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Märchenbasar

Der Bursche, der drei Jahre umsonst dienen sollte

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Es war einmal ein armer Mann, der hatte einen einzigen Sohn, aber der war so faul und ungeschickt, daß er überhaupt nichts schaffen wollte. ‚Wenn ich den langen Kerl nicht meiner Lebtag füttern soll, so muß ich ihn weit fortschicken, wo ihn kein Mensch kennt‘, dachte sich der Vater. ‚Treibt er sich einmal draußen herum, so wird er nicht so leicht wieder heimkommen.‘ Also nahm er seinen Sohn und führte ihn weit und breit in der Welt herum und bot ihn als Knecht an; aber niemand wollte ihn nehmen. Schließlich, nach langer Wanderung, kamen sie zu einem reichen Mann, von dem es hieß, er drehe jeden Schilling siebenmal um, ehe er sich von ihm trenne. Der wollte den Jungen als Knecht nehmen, und er sollte ihm drei Jahre umsonst dienen. Aber nach Ablauf dieser drei Jahre sollte der Herr zwei Tage hintereinander morgens in die Stadt gehen und das erste Ding kaufen, was er sehen würde, und am dritten Morgen sollte der Junge selbst losgehen und auch das erste Ding kaufen, das ihm begegnete. Das alles sollte er dann als Lohn bekommen.
Der Bursche diente die drei Jahre zu Ende und stellte sich besser an, als man gedacht hatte. Ein Musterknecht war er ja gewiß nicht, aber der Herr war auch nicht der beste, denn er ließ ihn die ganze Zeit durch in den gleichen Kleidern stecken, die er bei seinem Eintritt angehabt hatte; und da saß denn schließlich ein Flicken neben dem andern.
Als der Herr sich nun zu diesem Einkauf begeben sollte, machte er sich in aller Herrgottsfrühe auf den Weg. »Teure Waren sieht man nur am Tag«, sagte er, »die treiben sich nicht so früh auf der Straße herum. Teuer genug kann es mich immer noch zu stehen kommen, denn es ist ja der reinste Zufall, was ich finde.« Das erste, was er auf der Straße sah, war eine alte Frau, und die trug einen Korb mit einem Deckel darüber. »Guten Tag, Mütterchen«, sagte der Mann. »Guten Tag auch, Vater«, sagte die Alte. »Was hast du in deinem Korb?« sagte der Mann. »Willst du das wissen?« fragte die Frau. – »Ja«, sagte der Mann, »denn ich muß das erste kaufen, was mir in den Weg kommt.« – »Ja, wenn du es wissen willst, so kauf es!« meinte die Alte. »Was kostet es?« fragte der Mann. Vier Schillinge wolle sie dafür haben, sagte die Frau. Das schien ihm kein so ungeheurer Preis, er wolle dabei bleiben, sagte er und lüpfte den Deckel. Da lag ein junger Hund im Korb. Als der Mann von der Reise in die Stadt nach Hause kam, stand der Bursche schon voller Ungeduld und Neugier, was er wohl als Lohn für das erste Jahr bekommen werde. »Seid Ihr schon wieder zurück, Herr?« sagte der Junge. »Jawohl«, sagte der Bauer. »Was habt Ihr eingekauft?« fragte der Bursche. »Es ist nichts Rares, was ich gekauft habe«, sagte der Mann, »ich weiß gar nicht, ob ich es überhaupt vorzeigen soll; aber ich habe das erste gekauft, was zu bekommen war, und das war ein junger Hund«, sagte er. »Dafür sollst du schönstens bedankt sein«, sagte der Bursche, »Hunde habe ich schon immer gern gehabt.«
