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Der kleine Mohr und die Goldprinzessin

1.5
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Es war einmal ein armer kleiner Mohr, der war kohlschwarz und nicht einmal ganz echt in der Farbe, so dass er abfärbte. Abends war sein Hemdkragen stets ganz schwarz, und wenn er seine Mutter anfasste, sah man alle fünf Finger am Kleid. Deshalb wollte sie es auch nie leiden, sondern stieß und schuppte ihn stets fort, wenn er in ihre Nähe kam. Und bei den anderen Leuten ging es ihm noch schlimmer.
Als er vierzehn Jahre alt geworden war, sagten seine Eltern, es sei höchste Zeit, dass er etwas lerne, womit er sich sein Brot verdienen könne. Da bat er sie, sie sollten ihn in die weite Welt hinausziehen und Musikant werden lassen; zu etwas anderem sei er doch nicht zu gebrauchen.
Doch sein Vater meinte, das wäre eine brotlose Kunst, und die Mutter wurde gar ganz ärgerlich und erwiderte weiter nichts als: „Dummes Zeug, du kannst nur etwas Schwarzes werden!“
Endlich kamen sie überein, er passe am besten zum Schornsteinfeger. Also brachten sie ihn zu einem Meister in die Lehre, und weil sie sich schämten, dass er ein Mohr war, so sagten sie, sie hätten ihn gleich schwarz gemacht, um zu sehen, wie es ihm stände.
So war nun der kleine Mohr Schornsteinfeger und musste tagaus, tagein in die Essen kriechen. Und die Essen waren oft so eng, dass er Angst hatte, er bliebe stecken. Doch er kam stets glücklich wieder auf dem Dache heraus, obschon es ihm oft so war, als wenn Haut und Haare hängen blieben. Wenn er dann hoch oben auf dem Schornstein saß, wieder Gottes freie Luft atmete und sich die Schwalben um den Kopf fliegen ließ, wurde ihm die Brust so weit, als sollte sie ihm zerspringen. Dann schwenkte er den Besen und rief so laut Ho-i-do! Ho-i-do! wie’s die Schornsteinfeger zu tun pflegen, dass die Leute auf der Straße stehen blieben und sprachen: „Seht einmal den schwarzen Knirps, was der für eine Stimme hat!“
Als er ausgelernt hatte, befahl ihm der Meister, er solle in seine Kammer gehen und sich waschen und ganz fein und nobel anziehen. Er wolle ihn freisprechen, dann wäre er Geselle.
Da überkam den armen kleinen Mohr eine Todesangst, denn er sagte sich: „Nun wird alles herauskommen!“ Und das geschah auch; denn als er in seinem besten Staate wieder in die Meisterstube eintrat, wo schon Lehrlinge und Gesellen sich versammelt hatten, war er immer noch sehr schwarz, wenn auch hier und da etwas Helles durchschimmerte, wo er sich das Schwarze in den Essen abgescheuert hatte. Da merkten alle mit Entsetzen, wie es mit ihm stand. Der Meister erklärte, Geselle könne er nun nicht werden, denn er sei ja nicht einmal ein ordentlicher Christenmensch; die Lehrjungen aber fielen über ihn her, zogen ihm die Kleider aus und trugen ihn in den Hof. Dort legten sie ihn trotz alles Sträubens unter die Plumpe, pumpten wacker darauf und rieben ihn mit Strohwisch und Sand, bis ihnen die Arme lahm wurden. Als sie endlich gewahr wurden, dass trotz aller Mühe gar wenig abging, stießen sie ihn unter Scheltworten zur Hoftüre hinaus.
Da stand er nun mitten auf der Straße, hilflos und wie ihn der liebe Gott geschaffen, der arme kleine Mohr, und wusste nicht, was anfangen. Da kam durch Zufall ein Mann vorbei, der besah ihn sich von oben bis unten, und als er merkte, dass er ein Mohr war, sagte er, er sei ein vornehmer Herr und wolle ihn in seinen Dienst nehmen. Er solle nichts weiter zu tun bekommen, als hinten auf seinem Wagen stehen, wenn er mit seiner Frau spazieren führe, damit man gleich sähe, dass vornehme Leute kämen.
Da besann sich der kleine Mohr nicht lange, sondern ging mit, und anfangs ging alles gut. Denn die Frau des vornehmen Mannes mochte ihn gut leiden, und wenn sie an ihm vorbeiging, streichelte sie ihn jedes Mal. Das war ihm in seinem Leben noch nie begegnet. Eines Tages jedoch, da sie auch wieder spazieren fuhren und er hintendrauf stand, erhob sich ein furchtbares Unwetter, und der Regen floss in Strömen. Als sie wieder nach Hause kamen, sah der vornehme Herr, dass es hinten schwarz vom Wagen herabtröpfelte.
