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Der Fuchs verschafft dem Wolf das Fleisch von zwei Schweinen aus des Buschwirten Kammer

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Eines Morgens ganz früh kam der Wolf vor die Burg des Fuchses und rief: »Gevatter, seid Ihr zu Hause?«
»Jawohl!« antwortete der Fuchs, »aber was stört Ihr mich denn in meiner Ruhe?«
»Oh, Gevatter, erbarmt Euch meiner Not; zwei Tage habe ich nichts gegessen; mein Magen packt mir schon die Rippen, und suche ich ihm nicht bald ein ehrliches Stück Fleisch, so verzehrt er mich ganz. Wißt Ihr keinen Rat?«
»Ei, ich könnte Euch wohl zu dem Buschwirtshaus führen, wo gestern zwei Schweine geschlachtet wurden, und zu der Kammer, wo das Fleisch hängt; ich habe mir die Gelegenheit genau besehen; allein ich denke damit in diesen langen Wintertagen, wenn die Not am höchsten ist, für mich, meine Frau und Kinder zu sorgen.«
»Aber Gevatter, glaubt Ihr denn, ich sei ein Vielfraß und wolle alles haben? Verschafft mir nur einen Schinken, so bin ich zufrieden und Ihr seid Euch bewußt, mich dem Tode entrissen zu haben; das übrige viele Fleisch könnt ihr dann mit Euerer Frau und Eueren Kindern in Frieden genießen!« Der Fuchs ließ sich erweichen, stand auf von seinem Lager, putzte sein Mente (verbrämter langer Rock), wichste seinen Schnurrbart, und wie er reisefertig war, ging er hinaus und führte den Wolf zu des Buschwirten Wohnung und kroch da durch ein enges Loch in die Kammer, wo das frische Schweinefleisch hing. Er nahm einen Schinken und schob ihn dem Wolf hinaus; der verschluckte ihn gleich; der Fuchs wollte nun fort, doch der Wolf stand vor dem Loch und versperrte es. »Gevatter, habt Ihr je gehört, daß ein Wolf nur einen Schinken gegessen habe? Wo der eine ist, dahin gehört auch der andere.« Der Fuchs wußte, daß mit Vorstellungen beim Wolf nichts anzufangen sei und fürchtete, der Buschwirt könne über dem Wortstreit erwachen und ihn ertappen; er nahm den zweiten Schinken und schob ihn dem Wolf hinaus. Gleich war auch der verschlungen, aber der Wolf stand noch immer vor dem Loch und ließ den Fuchs nicht heraus. »Wo die Schinken sind, dahin gehören auch die Hammchen!« Dem Fuchs wurde es immer schwüler vor Angst; er widerredete gar nicht und schob auch die Hammchen hinaus; sogleich waren sie im Magenabgrund des Wolfes verschwunden, und der rief weiter: »Wo das Fußgestell ist, dahin gehört auch der Leib.« Der Fuchs schob ohne weiters die beiden Rippen und alles Fleisch hinaus; auch das war schnell ins Dunkle gebracht. »Wo der Leib ist, dahin gehört auch das Haupt!« Auch das Kopfstück schob der Fuchs schnell hinaus. Der Wolf machte es ebenfalls gleich unsichtbar. Nun hoffte der Fuchs, doch hinauszukommen; denn ein ganzes Schwein hatte er ja dem Nimmersatt hinausgeschafft. Aber der stieß ihn zurück und rief: »Mitnichten! Wo ein Schwein ist, dahin gehört auch das andere; die armen dürfen nicht voneinander getrennt werden!« Ihr könnt euch die peinliche Lage des armen Fuchses vorstellen; immer mehr wuchsen in ihm der Grimm gegen der Wolf und die Furcht vor dem Buschwirten; aber die Furcht war größer und bemeisterte den Grimm. Ohne Widerrede schob er vom zweiten Schwein ein Stück Fleisch nach dem anderen hinaus und ohne zu warten, bis der Wolf es verlangte, damit er nur schnell hinauskomme. Wie er zuletzt das Kopfstück hinausgelangt, trat der Wolf vom Loch zurück und sprach großmütig: »Leicht wäre es mir gewesen, einen Baumstamm vorzuwälzen; aber ich tat es nicht, damit Ihr sehet meine Freundschaft und Treue gegen Euch.« Der Fuchs war himmelfroh, als er wieder das helle, freie Tageslicht sah; er verhehlte seinen Grimm, aber er sann auf Rache.

[Josef Haltrich: Deutsche Volksmärchen aus dem Sachsenlande in Siebenbürgen]

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