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Märchenbasar

Der König und der Kätnerjunge

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Als der König einmal im Wald auf der Jagd war, fand er eine einsame Hütte. Er wollte hoch zu Pferde in die Stube reiten, doch die Tür war so schmal und niedrig, daß er gebückt unter dem Hüttendach halten mußte, und Reiter und Pferd nur die Köpfe durchs offene Fenster hineinstecken konnten. Der König schaute sich in der Stube um und rief: „Ist hier jemand zu Haus?“ „Anderthalb Mann und ein Pferdekopf“, kam sogleich die Antwort des Kätnerjungen, der allein in der Hütte war. „Und wo ist dein Vater?“ erkundigte sich der König. „Der ist gerade draußen, um aus wenig viel zu machen“, erwiderte der Junge. „Und deine Mutter – wo ist deine Mutter?“ wollte der König wissen. Darauf gab der Junge zur Antwort: „Sie bäckt die vorjährigen Brote?“ forscht der König weiter. „Und wo ist dein Bruder?“ forschte der König weiter. „Der ist im Wald“, entgegnete der Junge, „und die Tierchen, die er fängt, die wirft er in den Wald, die aber nicht bekommt, die bringt er nach Haus.“ „Was macht eigentlich deine Schwester?“ fragt der König, und der Junge gab sofort die Antwort: „Sie weint über ihr Lachen vom vergangenem Jahr.“ Der König hatte die Antworten des Jungen zwar nicht verstanden, wollte sich aber keine Blöße geben. Darum tat er so, als sei er mit den Antworten des Knaben zufrieden und ritt davon. Als er wieder in seinen Gemächer war, ließen ihm die seltsamen Worte des Jungen keine Ruhe. Endlich entschloß er sich, den Jungen holen zu lassen, um den Sinn seiner rätselhaften Reden herauszubekommen.

Nun mußte sich der Kätnerjunge ins Schloß begeben, in dem die klügsten Männer am Hofe des Königs versammelt waren. Der König befahl dem Knaben vorzutreten und fragte ihn: „Wo war dein Vater damals, als er aus wenig viel gemacht hat?“ Der Gefragte antwortete: „Er war gerade dabei, den Rübenacker zu pflegen. Obwohl er dort nur eine Handvoll Samen aussät, bringt er im Herbst zur Erntezeit doch viele Pferdefuhren Rüben nach Haus.“ Und wieder fragte der König: „Wie hat das deine Mutter gemacht, als sie die vorjährigen Brote backte?“ Der Junge erklärte es: „Im vergangenem Jahr haben wir uns Brote borgen müssen, und dieses Brot hat meine Mutter jetzt gebacken, um die alten Schulden zu tilgen.“ „Und was war mit deinem Bruder?“ forschte der König. „Ging er nicht in den Wald und warf die Tiere fort, die er bekam, wogegen er die, die er nicht fing, nach Haus nahm?“ Auch dafür gab der Junge die Lösung: „Mein Bruder kämmte seinen Hund im Wald die Flöhe aus und warf sie fort; doch die Flöhe, die er nicht erwischte, die brachte er mit dem Hund wieder heim.“ Nun stellte der König die letzte Frage: „Wie verhielt es sich eigentlich mit deiner Schwester die ihr vorjähriges Lachen beweinte?“ Das wußte der Junge ebenfalls zu deuten: „Im vergangenem Jahr war sie heiter und lachte, aber ihr Bräutigam hat sie verlassen, und nun weint und jammert sie, denn sie bekommt ein Kind.“ Da sprach der König zornig zu dem Kätnerjungen: „Deine verzwickten Antworten haben mich verdrossen, und ich wollte dich dafür bestrafen. Aber ich verzeihe dir, wenn du eine Frage richtig beantworten kannst. Sage mir also, was ist heller, die Sonne oder die Milch?“ „Die Sonne ist heller“, entschied der Junge.

