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Märchenbasar

Der junge Jäger und die Schöne der Welt

1.3
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Es war einmal ein Mann, der seines Zeichens ein Jäger war. Als er eines Tages jagte, bemerkte er einen hellen Schein auf einem Berge; er stieg also hinauf, um zu sehen, was das sei, und als er oben war, erblickte er einen Vogel, der einen großen Edelstein auf seinem Kopfe trug, und von diesem wurde die ganze Gegend erleuchtet. Der Jäger bewunderte die große Schönheit des Steines und legte sogleich seine Flinte auf den Vogel an, damit er ihm nicht fortflöge. Dieser ließ ihn ruhig gewähren und rief ihm zu: »wenn du mich triffst, so ist das dein Glück, und wenn du mich fehlst, so ist das dein Unglück.« Kaum hatte er das gesagt, so drückte der Jäger ab, aber der Vogel wandte nur ein wenig den Hals auf die Seite, so daß die Kugel an seinem Kopfe vorüberflog, und darauf erhob er sich in die Luft und flog fort.
Von da an dachte der arme Jäger nur noch an seine Ungeschicklichkeit und an das große Glück, was er verloren, und grämte sich darüber so sehr, daß er krank wurde und starb. Er hinterließ eine Frau und einen schönen fünfjährigen Knaben. Die Frau war über den Tod ihres Mannes tief betrübt, weil sie mit ihm gut gelebt und in ihm ihre einzige Stütze verloren hatte, und nun nicht wußte, wie sie sich und ihren Knaben ernähren sollte. Doch der Himmel half, und so schlug sie sich mühselig durch, bis der Knabe so weit war, daß sie ihn bei einem Schuhflicker in die Lehre geben konnte. Des Knaben Sinn stand aber nach Höherem als nach Schuhflicken, und wie er allmählig heranwuchs, da lag er seiner Mutter an, daß sie ihm sagen solle, was das Handwerk seines Vaters gewesen sei, weil er, wenn er dieses lerne, gewiß mehr verdienen könnte als die zehn Heller Tagelohn, die ihm der Schuhflicker gab. Doch die Mutter wollte es ihm nicht sagen, weil sie fürchtete, daß sie ihn auf dieselbe Weise verlieren könnte, wie ihren Mann. Aber der Knabe ließ nicht ab, bis sie es ihm eines Tages erzählte. Da ruhte er nicht eher, bis ihm die Mutter das Gewehr seines Vaters gab, und nachdem er es in den Stand gesetzt, begann er damit auf die Jagd zu gehen. Seine Mutter aber warnte ihn sehr, nicht in jener Gegend zu jagen, von der sein Vater krank zurückgekommen sei, und der Bursche hörte auch Anfangs auf sie; doch es dauerte nicht lange, so wurde er so neugierig, wie es dort aussehe, daß er eines Tages, ohne seiner Mutter etwas zu sagen, hinging; und als er eine Zeitlang in dem neuen Reviere gestreift hatte, erblickte er denselben Vogel mit dem Edelstein auf dem Kopfe, den auch sein Vater gesehen hatte. Da besann sich der Knabe nicht lange und legte auf ihn an, und während er zielte, sprach der Vogel: »du bist der Sohn des Jägers, aber sieh‘ dich vor und ziele gut, denn wenn du mich triffst, so ist das dein Glück, wenn du mich fehlst, so ist das dein Unglück.« Da zielte der Bursche noch einmal, so scharf er konnte, drückte ab, und der Vogel fiel tot zur Erde; der Bursche aber lief den Berg hinauf, ergriff den Edelstein und eilte nach Hause, um ihn seiner Mutter zu zeigen. Während er damit heim lief, begegnete ihm ein großer Herr und sprach zu ihm: »was hast du da in der Hand, Bursche, das so schön leuchtet und dich und die ganze Umgebung glänzend macht? Willst du mir es nicht verkaufen? ich gebe dir viel Geld dafür, denn ich bin der Großwesir des Königs.« Der Bursche aber hielt ihm nicht Stand, sondern rief ihm zu: »ich habe es nicht zum Verkaufe, denn ich will es meiner Mutter bringen«, und lief weiter.
