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Es waren einmal zwei Brüder. Der eine war ein Landmann, der andre aber ein Dieb. Der Landmann war verheiratet und Vater dreier Söhne, der Dieb dagegen hatte weder Frau noch Kind und wünschte deshalb, einen Neffen als Pflegsohn aufzunehmen, wobei er versprach, ihn sein Handwerk zu lehren.
Zuallererst nahm er seinen ältesten Neffen mit, um zu erproben, ob er zu seinem Pflegsohn tauge. Er brachte den Jungen zu sich und führte ihn in den Wald. Dort zeigte er seinem Neffen die Bäume und den Wald selbst. Als sie im Walde vorwärtsschritten, kamen sie zu einer freien Fläche. Der Neffe sah diese Fläche und sprach zum Onkel: »Schau, Onkel, was für eine schöne Fläche das ist! Ein guter Acker kann draus werden!«
Da sagte der Onkel zum Neffen: »Du kannst mein Handwerk sicher nicht erlernen, du bist zum Landmann geboren!«
Darauf brachte er seinen ältesten Neffen wieder nach Hause und nahm nun den mittleren Neffen mit, um ihn zu prüfen, führte ihn ebenso in den Wald und zeigte ihm die Bäume. Als der Knabe im Walde die Eschen und Birken sah, sprach er zum Onkel: »Wachsen da aber schöne Bäume! Daraus könnte man gute Wagenspeichen und Schlittensohlen machen.«
Diesen Neffen brachte der Onkel ebenso wie den ersten nach Hause zurück und sagte: »Der kann mein Handwerk nicht erlernen, der ist schon ein fertiger Zimmermann!«
Nun kam die Reihe an den jüngsten Neffen. Den führte er ebenso in den Wald und zeigte ihm die Bäume wie auch seinen zwei älteren Brüdern. Als sie im Walde vorwärtsschritten, kamen sie zu einer krummen Birke. Als der Knabe die krumme Birke sah, sprach er zum Onkel: »Sieh doch, Onkel, was für eine schöne krumme Birke hier wächst, daraus könnte man einen guten Knüttel machen, um damit andern Leuten auf den Kopf zu hauen!«
»Nun sieh mal an, dieser Junge paßt mir, den kann ich mein Handwerk lehren!« sagte der Onkel und führte dann den Neffen in seine Diebeshöhle und lehrte ihn seine Kunst. Als er manch schönes Jahr beim Onkel verlebt und seine Kunst erlernt hatte, stellte ihn der Onkel auf die Probe, ob er in seinem Handwerk auch geschickt sei.
Eines Tages, als er mit seinem Onkel vor dem Eingange der Höhle saß, sahen sie, wie eine Frau mit einer Kuh durch den Wald ging. Als der Onkel die Frau erblickte, sprach er zu seinem Neffen: »Junge, jetzt gehst du augenblicklich und stiehlst dieser Frau ihre Kuh, ohne daß die Frau es merkt.« Der Junge ging hin und dachte bei sich: ‚Wie kann ich armer Mensch das zuwege bringen! Jetzt sitz ich in der Klemme!‘ Schließlich kam ihm aber doch ein guter Gedanke. Er lief auf dem Wege voraus, wo die Frau vorbeikommen mußte, und warf dort einen Handschuh zur Erde. Die Frau kam, sah am Wegrande auf der Erde einen Handschuh liegen und sprach: »Sieh mal, da liegt auf dem Boden ein neuer Handschuh. Wären es ihrer zwei, so würde es sich lohnen, sie aufzuheben, was fängt man aber mit dem einen an!«
Sie ließ den Handschuh liegen und ging ihres Weges. Inzwischen lief aber der Junge, eine Wegkrümmung abschneidend, voraus und warf dort den andern Handschuh hin. Die Frau kam auch an der zweiten Stelle vorbei, sah auf der Erde den andern Handschuh liegen und sprach: »Sieh doch, da liegt der zweite gleiche Handschuh hier am Boden wie der erste dort. Das gibt ein schönes Paar Handschuh; ich geh, auch den ersten von dort zu holen!« Mit diesen Worten band sie die Kuh am Rande des Wegs an einen Baum und ging nach dem andern Handschuh.
Der Junge band nun die Kuh vom Baume los und führte sie zu seiner Höhle. Daheim wurde die Kuh sogleich geschlachtet. Dann ging der Junge zur Höhle hinaus, um an dem Ufer eines kleinen Baches den Magen und die Gedärme der Kuh zu reinigen. Als er sich draußen befand und den Kuhmagen und die Gedärme reinigte, begann er mit sich selbst zu sprechen, indem er den Magen gegen die Steine schlug: »Ai, oi, ich bin es nicht allein gewesen, mein Onkel war auch dabei! Aii, oii, ich bin es nicht allein gewesen, mein Onkel war auch dabei!« Als der Onkel in der Höhle die Worte des Jungen hörte, dachte er, der Junge werde draußen geprügelt und ihn selber werde man auch festnehmen und dem Gericht übergeben. Da floh er schnell aus jenem Lande, ohne genauer nachzusehen, wie die Sache stand, und seine Schätze blieben alle in den Händen des Neffen. Da gab der Neffe von jenem Tage an das vom Onkel erlernte Handwerk, das heißt das Stehlen, auf, und wenn er nicht gestorben ist, so lebt er noch heute in großen Ehren und Reichtum.
