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Der Gänsehirt

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Ein König hatte einen kleinen Knaben, der weinte fort und fort, so daß seine Eltern nicht mehr wußten, was sie mit ihm machen sollten. Sie gaben ihm Kamillentee mit Zucker, rieben ihn mit Butter ein, wiegten ihn, trugen ihn herum, es half alles nichts, er weinte und weinte, bis auch seine Mutter weinte, weil sie nichts mit ihm schaffen konnte. In einer Nacht klopfte jemand ans Fenster. Es waren drei Pfarrherren, welche die Nacht auf der Straße ereilt hatte, nun baten sie um Herberge.
Der König rief sie ins Haus und gab ihnen Abendessen. Der Knabe aber weinte noch immer, und weil er so weinte, sagte ein Pfarrer: »Wir wollen ihn taufen, vielleicht weint er dann nicht mehr.« Sie tauften ihn, alle drei Pfarrer waren Paten. Der Knabe aber weinte weiter.
Eines Tages kam eine alte Frau und sagte, wenn ihr der König 100 Gulden gäbe, so mache sie, daß der Knabe nicht mehr weine. Er versprach es. Sie richtete ein Bad und badete das Kind, nahm es dann in den Arm und sang ihm diese Worte: »Schweig, mein Knabe, schweig, du bekommst dann auch die Königstochter zur Frau, welche auf den Felsen Grummet macht und den Blumen den Geruch gibt, schweig, mein Knabe, schweig.« Er hörte und hörte und weinte seitdem gar nicht mehr, wuchs aber so schnell in einem Jahre, wie andere in dreien.
Als sechs Jahre vergangen waren, war er so groß wie ein Jüngling von 20 Jahren und kam zu seiner Mutter und bat sie, sie möchte ihm Wegzehrung in den Tornister legen, er gehe, sich die Braut zu suchen. Wie seine Mutter nichts mit ihm schaffen konnte, als er klein war, so konnte sie auch jetzt, da er groß geworden, nichts mit ihm anfangen. Sie sagte: »Mein lieber Sohn, bleib zu Hause, du bist noch zu jung, wirst dir schon noch eine Frau bekommen, wenn du älter bist.« Er aber sagte, bis er sich das Mädchen finde, von welchem ihm die Alte gesungen, als er klein gewesen, würde noch viele Zeit vergehen, und er brauche keine andere zur Frau als gerade diese.
Darauf legte ihm seine Mutter Proviant in den Tornister, und er ging, vor sich Tag, hinter sich Nacht. Er ging weit, weit, bis er einen Hof erreichte. Die Sonne ging gerade unter, er hatte sich ermüdet und trat hinein. Was für ein Glück hatte er! Gerade in das Haus seines ältesten Paten war er eingetreten, gerade als der Alte hinaus kam. »Guten Abend, lieber Pate (nunule).« – »Ich danke dir, finule, was bringst du mir?« – »Ich bringe gute Laune, ich gehe mir die Braut zu suchen. Kannst du mich nicht auf den Weg weisen, wo die Königstochter wohnt, welche auf den Felsen Grummet macht und den Blumen den Geruch gibt?« – »Ich weiß es nicht, aber ich will die Meinen fragen, ob sie es nicht wissen.« Er ging hinaus und rief alle Mäuse und Ratten zusammen. Als sie sich versammelt hatten, fragte er, ob nicht vielleicht jemand von ihnen zu tun gehabt habe im Getreide der Königstochter, welche auf den Felsen Grummet macht und den Blumen den Geruch gibt. Es war niemand dort gewesen. Jetzt gab ihm sein Pate einen goldenen Apfel, in den alles hineingeht, sei es noch so groß, auch ein ganzes Land. Der Jüngling dankte, steckte ihn in den Busen, nahm Abschied und ging weiter, vor sich immer Tag, hinter sich Nacht.
Er ging wieder bis gegen Abend, dann erreichte er wieder ein Haus, es wohnte dort gerade sein zweiter Pate. »Guten Abend, lieber Pate!« – »Du sollst leben, mein finule, was bringst du mir?« – »Gute Laune, nunule, ich gehe, mir die Braut zu suchen, von der mir die Alte gesungen, als ich immer weinte. Wißt ihr nicht, wo die Königstochter wohnt, welche auf den Felsen Grummet macht und den Blumen den Geruch gibt?« – »Ich weiß wirklich nicht, aber vielleicht wissen es die Meinen.« Er ging zum Fenster und rief alle Wölfe und Füchse, sie sollten sich unter dem Fenster versammeln. Sie waren gerade alle gekommen. Der Pfarrer fragte jeden einzelnen der Reihe nach, ob er nicht vielleicht etwas gestohlen aus dem Hofe der Königstochter, welche auf den Felsen Grummet macht und den Blumen den Geruch gibt? Es war aber keiner da gewesen, sie hatten nicht einmal etwas von ihr gehört. Der Pate gab ihm drei Federn in einem Beutel, eine kupferne, eine silberne und eine goldene. Aus der kupfernen kommt, wenn man sie bewegt, ein kupfernes Pferd, aus der silbernen ein silbernes, aus der goldenen ein goldenes Pferd, eines mutiger als das andere. Er versorgte sie sich im Busen, dankte und ging fort, vor sich Tag, hinter sich Nacht.
