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Es war einmal ein König, welcher neunzehn Kinder hatte; das neunzehnte war ein Mädchen. Jedes Kind hatte seine Amme. Alle wurden zur Schule geschickt und das Mädchen gleichfalls. Alle lernten, bis sie den Koran lesen konnten, dann verliessen sie die Schule.
In der Stadt aber verübten sie allerlei Skandal; sie schlugen die Leute, beschimpften sie, stellten den Töchtern anderer Leute nach, betraten die Häuser der Leute, ohne hodi zu rufen, so wie es die Leute auf Reisen und in der Markthalle machen. Sie hatten weder Furcht vor den Vezieren noch den grössten Scheichs in der Stadt.
Die vornehmsten Araber hielten Rat und begaben sich zum Vezier, um ihm dies mitzuteilen. Der Vezier führte sie und brachte sie zum König. Er sprach zum König: »Es sind die vornehmsten Araber und die grössten Scheichs gekommen, alle bitten um Abhilfe, denn Deine Kinder quälen uns sehr. Wenn Du damit einverstanden bist, dass uns Deine Kinder umbringen, gut – sonst wollen wir lieber alle die Stadt verlassen.« Der König erwiderte ihnen: »Ich will eine Frist von drei Tagen, dann werde ich Eure Bitte beantworten.«
Die Araber gingen weg und es blieben der Vezier und der König allein zurück. Der König sprach zum Vezier: »Was ist da zu machen? Diese Kinder kränken alle Leute in der Stadt?« Jener erwiderte: »Sogar ich, Dein Vezier, werde von ihnen belästigt, aber Du bist ein grosser Mann, was soll ich da sagen? Zudem sind sie die Kinder des Königs!« Dann bat der Vezier um die Erlaubnis, sich verabschieden zu dürfen, und er ging fort.
Der König rief seine Kinder herbei und sprach: »Die Leute der Stadt sind gekommen und alle klagen, dass Ihr allerlei Unheil in der Stadt anrichtet, den Leuten ihre Sachen wegnehmt, sie schlagt und in die Häuser der Leute eindringt. So wisset nun, dass die Araber dies Land und diese Stadt verlassen wollen, die ich so liebe. Diese Stadt ist auch die Eurige, ich wünsche, dass Ihr ablasst von Euren Skandalgeschichten; dies Königreich ist auch das Eurige, das hiesse mich selbst wegbringen, nicht Euch; gut, verhaltet Euch also ruhig.«
Die Kinder antworteten ihm: »Wir haben nicht nötig uns lange zu beraten, wir gehen weg und das Königreich gehört Dir allein.« Sie begaben sich ins Haus zu ihrer Mutter und sprachen: »Mutter, mache uns viel Brot für die Reise zurecht, morgen brechen wir auf.« Ihre Schwester fragte sie: »Wo geht Ihr hin?« »Unser Vater sagt, dass wir ihm seine Stadt verderben, wir ziehen fort, um seine Stadt ihm und seinen Arabern zu überlassen.« Dann begaben sie sich in ihre Häuser.
Die Tochter aber sprach zu ihrem Vater und ihrer Mutter: »Auch ich will weg, ich folge meinen Brüdern, ich kann nicht in dieser Stadt bleiben.« Ihr Vater und ihre Mutter weinten: »Verlasse Du doch nicht diese Stadt!« »Wie soll ich jetzt hier bleiben, ich war immer mit meinen Brüdern, wie kann ich jetzt bleiben? Ich werde mit meinen Brüdern ziehen.«
Am Nachmittag kamen die Söhne und traten in die Kammer ein, wo Schwerter und Gewehre lagen, und nahmen für sich und ihre Sklaven Gewehre. Und jeder hatte einen Sklaven. Dann gingen sie in den Pferdestall und wählten sich achtzehn Pferde aus und legten sich vollständige Kriegsrüstung an. Mit Schwertern, Flinten, Speeren und Dolchen war jeder bewaffnet; und jene Sklaven trugen jeder seine Streitaxt. Dann kam ihr Vater und gab ihnen Säckchen mit Silber; jeder erhielt sieben Säckchen.
