Einst lebte ein reicher Mann, dessen Streben war es, noch mehr Reichtum anzuhäufen. Eines Tages kam der Mann gerade aus der Stadt, wo er ein erfolgreiches Geschäft abgeschlossen hatte und traf unterwegs auf einen Bettler.
„Was treibst du dich mitten auf dem Weg herum und hältst anständige Leute auf. Troll dich und geh zu deinesgleichen!“
„Mein Herr! Habt doch Mitleid! Meine Kinder haben schon seit Tagen nichts mehr gegessen.“
„Was scheren mich deine Kinder! Und jetzt lass mich durch!“, herrschte ihn der Reiche an, stieß den Bettler zur Seite und ging seines Weges.
Der rief ihm nach: „Du solltest einmal auf den heiligen Berg gehen. Dort findest du, was du brauchst!“
Der andere hatte die Worte wohl vernommen, gab aber nicht viel auf das Gerede. Doch in den nächsten Tagen hörte er immer wieder die Worte des armen Mannes und sogar des Nachts träumte er von ihnen. Da geriet der Reiche ins Grübeln. Was, wenn es auf dem heiligen Berg unermessliche Schätze gab. Gold und Edelsteine! Je länger er darüber nachdachte, desto größer wurde der Schatz in seinen Gedanken. Er sah sich bereits als den reichsten Mann der Welt.
Schließlich wollte er sich nicht mehr mit seinen Träumen zufrieden geben und er machte sich fertig, um auf den heiligen Berg zu gehen.
Er nahm nur das Notwendigste mit, trotzdem waren drei Packesel voll beladen, als er aufbrach. Auf zweien hatte er Werkzeug und dergleichen, der dritte trug das Proviant, seine Kleidung und ihn selbst.
Die Reise war mühsam und die Esel mussten sich recht plagen. Der reiche Mann hatte nicht ein gutes Wort für die Tiere, im Gegenteil. Gingen sie vor Müdigkeit nicht weiter, schlug er sie und zerrte an ihnen, dass es ein Jammer war.
Endlich kamen sie an den Fuß des heiligen Berges. Der Weg stieg in steilen Serpentinen hinauf und bestand aus Steinen und Geröll. So kam es auch, dass einer der Esel ins Rutschen geriet und abstürzte. Da begann der Mann zu klagen, denn seine Werkzeuge waren unwiederbringlich verloren.
Doch es half nichts, er musste weiter, wenn er den Schatz holen wollte. So trieb er die verbliebenen Esel noch mehr an. Plötzlich brach eines der Tiere zusammen und starb auf der Stelle. Nun blieb dem Mann nichts weiter übrig, als zu Fuß zu gehen und einen Teil der Ausrüstung selbst zu tragen. Wie schmerzten ihm die Beine vom ungewohnten Klettern und der Rücken tat ihm weh von der schweren Last. Freilich ging es jetzt nur mehr recht langsam voran. Wäre er nicht so gierig gewesen, hätte er wohl von seinem Vorhaben abgelassen, aber der Gedanke an die unermesslichen Reichtümer ließ ihn jede Vernunft vergessen.
Mal zog er den verbliebenen Esel, mal das Tier ihn. Gemeinsam kämpften sie sich Biegung um Biegung auf den hohen Berg. Sie hatten wohl schon die Hälfte des Weges geschafft, als beide vor Erschöpfung inne halten mussten. Der Mann dachte sich: „Wenn ich diesen Esel auch noch verliere, wie soll ich dann den Schatz den Berg hinunter schaffen. Es ist besser, ich schone ihn und lasse den Großteil des Werkzeugs zurück. Ich kann ja später wieder kommen, wenn es sein muss mit einer ganzen Karawane, und es immer noch holen.“
Er schnallte sich seinen Rucksack mit Proviant und Wasser auf den Rücken, nahm nur eine Hacke mit und marschierte los. Der Esel aber, der plötzlich kein Gewicht mehr tragen musste, war so glücklich, dass er sich losriss und davon lief.
