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Märchenbasar

Der Glücks-Anders

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Ein reicher Bauer hatte zwei Söhne, die hießen Hans Niklas und Glücks-Anders. Der älteste war einer, aus dem man nicht recht klug werden konnte; es war bös mit ihm Kirschen essen, und er war noch habgieriger und geiziger, als die Leute aus Nordland gewöhnlich sind, obwohl sie selten zu wenig mit diesen schönen Eigenschaften gesegnet sind. Der andere, Glücks-Anders, war wild und übermütig, aber immer in guter Laune, und wenn er noch so fatal dran war, so sagte er doch immer, er sei ein Glückspilz. Wenn ihm der Adler, um sein Nest zu verteidigen, Kopf und Gesicht so bearbeitete, daß das Blut nur so floß, so behauptete er doch, er sei ein Glückspilz, wenn er nur mit einem Adlerjungen heimkam. Kenterte sein Boot, was auch zuweilen vorkam, und man fand ihn daran angeklammert, ganz heruntergekommen durch Nässe, Kälte und Anstrengung, und man fragte ihn, wie er sich fühle, so antwortete er: »Ach, ganz gut; ich bin ja gerettet; ich habe doch Glück.«
Als der Vater starb, waren sie beide erwachsen, und einige Zeit darauf mußten sie beide zu den Sandbänken hinaus, um einige Fischnetze zu holen, die seit dem Sommerfischen draußen geblieben waren. Es war spät im Herbst, nach der Zeit, wo die meisten Fischer auf der Sommerfahrt begriffen sind. Anders hatte seine Büchse bei sich, die ihn begleitete, wohin er auch ging. Hans Niklas sprach nicht viel auf der Fahrt, aber er dachte sich um so mehr. Zur Heimreise wurden sie erst fertig, als es gegen Abend ging.
»Hör, Glücks-Anders, weißt du was, heut nacht gibt’s ein bös‘ Wetter«, sagte Hans Niklas und schaute über das Meer hinaus; »ich meine, es ist am besten, wir bleiben hier bis morgen!«
»Ein Wetter gibt’s nicht«, sagte Anders, »die Sieben Schwestern haben ihre Nebelhaube nicht auf, da kannst du ganz ruhig sein.«
Aber der andere klagte, er sei so müde, und endlich beschlossen sie, die Nacht hierzubleiben. Als Anders aufwachte, war er allein; er sah weder Bruder noch Boot, bis er auf den höchsten Punkt der Insel kam; da entdeckte er ihn weit draußen, wie eine Möwe, die zum Land fliegt. Anders begriff die Sache gar nicht. Ein Eßvorrat war noch da, auch eine Schüssel mit Molken, seine Büchse und verschiedenes andere. Anders dachte nicht lange nach. »Er kommt wohl heut abend wieder«, sagte er und machte sich über den Proviant, »ein Narr, wer die Courage verliert, solange er zu essen hat.« Aber kein Bruder ließ sich am Abend sehen, und Anders wartete Tag um Tag und Woche um Woche; da merkte er schließlich, daß er ihn auf der öden Insel ausgesetzt hatte, um das Erbe selbst ungeteilt behalten zu können, und so war es auch; denn als Hans Niklas auf der Heimfahrt Land in Sicht hatte, ließ er das Boot kentern und sagte, Glücks-Anders sei ertrunken.
Aber der ließ den Mut nicht sinken; er sammelte Treibholz am Strand, schoß Seevögel und suchte Muscheln und Wurzeln; er baute sich ein Floß aus Stangenholz und fischte mit einer Stange, die auch zurückgeblieben war. Eines Tages, als er gerade an der Arbeit war, fiel ihm eine Vertiefung oder Einsenkung im Sand in die Augen, wie die Kielspur einer großen nordländischen Jacht, und er konnte deutlich die Windungen der Taue vom Strand bis hinauf zum Gipfel der Insel verfolgen. Da dachte er bei sich selbst, nun habe es keine Gefahr mit ihm; denn er sah, daß es wahr war, was er oft gehört hatte, nämlich, daß die Meerleute hier ihren Aufenthalt hätten und einen eifrigen Schiffsverkehr trieben.