Das junge Mädchen zog Männerkleider an, hing sich eine Flinte um, legte jede Waffe der Männer an und begab sich ins Lager zu ihren Brüdern. Dann luden sie ihre Brote und ihr Geld auf und zogen weiter. Sie gingen immer so weit, bis sie einen Lagerplatz erreichten. Jeden Abend holten die Sklaven ihre Äxte hervor, fällten Bäume und schlugen ein Lager. So zogen sie sieben Tage lang fort, da kamen sie an eine grosse Stadt, die keine Bewohner hatte. Es waren nur einige wenige arme Leute am Ende der Stadt. Doch gab es viele Steinhäuser in jener Stadt, die alle leer standen.
Sie zogen in die Stadt ein und entdeckten ein sehr grosses Haus mitten in der Stadt, mit einem grossen Hof, vielen Stockwerken und einer schönen Empfangshalle. Es gehörte einst dem Könige dieser Stadt und war an einem Flusse gelegen. Dort liessen sie sich alle nieder.
Ihre Mutter, welche sie verlassen hatten, gebar ein anderes Kind, einen Sohn. Sie zog ihn gross, schickte ihn in die Schule und er lernte Koran lesen. Dann machte er dieselben Streiche, wie sie seine Brüder gemacht hatten. Er hörte von den Leuten, dass seine Brüder aus der Stadt entfernt worden wären, und befragte dieserhalb seine Amme. Diese weigerte sich jedoch und sagte: »Das ist gelogen.« Dann fragte er seine Mutter. Auch sie sagte: »Es ist nicht wahr.« Nun ging er zu seinem Vater, aber auch dieser verneinte es. In der Stadt aber sprachen und lachten die Leute darüber.
Da sprach er zu seiner Mutter und seinem Vater: »Sagt mir jetzt die Wahrheit oder ich schlage Euch.« Sie sprachen: »Es ist wahr, Deine Brüder haben allerlei Unheil angerichtet, halte Du Dich brav, denn wenn Du das nicht thust, wirst Du auch weggeschickt.« Da sprach er zu seinem Vater: »Mein Name ist Kamiliwa ‚asherini;1 alle meine Brüder sind fortgegangen, so will ich ihnen jetzt folgen.« Sein Vater sprach: »Ich will Dir die Herrschaft geben und mich Dir unterordnen.« Er lehnte es jedoch ab.
So machen es die Kinder, wenn die Eltern sie nicht zu erziehen verstehen.
Am nächsten Morgen kam er und sprach zu seinem Vater: »Gieb mir dasselbe, was Du meinen Brüdern gegeben hast!« Er gab ihm Geld, ein Pferd, Flinte, Schwert und Dolch und einen jungen Sklaven; dann zog er seines Weges und ging sieben Tage lang und langte eines Nachmittags in jener Stadt an. Als er das Haus sah, in welchem seine Brüder wohnten, stieg er vom Pferde, band dasselbe an einen Baum, trat in die Empfangshalle ein und setzte sich. Da bemerkte er neunzehn Schwerter, das überzeugte ihn, dass hier seine Brüder wohnten.