Als er nach Hause kam, gab er den Stein seiner Mutter und rief: »o Mutter, du hattest mir den Weg zu meinem Glücke verboten.« Darauf erzählte er ihr, wie alles zugegangen sei, und daraus erkannte die Frau, was Schuld an dem Tode ihres Mannes gewesen war. Sie und der Knabe verbrachten den Tag damit, den Glanz des Steines zu bewundern, und dieser glänzte so stark, daß sie, als es Abend wurde, kein Licht anzustecken brauchten, denn er erleuchtete nicht bloß das Haus, sondern auch die ganze Nachbarschaft. Doch ihre Freude dauerte nicht lange, denn am andern Morgen ließ der König den Burschen holen und sprach zu ihm: »Mein Sohn, ich habe erfahren, daß du einen kostbaren Edelstein besitzest; ich wünschte ihn zu haben, und da du ein armer Mensch bist, so verkaufe ihn lieber mir, deinem Könige, als einem andern. Sage mir also, was du dafür verlangst.« Darauf erwiderte der Jüngling: »ich habe zwar selbst große Freude an dem Steine, und habe ihn daher einem andern abgeschlagen, der ihn kaufen wollte, da du ihn aber wünschest, so will ich hingehen und ihn holen und meine Mutter nach dem Preise fragen.« Als er zu seiner Mutter kam und ihr das Verlangen des Königs erzählte, da sagte diese: »wir mögen wollen oder nicht, so müssen wir den Stein hergeben, verlange also dreißigtausend Piaster dafür.« Als der Bursche mit dem Steine zum König kam, war es bereits dunkel geworden, aber der Stein warf einen solchen Glanz von sich, daß man glaubte, es sei Tag, und der König hatte eine solche Freude an ihm, daß er sogleich dem Burschen die dreißigtausend Piaster zahlen ließ. Der Bursche brachte sie seiner Mutter, und sie lebten eine Zeitlang glücklich und zufrieden.
Eines Tages kam aber ein Diener vom Schlosse und lud den Burschen vor den König. Der Ärmste lief sogleich hin, ohne zu wissen, was man von ihm wolle. Der König aber sprach: »junger Jäger, ich verlange von dir, daß du mir einen Turm von lauter Elfenbein bauen sollst.« Da fragte der Jäger: »wie soll ich denn das anfangen?« »Das ist deine Sache«, versetzte der König; »du warst im Stande jenen Vogel zu schießen und seinen Edelstein zu erwerben, was noch keiner gekonnt hat, und so wirst du wohl auch einen Turm aus Elfenbein bauen können; wenn du es aber nicht kannst, so kostet es dich das Leben.« Da verlangte der Jüngling drei Tage Bedenkzeit, kehrte tief betrübt nach Hause zurück und sagte zu seiner Mutter: »liebe Mutter, betraure mich wie einen Toten, denn das und das verlangt der König von mir.« Die Mutter aber sprach: »mein Sohn, das ist eine Falle, die dir der Großwesir gestellt hat«, und sie hatte Recht, denn weil der Jäger ihm den Stein nicht verkaufen wollte, damit er ihn dem König bringen könnte, hatte der Wesir einen großen Haß auf ihn geworfen, und um ihn zu verderben, dem König den Gedanken eingegeben, daß der, welcher den Edelstein zu erwerben im Stande war, auch einen elfenbeinernen Turm müsse bauen können, und wenn er es nicht tue, für seine Böswilligkeit mit dem Tode bestraft werden müsse.
Nachdem nun die Mutter die Sache eine Weile überlegt hatte, sprach sie zu ihrem Sohne: »gehe zum König und sage ihm, daß du zu diesem Turme vierzigtausend Piaster nötig habest, und daß das Geld vom Vermögen des Großwesir kommen müsse, sonst könntest du den Turm nicht bauen.« Als der König dem Großwesir das Geld abverlangte, da kam es dem zwar etwas sauer an, doch verzog er keine Miene und ließ es sogleich aus seiner Schatzkammer holen. Der König gab es dem Jäger, und der ging damit zu seiner Mutter und fragte sie, was er damit anfangen solle. Darauf sprach die Mutter: »damit du so viel Knochen zusammen bekommst, als zu dem hurme nötig sind, mußt du in die und die Gegend gehen, dort ist eine große Mulde an dem Wege, und diese mußt du täglich mit Brot und Wein füllen lassen. Wenn dann die Bauern der Umgegend des Weges kommen und den Wein und das Brot sehen, das Niemand gehört, da werden sie sich daran gütlich tun und sich dann in der Nähe in den Schatten legen und schlafen, und dann mußt du aus deinem Verstecke hervorkommen und sie totschlagen. Darauf mußt du vom König Leute verlangen, um das Fleisch von den Knochen zu schaben und sie hierher zu schaffen, und wenn du genug Knochen hast, so lasse davon den Turm bauen.«
Der Jäger machte es, wie ihm seine Mutter geraten hatte, und es dauerte gar nicht lange, so war der Knochenturm fertig. Als der König hörte, daß der Jäger so viele Menschen umbringe, tat ihm das zwar leid, da aber der Turm einmal bestellt war, so ließ sich das nicht andern. Als er nun fertig war, da belohnte er den Jäger königlich, und dieser ging zu seiner Mutter und lebte wieder eine Zeitlang ganz glücklich und zufrieden.