Da fuhr er den kleinen Mohr barsch an, was das heißen solle. Der erschrak heftig, und weil ihm nichts Besseres einfiel, so antwortete er, die Wolken wären ganz schwarz gewesen, da hätte es gewiss auch schwarz geregnet.
„Larifari“, erwiderte der vornehme Herr, der schon merkte, woran es lag, nahm das Taschentuch, leckte zum Überfluss am Zipfel und fuhr damit dem kleinen Mohr über die Stirn. Da war der Zipfel schwarz.
„Dachte ich mir es doch gleich“, rief er aus, „du bist ja nicht einmal echt! Das ist eine hübsche Entdeckung! Such dir einen anderen Dienst. Ich kann dich nicht gebrauchen!“
Da packte der arme kleine Mohr weinend seine Siebensachen zusammen und wollte gehen. Doch die Frau des vornehmen Mannes rief ihn noch einmal zurück und sagte, es sei recht schade, dass ihr Mann es gemerkt hätte, denn sie wisse es schon lange. Freilich, ein großes Unglück sei es, ein Mohr zu sein, und besonders einer, der abfärbe. Doch er solle nicht verzagen, sondern brav und gut bleiben, dann würde er mit der Zeit noch ebenso weiß werden wie die andern Menschen. Darauf schenkte sie ihm eine Geige und einen Spiegel, in dem solle er sich jede Woche einmal besehen.
So zog denn der kleine Mohr in die Welt hinaus und wurde Musikant. Einen Meister, der ihm vorspielte, hatte er freilich nicht. Doch er horchte auf das, was die Vögel sangen und was die Büsche und Bäche rauschten, und spielte es ihnen nach. Nachher ward er inne, dass die Blumen im Walde und die Sterne in der dunkeln Mitternacht auch ihre besondere Musik machten, wenn auch eine ganz stille, die nicht jedermann hörte. Das war schon viel schwerer nachzuspielen. Doch das Schwerste lernte er zu allerletzt: so zu spielen, wie die Menschenherzen pochen. Er war wohl schon sehr viel die Kreuz und die Quer umhergewandert und hatte vielerlei erlebt, ehe er das lernte.
Und es ging ihm auf seiner Wanderschaft zuweilen gut, meistenteils aber schlecht. Wenn er abends in der Dunkelheit vor irgendeinem Hause halt machte, ein schönes Lied spielte und um Herberge für die Nacht bat, ließen ihn die Leute wohl ein. Sahen sie aber am andern Morgen, wie schwarz er war und dass man nicht gut tat, sich mit ihm einzulassen, weil er abfärbte, so regnete es spitze Redensarten oder wohl gar Püffe. Deshalb verlor er aber den Mut nicht, sondern dachte an das, was die Frau des vornehmen Mannes zu ihm gesagt hatte, und fiedelte sich weiter von Stadt zu Stadt und von Land zu Land. Jeden Sonntag zog er den Spiegel hervor und sah nach, wie viel abgegangen war. Viel war’s freilich nicht von einem Sonntag zum andern, denn es saß sehr fest, aber doch etwas: und als er fünf Jahre gewandert war, sah man überall die Grundfarbe durchschimmern. Gleichzeitig war er ein solcher Meister auf der Geige geworden, dass, wo er hinkam, jung und alt zusammenströmte, um ihm zuzuhören.
Eines Tages kam er in eine wildfremde Stadt, in der herrschte eine goldene Prinzessin; die hatte Haare von Gold und ein Gesicht von Gold und Hände und Füße von Gold. Sie aß mit einem goldenen Messer und einer goldenen Gabel von einem goldenen Teller, trank goldenen Wein und hatte goldene Kleider an. Kurz alles war golden, was an ihr und um sie war. Im übrigen war sie jedoch über die Maßen stolz und hochmütig, und obschon es ihre Untertanen wünschten, dass sie sich einen Prinzen zum Mann nähme, weil sie meinten, Weiberregiment tauge nichts auf die Dauer, war ihr doch keiner schön und vornehm genug.
Jeden Morgen ließen sich etwa sechs Prinzen als Freier bei ihr melden, die abends zuvor mit der Post angekommen waren. Denn weit und breit sprach man von nichts als von der Goldprinzessin und von ihrer Schönheit.