Er traf dieselben nicht zu Hause. Sie waren in den Wald gegangen, Vögel zu schiessen. Als sie zurückkehrten, bemerkten sie das Pferd, welches unten an einem Baume angebunden war; dann schauten sie in die Halle und sahen einen Mann. Sobald ihn die jungen Leute entdeckten, wollten sie ihn töten. Der Älteste von ihnen trat jedoch vor und sagte: »Warten wir ab und befragen ihn zunächst.« »Wo kommst Du her?« sprachen sie. Er erwiderte: »Ich weiss weder wo ich hingehen will, noch wo ich herkomme!« »Bist Du ein Mensch oder ein böser Geist?« Er sprach: »Ich bin ein Menschenkind und kein Geist.« Später kam der Älteste von ihnen und hielt eine Beratung ab und sie wollten ihn töten. Da sprach der Älteste: »Wartet, ich gehe zur Stadt, um Erkundigungen einzuziehen!« Dann fragte er weiter: »Wo kommst Du her? Sage es mir, auch wo Du hin willst, und erkläre uns, von wo Du kommst.« Da sprach er: »Ich stamme von einem König, welcher achtzehn Kinder hatte, das neunzehnte war ein Mädchen. Als ich geboren wurde, erhielt ich den Namen Kamiliwa ‚asherini, und die Leute in der Stadt erzählten sich: ›Dieser hatte Brüder, die viel Unheil in der Stadt anrichteten und deshalb aus der Stadt entfernt wurden.‹ Ich hörte das und machte es nun ebenso wie meine Brüder. Die Leute aus der Stadt kamen und klagten mich bei meinem Vater an. Ich ging zu meiner Amme und sagte: ›Ist es wahr, dass ich Brüder hatte?‹ Meine Amme sprach: ›Ich weiss nichts davon, das ist erlogen.‹ Dann ging ich zu meiner Mutter, sie antwortete mir dasselbe. Nun begab ich mich zu meinem Vater, welcher mir antwortete: ›Auch ich weiss nichts davon.‹ Bald darauf verboten mir die Leute in die Stadt zu kommen. Ich begab mich nun zu meinem Vater und meiner Mutter und sprach: ›Sagt mir nun die Wahrheit; wenn Ihr das nicht thut, schlage ich Euch!‹ Da sprachen sie: ›Es ist wahr.‹ Nun sagte ich zu meinem Vater: ›Ich werde jetzt meinen Brüdern folgen, denn ich bin ja Kamiliwa ‚asherini!‹ Dann ging ich zu meiner Mutter und sagte: ›Mache mir Brot für die Reise zurecht.‹ Sie besorgte das und ich begab mich nach meinem Hause. Am nächsten Morgen ging ich zu meinem Vater und sprach: ›Gieb mir dasselbe, was Du meinen Brüdern gegeben hast‹; und er gab mir genau so viel wie er meinen Brüdern gegeben hatte. Das ist’s, was ich zu sagen habe.«
Seine Brüder freuten sich sehr und brachten die Botschaft ihrer Schwester nach oben. Sie kam herunter, um ihn zu sehen, und sie freuten sich sehr miteinander und veranstalteten ein grosses Fest. Dann schliefen sie bis zum nächsten Morgen.
An jenem Tage gingen sie nicht zur Jagd, sie blieben aus Freude über die Ankunft ihres Bruders sechs Tage lang zu Hause. Am siebenten Tage erst begaben sie sich zur Jagd nach dem Walde, und ihr Bruder sagte: »Heute möchte ich mitgehen.« Sie erwiderten jedoch: »Wir waren schon übereingekommen, jemand in’s Haus zu nehmen, der unsere Schwester bewache, Du bist unser Bruder, bleibe Du, das ist besser.«
Sie gingen jeden Tag in den Wald Perlhühner schiessen, das war ihre Beschäftigung. Ihr Bruder pflegte zu Hause zu bleiben. Eines Tages stieg ihre Schwester zum Flusse herab, um zu baden. Als sie ihr Haar auflöste, ging ein sehr langes Haar aus und wurde von dem Wasser fortgetrieben. Etwas unterhalb am Flusse war eine alte Frau und badete. Das Haar wickelte sich um ihren Fuss, sie nahm es, holte es hervor und schnitt die Spitze ab.
Alsdann ging sie um Feuer zu bitten, rief hodi und trat in jenes Haus. Der Jüngling war in der Halle; zu dem sprach sie: »Ich möchte Feuer haben!« Er sprach: »Geh‘ hinein!« Die Alte ging hinein und begab sich nach oben. Als sie das junge Mädchen sah, verstellte sie sich und fiel hin. Da sprach diese: »Die arme alte Frau ist gefallen!« und sie ging hin und hob sie auf. Die Alte ergriff schnell eins ihrer Haare und nahm es an sich; das Mädchen selbst hatte nichts davon gemerkt. Dann fragte sie: »Was willst Du?« »Ich bin gekommen um Feuer zu bitten.« Sie gab ihr Feuer und sie stieg wieder herunter und begab sich nach Hause.