Am nächsten Morgen ging es nicht besser. Der Mann machte sich in aller Frühe auf den Weg und war noch nicht in der Stadt drinnen, als er schon wieder der Alten mit dem Korb begegnete. »Guten Tag, Mütterchen«, sagte der Mann. »Guten Tag auch dir, Vater«, sagte die Alte. »Was hast du heut in deinem Korb?«, fragte der Bauer. »Willst du es wissen, so kauf es«, war wiederum die Antwort. »Was kostet es?« fragte der Bauer. Vier Schillinge wolle sie dafür haben, sie habe nur den einen Preis. – Er wolle es kaufen, sagte der Mann, denn er dachte, er würde diesmal gewiß einen besseren Kauf machen. Er lüftete den Deckel, und diesmal lag eine junge Katze im Korb. Als er nach Hause kam, stand der Bursche wieder und wartete, was er wohl für das zweite Jahr für einen Lohn bekommen werde. »Seid Ihr schon wieder da, Herr?« sagte er. »Jawohl«, sagte der Bauer. »Was habt Ihr denn heute gekauft?« fragte der Junge. »Ach, nichts Besseres als gestern«, sagte der Bauer, »aber ich habe getan, wie wir ausgemacht hatten, ich habe das erste gekauft, was mir in den Weg kam. Und das war dieses junge Kätzchen hier.« – »Du hättest es gar nicht besser treffen können«, sagte der Bursche, »denn Katzen habe ich meiner Lebtag ebenso gern gehabt wie Hunde.« – ‚Dabei komme ich gar nicht so schlecht weg‘, dachte der Mann bei sich, ‚aber wenn er sich selber auf den Weg macht, so wird die Sache schon anders ausschauen.‘
Am dritten Morgen zog also der Junge selber aus, und als er in die Stadt hineinkam, traf er wieder dieselbe Alte mit dem Korb am Arme. »Guten Morgen, Mütterchen«, sagte er. »Guten Morgen auch dir, mein Junge«, sagte die Alte. »Was hast du in deinem Korb?« fragte der Bursche. »Willst du es wissen, so kauf!« gab die Alte zur Antwort. »Willst du es verkaufen?« fragte der Junge. – Ja freilich, es koste vier Schillinge, sagte die Alte. Das sei ein guter Kauf, dachte sich der Bursche, und er wollte es nehmen, denn er müsse das erste kaufen, was ihm in den Weg komme. »Nun kannst du die ganze Herrlichkeit nehmen«, sagte die Alte, »den Korb und was darin ist. Aber schau nicht hinein, ehe du zu Hause bist, hörst du?« Nein, er wolle ganz gewiß nicht hineinschauen, sagte er. Aber unterwegs sinnierte und überlegte er, was wohl in dem Korb sein möge, und ob er wollte oder nicht – er konnte sich nicht halten und mußte den Deckel ein wenig lüften und durch den Spalt hineinschauen. Aber in dem Augenblick fuhr durch den Spalt eine kleine Eidechse heraus und rannte so eilig über die Straße, daß es nur so surrte – und sonst war nichts im Korb. »Halt, wart ein wenig und renn nicht so davon, ich habe dich gekauft«, sagte der Bursche. – »Stich mich ins Genick, stich mich ins Genick!« rief die Eidechse. Der Bursche war nicht faul, rannte hinter ihr drein und stieß ihr sein Messer ins Genick, als sie gerade in ein Mauerloch hineinschlüpfen wollte. In diesem Augenblick verwandelte sie sich in einen Mann, der war so schön und prächtig wie der prächtigste Prinz, und ein Prinz war er auch in Wirklichkeit.
»Nun hast du mich erlöst«, sagte er, »denn die Alte, mit der du und dein Bauer gehandelt haben, ist eine Hexe, und die hat mich in eine Eidechse verwandelt und meine Geschwister in einen Hund und eine Katze.« Das schien dem Burschen eine merkwürdige Geschichte. »Jawohl«, sagte der Prinz, »und eben war sie auf dem Wege, um uns ins Meer zu werfen und zu ertränken; aber wenn einer kommen und uns kaufen sollte, so mußte sie uns das Stück für vier Schillinge verkaufen; so war es ausgemacht. Nun sollst du mit mir heim zu meinem Vater ziehen und für deine Tat belohnt werden.« – »Das wird aber schön weit weg sein«, sagte der Bursche.
»Ach nein, das ist nicht so weit«, meinte der Prinz, »das ist dort«, sagte er und zeigte auf einen hohen Berg in der Ferne.
