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Der Kaiserin Wundersohn

1.5
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Ein Kaiser und eine Kaiserin, die ein großes Reich beherrschten, hatten drei Töchter von außerordentlicher Schönheit. Als dieselben groß geworden waren und eines Tags lustwandelten, kam ein mächtiger Nebeldrache und raubte die älteste von ihnen aus ihrer Mitte. Hierüber herrschte große Bestürzung im Schloß, doch nach einiger Zeit war das Unglück vergessen, und als die beiden anderen Töchter einmal auf dem Altane des Schlosses saßen, da schoß ebenfalls ein Nebeldrache, noch größer als der erste, herab und raubte die zweite der Kaiserstöchter. Voll Trauer über das unglückliche Geschick ihrer Töchter ließen der Kaiser und die Kaiserin die jüngste Tochter streng bewachen und nur unter großer Vorsicht hie und da ins Freie. Doch konnten sie damit nicht verhüten, daß nicht wieder einmal ein mächtiger Nebeldrache aus der Luft herunterschoß, der an Größe die beiden anderen übertraf, und mit Blitzesschnelle auch des Kaisers jüngstes Kind davontrug.
Hierüber war große Trauer, die man ein Jahr lang am ganzen Hofe fortsetzen mußte. Nach einiger Zeit aber gebar die Kaiserin einen frischen, starken Knaben, worüber am ganzen Hof ungemeine Freude herrschte. Besonders vergaßen die Eltern fast ganz ihre geraubten Töchter; nur die Vorsicht wurde der Kaiserin streng vom Kaiser geboten, daß sie mit dem Kleinen nie unter freiem Himmel ausgehen dürfe, damit nicht auch er vom Drachen geraubt werde.
So saß an einem sonnigen Frühlingstage die Kaiserin unter dem Tor der Kaiserburg, den Säugling an der Brust haltend. Als derselbe satt war, sprach er zu seiner Mutter, welche Tränen in den Augen hatte, warum sie weine. Die Kaiserin aber wischte sich das Auge, ohne ihm eine Antwort zu geben. Als der Knabe die wiederkehrende Trauer im Gesicht seiner Mutter sah, biß er sie in die Brust und drohte ihr, dieselbe durchzubeißen, wenn sie ihm nicht antworte. Die Kaiserin versprach vor Schmerz, ihm zu sagen, was er wissen wolle, als er aber mit den Zähnen nachließ, hielt sie nicht Wort; da langte der zornige Säugling an die Decke des Tores und bog einen Tram herunter, den er seiner Mutter so heftig auf die Brust drückte, daß diese nicht mehr anders konnte, als ihm die Ursache ihrer Betrübnis zu erzählen und ihm zu entdecken, daß er drei Schwestern habe, die aber schon vor seiner Geburt von drei mächtigen Drachen geraubt worden seien und von denselben auf ihren Schlössern gefangengehalten würden. Da riß sich der Knabe grimmig los und verlangte von seiner Mutter Waffen, damit er ausziehen könne, die Drachen zu töten und seine Schwestern zu befreien. Obgleich die Kaiserin hierüber sehr traurig war und fürchtete, sie werde nun auch um ihr letztes Kind kommen, so konnten sie und der Kaiser es doch nicht hindern, denn der Kleine war in kurzer Zeit so gewaltig gediehen, daß sie an die Zeit, wo er völlig ausgewachsen wäre, mehr mit Angst als mit Freude dachten.
Der starke Knabe zog also aus und fand bald in einem großen Walde das Drachenschloß, wo eine seiner Schwestern als Weib des Schloßherrn, eines abscheulichen Drachens, gefangen war. Er ging hinein und fand, nachdem er mehrere Räume durchschritten, bald einen Saal, worin seine Schwester war. Er ging auf sie zu und sagte ihr, daß er ihr Bruder sei und komme, sie zu befreien. Sie hatte darüber eine mächtige Freude, fuhr aber sogleich mit Schmerz fort: »Wenn der Drache heimkommt, so verdirbt er dich.« Er fragte nun die Schwester, ob der Drache kein Wahrzeichen gebe, wenn er nach Hause käme, worauf die Schwester sagte: »Ja, wenn er noch hundert Schritte entfernt ist, so wirft er seinen Bussogan mit den Worten:

