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Märchenbasar

Der König der sieben Schleier

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Es waren einmal ein König und eine Königin, die hatten alles, was sie sich nur denken konnten, nur eines fehlte ihnen zu ihrem Glück – sie hatten keine Kinder. Und sie härmten sich darob viele Jahre lang, und es bekümmerte sie so, daß sie sich vielleicht zu Tode gegrämt hätten, wenn ihnen nicht zu guter Letzt doch noch ein Kind geboren worden wäre, ein Mädchen, schön wie eine Rosenknospe.

Ihr könnt euch vorstellen, wie sie sich freuten! Aber in ihre Freude war ein Blättchen Bitterkraut gemischt. Kaum war nämlich die Prinzessin zur Welt gekommen, weissagte der Hofsterndeuter, es erwarte sie das Schicksal, sich in den ersten Mann zu verlieben, dem sie begegne, und das werde ihr zum Verderben gereichen.

Der König und die Königin erschraken. Einen Kummer hatten sie glücklich hinter sich, und schon sollte ein neuer folgen? Um ihn zu verhüten, ließen sie für ihr Töchterlein einen schönen Palast erbauen und von einer hohen Mauer umgeben. Den Garten hinter dieser Mauer durfte bei Todesstrafe kein Mann betreten. Nur Ammen und Dienstmägde durften hinein, und denen war es strengstens verboten, vor der Prinzessin von Männern zu sprechen. Der einzige Mann, den das Mädchen bis zu seinem siebzehnten Geburtstage kannte, war ihr Vater, der König.

Aber je mehr sie die Welt vor ihrer Tochter verbargen, desto neugieriger wurde die Prinzessin. Wo sie nur konnte, lief sie ihrer Amme davon, irrte allein im Hause umher, als suchte sie einen Weg hinaus, und eines Tages gelangte sie in eine verlassene Dachkammer und erblickte hoch oben, fast an der Decke, ein halboffenes Dachfenster. Das Mädchen zog ein Tischchen unter das Dachfenster, stellte einen Schemel darauf, kletterte hinauf und schaute hinaus.

Draußen schneite es, und auf dem Wege längs der hohen Mauer gingen zwei dicht vermummte Gestalten. Sie sprachen miteinander, und ihre Stimmen schollen hinauf zu der Prinzessin. „Siehst du das Blut und den Schnee?“ sagte die erste. „Wenn jemand einen so roten Mund und eine so weiße Haut hätte, wäre das eine Schönheit, die ihresgleichen nicht hätte. Aber solch einen Menschen gibt es nicht.“ „O doch“, antwortete die zweite. „Den König der sieben Schleier, der ist der schönste Mann der Welt!“ Und dann verschwanden die Gestalten im Schneetreiben.

Die Prinzessin mußte immer wieder an dieses Gespräch denken. Der König der sieben Schleier ging ihr nicht aus dem Sinn. Seinetwegen konnte sie nicht mehr essen, seinetwegen konnte sie nicht mehr schlafen, müde und matt wankte sie in ihrem Palast umher, die Amme dachte schon, sie sei krank. Auch ihrem Vater fiel ihr verstörtes Wesen auf, als er sie einige Tage später besuchen kam.

Er fragte: „Was hast du denn, Töchterchen?“ „Nichts, Vater“, antwortete die Prinzessin, „ich habe mich bloß in den König der sieben Schleier verliebt.“
Wie da der König erschrak! „Was fällt dir denn ein, Tochter! Der König der sieben Schleier ist doch der schönste Mann der Welt! Der kann nur ein Mädchen zur Frau nehmen, das noch schöner ist als er selbst.“
Aber die Prinzessin kehrte sich nicht an seine Worte. „Wie er auch sein mag, wenn ich ihn nicht zum Mann bekomme, muß ich sterben.“

Der König sah, daß es schlimm um seine Tochter stand, die Weissagung des Hofsterndeuters schien sich zu erfüllen. Betrübt nahm er von ihr Abschied, aber die Prinzessin hielt ihn am Mantel fest und wollte ihn nicht fortlassen, er solle sie mitnehmen und ihr versprechen, mit dem König der sieben Schleier zu. reden. Was konnte der König da tun? Das Unglück war geschehen, er brauchte die Prinzessin nicht mehr von der Welt abzuschließen. Er nahm sie also mit, brachte sie in sein Schloß zurück und übergab sie der Obhut ihrer Mutter, er selbst aber begab sich mit seinem Gefolge in das Land des Königs der sieben Schleier.