Die sechs Prinzen mussten sich dann der Reihe nach vor ihrem Throne aufstellen, und sie besah sich dieselben von allen Seiten. Zuletzt rümpfte sie jedoch jedes Mal die Nase und sagte:
„Der erste ist budlich,
Der zweite ist schmudlich,
Der dritt hat kein Haar,
Der viert ist nicht gar,
Der fünft ist perplex
Und miesrig der sechst!
Die Kur ist aus.
Jagt mir alle sechse zur Stadt hinaus!“
Alsbald erschienen zwölf riesige Heiducken mit mannslangen Birkenreisern und trieben die ganze Gesellschaft zur Stadt hinaus. So ging es schon seit Jahren alle Tage. –
Als der kleine Mohr vernahm, wie wunderschön die Prinzessin war, konnte er an weiter gar nichts denken. Er ging nach ihrem Palaste, setzte sich auf die Treppenstufen, nahm die Geige zur Hand und fing an, sein bestes Lied zu spielen. Vielleicht sieht sie zum Fenster heraus, dachte er, dann bekommst du sie zu sehen.
Es währte nicht lange, so befahl die Goldprinzessin ihren drei Kammermädchen nachzusehen, wer draußen so schön spiele. Da brachten sie die Nachricht, es wäre ein Mensch, der habe eine so absonderliche Gesichtsfarbe, wie sie dergleichen noch nie gesehen. Und die eine behauptete, er sei mausgrau; die zweite, er sei hechtgrau, und die dritte gar, er wäre eselsgrau.
Darauf meinte jene, das müsse sie selber sehen, sie sollten den Menschen heraufholen.
Da gingen die Kammermädchen abermals hinunter und führten ihn herauf, und als er die Prinzessin erblickte, die wirklich über und über von Gold war und wie die Sonne glänzte, war er erst so geblendet, dass er die Augen zumachen musste. Als er sich aber ein Herz fasste und die Prinzessin ordentlich ansah, da wusste er sich nicht weiter zu helfen; er warf sich vor ihr auf die Knie nieder und sagte: „Allerschönste Goldprinzessin! Ihr seid so schön, wie Ihr es gar nicht wisst! Und wenn Ihr es wisst, so seid Ihr noch hunderttausendmal schöner. Ich bin ein kleiner Mohr, der immer weißer wird; und das Lied, das ich gespielt habe, ist noch lange nicht mein allerschönstes. Einen Mann müsst Ihr durchaus haben; und wenn Ihr mich heiraten wollt, werde ich so vergnügt, dass ich mit gleichen Beinen über den Tisch springen will!“
Als die Prinzessin dies hörte, machte sie zuerst ein Gesicht wie die Gänse, wenn’s wetterleuchtet, denn übermäßig klug war sie gerade nicht, trotz aller ihrer Schönheit, und dann fing sie so laut zu lachen an, dass sie sich die Hüften mit den Händen halten musste. Und die drei Kammermädchen meinten, sie müssten auch mitlachen, und auf einmal traten noch die zwölf Heiducken herein, und wie sie sahen, wer vor der Goldprinzessin kniete, schlugen auch sie ein Gelächter auf, dass es durch die ganze Stadt schallte.
Da befiel den kleinen Mohr ein ungeheurer Schrecken, denn er merkte wohl, dass er etwas Dummes gesagt hatte. Er nahm seine Geige, riss die Tür auf und sprang mit drei Sätzen die Treppe hinab. Dann lief er, ohne sich umzusehen, durch die Straße, querfeldein bis in den nächsten Wald. Dort warf er sich todmüde ins Gras nieder und weinte, als wenn er fortschwimmen wollte.
Doch endlich ward er wieder ruhig und sagte zu sich selbst: Wenn der Kutscher betrunken ist, gehen die Pferde durch! Bist du klug oder bist du dumm? Die Goldprinzessin wolltest du heiraten? Ganz dumm bist du! Da darfst du dich nicht wundern, wenn die Leute dich auslachen.
Damit hing er sich die Geige wieder über den Rücken, pfiff sich eins und wanderte weiter und zog wie zuvor von Stadt zu Stadt und von Land zu Land. Und von Jahr zu Jahr wurde er immer weißer, und die Leute gewannen ihn immer lieber, denn die Lieder, die er sich ausdachte, wurden immer schöner, und kein Mensch konnte sich mit ihm auf der Geige messen. Und als er groß und ein Mann geworden war, sah er ganz weiß aus, ja selbst weißer und reiner als die meisten andern Leuten. Niemand wollte glauben, dass er früher ein Mohr gewesen sei.
