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Der Hirtenknabe

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Einem Knaben waren Vater und Mutter gestorben, und er hatte niemand auf der Welt, der ihn liebte und ‚ für ihn sorgte. Weil er nun erst sieben Jahre war und noch keine Arbeit verrichten konnte, ging er zu einem Schafhirten ins Gebirge und dingte sich als Hirtenknabe ein. Beten hatte er nicht gelernt, wusste auch nichts von Gott; denn niemand hatte mit ihm davon gesprochen. Wie er nun eines Tages allein, bei der Herde war und es donnert und blitzte, dass ihm Hören und Sehen verging, wars ihm bange, und als der Hirt herbeikam, fragte er gleich, wer oben blitze und donnere. Der Hirt antwortete: „Das ist Gott der Allmächtige!“ Da. bekam der Knabe eine gewaltige Furcht vor Gott, der mit dem Blitz die Bäume zerschmetterte und die Wälder in Flammen setzte. Um sich bei ihm beliebt zu machen, wusch er sich jeden Morgen an dem Bach, an dem er die Herde tränkte und rief über den Bach springend seinen Namen aus. Eines Tages als der Hirt wieder, wie er oft tat, reine Wäscheanlegte und vom Gebirge in die Ebene hinabstieg, wo die Menschen wohnen, fragte ihn der Knabe, wohin er so schön gekleidet gehe. Und da ihm der Hirt zur Antwort gab, er gehe zur Kirche, um zu Gott zu beten, liess er nicht ab mit Bitten, bis ihn der Hirt mit sich nahm. Wie er nun in die Kirche trat mit seinem Schafpelz, und mit der Motschuke (Hirtenstab) in der Hand und Männer und Frauen in schönen Kleidern da sitzen sah, legte er Pelz und Motschuke ab und merkte auf jedes Wort, das aus des Popen Munde kam. Zwei Worte aber überhörte er doch, und als nun der Pope aus der Kirche ging, wollte er ihm nach, um ihn über die zwei Worte zu befragen. Weil er aber durch die Menge nicht zu ihm gelangen konnte, lief er durch ein Seitengässchen, um vor den Popen zu kommen. Wie er ihn erblickte, rannte er ihm schnurstracks entgegen und merkte nicht, dass ein tiefer Wassergraben inzwischen lag. Da rief ihm der Pope zu, das Wasser sei tief, er solle den Steg suchen, der weiter oben über den Graben führe. Er aber sprang getrost ins Wasser, und weil er so gläubig war, trug es ihn, und er sank nicht und kam zum Popen. Der erteilte ihm den Segen, und der Knabe ging wieder zu der Herde. Die hatte sich aber inzwischen um das zehnfache vermehrt und kein Bär tat ihr etwas zuleide, bloss seines Glaubens willen. Das gefiel seinem Herrn so wohl, dass er ihm seine einzige Tochter zum Weibe gab.

Quelle:
(Rumänische Märchen und Sagen aus Siebenbürgen, gesammelt und ins Deutsche übertragen von Franz Obert, Hermannstadt 1925)

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