Nun holte sie jenes Haar hervor, das sie im Flusse gefunden, und das, welches sie dem jungen Mädchen genommen hatte, es war genau wie dieses; dieses junge Mädchen war also die Trägerin dieser schönen Haare.
Die Alte ging zum König und sprach: »Diese Frau passt für niemand ausser für Dich.« Er fragte: »Wo ist diese Frau?« »Ich habe sie weit von hier gesehen.« »Kannst Du sie nicht herbringen?« Sie sprach: »Gieb mir Leute mit.« »Willst Du hundert oder zweihundert Leute haben?« »Dort brauche ich nicht viele Leute, es ist eine Arbeit für zwanzig.« Er gab ihr fünfundzwanzig Leute und sie ging mit ihnen, bis sie in jene Stadt kamen.
Das junge Mädchen sass oben im Hause und las; da bemerkte sie die Leute und sprach zu ihrem Bruder: »Komm, iss schnell, es kommen Leute wie zum Kriege ausgerüstet, ich habe sie gesehen, sie kommen.« Die Leute kamen bis an’s Haus heran und riefen hodi. Er antwortete: »Was wollt Ihr?« Jene Alte erwiderte: »Wir wollen die junge Herrin da drinnen!« »Tritt ein und hole sie!« Die Alte freute sich sehr und ging hinein, während der Jüngling einen andern Weg nahm. Auf der Treppe trafen sie sich und er tötete sie. Dann trat er heraus und tötete die andern. Dem Letzten schnitt er ein Ohr ab und sprach zu ihm: »Essen hast Du gebracht, wo sind aber die Zuthaten dazu?« Dann liess er ihn laufen und er ging hin und berichtete es dem König. Dieser sagte: »Wo ist das junge Mädchen?« »Frage mich nicht, wo Deine Leute sind! Sie sind getötet worden und mir hat man das Ohr abgehauen und gesagt«: »Du hast das Essen gebracht, wo sind denn die Zuthaten?« Der Sultan sprach: »Wieviel Leute sind dort?« Er erwiderte: »Es ist nur ein Mann da, aber seine Tapferkeit ist die von tausend Mann.« Da schickte der Sultan fünfzig Mann hin.
Am nächsten Morgen sprach seine Schwester zu ihm: »Komm, iss erst, es kommen Leute.« Er ging schnell zum Essen und als er fertig war, stieg er herab und traf die Leute; und er schlug und tötete sie. Es blieb nur einer übrig, der eiligst zum Sultan zurücklief. Der Sultan fragte: »Wo sind Deine Gefährten?« Er erwiderte: »Sie sind gefallen, ich bin allein übrig geblieben, mir hat man die Hand abgeschlagen und gesagt«: »Du hast Essen gebracht, wo sind die Zuthaten?« Der Sultan sprach: »Wieviel Leute erfordert dieser Mensch?« Er antwortete: »Der eine ist wie tausend und einer!«
Nun schickte er hundert Mann. Auch diese bemerkte seine Schwester und sprach: »Da kommen noch mehr Leute als vordem!« Dann bereitete sie das Essen und er ass schnell. Als er unten anlangte, bemerkte er den Vezier des Sultans und seine Schar. Er ging hinaus, schlug und tötete sie, so dass nur einer übrig blieb. Zu dem sprach er: »Geh‘ hin und sage ihm, dass Du die Zuthaten gebracht hast, man hat gegessen, nun wünscht man Wasser zum Hände waschen.«
Er ging schleunigst zurück und meldete dem Sultan, dass jener Wasser zum Hände waschen begehre. Da rüstete er zweihundert Mann zum Kriege aus. Die gingen hin und wurden gleichfalls geschlagen, so dass nur einer übrig blieb, dem er ein Ohr und eine Hand abschlug und befahl: »Sage ihm, man will jetzt Tabak und Bete, er solle es schnell zurecht machen.«
Da rüstete der Sultan tausend Mann zu einem grossen Kriege aus, er selbst an der Spitze. Sie zogen aus; und die, welche zuerst anlangten, warfen einen Graben aus. Jenes junge Mädchen aber sagte zu ihrem Bruder: »Es kommen Leute, komm, iss zuerst!« Er ging hinauf zu seiner Schwester, ass schnell und als er herabkam, sah er das Heer in der Nähe des Hauses. Er ging ihnen entgegen, schlug sie und tötete viele; dabei fiel er in jenen Graben, welchen die Kriegsleute ausgeworfen hatten und zwar in ein Loch in dem Graben. Die Uebriggebliebenen rannten davon und sprachen: »Er ist nun tot.« Der junge Mann in der Grube hatte jedoch keineswegs Schaden genommen.