Doch der Wesir ließ ihm nicht lange Ruhe, sondern erschien eines Tages vor dem König und sprach: »du weißt, wie sehr ich auf die Vermehrung deiner Größe Bedacht genommen, und da du nun in dem Besitze so herrlicher Dinge bist, so fehlt dir doch noch eines, nämlich eine deiner Größe und deiner kostbaren Schätze würdige Gemahlin. Unter den Töchtern des Landes wüßte ich aber keine, die dazu schön genug wäre; es darf keine andere sein als die Schöne der Welt, und wenn du diese heimführst, so wirst du wieder so jung, wie ein zwanzigjähriger Jüngling.« »Wer soll sie mir aber bringen?« fragte der König. Der Wesir antwortete: »Ei, ich dächte, daß der, welcher den Vogel mit dem Edelsteine geschossen und den elfenbeinernen Turm gebaut hat, wohl auch im Stande sein müsse, dir die Schöne der Welt herbeizuschaffen.«
Da klopfte es an die Haustüre des Jägers, und als er fragte, wer draußen sei, hieß es: »Seine Majestät unser allergnädigster König will dich sprechen.« Obwohl der Jäger nichts Gutes von dieser Unterredung erwartete, so blieb ihm doch keine Wahl. Er ging also zum König und fragte nach dessen Befehlen, und der befahl ihm die Schöne der Welt herbeizuholen. Da rief der Jäger: »aber wie soll ich denn das anfangen? Ich höre diesen Namen heute zum ersten Male; der, welcher dir von der Schönen gesprochen hat, der muß auch im Stande sein, sie herbeizuschaffen.« »Nein«, sprach der König, »das kannst nur du, denn du hast ja auch den Vogel mit dem Edelstein geschossen und den elfenbeinernen Turm gebaut, und wenn du dich weigerst, so kostet es dich das Leben.«
Da ging der Jäger zu seiner Mutter und sagte zu ihr: »ach, Mutter! jetzt ist es um mich geschehen, ich soll für den König die Schöne der Welt holen, und weiß nicht, wie ich diesem Befehle ausweichen kann.« Darauf erzählte er ihr alles, was ihm der König gesagt hatte, und als er zu Ende war, sprach die Mutter: »gehe zum König und verlange, er soll dir ein goldenes Schiff machen lassen, das mit den vierzig schönsten Mädchen seines Reiches bemannt sein müsse, von denen keine älter als achtzehn Jahre sein dürfe, und deren Hauptmann müsse die einzige Tochter des Großwesirs sein, – und bis der König das Schiff gebaut und die vierzig Mädchen zusammengebracht hat, wollen wir weiter sehen, was zu tun ist.« Drauf sprach sie ihrem Sohne zu, daß er den Mut nicht verlieren solle; als er aber zum König zurückging, da weinte sie bitterlich, denn sie glaubte nicht, daß er diese Aufgabe vollbringen werde, an der schon so viele Prinzen und große Herren zu Schanden geworden, und hielt ihn für verloren.
Der König gab sofort Befehl, daß das goldene Schiff gebaut werden solle; als aber der Wesir hörte, daß auch seine einzige Tochter mitfahren müsse, da bereute er seinen bösen Rat, doch nun war es zu spät. Er suchte daher den Bau des Schiffes so viel als möglich zu verzögern, der König aber vergaß es nicht, sondern trieb die Werkleute zur Eile, und so wurde denn das goldene Schiff in zwei Jahren fertig und mit den vierzig schönsten Mädchen des Reiches, die Wesirstochter an der Spitze, dem Jäger übergeben.
