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Der Erdspiegel

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Die Leute im Wippertale sagen, es liege ein Königreich in dem Berge, darauf die Arnsburg stand, oder so viel des Goldes und der Kleinodien, daß damit eines Königsreiches Wert erlangt würde. In zwei steinernen Kisten wäre das alles wohl verwahrt. Nach diesem großen Schatze trugen viele schon Verlangen, unter andern auch eine Gräfin von Schwarzburg. Sie hatte einen Burghauptmann, der ein überaus kluger und weiser Mann war. Er besaß den Erdspiegel, in dem sich alles zeigte, was sich im Innern des Erdreiches und der Berge an edlen Metallen und vergrabenen Schätzen befand. Mit diesem Erdspiegel kam er auf die Arnsburg und sah die Kisten deutlich stehen, merkte aber auch, daß der Schatz so versetzt war, daß es allzu viele Seelen kostete, wenn man ihn heben wollte. Deshalb stand die fromme Gräfin von ihrem Vorhaben ab; die Seelen blieben unverloren und das Königreich im Berge ungefunden. – Den Erdspiegel zu gewinnen, war nicht leicht. Das zeigt die Geschichte eines Mannes aus Salzungen, namens Adam. Er kaufte sich einen kleinen Spiegel mit einem Schieber, ohne beim Krämer zu handeln oder zu mäkeln, und bewahrte ihn bis zum günstigen Zeitpunkte auf. Endlich starb eine Wöchnerin, die am Karfreitag beerdigt -wurde, und nun konnte er ans Werk gehen. Nachts mit dem Glockenschlag elf stand er am Kirchhof, zog die bloßen Füße aus den Pantoffeln, ließ den Mantel zur Erde fallen und schwang sich nackt, den Spiegel in der Hand, über die Mauer. Erreichte das frische Grab der Wöchnerin und arbeitete den Spiegel im Namen des dreieinigen Gottes hinein und zwar das Glas dem Sarge zugekehrt. Mühseliger war sein Rückweg, da er beim Gehen das Grab immer im Gesicht behalten mußte. Doch erreichte er glücklich die Mauer und bald darauf auch seine Wohnung. Als er am dritten Abend wieder beim hellsten Mondschein den Kirchhof in derselben Stunde betrat, war um ihn plötzlich schwarze Nacht, dann und wann von grellen Blitzen durchzuckt. Auch vernahm er ein unheimliches Geräusch, als ob jemand vor ihm mit einem Besen den Erdboden fege, um ihn von dem Grabe der Wöchnerin abzuleiten. Doch ließ er sich durch das alles nicht irre machen, fand nach einer Weile das Grab und zog, diesmal aber in Dreiteufels Namen, den Spiegel wieder heraus, drückte ihn sorgfältig mit dem Glas auf seinen Leib und trat in gewohnter Weise den Rückweg an. Der Böse suchte ihn zu hindern und den Spiegel zu vernichten. Braun und blau geschlagen, dankte der Mann dem Himmel, als er wieder jenseits der Kirchhofsmauer stand. Doch hatte er nun einen Erdspiegel und wurde durch denselben bald einer der gesuchtesten weisen Männer der Gegend. Keine Hexe, kein Dieb war sicher vor seiner Kunst. Er konnte sie und noch viel mehr in seinem Erdspiegel erblicken.

Sage aus Thüringen

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