Sein Pferd fanden seine Brüder im Walde und wunderten sich darüber. Sie ergriffen es und brachten es zur Stadt zurück. Da sahen sie überall Blut und tote Menschen und fanden auch ihn und sprachen: »Wie kommt das, bist Du verwundet?« Er antwortete: »Ich bin nicht verwundet.« Sie zogen ihn aus dem Graben und sagten: »Erzähle uns, was vorgefallen ist!« Er sprach: »Dieser Krieg ist zum sechsten und siebenten Male gekommen.« »Warum hast Du es uns nicht wissen lassen?« erwiderten sie. Er sprach: »Diese waren mir gleich, sie haben mich nicht besiegt!« Da sagten sie: »Es schickt sich nicht, ihn wieder allein zu lassen, wenn wir zum Vögel schiessen gehen, so gehe nur einer.« Sie lebten ferner in Ruhe und Frieden.
In der Stadt aber verübten sie allerlei Skandal; sie schlugen die Leute, beschimpften sie, stellten den Töchtern anderer Leute nach, betraten die Häuser der Leute, ohne hodi zu rufen, so wie es die Leute auf Reisen und in der Markthalle machen. Sie hatten weder Furcht vor den Vezieren noch den grössten Scheichs in der Stadt.
Die vornehmsten Araber hielten Rat und begaben sich zum Vezier, um ihm dies mitzuteilen. Der Vezier führte sie und brachte sie zum König. Er sprach zum König: »Es sind die vornehmsten Araber und die grössten Scheichs gekommen, alle bitten um Abhilfe, denn Deine Kinder quälen uns sehr. Wenn Du damit einverstanden bist, dass uns Deine Kinder umbringen, gut – sonst wollen wir lieber alle die Stadt verlassen.« Der König erwiderte ihnen: »Ich will eine Frist von drei Tagen, dann werde ich Eure Bitte beantworten.«
Die Araber gingen weg und es blieben der Vezier und der König allein zurück. Der König sprach zum Vezier: »Was ist da zu machen? Diese Kinder kränken alle Leute in der Stadt?« Jener erwiderte: »Sogar ich, Dein Vezier, werde von ihnen belästigt, aber Du bist ein grosser Mann, was soll ich da sagen? Zudem sind sie die Kinder des Königs!« Dann bat der Vezier um die Erlaubnis, sich verabschieden zu dürfen, und er ging fort.
Der König rief seine Kinder herbei und sprach: »Die Leute der Stadt sind gekommen und alle klagen, dass Ihr allerlei Unheil in der Stadt anrichtet, den Leuten ihre Sachen wegnehmt, sie schlagt und in die Häuser der Leute eindringt. So wisset nun, dass die Araber dies Land und diese Stadt verlassen wollen, die ich so liebe. Diese Stadt ist auch die Eurige, ich wünsche, dass Ihr ablasst von Euren Skandalgeschichten; dies Königreich ist auch das Eurige, das hiesse mich selbst wegbringen, nicht Euch; gut, verhaltet Euch also ruhig.«
Die Kinder antworteten ihm: »Wir haben nicht nötig uns lange zu beraten, wir gehen weg und das Königreich gehört Dir allein.« Sie begaben sich ins Haus zu ihrer Mutter und sprachen: »Mutter, mache uns viel Brot für die Reise zurecht, morgen brechen wir auf.« Ihre Schwester fragte sie: »Wo geht Ihr hin?« »Unser Vater sagt, dass wir ihm seine Stadt verderben, wir ziehen fort, um seine Stadt ihm und seinen Arabern zu überlassen.« Dann begaben sie sich in ihre Häuser.