Als nun der Jäger sah, daß er das Unternehmen wagen müsse, wenn er sein Leben nicht verlieren wolle, so faßte er ein Herz und stach mit den vierzig Mädchen in die See, und nachdem er eine Weile gefahren war, kam er an ein unbekanntes Land. Er ließ also die Anker auswerfen und fuhr mit der Barke dahin. Am Strande traf er zwei Schäfer und erfuhr von diesen, daß das Reich der Schönen der Welt gehöre. Da schickte er die Barke auf das Schiff zurück und sprach zu den Mädchen, die ihn an das Land gerudert hatten: »sagt den andern, daß sie vierzig Tage auf mich warten sollten, wenn aber die verflossen sind, und ich nicht zurückgekehrt bin, so ist das ein Beweis, daß ich zu Grunde gegangen, und dann sollen sie die Anker lichten und nach Hause fahren, damit sie nicht auch zu Grunde gehen.«
Darauf ging der Jäger in das Land hinein, um das Schloß der Schönen der Welt aufzusuchen, und begegnete einem Mohren, der war so groß, daß er sich vor ihm fürchtete; er begrüßte ihn also und sprach: »guten Tag, tapferer Mann.« Der Mohr antwortete: »ich bin nicht tapfer, aber der Sohn des Jägers ist es, der den Vogel mit dem Edelstein geschossen hat.« Da fragte der Jäger den Mohren: »was würdest du tun, wenn du diesem begegnetest?« und dieser antwortete: »ich würde mich vor ihm beugen, und ihm die Hand küssen, und würde mich zu seiner Verfügung stellen, für alles worin ich ihm nützlich sein könnte.« »Nun«, sprach da der Jäger, »ich bin es selber.« Da verbeugte sich der Mohr, küßte ihm die Hand und gab ihm ein Haar von seinem Haupte, das er anbrennen solle, so oft er ihn nötig habe.
Nachdem der Jäger wieder eine Strecke gegangen war, begegnete er einem kleinen Mann, der aber zehn Ellen breit war, und wie er ihn recht ansah, so bemerkte er, daß er halb Mensch und halb Ameise war. Da sprach er auch zu dem: »guten Tag, tapferer Mann.« Der antwortete: »ich bin nicht tapfer, aber der Sohn des Jägers ist es, der den Vogel mit dem Edelsteine geschossen hat.« »Das bin ich«, versetzte der Jäger. Da verbeugte sich jener vor ihm und küßte ihm die Hand, und gab ihm eine seiner Federn, um sie anzubrennen, wenn er ihn nötig habe.
Als er wieder eine Strecke gegangen war, begegnete er einem Manne, der eine solche Masse Wasser von sich spie, daß man darin ein ganzes Land hätte ersäufen können, und nachdem er es ausgespieen, schlürfte er es wieder ein. Der Jäger grüßte ihn und sprach: »guten Tag, tapferer Mann.« Dieser antwortete aber ebenso wie die zwei andern, und als sich ihm der Jäger zu erkennen gab, küßte er ihm die Hand, riß ein Stück von seinem Rock ab und gab es ihm, um es zu verbrennen, wenn er ihn einmal nötig haben sollte.
Als der Jäger wieder eine Strecke weit gegangen war, erblickte er einen Fuß, der, um zu dem anderen Fuße zu gelangen, in einem Schritte fünf Stunden Wegs machte. Als er nun nach dem Manne in die Höhe sah, dem diese Füße gehörten, erblickte er einen Mohren, der sah noch viel schrecklicher aus als der erste, und sein Hals allein war drei Ellen lang. Über den erschrak der Jäger noch mehr als über die andern, und begrüßte ihn daher noch freundlicher, indem er sagte: »guten Tag, tapferer Mann.« Aber auch der gab ihm dieselbe Antwort wie die anderen, und nachdem der Jäger sich zu erkennen gegeben, küßte er ihm die Hand und gab ihm eines seiner Haare, um es anzubrennen, wenn er ihn nötig haben sollte.