Sie marschierten nun, so rasch sie konnten; aber es war doch viel weiter, als es ausgesehen hatte. Denn sie kamen erst spät in der Nacht ans Ziel. Der Prinz klopfte an. »Wer klopft an meine Tür und stört meinen Schlaf?« rief es im Berge. Und die Stimme war so gewaltig, daß die Erde bebte. »Mach auf, Vater, dein Sohn kommt wieder heim!« rief der Prinz. Nun schloß der Vater rasch und froh auf. »Ich glaubte schon, du lägest auf dem Grund des Meeres«, sagte der Alte. »Aber du bist nicht allein?« – »Das ist der, der mich erlöst hat«, sagte der Prinz, »ich habe ihn gebeten, mitzukommen, damit du ihn dafür belohnen kannst.« Das wolle er schon besorgen, meinte der Alte. »Nun müßt ihr hereinkommen«, sagte er, »ihr könnt hier getrost ausruhen.« Sie gingen hinein und setzten sich, und der Alte legte einen Arm voll Holzscheite und ein paar große Klötze ins Feuer, daß es in jedem Winkel hell wurde wie am lichten Tag, und wo sie hinschauten, da war es unerhört prächtig. So etwas hatte der Bursche noch nie gesehen, und so feines Essen und Trinken, wie es ihm der Alte vorsetzte, hatte er noch nie versucht; und die Schalen und Teller und Becher und Schüsseln waren alle zusammen aus purem Silber und blankem Gold.
Zu nötigen brauchte man die beiden jungen Leute nicht! Sie aßen und tranken und ließen sich’s wohl sein, und dann schliefen sie bis weit in den nächsten Morgen hinein. Der Bursche war noch nicht wach, als der Alte schon kam und ihm einen Morgentrunk in einem goldenen Becher bot. Als er sein Lumpenzeug angezogen und gefrühstückt hatte, führte ihn der Alte herum und zeigte ihm alles und sagte, er dürfe sich aussuchen, was er wolle, als Belohnung, weil er den Prinzen erlöst hatte. Da war viel zu sehen und mehr zu nehmen, könnt ihr euch denken. – »Nun, was willst du haben?« fragte der König. »Du kannst nehmen, was du willst; du siehst ja, da ist genug zur Auswahl!« Der Bursche sagte, er müsse sich erst ein wenig bedenken und mit dem Prinzen sprechen. Das durfte er auch. »Nun hast du wohl viel Schönes gesehen?« fragte der Prinz. »Es ist schon so«, sagte der Bursche. »Aber sag mir, was soll ich mir von all diesen Herrlichkeiten nehmen? Dein Vater sagt, ich dürfte mir aussuchen, was ich wolle.« – »Du sollst gar nichts nehmen von allem, was du gesehen hast«, gab der Prinz zur Antwort, »aber mein Vater hat am Finger einen kleinen Ring, um den sollst du ihn bitten.« Das tat der Bursche und bat den König um den Ring von seinem Finger.
»Das ist mir das Liebste von allem, was ich habe«, sagte der König, »aber mein Sohn ist mir ebenso lieb, darum will ich dir den Ring geben. Weißt du, was er für Kräfte hat?« Nein, das wußte der Junge nicht. »Wenn du ihn am Finger hast, so kannst du alles bekommen, was du haben willst!« sagte der König. Der Bursche bedankte sich aufs schönste, und der König und der Prinz wünschten ihm Glück auf die Reise und legten ihm ans Herz, ja recht gut auf den Ring aufzupassen.
Er war noch nicht lange unterwegs, da kam ihm der Gedanke, zu versuchen, was der Ring vermöge. Und er wünschte sich neue Kleider von unten auf, und kaum hatte er den Wunsch getan, so steckte er schon darin. Und er war so schön und glänzend wie ein neuer Nickel. Da dachte er bei sich, es wäre doch nett, wenn er seinem Vater einen Possen spielen könnte. »Er war auch nicht allzu freundlich, als ich noch zu Hause war.« Und nun wünschte der Bursche, er wolle vor seines Vaters Tür stehen, ebenso zerlumpt wie zuvor. Und in dem Augenblick stand er schon dort.