Die Tochter aber sprach zu ihrem Vater und ihrer Mutter: »Auch ich will weg, ich folge meinen Brüdern, ich kann nicht in dieser Stadt bleiben.« Ihr Vater und ihre Mutter weinten: »Verlasse Du doch nicht diese Stadt!« »Wie soll ich jetzt hier bleiben, ich war immer mit meinen Brüdern, wie kann ich jetzt bleiben? Ich werde mit meinen Brüdern ziehen.«
Am Nachmittag kamen die Söhne und traten in die Kammer ein, wo Schwerter und Gewehre lagen, und nahmen für sich und ihre Sklaven Gewehre. Und jeder hatte einen Sklaven. Dann gingen sie in den Pferdestall und wählten sich achtzehn Pferde aus und legten sich vollständige Kriegsrüstung an. Mit Schwertern, Flinten, Speeren und Dolchen war jeder bewaffnet; und jene Sklaven trugen jeder seine Streitaxt. Dann kam ihr Vater und gab ihnen Säckchen mit Silber; jeder erhielt sieben Säckchen.
Das junge Mädchen zog Männerkleider an, hing sich eine Flinte um, legte jede Waffe der Männer an und begab sich ins Lager zu ihren Brüdern. Dann luden sie ihre Brote und ihr Geld auf und zogen weiter. Sie gingen immer so weit, bis sie einen Lagerplatz erreichten. Jeden Abend holten die Sklaven ihre Äxte hervor, fällten Bäume und schlugen ein Lager. So zogen sie sieben Tage lang fort, da kamen sie an eine grosse Stadt, die keine Bewohner hatte. Es waren nur einige wenige arme Leute am Ende der Stadt. Doch gab es viele Steinhäuser in jener Stadt, die alle leer standen.
Sie zogen in die Stadt ein und entdeckten ein sehr grosses Haus mitten in der Stadt, mit einem grossen Hof, vielen Stockwerken und einer schönen Empfangshalle. Es gehörte einst dem Könige dieser Stadt und war an einem Flusse gelegen. Dort liessen sie sich alle nieder.
Ihre Mutter, welche sie verlassen hatten, gebar ein anderes Kind, einen Sohn. Sie zog ihn gross, schickte ihn in die Schule und er lernte Koran lesen. Dann machte er dieselben Streiche, wie sie seine Brüder gemacht hatten. Er hörte von den Leuten, dass seine Brüder aus der Stadt entfernt worden wären, und befragte dieserhalb seine Amme. Diese weigerte sich jedoch und sagte: »Das ist gelogen.« Dann fragte er seine Mutter. Auch sie sagte: »Es ist nicht wahr.« Nun ging er zu seinem Vater, aber auch dieser verneinte es. In der Stadt aber sprachen und lachten die Leute darüber.
Da sprach er zu seiner Mutter und seinem Vater: »Sagt mir jetzt die Wahrheit oder ich schlage Euch.« Sie sprachen: »Es ist wahr, Deine Brüder haben allerlei Unheil angerichtet, halte Du Dich brav, denn wenn Du das nicht thust, wirst Du auch weggeschickt.« Da sprach er zu seinem Vater: »Mein Name ist Kamiliwa ‚asherini;1 alle meine Brüder sind fortgegangen, so will ich ihnen jetzt folgen.« Sein Vater sprach: »Ich will Dir die Herrschaft geben und mich Dir unterordnen.« Er lehnte es jedoch ab.
So machen es die Kinder, wenn die Eltern sie nicht zu erziehen verstehen.
Am nächsten Morgen kam er und sprach zu seinem Vater: »Gieb mir dasselbe, was Du meinen Brüdern gegeben hast!« Er gab ihm Geld, ein Pferd, Flinte, Schwert und Dolch und einen jungen Sklaven; dann zog er seines Weges und ging sieben Tage lang und langte eines Nachmittags in jener Stadt an. Als er das Haus sah, in welchem seine Brüder wohnten, stieg er vom Pferde, band dasselbe an einen Baum, trat in die Empfangshalle ein und setzte sich. Da bemerkte er neunzehn Schwerter, das überzeugte ihn, dass hier seine Brüder wohnten.