Bald nachher erblickte der Jäger das Schloß, in welchem die Schöne der Welt wohnte, und ging darauf zu. Als er näher kam, wurde er eine Masse schöner Frauen gewahr, die blickten nach ihm hin und lachten, und riefen dann die Schöne der Welt herbei, um sich den jungen Mann anzusehen, der gewiß nur ihretwegen hergekommen sei. Als die Schöne aber herbeikam und den Jäger erblickte, gefiel er ihr so sehr, daß sie Mitleid mit ihm hatte und ihm durch ihre Frauen zurufen ließ, er solle fortgehen, denn wenn er einmal im Schlosse wäre, so dürfe er nicht mehr heraus, und würde darin seinen Tod finden. Doch er ließ sich nicht abschrecken und sagte, »daß er nur deswegen hierher gekommen sei, um sein Leben für die Schöne der Welt einzusetzen«, und bat so lange um die Erlaubnis heraufkommen zu dürfen, bis sie es gestattete.
Als er sie aber in der Nähe sah, da staunte er über ihre große Schönheit, weil er noch nie ein so herrliches Weib gesehen hatte, und erkundigte sich sofort nach den Aufgaben, die er zu lösen habe, um sie zu gewinnen. Die Schöne der Welt fühlte solches Mitleid mit seiner Jugend und Schönheit, daß sie zu ihm sagte: »obgleich es eigentlich keinem gestattet ist, so will ich dir doch noch erlauben, von hier wegzugehen, denn schon so viele haben ihr Leben um mich eingebüßt, weil die Aufgaben so schwer zu lösen sind.« Er antwortete aber: »ich bin mit dem Entschlusse hierher gekommen, entweder dich zu gewinnen oder zu Grunde zu gehn, und ich wußte sehr wohl, daß derjenige, welcher die Aufgaben nicht lösen kann, geköpft wird.«
Als die Schöne der Welt sah, daß er von seinem Vorsatze nicht abzubringen war, da ließ sie nach einem dem Schlosse gegenüber liegenden Hause hundert gebratene Ochsen und fünfhundert Brote bringen und den Jäger darin einsperren, und sagte ihm, »daß, wenn er das alles nicht bis zum andern Morgen rein aufgegessen habe, er sein Leben verlieren müsse.« Als nun der Jäger mit all dem Brote und Fleische eingeschlossen war, wußte er lange nicht, wie er es anfangen solle, diese Aufgabe zu lösen; da fiel ihm endlich bei, daß er einen von den Riesen herbeirufen könne; er brannte also das Haar des ersten an, und sogleich erschien dieser vor ihm und rief: »ach lieber Herr, du glaubst gar nicht, wie hungrig ich bin, weil ich immer darauf wartete, daß du mich rufen würdest, und mich daher nicht um mein Essen kümmern konnte. Was befiehlst du mir, daß ich tun soll?« Darauf sagte der Jäger: »Sieh hier all dies Brot und all dies Fleisch, das sollst du für mich essen. Bist du das im Stande?« – »Und du fragst noch, Herr, nachdem ich dir gesagt habe, daß ich so hungrig bin?« – Da machte sich der Riese darüber her und es dauerte gar nicht lange, so hatte er alles aufgegessen und ließ nicht einmal die Knochen übrig.
Als die Schöne der Welt am andern Morgen erfuhr, daß er die erste Aufgabe gelöst habe, ließ sie einen großen Backofen heitzen und sagte zu dem Jäger: »in diesen Ofen sollst du hineinsteigen und so lange darin bleiben, bis er kalt geworden ist.« Da erschrak der Jäger freilich sehr, aber es blieb ihm keine Wahl. Als sie ihm daher sagten, daß der Ofen fertig sei, stieg er hinein, und brannte sogleich das Haar von dem Wasserschlürfer an, und als der erschien, befahl ihm der Jäger, die Hitze des Ofens zu löschen. Da begann der Riese so lange Wasser zu speien und wieder einzuschlürfen, bis der Ofen kalt war und der Jäger es die Nacht über darin ohne Beschwerlichkeit aushalten konnte.
Als die Schöne der Welt am andern Morgen hörte, daß er auch die zweite Aufgabe gelöst habe, wunderte sie sich sehr, und fing nun an zu hoffen, daß er sie gewinnen werde.