»Guten Tag, Vater, und schönen Dank für letztes Mal!« sagte der Bursche. Aber als der Vater sah, daß er noch viel abgerissener und zerlumpter heimkam, als er ausgezogen war, da wurde er böse und fing an zu schimpfen: »Mit dir ist gar nichts anzufangen, wenn du dir nicht einmal während der ganzen langen Dienstzeit Kleider auf den Leib verdient hast!« –
»Ach, sei nur nicht so böse, Vater« sagte der Bursche, »du brauchst nicht nach den Lumpen auf einen Landstreicher zu schließen; nun sollst du den Freiwerber machen und zum König gehen und für mich um seine Tochter anhalten.«
»Geh, geh, das ist ja der reine Spott und Hohn«, rief der Vater. Aber der Bursche behauptete, es sei die reine Wahrheit, und nahm einen Birkenast und jagte seinen Vater bis zum Tor des Königshofes. Da kam er nun gleich zum König hineingestolpert und weinte, daß ihm die Tränen nur so herunterkollerten.
»Nun, was ist denn dir passiert, mein guter Mann?« fragte der König. »Ist dir ein Unrecht geschehen, so will ich sehen, daß ich dir Recht schaffe.« Nein, es sei ihm kein Unrecht geschehen, sagte der Mann, aber er habe einen Sohn, der mache ihm die größten Sorgen: es sei gar nichts Rechtes mit ihm anzufangen, und nun habe er offenbar sein bißchen Verstand noch ganz und gar verloren. »Denn eben ist er mir bis zum Tor des Schlosses mit einem Birkenast nachgelaufen und hat mich bedroht, wenn ich ihm nicht die Königstochter zur Frau verschaffen wolle«, sagte der Mann. – »Gib dich nur zufrieden, guter Mann«, sagte der König, »und schick mir deinen Sohn einmal her, dann wollen wir sehen, wie wir uns einigen.«
Der Bursche kam zum König hereingeschossen, daß seine Lumpen nur so flatterten. »Bekomme ich deine Tochter?« rief er. »Ja, darüber wollten wir eben reden«, sagte der König, »vielleicht ist dir gar nicht mit ihr gedient und ihr nicht mit dir«, sagte er. Das könne schon sein, meinte der Junge.
Nun war vor kurzem ein großes Schiff aus dem Ausland gekommen, das konnte man vom Fenster des Schlosses aus sehen. »Nun wollen wir sehen«, sagte der König, »kannst du in ein oder zwei Stunden ein Schiff verfertigen, das diesem da draußen in allem gleicht und ebenso schön ist, so bekommst du vielleicht meine Tochter«, sagte der König.
»Wenn es sonst nichts ist!« sagte der Bursche. Dann ging er an den Strand hinunter und setzte sich in einen Sandhaufen, und als er lang genug dagesessen war, wünschte er, es solle im Fjord draußen ein Schiff liegen, vollständig ausgerüstet mit Masten und Segeln und allem Zubehör, und es solle in allem dem Schiffe gleichen, das schon draußen lag. Und sogleich lag es da, und als der König sah, daß statt einem Schiffe zwei dort lagen, kam er an den Strand hinunter und wollte sich die Sache genau anschauen. Da erblickte er den Jungen; der stand in einem Boot mit einem Besen in der Hand, als wollte er das Schiff noch zu guter Letzt blankputzen, aber als er sah, daß der König kam, warf er den Besen weg und rief: »Nun ist das Schiff fertig. Bekomme ich jetzt deine Tochter?«
»Das ist ganz schön«, sagte der König, »aber du mußt doch noch eine Probe ablegen. Kannst du in einer Stunde oder zwei ein Schloß bauen, das dem mehligen in allem gleicht, so wollen wir weiter sehen!«
»Ist es sonst nichts?« rief der Bursche. Als er sich lang herumgetrieben hatte und die festgesetzte Zeit zu Ende ging, da wünschte er, es solle ein Schloß dastehen, das dem Königsschloß in allem gliche. Es dauerte nicht lange, so stand es da, könnt ihr euch denken. Und es dauerte auch nicht lange, bis der König mit der Königin und der Prinzessin kam und sich das neue Schloß besehen wollte. Der Bursche stand wieder mit dem Besen da und fegte und putzte. »Nun ist das Schloß fix und fertig. Bekomme ich sie jetzt?« schrie er.