‚Gott sei Dank für die gute Gesellschaft! Das ist gerade, was ich brauche. Ja, es ist doch, wie ich sage, ich habe eben Glück‘, dachte Anders bei sich selbst, vielleicht sagte er es auch; denn zuweilen mußte er notwendig ein wenig sprechen. So lebte er den Herbst über; einmal sah er ein Boot; da hing er einen Fetzen an eine Stange und winkte damit, aber in demselben Augenblick fiel das Segel, und die Leute setzten sich an die Ruder und fuhren in größter Eile wieder davon; sie glaubten, es seien die Meerkobolde, die da Zeichen gaben und winkten.
Am Julabend hörte er Fiedeln und Musik weit draußen auf dem Meer; als er hinauskam, sah er einen Lichtschein, der kam von einer großen Nordlandsjacht, die gegen das Land zuglitt – aber ein solches Schiff hatte er noch nie gesehen. Es hatte ein unerhört großes Rahsegel, das ihm aus Seide zu sein schien, und das zierlichste Tauwerk, nicht dicker, als wenn es aus Stahldraht wäre, und alles, was dazugehörte, war im Verhältnis dazu so schön und fein, wie ein Nordländer sich’s nur wünschen kann. Die ganze Jacht war voll von blaugekleideten kleinen Leuten, aber die, die am Steuer stand, war geschmückt wie eine Braut und so prächtig wie eine Königin; sie hatte eine Krone auf und kostbare Kleider an. Aber das konnte er sehen, daß sie ein Menschenkind war; denn sie war groß gewachsen und schöner als die Meerleute; ja, sie kam dem Glücks-Anders so schön vor, wie er noch nie ein Mädchen gesehen hatte. Die Jacht steuerte auf das Land zu, wo Anders stand; aber rasch bedacht, wie er war, eilte er in die Fischerhütte, riß sein Gewehr von der Wand und kroch hinauf auf den großen Bodenraum und versteckte sich so, daß er sehen konnte, was in der Hütte vor sich ging. Bald merkte er, daß es in dem Raum wimmelte; es wurde ganz voll, und es kamen mehr und mehr. Da fing es an, in den Wänden zu krachen, und das Häuschen weitete sich in allen Ecken und wurde so herrlich und prächtig, wie es bei dem reichsten Kaufherrn nicht sein könnte; es war fast wie in einem Königsschloß. Tische wurden mit den köstlichsten Gerichten gedeckt, und die Teller und Schüsseln und alles Gerät war aus Silber und Gold. Als sie gespeist hatten, fingen sie an zu tanzen. Unter dem Lärm des Tanzes kroch Anders zu der Luke, die auf der einen Seite des Daches war, und kletterte hinunter; dann rannte er zu der Jacht, warf seinen Feuerstahl über sie und schnitt, um größerer Sicherheit willen, mit seinem griffesten Messer ein Kreuz hinein. Als er wieder hinaufkam, war der Tanz in vollem Gang. Die Tische tanzten, und Bänke und Stühle und alles, was in der Stube war, tanzte mit. Die einzige, die nicht tanzte, war die Braut; sie saß nur und schaute zu, und wenn der Bräutigam sie holen wollte, so schickte sie ihn weg. Vorerst war an kein Halten zu denken: der Spielmann ruhte nicht und rastete nicht und griff nicht nach der Mütze, sondern er spielte munter weiter mit der linken Hand und trat den Takt dazu, bis er von Schweiß triefte und die Fiedel vor lauter Staub und Rauch nicht mehr sehen konnte. Als Anders merkte, daß es ihm auch in den Füßen zu zucken anfing, da, wo er stand, dachte er bei sich selbst: ‚Jetzt ist es am besten, ich knalle los, sonst spielt er mich von Grund und Boden.‘ Also wandte er sein Gewehr, steckte es durch die Fensteröffnung hinein und schoß es über den Kopf der Braut weg ab, aber verkehrt, sonst hätte die Kugel ihn selbst getroffen. In demselben Moment, als der Schuß fiel, stürzte das ganze Koboldvolk übereinander zur Tür hinaus, aber als sie sahen, daß die Jacht festgezaubert war, jammerten sie und krochen in ein Loch im Berge. Aber alle die Gold- und Silbergeräte blieben zurück, und die Braut saß auch noch da. Sie erzählte dem Glücks- Anders, daß sie in den Berg verzaubert worden sei, als sie ein kleines Kind war. Als ihre Mutter einmal bei den Hürden war, um zu melken, hatte sie sie bei sich, aber als sie auf einen Augenblick heimmußte, ließ sie das Kind im Heidekraut sitzen unter einem Wacholderbusch und sagte, sie dürfe von den Beeren essen, wenn sie nur dreimal sage:

»Ich eß Wacholderbeer blau
Mit Jesu Kreuz darauf;
Ich esse Preiselbeer rot
Mit Jesu Pein und Tod.«

Aber als ihre Mutter fort war, fand sie so viele Beeren, daß sie ihren Spruch zu sagen vergaß, und deshalb wurde sie in den Berg verzaubert. Es war ihr dort kein anderes Leid geschehen, als daß sie das oberste Glied vom linken kleinen Finger verlor, und sie hatte es gut gehabt bei den Kobolden; doch schien es ihr, daß nicht alles seine Richtigkeit hätte; es war, als ob etwas sie ängstigte, und sie hatte viel zu leiden unter der Zudringlichkeit des Kobolds, den sie ihr zum Bräutigam bestimmt hatten. Als Anders hörte, wer ihre Mutter war und wo sie herstammte, da sah er, daß sie aus seiner Verwandtschaft war, und sie wurden, wie man so sagt, schnell gute Freunde. Da konnte Glücks-Anders mit Recht sagen, daß er ein Glückspilz sei. Also fuhren sie heim und nahmen die Jacht und alles Gold und Silber und alle Kostbarkeiten, die in der Hütte zurückgeblieben waren, mit sich, und damit war Anders viel reicher als der Bruder.
Aber der, der eine Ahnung hatte, wo all der Reichtum hergekommen sein könnte, wollte nicht weniger reich sein. Er wußte, daß Trolle und Kobolde meist am Weihnachtsabend draußen herum ihr Wesen trieben; deshalb fuhr er um die Zeit nach den Sandbänken hinaus. Am Julabend sah er auch ein Feuer oder Licht, aber es war wie Irrlichter, die flackerten. Als es näher kam, hörte er ein Platschen, schreckliches Heulen und kalte durchdringende Schreie, und es roch nach Schlamm und Tang wie bei der Ebbe. Im Schrecken rannte er in die Hütte hinauf, von wo er die Trolle am Strand sehen konnte. Sie waren kurz und dick wie Heudiemen, waren ganz in Fell gekleidet, Fellkittel und Wasserstiefel und riesige Fäustlinge, die fast bis auf die Erde hingen. An Stelle von Kopf und Haar hatten sie ein Tangbündel. Als sie den Strand heraufkrochen, leuchtete es hinter ihnen wie von faulem Holz, und wenn sie sich schüttelten, so sprühten die Funken um sie. Als sie näher kamen, kroch Hans Niklas auf den Boden, wie sein Bruder getan hatte. Die Kobolde schleppten einen großen Stein in die Hütte und fingen an, ihre Handschuhe trockenzuklopfen, und zwischenhinein schrien sie, daß dem Hans Niklas das Blut zu Eis wurde auf seinem Bodenversteck. Dann nieste einer in die Asche auf dem Herd, um das Feuer zum Brennen zu bringen, während die anderen Heidekraut und Treibholz hereintrugen, so rauh und schwer wie Blei. Der Rauch und die Hitze hätten den Lauscher oben auf dem Boden fast umgebracht, und um wieder zu Atem und frischer Luft zu kommen, versuchte er, aus der Dachluke herauszukriechen; aber er war viel grobgliedriger als sein Bruder und blieb stecken und konnte weder heraus noch herein. Nun bekam er Angst und fing an zu schreien, aber die Kobolde schrien noch ärger und brüllten und heulten und polterten und lärmten drinnen und draußen. Aber als der Hahn krähte, verschwanden sie, und auch Hans Niklas kam los. Als er aber von der Reise nach Hause kam, da hatte er den Verstand verloren, und seit der Zeit konnte man oft auf den Speichern und im Vorratshaus, wo er gerade war, denselben unheimlichen kalten Schrei hören, an dem man in Nordland den Troll erkennt. Vor seinem Tod kam er doch wieder zu Verstand, und man legte ihn in christliche Erde, wie man sagt. Aber seit der Zeit hat keines Menschen Fuß mehr die Sandbänke betreten. Sie sanken, und die Meerleute, so glaubte man, zogen auf die Lekanginseln. Dem Glücks-Anders ging es immer gut; kein Schiff machte glücklichere Reisen als das seinige, aber jedesmal, wenn er an die Lekanginseln kam, wurde es windstill – die Kobolde gingen an Bord oder an Land mit ihren Waren -, aber nach einer Weile hatte er Fahrtwind, ob er nun nach Bergen wollte oder heimwärts. Er hatte viele Kinder, und alle waren sie tüchtig, aber allen fehlte das oberste Glied am linken kleinen Finger.

[Norwegen: Klara Stroebe: Nordische Volksmärchen]

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