Er ging, bis er an ein Haus kam. Hier wohnte der jüngste Pate. »Guten Abend, lieber Pate!« – »Du sollst leben, finule! Was bringst du mir?« – »Sieh, ich bringe dir gute Laune, ich bin auf dem Wege zur Braut.« – »Ach, geh zum Teufel, du wirst doch nicht Heiratsgedanken haben?« – »Ja wirklich, ich gehe mir die Braut zu suchen, von der mir die Alte gesungen, als ich immer weinte. Wißt ihr nicht, wo die Königstochter wohnt, welche auf den Felsen Grummet macht und den Blumen den Geruch gibt?« – »Ich weiß es nicht, aber vielleicht weiß es jemand von den Meinen.« Er ging ans Fenster und pfiff, da kamen alle Vögel aus der ganzen Welt herbei, und er fragte sie, ob nicht vielleicht einer Arbeit gehabt im Garten der Königstochter, welche auf den Felsen Grummet macht und den Blumen den Geruch gibt? Nicht einer war dort gewesen; nur einmal, siehe, kommt noch ein Vöglein langsam herbei mit zerschossenem Flügel. »Was ist mit dir, Vöglein?« – »Ach, Herr, ich hatte mich verirrt im Lande der Königstochter, welche auf den Felsen Grummet macht und den Blumen den Geruch gibt, dort hat mich ein Mensch geschossen, welcher auf die Jagd ging.«
»Wo ist das Land?« fragte der Pfarrer. »Es ist weit, dort hinter dem Glasberge, aber der Junge wird auch den nicht finden, ich werde mit ihm gehen.« – »Geh, mein Vöglein«, sagte der Pate und gab seinem finu einen goldenen Ring: »Wenn du diesen Ring bewegst, geschieht, was du verlangst. Aber du sollst dir wünschen, ein Gänsehirt zu sein und goldene Gänse zu hüten. Die Königstochter wird dich sehen, du wirst ihr gefallen, sie wird die Gänse kaufen wollen.« Er dankte, nahm Abschied und ging dann mit dem Vöglein bis an den Glasberg. Dann nahm er die kupferne Feder, es kam ein kupfernes Pferd. Er kam auf diesem aber nicht weit hinauf, es war zu glatt. Er nahm dann das silberne, mit diesem erreichte er die halbe Höhe, aber mit dem goldenen ging er über den Glasberg hinüber, von dort sah er die Häuser der Königstochter.
Jetzt wünschte er sich ein Gänsehirte zu sein, und gleich hatte er die goldenen Gänse neben sich. Er hütete sie auf einer Wiese neben der Straße, auf welcher die Königstochter in die Stadt auf den Ball fuhr. Sie stand immer am Fenster und sah hinaus auf die goldenen Gänse und wünschte sie zu kaufen. Eines Tages fuhr sie auf den Ball, und wie sie nahe an die goldenen Gänse kam, rief sie den Gänsejungen und gab ihm zehn Kreuzer. Als sie vorüber war, bewegte er die kupferne Feder, es kam das kupferne Pferd heraus, er, ein schöner Jüngling, setzte sich darauf und ritt auch auf den Ball und tanzte in einem fort, immer mit der Königstochter. Dieser junge Herr gefiel ihr sehr. Er sagte ihr aber nicht, wer er sei, und ging vor Ende des Balles fort. Am andern Tage fuhr die Königstochter wieder auf den Ball. Wie sie auf der Straße wieder zu den goldenen Gänsen kam, rief sie den Gänsejungen an die Kutsche und gab ihm zehn Kreuzer. Als sie vorüber war, zog er die silberne Feder hervor, setzte sich auf das silberne Pferd und ritt zum Tanze und tanzte immer nur mit der Königstochter, aber wieder ging er vor den andern Mädchen und Burschen vom Tanze weg. Als er fort war, wurde die Königstochter traurig, denn er hatte ihr seinen Namen nicht gesagt, und sie liebte ihn so sehr. Am nächsten Tage nahm sie sich Pech in die Tasche, um ihn zu zeichnen. Als sie auf den Ball fuhr und an den Gänsen vorbeikam, gab sie dem Gänsejungen wieder zehn Kreuzer. Was sollte dies wohl sein, daß dieser Hirte ihr so gut gefiel? Fast gefiel er ihr besser als seine goldenen Gänse, diesesmal war er aber auch ganz nahe an der Straße gestanden und hatte auf die zehn Kreuzer gewartet. Als sie fort war, setzte er sich geschwind auf das goldene Pferd und ritt hinter ihr. Wie sie beide zusammen tanzten, klebte sie ihm das Pech in den Nacken. Am nächsten Tage befahl sie ihren Dienern, sie sollten alle Jünglinge aus dem ganzen Lande baden. Den, in dessen Nacken sie Pech fänden, sollten sie zu ihr bringen. Doch sie fanden es bei keinem. »Habt ihr denn alle gebadet?« – »Alle, nur den Gänsejungen nicht.« – »Badet auch den.« Als sie ihn genommen und baden sollten, da hatte der das Pech im Nacken. Gut. Jetzt war große Freude und Verlobung. Aber jetzt wollte der Königssohn mit seiner Braut in sein Land ziehen, aber sie wußte nicht, wie sie ihr Land allein hier lassen sollte. Nur einmal öffnete der Bräutigam den goldenen Apfel und steckte das ganze Land mit allem hinein, dann setzten sie sich beide in den Wagen, vor den das silberne, kupferne und goldene Pferd gespannt waren. So fuhren sie nach Hause und feierten die Hochzeit, die Paten hatten sie alle drei geladen, und diese waren die Beistände, und das Vöglein sang am Fenster.

[Rumänien: Pauline Schullerus: Rumänische Volksmärchen aus dem mittleren Harbachtal]

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