Hochmut herauskehren und ihre Kriegsscharen nicht unnütz verschwenden, sondern die Gattin unseres grimmen Zaren werden.« Der Held sprengte zurück, froh, daß Nikita ihn lebend hatte laufen lassen! Er ritt zum Palast und berichtete der Zarentochter: »Auf Euren Hof sind ungeheuer starke Leute gekommen, sie werben um Euch für ihren grimmen Zaren und befahlen mir zu melden, Ihr möget Euch nicht hochmütig zeigen und Eure Kriegsheere nicht unnütz verschwenden, sondern jenem Zaren als Gattin folgen.« Als Helene, die Wunderschöne, so kecke Rede hörte, war sie empört darüber, rief alle ihre riesenstarken Helden zusammen und befahl ihnen: »Ihr getreuen Diener! sammelt ein unermeßliches Heer, zerstört die weißleinenen Zelte und schlagt die ungerufenen Gäste zusammen, daß nicht ein Stäubchen von ihnen übrigbleibt.« Die riesenstarken Helden bedachten sich nicht lange; sie riefen ein zahlloses Heer auf den Plan, setzten sich auf ihre Heldenrosse und sprengten wider die weißleinenen Zelte mit goldenem Zierat an. Kaum aber waren sie bis zum Hüttchen aus Bastmatten gelangt, so sprang Nikita Koltoma hervor, packte seinen eisernen Stab von fünfzig Pud und fing an, nach allen Seiten einzuhauen; in kurzer Zeit erschlug er das ganze Heer und alle riesenstarken Helden, nur einen einzigen ließ er am Leben. »Reit hin zu der Zarewna Helene, der Wunderschönen, und sag ihr, daß sie ihre Krieger nicht länger verschwenden solle; mit Heerscharen sind wir nicht zu schrecken! Bisher hab ich allein wider euch gekämpft; was aber wird aus eurem Zarenreich werden, wenn meine Gefährten erwachen? Keinen Stein werden wir auf dem anderen lassen und alles dem Erdboden gleichmachen!« Der Held kehrte zur Zarentochter zurück und berichtete, daß das Heer erschlagen sei und keine Macht genüge, um solche Recken zu überwinden. Helene, die Wunderschöne, schickte aus und ließ den grimmen Zaren in den Palast bitten, befahl aber gleich, einen wohlgehärteten Pfeil anzufertigen; selbst ging sie hinaus, die Gäste freundlich und ehrenvoll zu empfangen. Die Zarentochter ging ihnen entgegen, hinter ihr aber trugen fünfzig Mann den Bogen und den Pfeil. Nikita Koltoma erblickte den Heldenbogen und erriet sofort, daß sie mit diesem Pfeile bewirtet werden sollten. Er setzte die Tarnkappe auf, sprang hinzu, spannte den Bogen und zielte auf die Gemächer der Zarentochter – im Augenblick schoß er das ganze obere Stockwerk herunter!