»Das ist ganz schön«, meinte der König, »komm nur herein, so wollen wir darüber reden«, sagte er, denn er merkte, daß der Bursche mehr konnte als Brot essen, und er überlegte sich, wie er ihn wohl loswerden könnte. Der König ging voraus und gleich nach ihm die Königin, und so kam die Prinzessin gerade vor dem Burschen. Da wünschte er sich gleich, er wolle der Schönste in der ganzen Welt sein, und im Augenblick war er’s. Als die Prinzessin sah, wie stattlich er mit einemmal geworden war, stieß sie die Königin an, und die stieß wieder den König an, und als sie sich satt gegafft hatten, war es ihnen aufgegangen, daß der Bursche doch mehr sei, als was er in seinem Lumpengewand zuerst geschienen hatte. Also machten sie aus, die Prinzessin sollte ihm schöntun, um herauszubringen, wie es sich denn mit ihm verhielte. Und die Prinzessin machte sich so süß und fein wie Zuckerbrot und heuchelte und schmeichelte um den Burschen herum, sie könne weder Tag noch Nacht ohne ihn sein, sagte sie. Als es gegen den ersten Abend ging, sagte sie: »Da wir uns doch heiraten sollen, du und ich, so hast du gewiß kein Geheimnis vor mir, und du wirst mir wohl nicht verbergen, wie du all diese schönen Sachen zustande gebracht hast.«
»Ach ja«, sagte der Bursche darauf, »das sollst du schon erfahren; laß uns nur erst Mann und Frau sein, vorher gilt es nicht.«
Am nächsten Abend tat die Prinzessin ganz jämmerlich; sie merke wohl, sagte sie, daß er sich nicht besonders um seine Liebste kümmre, wenn er ihr nicht einmal sagen wolle, was sie gern wissen möchte. Wenn er ihr nicht einmal in einer solchen Kleinigkeit gefällig sein wolle, so sei es auch mit der ganzen Liebe nicht weit her. Da kam der Junge rein in Verzweiflung, und um sie wieder zu versöhnen, erzählte er ihr alles. Sie war nicht faul und ließ alles den König und die Königin wissen. Da machten sie aus, wie sie dem Burschen den Ring ablisten sollte, und dann, meinten sie, sei es wirklich nicht schwer, ihn loszuwerden.
Am Abend kam die Prinzessin mit einem Schlaftrunk und sagte, sie wolle ihrem Schatz einen Liebestrank geben, denn er habe sie offenbar nicht gern genug. Der Bursche dachte an nichts Böses und trank, und gleich darauf schlief er so fest ein, daß man ihm ruhig das Haus über dem Kopf hätte einreißen können. Da zog ihm die Prinzessin den Ring vom Finger, steckte ihn sich selber an und wünschte, der Bursche solle auf dem Kehrichthaufen in der Gasse liegen, so zerlumpt und abgerissen, wie er gekommen war, und an seiner Stelle wolle sie den schönsten Prinzen der Welt haben. Und das geschah auch im Augenblick.
Nach einer Weile wachte der Junge draußen auf dem Kehrichthaufen auf, zuerst meinte er zu träumen, aber als er merkte, daß der Ring verschwunden war, da begriff er, wie das alles zugegangen war, und es wurde ihm so verzweifelt zumute, daß er sich aufmachte und gleich ins Meer springen wollte.
Aber da begegnete er der Katze, die ihm sein Herr gekauft hatte. »Wo willst du hin?« fragte sie. »Ins Meer und mich ertränken«, gab der Bursche zur Antwort.
»Tu es ja nicht«, sagte die Katze, »du wirst deinen Ring schon wiederbekommen.«
»Ja, wenn das wahr ist, so …«, sagte der Bursche.
Die Katze lief davon. Auf einmal kam ihr eine Ratte in den Weg. »Jetzt packe ich dich!« sagte die Katze. – »Ach, tu es nicht«, sagte die Ratte, »du sollst auch den Ring wiederbekommen.«
»Ja, wenn das wahr ist, so …«, gab die Katze zur Antwort.