Der Weg war weit, und als er endlich dort anlangte, ließ er sich sogleich beim König der sieben Schleier melden. Als er vor ihm stand, sprach er zu ihm: „Edler Herr, ich bin gekommen, dich um Rat und Hilfe zu bitten. Ich habe eine Tochter, und dieser Tochter war es bestimmt, sich in dich zu verlieben. Ich habe mich bemüht, es ihr auszureden, aber vergebens. Ich weiß, daß du kein Mädchen heiraten kannst, das nicht noch schöner ist als du. Aber was soll ich tun? Meine Tochter sagt, ohne dich müsse sie sterben. Rate einem unglücklichen Vater!“
Der König der sieben Schleier hörte dem König aufmerksam zu, dann lächelte er und nahm die sieben Schleier, die sein Gesicht verhüllten, einen nach dem anderen ab. Der alte König erblickte ein so unbeschreiblich schönes Antlitz, daß er den Anblick fast nicht ertragen konnte. Der König der sieben Schleier aber fragte: „Edler Herr, antworte mir, ist deine Tochter schöner?“ Der arme alte König senkte den Kopf und seufzte: „Nein!“
Da sprach der König der sieben Schleier: „Dann bleibt ihr nichts übrig als zu sterben! Hier schicke ich ihr drei Geschenke: diesen Ring, an den Finger zu stecken, dieses Tüchlein, ihre Tränen damit zu trocknen, und diesen Dolch, sich das Herz damit zu durchbohren.“

Und so kehrte der alte König trauriger nach Hause zurück, als er ausgezogen war. Er erzählte seiner Tochter, was der König der sieben Schleier ihm gesagt, und gab ihr auch die drei Geschenke. Die Prinzessin dankte ihrem Vater, dann sprach sie: „Wenn ich schon sterben soll, will ich es auf meine Weise tun. Laß mir einen Sarg aus Kristall machen und drei Kleider, ein Mondkleid, ein Sonnenkleid und ein Sternenkleid. Mit diesen Kleidern und den Geschenken des Königs der sieben Schleier will ich mich in den Sarg einschließen, und ihr laßt mich dann hinab ins Meer. Mögen mich die Wellen meinem Schicksal entgegentragen. Vielleicht wird es mir gnädiger sein als bisher.“

Der alte König wollte zuerst davon nichts hören. Als er aber sah, wie die Prinzessin vor seinen Augen dahinsiechte, willigte er ein und tat alles, was sie gewollt hatte. Er ließ ihr ein Mond-, ein Sonnen- und ein Sternenkleid machen, er ließ ihr einen Kristallsarg anfertigen, und als sie sich darin eingeschlossen, senkte er ihn weinend hinab ins Meer.

Die Wellen trugen den kristallenen Sarg sehr lange und sehr weit, bis sie ihn endlich unter den Fenstern eines Palastes ans Land spülten. Gerade schaute die Schloßherrin, eine junge Königin, zum Fenster hinaus. Als sie auf den Wellen den funkelnden Sarg sah, schickte sie Diener hinab, um ihn aus dem Wasser zu fischen. Wie groß war aber ihr Erstaunen, als die Diener den Sarg in den Palast brachten und die Königin darin ein junges Mädchen erblickte, lebendig und schön wie eine Rose! Sie redete ihr freundlich zu, doch aus dem Sarge herauszukommen.
Da öffnete die Prinzessin den Sarg und erzählte der Königin ihre traurige Geschichte.
Der Königin aber kam die Geschichte gar nicht so übermäßig traurig vor. „Weine nicht, Prinzessin!“ tröstete sie das Mädchen. „An einen besseren Ort als mein Schloß hättest du gar nicht kommen können! Der König der sieben Schleier ist mein Bruder und besucht mich fast alle Tage. Es ist richtig, daß er sehr schön ist, aber du stehst ihm an Schönheit nicht nach. Bleibe bei mir als Hofdame, und wir werden sehen, was er von dir hält.“