La lina fontina,
La montje Tschuckina

so gewaltig gegen das Tor, daß er dieses und alle Türen sprengt und mir bis zu den Füßen fliegt.« Kaum hatte sie ausgesprochen, so hörte man einen Krach, dem noch einige schwächere nachfolgten, und durch die geöffnete Zimmertür flog ein riesiger Bussogan herein zu den Füßen der Hausfrau. Draußen aber sah man durch das geöffnete Tor die scheußliche Riesengestalt des Drachens in der Ferne einherschreiten. Der junge Held besann sich nicht lange, raffte den Bussogan auf und schleuderte ihn so mächtig gegen die Stirne des Drachens, daß dieser tot niederstürzte und überdies die Waffe noch hundert Schritte weiter flog. Beide Geschwister freuten sich nun sehr über den Tod des Drachens, packten, was sie an Kostbarkeiten in der Eile finden konnten, zusammen, und ließen das Drachenschloß hinter sich, um dasjenige aufzusuchen, in dem die zweite Schwester gefangen saß.
Als sie dasselbe erreicht und sich ihrer Schwester zu erkennen gegeben hatten, so war wieder große Freude, die aber auch diesmal durch den Gedanken an die Heimkehr des furchtbaren Schloßherrn getrübt wurde. Der unerschrockene Jüngling lachte jedoch darüber und wollte eben anfangen zu erzählen, wie er die ältere Schwester befreit habe, da tat es wieder einen Krach, und durch die gesprengten Türen flog wieder ein Bussogan herein, noch einmal so schwer wie der im ersten Schlosse. Ohne umzusehen, nahm ihn der Jüngling von den Füßen der zweiten Schwester weg, sah durch das offene Tor den ungeheuren Drachen auf zweihundert Schritte daherkommen, rief wieder:

La lina fontina,
La montje Tschuckina

und warf den Bussogan mit leichter Hand so heftig nach ihm, daß er tot zusammenfiel, die schreckliche Waffe aber noch zweihundert Schritte weiter flog. Hierüber waren die Schwestern so erfreut und erstaunt, daß sie ihrem Bruder um den Hals fielen und sich über seine Riesenstärke nicht genug wundern konnten. Sie rafften wieder an Schätzen und Kostbarkeiten zusammen, was sie nur tragen konnten, und verließen das Drachenschloß, nachdem sie sich von seinen Zinnen über die Lage des dritten unterrichtet hatten.
Angekommen in diesem, das viel fester und stärker auf einem hohen Felsen lag, begrüßten die zwei älteren Schwestern die jüngste und stellten ihr den Heldenbruder vor, an dem sie natürlich die größte Freude hatte. Doch war die Begrüßung kaum zu Ende, so hörte man auch schon alle Tore und Türen der Burg krachend auffliegen, und es schoß ein Bussogan herein, der dreimal so groß und so schwer war wie die der beiden ersten Drachen zusammen. Der junge Held aber fing ihn im Fluge auf und schleuderte ihn mit seinem