Es trug sich zu, dass er auch einmal in einen Flecken kam, wo gerade Jahrmarkt war. Da sah er eine Bude mit einem roten Vorhang, der war früher einmal neu gewesen, jetzt aber zerlumpt und voller Flecke. Davor stand ein wüster Gesell mit einer bunten Jacke, der stieß in die Trompete und rief, die Leute möchten doch eintreten, es wären die größten Wunder der Welt zu sehen: ein Kalb mit zwei Köpfen, das zweimal fräße und bloß einmal verdaute, ein Schwein, das die Karten legen und wahrsagen könnte, und die hochberühmte, wunderschöne Goldprinzessin, um die sich alle Männer gerissen hätten.
„Das kann doch nicht deine Goldprinzessin sein?“ sagte er, ging jedoch trotzdem hinein.
Da war es ihm, als solle er vor Schreck in die Erde sinken; denn sie war es wirklich. Aber das Gold war fast überall ab, und er sah, dass sie nur von Blech war.
„Heiliger Gott!“ rief er aus, „wie kommst du hierher und wie siehst du aus?“
„Was ist denn?“ erwiderte sie, als wenn gar nichts wäre. Nachdem sie sich jedoch überlegt, dass er sie gewiss schon früher einmal gesehen, wie sie noch ganz golden war, fügte sie zornig hinzu: „Glaubst du etwa, dass man ewig hält, du alberner Laffe? Zupf dich an deiner eigenen Nase!“
Da hätte er beinahe laut aufgelacht, denn er sah, dass sie ihn nicht erkannt. Doch sie tat ihm viel zu leid, und so fragte er nur leise, ob sie denn gar nicht wisse, wer er sei. Er wäre der kleine Mohr, den sie vorzeiten einmal so sehr ausgelacht hätte.
Nun war die Reihe an ihr, ganz still zu werden und sich zu schämen, und unter vielem Schluchzen erzählte sie, wie erst an ein paar Stellen und dann fast überall das Gold heruntergegangen sei; wie sie das ihren Untertanen lange verborgen und wie diese es endlich doch gemerkt und sie fortgejagt hätten. Nun zöge sie auf den Jahrmärkten umher, habe es aber satt, und wenn er noch so dächte wie früher, wollte sie ihn gern heiraten.
Darauf erwiderte er sehr ernsthaft, er bedaure sie zwar von Herzen, sei aber schon viel zu verständig, um eine Blechprinzessin zu heiraten. Er hoffe bestimmt, noch einmal eine viel bessere Frau zu bekommen wie sie. Damit ging er zur Bude hinaus und ließ die Blechprinzessin stehen, die vor Wut beinahe platzte und ihm, während er ging, fortwährend nachrief: „Mohrenjunge, Mohrenjunge! kohlschwarzer Mohrenjunge, der abfärbt!“ und ähnliches. Doch niemand wusste, wen sie damit meinte, da er ja längst auch nicht ein Tüpfchen Schwarzes mehr an sich hatte.
Er ging daher sittsam weiter, ohne sich auch nur umzusehen, und war froh, dass er in seinem Leben nie wieder etwas von der abscheulichen Person erfuhr. Eine Zeitlang setzte er noch sein altes Wanderleben fort; als er aber fast die ganze Welt gesehen hatte und anfing, des Umherziehens müde zu werden, da traf es sich, dass der König von seinem Spiel hörte und ihn rufen ließ. Ein Lied nach dem andern musste er ihm bis in die späte Mitternacht vorspielen, und zuletzt stieg der König von seinem Thron, umarmte ihn und fragte, ob er sein bester Freund werden wolle. Als er dies bejahte, ließ ihn der König in seinem goldenen Wagen durch die Stadt fahren und schenkte ihm ein Haus und so viel Geld, dass er sein Lebtag daran genug hatte. Und eine Frau bekam er auch. Zwar keine Prinzessin und noch weniger eine über und über goldene, aber eine Frau, die ein goldenes Herz hatte. Mit der lebte er vergnügt und hochgeehrt bis an sein spätes Ende.
Die Blechprinzessin aber ward von Tag zu Tag unscheinbarer, und als das letzte bisschen Gold abgegangen war, wurde sie so viel hin und her geworfen, dass sie lauter Buckel und Dellen bekam.
Zuletzt kam sie zu einem Trödler. Dort steht sie noch heute in der Ecke zwischen allerhand Tand und Kram und hat Zeit zu bedenken, dass vielerlei abgeht im Leben, Hübsches wie Hässliches, und dass alles darauf ankommt, was drunter ist.

Quelle:
(Richard von Volkmann-Leander)

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