Sie ließ darauf den Jäger in ein Vorratshaus sperren, in dem eine große Masse von jeder Art Getreide, wie Weizen, Gerste, Mais und Spelt, durch einander geschüttet lag, und das alles sollte er bis zum andern Morgen auslesen. Als er aber allein war, brannte er das Federchen an, das ihm der Ameisenmann gegeben hatte, und als der erschien, befahl er ihm, daß er diesen Haufen auslesen und aus jeder Getreideart einen besonderen Haufen machen solle. Das war aber der König der Ameisen, er rief also sein Volk zusammen und bis zum andern Morgen war das ganze Getreide in Ordnung gebracht.
Als die Schöne der Welt erfuhr, daß er auch diese Aufgabe gelöst habe, ließ sie ihn zu sich rufen und sagte zu ihm: »nun bleibt dir nur noch eine Aufgabe zu erfüllen, und die besteht darin: vierzig Tagereisen von hier steht ein großer Apfelbaum, der trägt nur einen einzigen Apfel, und diesen mußt du mir in einer Viertelstunde bringen.«
Da ging der Jäger etwas auf die Seite, so daß ihn Niemand sehen konnte, und brannte das Haar des Mohren an, der, als er ihn begegnete, den einen Fuß auf einem Berge und den andern auf einem andern hatte, und befahl ihm, jenen Apfel zu holen, und es dauerte keine zehn Minuten, so war dieser wieder da und hatte den Apfel in der Hand. Als nun der Jäger der Schönen der Welt diesen Apfel überreichte, da umarmte und küßte sie ihn und sprach: »nun bin ich die Deine!«
Da nahm er sie und ging mit ihr zu seinem goldenen Schiffe, und das war gerade am vierzigsten Tage, nachdem er es verlassen hatte; er traf daher die Mädchen, wie sie sich in tiefer Trauer zur Abfahrt rüsteten, denn sie hielten ihn für verloren. Darauf stieg er mit der Schönen der Welt in das Schiff, setzte sie dort an die ihr gebührende Stelle, ließ die Anker lichten und fuhr ab, und nun denke dir die Lage der armen Tochter des Großwesirs!
Der Jäger hielt sich jedoch fern von der Schönen der Welt und zeigte sich in den drei ersten Tagen der Fahrt nicht vor ihr. Da verlor sie endlich die Geduld und ließ ihn rufen, und als er kam, beschwerte sie sich über seine Kälte. Da begann ihr der Jäger den Stand der Dinge auseinander zu setzen. Als nun die Schöne der Welt alles erfahren hatte, da erklärte sie, daß sie weder den König noch irgend einen andern zum Manne nehmen würde, sondern nur ihn allein, und er solle ihr nur treu bleiben und Vertrauen zu ihr haben, sie werde schon alles einrichten.
Endlich kamen sie an, und der König hatte eine große Freude, als er hörte, daß ihm der Jäger die Schöne der Welt bringe, und seine Freude wurde noch größer, als dieser sie ihm übergab und er sah, wie schön sie war. Der Jäger aber ging ganz betrübt zu seiner Mutter.
Nun ließ der König ein großes Hochzeitsfest anrichten, und während dieses gefeiert wurde, lockte ihn die Schöne der Welt an einen versteckten Ort und ermordete ihn und verbarg den Leichnam so gut, daß Niemand etwas davon merkte, und ebenso machte sie es mit dem Großwesir. Darauf ließ sie sogleich den Jäger in den Pallast rufen und erzählte ihm, was sie getan hatte, und sprach darauf: »der König und sein ganzes Volk waren der Meinung, daß er, wenn er die Schöne der Welt zur Frau bekäme, in einen Jüngling von achtzehn Jahren verwandelt werden würde; bleibe also die Nacht bei mir, und wenn du am Morgen aufstehst, wird sich Niemand über dein jugendliches Aussehn wundern, sondern alle Welt wird sagen, daß das Wunder, welches man von des Königs Heirat mit der Schönen der Welt erwartete, wirklich erfolgt und der König wieder verjüngt worden sei.« Der Jäger blieb also die Nacht bei der Schönen der Welt, und als er am andern Morgen aufstand, wurde er von aller Welt als König begrüßt, und regierte sein Reich mit vielem Glücke und großer Weisheit bis an sein Lebensende.

[Griechenland: Johann Georg von Hahn: Griechische und Albanesische Märchen]

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