Es blieb nichts anderes übrig: Helene, die Wunderschöne, nahm den grimmen Zaren bei der Hand, führte ihn in die weißsteinernen Gemächer und setzte ihn an die eichenen Tische vor die gemusterten Tücher; sie tranken und aßen und waren froh. Im Palast war alles herrlich eingerichtet: die ganze Welt kannst du durchwandern, einen so schönen findest du nicht wieder! Nach dem Essen fragte Nikita den grimmen Zar: »Gefällt Eurer Majestät die Braut, oder sollen wir eine andere suchen?« – »Nein, Nikita, wir wollen nicht ins Blaue hinein weiterreiten; eine schönere als diese gibt es auf der ganzen Welt nicht!« – »Nun, so heiratet, jetzt ist sie in unseren Händen. Aber seht Euch vor, Euer Majestät, und seid auf Eurer Hut: die ersten drei Nächte wird sie Eure Stärke erproben, wird ihre Hand auf Euch legen und mit Riesenkraft drücken, Ihr werdet es ganz gewiß nicht ertragen können! Darum geht danach sogleich aus der Kammer, ich aber werd an Eurer Stelle zurückkommen und sie rasch bändigen.«
Und so machten sie sich zur Hochzeit bereit. Bei den Zaren wird weder Met gebraut, noch Schnaps gebrannt, alles ist schon bereit. Die Hochzeit wurde gefeiert, und der grimme Zar ging mit Helenen, der Wunderschönen, zur Ruh. Er legte sich auf das weiche Bett und stellte sich, als ob er schlafen wolle. Helene, die Wunderschöne, legte ihm die Hand auf die Brust und fragte: »Ist meine Hand wohl schwer?« – »So schwer, wie eine Feder auf dem Wasser!« antwortete der grimme Zar; aber kaum konnte er dabei Atem holen, so stark drückte sie ihm die Brust zusammen. »Wart einmal, Helene, du Wunderschöne, ich habe ja vergessen, einen Befehl für morgen zu erteilen, da muß ich jetzt gehn.« Er trat zur Schlafkammer hinaus, an der Tür aber stand Nikita: »Na, Bruder! du hast wahr gesprochen, fast hätte sie mich ganz erdrückt.« – »Macht nichts, Eure Majestät! Bleibt hier stehn, ich werde die Sache schon richten.« Nikita sprach’s, ging zur Zarentochter, legte sich auf das Bett und fing an zu schnarchen. Helene, die Wunderschöne, dachte, daß der grimme Zar zurückgekommen sei, legte ihre Hand auf ihn und drückte und drückte, aber ohne Erfolg! Sie legte beide Hände auf und drückte noch stärker als vorher. Da packte sie Nikita Koltoma wie im Schlaf, und als er sie auf den Boden warf, krachten alle Gemächer! Die Zarin erhob sich, legte sich still nieder und schlief ein. Dann stand Nikita auf, ging zum Zaren hinaus und sagte: »So, jetzt geht nur dreist hinein, bis zur nächsten Nacht wird sich nichts ereignen!« Auf solche Weise überstand der Zar mit Nikita Koltomas Hilfe die ersten drei Nächte, und dann lebte er mit der Zarewna Helene, der Wunderschönen, wie es Mann und Frau ziemt.
Einige Zeit danach erfuhr Helene, die Wunderschöne, daß der grimme Zar sie durch Betrug gewonnen habe und seine Stärke nicht so groß sei, und daß die Leute über sie spotteten: »Nikita hat mit der Zarentochter drei Nächte geschlafen.« Sie geriet in furchtbaren Zorn und brütete in ihrem Herzen grausame Rache. Der Zar aber gedachte, in sein Reich zu fahren, und sprach zu Helenen, der Wunderschönen: »Lange genug haben wir hier gelebt, es ist Zeit, heimzukehren; mach dich zur Reise fertig.« Sie schickten sich an, übers Meer zu fahren, beluden das Schiff mit viel kostbarem Gut, gingen an Bord und fuhren ab. Sie schwammen einen Tag, den zweiten und den dritten. Der Zar war heiter und konnte sich nicht genug freuen, daß er die Zarentochter, strahlender als die Sonne, leuchtender als der Mond und weißer denn Schnee zu sich heimführte. Helene, die Wunderschöne, aber dachte nur den einen Gedanken, wie sie den Schimpf heimzahlen solle.
Und zu der Zeit befiel Nikita der Heldenschlaf, und er schlief zwölf Tage und zwölf Nächte. Als die Zarin das sah, rief sie sogleich ihre getreuen Diener und befahl ihnen, dem Helden die Beine bis zu den Knien abzuhauen, ihn dann in ein Boot zu legen und ins offene Meer treiben zu lassen. Auf der Stelle hieben jene vor ihren Augen dem schlafenden Nikita die Beine bis zu den Knien ab, legten ihn in ein Boot und ließen ihn auf das offene Meer treiben. Am dreizehnten Tage erwachte der arme Nikita, schaute um sich, sah das Wasser ringsum und sich selbst ohne Beine daliegen, das Schiff aber war spurlos verschwunden.