Der Mann jammerte recht, denn nun würde er den Schatz selber tragen müssen, und viel konnte er ja nicht in seinen Rucksack packen.
Aber er dachte sich, er könne ja noch ein zweites oder ein drittes mal zurück kommen. So machte er sich schließlich allein daran, den heiligen Berg zu erklimmen.
Der Weg wurde immer beschwerlicher, es war heiß und der Rucksack zog den Mann immer wieder in die Tiefe. Da warf er ihn kurzerhand in eine Schlucht, denn ohne den unnötigen Ballast würde er schneller vorankommen. Jetzt hatte er nur mehr die Hacke.
„Die wird mir beim Klettern noch gute Dienste leisten“, dachte er bei sich. Bald bekam der Mann großen Durst und auch sein Magen meldete sich.
„Ach, was würde ich alles für einen Schluck Wasser geben“, seufzte er. Weit und breit waren jedoch nur Felsen und Gestein. Er war schon versucht, aufzugeben, aber dann würde er auf jeden Fall verdursten. Ginge er weiter, hätte er immerhin noch die Möglichkeit, auf Wasser zu stoßen.
Er ließ nun auch noch seine Hacke zurück, denn er wurde zusehends kraftloser und konnte sie nicht mehr tragen. Schließlich war er schon so geschwächt, dass er anfing, zu beten. Plötzlich hörte er ein leises Plätschern. Mit jedem Schritt, den er weiterging, wurde das Geräusch lauter und schließlich kam er an einen Bach mit frischem, kühlem Wasser. Er sank auf die Knie, dankte Gott und löschte seinen Durst.
Gestärkt ging er weiter. Bald quälte ihn aber der Hunger und er dachte sich: „ Was würde ich alles tun, um etwas Essbares zu finden.“
Außer Geröll und Felsen gab es aber nichts. Je weiter er ging, und je näher er dem Gipfel kam, desto weniger wurde das Hungergefühl.
Als er endlich den höchsten Punkt des heiligen Berges erreicht hatte, stand er da und blickte weit ins Tal weit hinunter. Er hatte seine gesamte Ausrüstung verloren und wie es aussah, gab es hier weder Gold noch Edelsteine, doch das störte ihn nicht mehr. Er fühlte sich plötzlich so leicht, ja unbeschwert und glücklich, wie noch nie. Still dankte er dem Bettler, mit dem er so barsch umgesprungen war. Er hatte hier auf dem heiligen Berg tatsächlich das gefunden, was er gebraucht hatte.
Langsam machte der Mann sich an den Abstieg. Viel schärfer nahm er alles rund um sich wahr und staunte über die Schönheit der Natur, Gottes Schätze, die wertvoller waren, als alles Gold auf der Welt.
Er ließ sich Zeit und als er nach vielen Tagen wieder am Fuße des Berges angekommen war, war er ein anderer.
Er ging nach Hause. Dort suchte er den Bettler, konnte ihn aber nicht mehr finden.
Egal, wen er fragte, keiner konnte ihm über den Mann Auskunft geben, denn niemand hatte ihn je gesehen.
Der reiche Mann aber tat seither viel Gutes. Wer immer zu ihm kam, musste nicht ohne Gaben nach Hause gehen.
Als der Mann bereits alt geworden war und im Sterben lag, stand plötzlich der Bettler vor ihm. „Ich habe dich gesucht! Überall! Ich wollte meine Hartherzigkeit dir gegenüber wieder gut machen.“, sagte der reiche Mann.
Da sprach der Bettler: „Jetzt hast du mich gefunden! In jedem Armen, dem du geholfen hast, hast du deine Sünden wieder gut gemacht. Und jetzt komm! Wir gehen den Weg zum heiligen Berg noch einmal – du und ich gemeinsam!“
Da streckte der Mann seine Hand aus, schloss seine Augen und tat seinen letzten Atemzug.
Quelle: Berta Berger