„Falsch!“ rief der König, „jetzt hast du die richtige Antwort nicht gewußt. Wenn die Sonne nämlich auf den Fußboden scheint und an einer Stelle Milch vergossen wird, dann sieht die Milch doch heller aus als der Sonnenschein.“ Darauf ließ der König den Jungen in eine finstere Kammer sperren, in die man nur einen kleinen Napf mit Milch stellte. Am nächsten Morgen kam der König zu dem Kätnerjungen in die Kammer. Aber kaum hatte er die Tür geöffnet, da trat er im Dunkeln in den halbvollen Milchnapf, den der Junge dicht an die Schwelle auf zwei runde Holzrollen gesetzt hatte. Als er sich erhoben hatte, sprach der Kätnerjunge: „Merkt Ihr jetzt, daß die Sonne heller ist als die Milch? Hätte die Sonne geschienen, dann wärt Ihr nicht in den Milchtopf getreten.“ Dem König behagte die Wahrheit aus dem Munde eines Kätnerjungen wenig. Darum befahl er dem Knaben, das Schloß zu verlassen, und sprach: „Zur Strafe für deine unverschämten Reden bestimme ich jetzt: Du kommst zurück in das Schloß, doch weder am Tage noch in der Nacht, weder auf der Straße noch über das Feld, weder zu Fuß noch zu Pferde, weder in Kleidern noch nackt, und du bleibst weder drinnen noch draußen.“

Der kluge Kätnerjunge hörte sich diese Weisung gelassen an und entfernte sich dann. Zu Hause hüllte er sich in ein Ziegenfell, um weder Kleider zu tragen noch nackt zu sein. Auch die anderen Befehle des hinterlistigen Königs wollte er genau befolgen. Er wählte also den Straßengraben auf seinem Gang zum Schloß, benutzte nicht den Weg und lief auch nicht über das Feld, hatte unter einem Fuß ein Sieb und unter dem anderen eine Bürste. So erschien er beim ersten Morgengrauen auf dem Schlosshof und ließ sich beim König melden.
Der König rieb sich den Schlaf aus den Augen und begab sich auf den Hof. Hier untersuchte er die Spur des Knaben, folgte ihr und fand nur die Abdrücke von Bürste und Sieb. Als der König wieder an der Vorhalle des Schlosses war, stand der Kätnerjunge mit einem Bein vor, mit dem anderen hinter der Schwelle. „Wie bist du denn hergekommen?“ fragte der König. „Ich kroch auf allen vieren im Straßengraben“, entgegnete der Junge, „kam also weder zu Fuß noch zu Pferde. Bei Tagesanbruch, weder am Tag noch in der Nacht, erreichte ich das Schloß. Da es befohlen war, weder drinnen noch draußen zu sein, stehe ich jetzt hier unter dem Torbogen mit einem Fuß auf der Treppe mit dem anderen in der Halle.“

Damit hatte der Kätnerjunge seine Aufgabe gelöst, und der König ließ ihn ärgerlich seines Weges gehen. am nächsten Tag aber mußte der Junge wiederum vor dem boshaften König erscheinen. Zum drittenmal fand sich der junge vor dem Schloß ein. Der König hatte die Kettenhunde losgelassen. Damit wollte er sich für seine Niederlage rächen. Aber der Torhüter hatte Mitleid mit dem Knaben und warnte ihn, den Schlosshof zu betreten: „Bleib draußen, die Hunde beißen und zerreißen dich!“ Der kluge Kätnerjunge hatte jedoch vorsichtshalber ein Häschen unter der Jacke. „Wem befohlen ist, der muß gehorchen“, sagte er unerschrocken. Er war kaum durch das Tor getreten, da stürzten ihm wütend die bissigen Hunde entgegen. In diesem Augenblick ließ er den Hasen los. Sofort wandte sich die Hundemeute von dem Knaben ab und hetzte heulend hinter dem Häschen her. Das verfolgte Tier aber sprang in Todesangst unter die Hunde, setzte über die kleineren hinweg und flitzte unter den größeren hindurch, wobei ein solches Durcheinander entstand, daß der König kam. Er fragte: „Was treiben die Hunde hier?“ „Sie jagen etwas, was ihnen vor der Nase herumläuft!“ rief der Kätnerjunge ihm lachend zu. „Was läuft denn da, ich sehe nichts!“ wunderte sich der König. „Was deine dummen Hunde (steht Köter) vergeblich suchen“; frohlockte der Kätnerjunge, denn der Hase war inzwischen entkommen. Und auch der Junge machte sich flink aus dem Staub und verließ für immer das unfreundliche Schloß und den wütenden König.

 
Märchen aus Finnland

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