Unterdessen fuhr das Schiff weiter und weiter und gelangte endlich in den Hafen. Kanonenschüsse erdröhnten, die Stadtbewohner liefen zusammen, und die Kaufleute und Bojaren begrüßten den Zaren mit Salz und Brot und wünschten Glück zur rechtmäßigen Ehe. Der Zar fing an, Feste zu feiern und Gäste zu laden, aber an Nikita zu denken, hatte er vergessen. Nicht lange jedoch sollte er sein Vergnügen haben; bald nahm ihm Helene, die Wunderschöne, das Zarenreich ab, herrschte über alles selbst und zwang ihn, die Schweine zu hüten. Aber auch damit gab sich das Herz der Zarentochter nicht zufrieden: sie befahl, überall Nachforschung zu halten, ob nicht irgendwo Verwandte von Nikita Koltoma nachgeblieben seien. Wenn sich einer fände, sollte er in den Palast geschafft werden. Die Häscher sprengten davon, suchten überall und fanden den leiblichen Bruder Nikitas, Timofej Koltoma. Sie packten ihn und schleppten ihn in den Palast. Die Zarentochter Helene, die Wunderschöne, befahl, ihm die Augen auszustechen und dann zur Stadt hinauszujagen. Sofort geschah es, sie führten ihn zur Stadt hinaus und ließen ihn auf freiem Felde stehn.
Der Blinde schleppte sich tastend fort; er ging weiter und weiter, kam an das Meer, machte noch ein, zwei Schritte und fühlte das Wasser unter seinen Füßen; er blieb auf einer Stelle stehn, konnte nicht vor- und nicht rückwärts und fürchtete sich weiterzugehen! In diesem Augenblick trieb das Boot Nikitas an das Ufer. Nikita erblickte einen Menschen, ward froh und rief ihn an: »He, guter Gesell, hilf mir hinaus auf festen Boden!« Der Blinde antwortete: »Gern würd ich dir helfen, kann’s aber nicht; ich bin ohne Augen, kann gar nichts sehen.« – »Woher bist du denn und wie heißt du?« – »Ich bin Timofej Koltoma; die neue Zarin Helene, die Wunderschöne, hat mir die Augen ausgestochen und mich aus dem Reich hinausgejagt.« – »Ach, dann bist du mein leiblicher Bruder; ich bin Nikita Koltoma. Geh, lieber Timofej, dorthin zur rechten Hand, dort wächst eine hohe Eiche; reiß sie aus, schleppe sie her und wirf sie vom Ufer ins Wasser, ich werde auf ihr hinauskriechen zu dir.« Timofej Koltoma wandte sich nach rechts, machte ein paar Schritte, stieß auf eine hohe alte Eiche, umfaßte sie mit beiden Armen und riß sie mit einem Ruck samt den Wurzeln aus; er schleppte die Eiche heran und warf sie ins Wasser: sie kam mit dem einen Ende auf dem Lande zu liegen, mit dem andern aber reichte sie bis zum Boot. Nikita kroch, so gut es ging, an das Ufer, sie küßten einander, und er fragte: »Wie geht es denn jetzt unserem grimmen Zaren?« – »Ach, Bruder!« antwortete Timofej Koltoma, »unser grimmer Zar sitzt tief im Unglück; er hütet Schweine auf dem Felde, jeden Morgen bekommt er ein Pfund Brot, einen Krug Wasser und drei Hiebe auf den Rücken.«
Dann fingen die Brüder an zu beraten, wie sie das Leben fristen und wovon sie sich nähren sollten. Nikita sagte: »Höre, Bruder, meinen Rat. Du wirst mich tragen, weil ich ohne Beine bin; ich aber werde auf dir sitzen und dir sagen, wohin du gehen sollst.« – »Schon recht, mag es nach deinem Willen geschehen! Und wenn wir auch beide Krüppel sind, zu zweien sind wir so gut wie ein Gesunder.« Nikita Koltoma setzte sich dem Bruder auf die Schultern und wies ihm den Weg; Timofej ging weiter und weiter und kam in den finsteren Wald. In diesem Walde aber stand die Hütte der Baba-Jaga. Die Brüder gingen hinein. Keine Seele war darin. »Nun, Bruder«, sagte Nikita, »taste mal im Ofen nach, ob nichts zu essen da ist.« Timofej kroch in den Ofen, zog mancherlei Speisen hervor und stellte sie auf den Tisch, und dann fingen sie an einzuhauen und aßen vor Hunger alles auf. Dann sah sich Nikita in der Hütte um, erblickte auf dem Fensterbrett eine kleine Pfeife, ergriff sie, steckte sie zwischen die Lippen und fing an zu pfeifen. Welch ein Wunder begab sich da! Der blinde Bruder fing an zu tanzen, die Hütte tanzte, der Tisch und die Bänke und das Geschirr, alles tanzte, und die Töpfe gingen dabei in Scherben! »Genug, Nikita! Hör auf zu pfeifen«, bat der Blinde, »meine Kraft reicht nicht mehr.« Nikita hörte auf zu pfeifen, und im Augenblick wurde alles still.