La lina fontina,
La montje Tschuckina

durch alle Tore und Türen, wo man auf dreihundert Schritte weit den Drachen feuerschnaubend herbeikommen sah, mit so furchtbarer Macht zurück, daß er den Drachen auf der Stelle tötete, den Leichnam noch ein gutes Stück mit hinwegriß und überdies noch dreihundert Schritte weiter flog. Jetzt gerieten die Schwestern alle in die äußerste Freude und konnten sich vor Lust gar nicht fassen, daß sie einen solchen heldenmütigen, riesenkräftigen Bruder hatten. Zuerst meinten sie, sie wollten alle nach Hause eilen zu den Eltern, aber der Bruder weigerte sich, weil er noch nicht nach voller Lust gekämpft hatte und noch weitere Fahrten tun wollte. »Wir müssen«, sagte er, »noch unseren armen Heldenvetter besuchen, der durch einen bösen Zauber seine Kraft verloren hat, vielleicht ist sie wieder zu erringen; erst wenn das geschehen ist, können wir wohlgemut heim zu den Eltern.«
So gingen sie weiter, mehrere Tage durch Wälder und Täler, bis sie zu dem Schloß kamen, wo ihr Vetter wohnte, dessen Kraft die Nixen des schwarzen Sees geraubt hatten. Er empfing sie freundlich, und als ihm die Schwestern erzählten, wie kühn ihr Bruder die drei mächtigen Nebeldrachen erschlagen hatte, umarmte er den jungen Helden, wobei ihm aber Tränen kamen, weil er seine Kraft verloren hatte. Hierauf zeigte er ihm sein Schloß mit allen Zimmern und Räumen; nur an einer verschlossenen Tür führte er ihn vorüber, indem er sagte, dieses Zimmer müsse er meiden, weil der Tod darinnen sei.
Der junge Held rief mit Lachen, er fürchte den Tod nicht. Doch gingen sie weiter und setzten sich zu einem Mahle. Nachdem sie alle sich dabei wohl vergnügt hatten, stand der junge Kaiserssohn auf und sagte zu seinem Vetter: »Höre, Vetter, ich weiß, daß die Nixen aus dem schwarzen See dir deine Kraft gestohlen haben; es wäre mein sehnlichster Wunsch, dir sie wieder zu verschaffen. Sag mir daher, wo ich den schwarzen See finde; ich werde bald wieder glücklich da sein und dir dein verlorenes Gut zurückgeben können.« Der Vetter war hierüber sehr erfreut, beschrieb ihm die Gegend, wo der schwarze See tief in einem Wald versteckt lag, zweifelte jedoch am guten Ausgang des Unternehmens, weil niemand imstande sei, die Nixen, wenn sie sich auch zeigten, festzuhalten und ein Geständnis von ihnen zu erlangen. Der junge Held war aber guten Muts, besann sich nicht lange, nahm einige tüchtige Fanghunde mit und ging. Die Schwestern ließ er bei dem Vetter zurück. Bald hatte er den See gefunden, da setzte er sich beim Ufer nieder und zündete ein Feuer an, worauf er sich mit seinen Hunden ins Gebüsch versteckte. Es dauerte nicht lange, so entstiegen dem dunklen Spiegel des schwarzen Sees drei blendendweiße Jungfrauen mit langen, schwarzen, fliegenden Haaren und traten zum Feuer, um sich zu wärmen. Sofort hetzte der versteckte Kaiserssohn seine Hunde, schnell sprangen sie hervor und faßten die Nixen, die unter Jammer und Schmerz zu entfliehen suchten. Die Hunde ließen aber nicht ab, und jetzt trat der Held hervor und fragte die Gefangenen, wohin sie die Kraft seines Vetters versteckt hätten. Sie bezeichneten ihm einen hohlen Baum, in dem werde er einen Schwamm finden, welcher die ganze Kraft seines Vetters enthalte. Darauf ließ er die Nixen durch die Hunde zerreißen, eilte zu dem Baum, nahm den Schwamm heraus und brachte so seinem Vetter die verlorene Kraft wieder.
Der war darüber sehr erfreut und schenkte sein ganzes Schloß dem jungen Helden, der nun nichts Eiligeres zu tun hatte, als jene Tür, hinter welcher der Tod verschlossen sein sollte, zu öffnen. Da hatte er einen großen Saal vor sich, in dessen Mitte auf den schönsten Teppichen ein wunderschönes Mädchen saß, umgeben von vielen anderen schönen Mädchen, ihren Dienerinnen. Sie war seines Vetters Schwester und so schön, daß der Held von heißer Leidenschaft für sie erfüllt wurde und sie von ihrem Bruder augenblicklich zur Frau verlangte. Als dieser sah, daß der Jüngling wußte, welche Bewandtnis es mit dem Tod hinter der verschlossenen Tür habe, gab er seine Einwilligung, und der Kaiserssohn zog nun mit der Braut und seinen drei Schwestern nach Hause, wo sie von den Eltern mit Jubel empfangen wurden.

[Rumänien: Arthur und Albert Schott: Rumänische Volkserzählungen aus dem Banat]

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