Schon am nächsten Tage kam der König der sieben Schleier seine Schwester besuchen. Die Königin hieß ihn willkommen, und als sie sich niedergesetzt hatten, ließ sie Wein bringen. Den Wein aber brachte die neue Hofdame. Sie hatte ihr Mondkleid angezogen, und dem König der sieben Schleier verschlug es ob ihrer Schönheit den Atem. Kaum hatte die Prinzessin das Zimmer verlassen, fragte er seine Schwester, wer denn das schöne Mädchen sei. Und die Königin sagte ihm, was sie wußte – die Wellen hätten sie in einem kristallenen Sarg ans Ufer gespült, und sie sei die Tochter eines mächtigen Königs. Nur von der Liebe der Prinzessin verriet sie ihm nichts.

Kaum war der König der sieben Schleier wieder fortgegangen, ließ die Königin die Prinzessin rufen und sagte: „Ich glaube, du hast meinem Bruder gefallen. Aber wir müssen es erst noch erproben. Wenn du ihm morgen Wein einschenkst, gieße ihm ein wenig über die Finger. Ich werde dich dafür auszanken, und wir werden sehen, was er dazu sagt.“

Am nächsten Tage geschah alles, wie es die Königin bestimmt hatte. Der König der sieben Schleier kam, die neue Hofdame in ihrem schönen Sonnenkleide brachte den Wein, aber als sie ihm den Becher reichte, goß sie ein wenig über seine Finger. Die Königin gab der Prinzessin scharfe Worte, ja, sie versetzte ihr sogar einen Schlag. Da nahm der König der sieben Schleier die Prinzessin in Schutz, es sei seine Schuld, er habe nicht achtgegeben, und die Prinzessin könne nichts dafür.

Am dritten Tage kam der König der sieben Schleier wieder, diesmal aber zeigte sich die Prinzessin nicht. Der König zögerte eine Weile, dann aber hielt er es nicht mehr aus und fragte seine Schwester, wo denn ihre neue Hofdame sei. „Ach das weiß ich gar nicht, wahrscheinlich ist ihr nicht wohl“, antwortete die Königin. „Man hat mir gesagt, sie habe sich niedergelegt, vielleicht hat sie sich so zu Herzen genommen, daß ich sie gestern schlug.“

Der König der sieben Schleier war ganz erschrocken. „Sollten wir uns nicht nach ihr umsehen?“ Die Königin tat zuerst, als ob ihr das nicht recht wäre, aber dann erhob sie sich und begleitete ihren Bruder in das Gemach der neuen Hofdame.
Die Prinzessin erwartete sie schon. Sie saß auf einem Stuhl in ihrem Sternenkleide, an der einen Hand den Ring, in der anderen das Tüchlein und auf dem Tisch den Dolch, den ihr der König der sieben Schleier einst geschickt hatte.

Der König erkannte seine Geschenke sogleich und wunderte sich. „Woher hast du den Ring, das Tüchlein und den Dolch?“
Die Prinzessin antwortete errötend: „Mein Vater brachte sie mir von dem König der sieben Schleier. Diesen Ring sollte ich an den Finger stecken, mit diesem Tüchlein meine Tränen trocknen und mit diesem Dolch mir das Herz durchbohren, denn er wollte mich nicht zur Frau!“

Da sagte der König der sieben Schleier: „Warum hat mir denn dein Vater nicht gesagt, wie schön du bist? Wenn ich dich mit eigenen Augen gesehen hätte, nie hätte ich dir so schreckliche Gaben geschickt! Du bist ja siebenmal schöner als ich, und ich werde glücklich sein, wenn du mich nicht verschmähst und mich zum Mann haben willst!“

Und ob die Prinzessin wollte! Noch am gleichen Tage sandte sie einen Boten zu ihrem Vater und ihrer Mutter, und als sie alle beisammen waren, wurde die Hochzeit gefeiert in Pracht und Herrlichkeit.

Italienisches Volksmärchen

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