Plötzlich öffnete sich die Türe, die Baba-Jaga trat ein und schrie mit lauter Stimme: »Ach, ihr obdachlosen Strolche! Bisher ist kein Vogel hierher geflogen und kein Tier hier durchgerannt, ihr aber seid eingedrungen, habt alles aufgegessen und alle Töpfe zerschlagen. Schon gut, jetzt werd ich mit euch abrechnen!« Nikita antwortete: »Halt’s Maul, altes Luder! Wir verstehen selber abzurechnen. He, Bruder Timofej, halt sie mal, die Hexe – aber fest!« Timofej packte die Baba-Jaga mit beiden Händen und drückte sie gewaltig zusammen, Nikita aber faßte sie bei den Haaren und zerrte sie in der Hütte herum. »Väterchen, schlagt nicht!« bat die Baba-Jaga, »ich werd euch noch Nutzen bringen: alles, was ihr wollt, will ich euch verschaffen.« – »Dann sag, Alte, kannst du uns das heilende und belebende Wasser verschaffen? Kannst du’s, so laß ich dich am Leben, wenn nicht, mußt du eines grausamen Todes sterben.« Die Baba- Jaga war einverstanden und führte sie zu zwei Quellen. »Hier ist das heilende und dort das belebende Wasser!« Nikita Koltoma schöpfte vom heilenden Wasser und begoß sich damit: sofort wuchsen ihm die Beine; sie waren ganz gesund, aber noch bewegten sie sich nicht. Er schöpfte vom belebenden Wasser, benetzte die Beine und ward ihrer Herr. Ebenso ging es Timofej Koltoma: er bestrich seine Augenhöhlen mit dem heilenden Wasser, da kamen die Augen hervor und waren ganz unversehrt, aber sehen konnten sie noch nichts; dann bestrich er sie mit dem belebenden Wasser und konnte sehen, besser denn je zuvor. Die Brüder dankten der Alten, ließen sie heimkehren und gingen, den Zar aus dem Elend zu befreien.
Sie kamen in die Hauptstadt und sahen den grimmen Zaren dicht vor dem Palast die Schweine hüten. Nikita Koltoma fing an zu pfeifen, und der Hirte und die Schweine begannen zu tanzen! Helene, die Wunderschöne, erblickte dies vom Fenster aus, geriet in Zorn und befahl, sofort ein Bündel Ruten zu bringen und den Hirten und die Musikanten durchzuprügeln. Die Wächter liefen hinzu, packten sie und führten sie in den Palast, um sie mit Hieben zu bewirten. Als aber Nikita Koltoma in den Palast zu der Zarin kam, wollte er nicht länger fackeln; er packte sie bei den weißen Armen und sprach: »Erkennst du mich wohl, Helene, du Wunderschöne? Ich bin ja Nikita Koltoma. Jetzt, grimmer Zar, ist sie in deiner Gewalt, was du willst, wird geschehen!« Der Zar befahl, sie zu erschießen, Nikita jedoch machte er zu seinem ersten Minister, ehrte ihn stets und folgte ihm in allen Stücken.
[Rußland: August von Löwis of Menar: Russische Volksmärchen]