Zuallererst nahm er seinen ältesten Neffen mit, um zu erproben, ob er zu seinem Pflegsohn tauge. Er brachte den Jungen zu sich und führte ihn in den Wald. Dort zeigte er seinem Neffen die Bäume und den Wald selbst. Als sie im Walde vorwärtsschritten, kamen sie zu einer freien Fläche. Der Neffe sah diese Fläche und sprach zum Onkel: »Schau, Onkel, was für eine schöne Fläche das ist! Ein guter Acker kann draus werden!«
Da sagte der Onkel zum Neffen: »Du kannst mein Handwerk sicher nicht erlernen, du bist zum Landmann geboren!«
Darauf brachte er seinen ältesten Neffen wieder nach Hause und nahm nun den mittleren Neffen mit, um ihn zu prüfen, führte ihn ebenso in den Wald und zeigte ihm die Bäume. Als der Knabe im Walde die Eschen und Birken sah, sprach er zum Onkel: »Wachsen da aber schöne Bäume! Daraus könnte man gute Wagenspeichen und Schlittensohlen machen.«
Diesen Neffen brachte der Onkel ebenso wie den ersten nach Hause zurück und sagte: »Der kann mein Handwerk nicht erlernen, der ist schon ein fertiger Zimmermann!«
Nun kam die Reihe an den jüngsten Neffen. Den führte er ebenso in den Wald und zeigte ihm die Bäume wie auch seinen zwei älteren Brüdern. Als sie im Walde vorwärtsschritten, kamen sie zu einer krummen Birke. Als der Knabe die krumme Birke sah, sprach er zum Onkel: »Sieh doch, Onkel, was für eine schöne krumme Birke hier wächst, daraus könnte man einen guten Knüttel machen, um damit andern Leuten auf den Kopf zu hauen!«
»Nun sieh mal an, dieser Junge paßt mir, den kann ich mein Handwerk lehren!« sagte der Onkel und führte dann den Neffen in seine Diebeshöhle und lehrte ihn seine Kunst. Als er manch schönes Jahr beim Onkel verlebt und seine Kunst erlernt hatte, stellte ihn der Onkel auf die Probe, ob er in seinem Handwerk auch geschickt sei.
Eines Tages, als er mit seinem Onkel vor dem Eingange der Höhle saß, sahen sie, wie eine Frau mit einer Kuh durch den Wald ging. Als der Onkel die Frau erblickte, sprach er zu seinem Neffen: »Junge, jetzt gehst du augenblicklich und stiehlst dieser Frau ihre Kuh, ohne daß die Frau es merkt.« Der Junge ging hin und dachte bei sich: ‚Wie kann ich armer Mensch das zuwege bringen! Jetzt sitz ich in der Klemme!‘ Schließlich kam ihm aber doch ein guter Gedanke. Er lief auf dem Wege voraus, wo die Frau vorbeikommen mußte, und warf dort einen Handschuh zur Erde. Die Frau kam, sah am Wegrande auf der Erde einen Handschuh liegen und sprach: »Sieh mal, da liegt auf dem Boden ein neuer Handschuh. Wären es ihrer zwei, so würde es sich lohnen, sie aufzuheben, was fängt man aber mit dem einen an!«
Sie ließ den Handschuh liegen und ging ihres Weges. Inzwischen lief aber der Junge, eine Wegkrümmung abschneidend, voraus und warf dort den andern Handschuh hin. Die Frau kam auch an der zweiten Stelle vorbei, sah auf der Erde den andern Handschuh liegen und sprach: »Sieh doch, da liegt der zweite gleiche Handschuh hier am Boden wie der erste dort. Das gibt ein schönes Paar Handschuh; ich geh, auch den ersten von dort zu holen!« Mit diesen Worten band sie die Kuh am Rande des Wegs an einen Baum und ging nach dem andern Handschuh.
Der Junge band nun die Kuh vom Baume los und führte sie zu seiner Höhle. Daheim wurde die Kuh sogleich geschlachtet. Dann ging der Junge zur Höhle hinaus, um an dem Ufer eines kleinen Baches den Magen und die Gedärme der Kuh zu reinigen. Als er sich draußen befand und den Kuhmagen und die Gedärme reinigte, begann er mit sich selbst zu sprechen, indem er den Magen gegen die Steine schlug: »Ai, oi, ich bin es nicht allein gewesen, mein Onkel war auch dabei! Aii, oii, ich bin es nicht allein gewesen, mein Onkel war auch dabei!« Als der Onkel in der Höhle die Worte des Jungen hörte, dachte er, der Junge werde draußen geprügelt und ihn selber werde man auch festnehmen und dem Gericht übergeben. Da floh er schnell aus jenem Lande, ohne genauer nachzusehen, wie die Sache stand, und seine Schätze blieben alle in den Händen des Neffen. Da gab der Neffe von jenem Tage an das vom Onkel erlernte Handwerk, das heißt das Stehlen, auf, und wenn er nicht gestorben ist, so lebt er noch heute in großen Ehren und Reichtum.
[Estland: August von Löwis of Menar: Finnische und estnische Märchen]