Als die Leute im Schloß sich schlafen gelegt hatten, schlich die Ratte herum und schnupperte und lauerte, wo die Prinzessin und der Prinz lägen; und schließlich fand sie ein kleines Loch, und da kroch sie durch. Nun hörte sie, wie die Prinzessin und der Prinz noch miteinander sprachen, und sie merkte, daß der Prinz den Ring am Finger stecken hatte. Denn die Prinzessin sagte: »Gib wohl acht auf den Ring, mein Liebster!« – »Pah, durch Mauern und Wände kommt doch niemand herein um des Ringes willen!« sagte der Prinz darauf. »Aber wenn du meinst, daß er an der Hand nicht sicher genug ist, so kann ich ihn ja in den Mund nehmen.«
Nach einer Weile legte er sich auf den Rücken und wollte einschlafen. Aber da rutschte ihm der Ring in den Hals hinunter, und er mußte husten, daß der Ring herausfuhr und am Boden hinrollte. Witsch – packte ihn die Ratte und schlich damit hinaus zur Katze, die vor dem Rattenloch gelauert hatte. Aber inzwischen hatte der König den Burschen erwischt und in einen großen Turm setzen lassen und zum Tode verurteilt, weil er Spott und Hohn mit seiner Tochter getrieben hatte – sagte der König. Und in dem Turm sollte der Junge sitzenbleiben bis zur Hinrichtung. Doch die Katze schlich immer um den Turm herum und versuchte, mit dem Ring hineinzuwischen. Aber da kam ein Adler und packte sie mit seinen Fängen und flog mit ihr übers Meer. Aber auf einmal kam ein Falke und stürzte sich auf den Adler, und der ließ die Katze ins Meer fallen. Als sie das Nasse spürte, kam ihr die Angst, sie ließ den Ring fallen und schwamm ans Land. Sie hatte kaum das Wasser aus ihrem Fell geschüttelt und sich geputzt, so traf sie den Hund, den der Bauer dem Burschen gekauft hatte.
»Nein, was soll ich denn nur anfangen?« sagte die Katze und weinte und jammerte. »Der Ring ist fort, und den Burschen wollen sie umbringen!« – »Ich weiß nicht«, sagte der Hund, »aber das weiß ich, daß es in meinem Bauche reißt und zerrt, als ob er sich umdrehen wollte; ärger könnte es nicht sein«, sagte er.
»Siehst du, du hast dich gewiß überfressen«, meinte die Katze.
»Ich esse nie mehr, als ich kann«, sagte der Hund, »und jetzt habe ich gar nichts gegessen als einen toten Fisch, den die Ebbe hiergelassen hat.«
»Hatte vielleicht der Fisch den Ring verschluckt?« fragte die Katze. »Und nun mußt du auch mit dem Leben dafür büßen, daß du kein Gold verdauen kannst?«
»Das kann schon sein«, meinte der Hund. »Dann wäre es aber am besten, wenn ich gleich stürbe, dann könnte der Junge vielleicht noch gerettet werden.«
»Ach, das ist nicht nötig«, sagte die Ratte – sie war auch dabei -, »ich brauche keine große Öffnung, um hineinzukommen, und wenn der Ring wirklich drinnen ist, so werde ich ihn gewiß aufspüren.« Also schlüpfte die Ratte in den Hund hinein, und es dauerte nicht lange, so kam sie mit dem Ring wieder heraus. Also machte sich die Katze auf den Weg nach dem Turm und krabbelte hinauf, bis sie ein Loch fand, in das sie die Pfote stecken konnte, und brachte dem Burschen den Ring wieder.
Kaum hatte er ihn am Finger, so wünschte er, daß der Turm einstürzen möge, und im gleichen Augenblick stand er mitten unter der Tür und beschimpfte den König und die Königin und die Königstochter, als seien sie ganz gemeines Lumpenpack. Der König rief eiligst sein Kriegsheer zusammen und sagte, sie sollten den Turm umstellen und den Jungen gefangennehmen, es sei gleich, ob tot oder lebendig. Aber der Bursche wünschte nur, daß die ganze Armee bis unter die Arme in dem großen Sumpf drinnen im Gebirge stecken möge, und da hatten sie Mühe genug, um wieder herauszukommen – die, die nicht drin steckenblieben. Nun schimpfte er weiter, wo er aufgehört hatte, und als er sich schließlich alles und jedes vom Herzen geredet hatte, wünschte er, der König, die Königin und die Königstochter sollten ihrer Lebtag in dem Turm sitzen, in den sie ihn gesteckt hatten. Als sie festsaßen, nahm er das Land und Reich des Königs für sich; da wurde der Hund in einen Prinzen verwandelt und die Katze in eine Prinzessin; die nahm er zu seiner Frau, und sie hielten Hochzeit und feierten lang und reichlich.

[Norwegen: Klara Stroebe: Nordische Volksmärchen]

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