Er traf dieselben nicht zu Hause. Sie waren in den Wald gegangen, Vögel zu schiessen. Als sie zurückkehrten, bemerkten sie das Pferd, welches unten an einem Baume angebunden war; dann schauten sie in die Halle und sahen einen Mann. Sobald ihn die jungen Leute entdeckten, wollten sie ihn töten. Der Älteste von ihnen trat jedoch vor und sagte: »Warten wir ab und befragen ihn zunächst.« »Wo kommst Du her?« sprachen sie. Er erwiderte: »Ich weiss weder wo ich hingehen will, noch wo ich herkomme!« »Bist Du ein Mensch oder ein böser Geist?« Er sprach: »Ich bin ein Menschenkind und kein Geist.« Später kam der Älteste von ihnen und hielt eine Beratung ab und sie wollten ihn töten. Da sprach der Älteste: »Wartet, ich gehe zur Stadt, um Erkundigungen einzuziehen!« Dann fragte er weiter: »Wo kommst Du her? Sage es mir, auch wo Du hin willst, und erkläre uns, von wo Du kommst.« Da sprach er: »Ich stamme von einem König, welcher achtzehn Kinder hatte, das neunzehnte war ein Mädchen. Als ich geboren wurde, erhielt ich den Namen Kamiliwa ‚asherini, und die Leute in der Stadt erzählten sich: ›Dieser hatte Brüder, die viel Unheil in der Stadt anrichteten und deshalb aus der Stadt entfernt wurden.‹ Ich hörte das und machte es nun ebenso wie meine Brüder. Die Leute aus der Stadt kamen und klagten mich bei meinem Vater an. Ich ging zu meiner Amme und sagte: ›Ist es wahr, dass ich Brüder hatte?‹ Meine Amme sprach: ›Ich weiss nichts davon, das ist erlogen.‹ Dann ging ich zu meiner Mutter, sie antwortete mir dasselbe. Nun begab ich mich zu meinem Vater, welcher mir antwortete: ›Auch ich weiss nichts davon.‹ Bald darauf verboten mir die Leute in die Stadt zu kommen. Ich begab mich nun zu meinem Vater und meiner Mutter und sprach: ›Sagt mir nun die Wahrheit; wenn Ihr das nicht thut, schlage ich Euch!‹ Da sprachen sie: ›Es ist wahr.‹ Nun sagte ich zu meinem Vater: ›Ich werde jetzt meinen Brüdern folgen, denn ich bin ja Kamiliwa ‚asherini!‹ Dann ging ich zu meiner Mutter und sagte: ›Mache mir Brot für die Reise zurecht.‹ Sie besorgte das und ich begab mich nach meinem Hause. Am nächsten Morgen ging ich zu meinem Vater und sprach: ›Gieb mir dasselbe, was Du meinen Brüdern gegeben hast‹; und er gab mir genau so viel wie er meinen Brüdern gegeben hatte. Das ist’s, was ich zu sagen habe.«
Seine Brüder freuten sich sehr und brachten die Botschaft ihrer Schwester nach oben. Sie kam herunter, um ihn zu sehen, und sie freuten sich sehr miteinander und veranstalteten ein grosses Fest. Dann schliefen sie bis zum nächsten Morgen.
An jenem Tage gingen sie nicht zur Jagd, sie blieben aus Freude über die Ankunft ihres Bruders sechs Tage lang zu Hause. Am siebenten Tage erst begaben sie sich zur Jagd nach dem Walde, und ihr Bruder sagte: »Heute möchte ich mitgehen.« Sie erwiderten jedoch: »Wir waren schon übereingekommen, jemand in’s Haus zu nehmen, der unsere Schwester bewache, Du bist unser Bruder, bleibe Du, das ist besser.«
Sie gingen jeden Tag in den Wald Perlhühner schiessen, das war ihre Beschäftigung. Ihr Bruder pflegte zu Hause zu bleiben. Eines Tages stieg ihre Schwester zum Flusse herab, um zu baden. Als sie ihr Haar auflöste, ging ein sehr langes Haar aus und wurde von dem Wasser fortgetrieben. Etwas unterhalb am Flusse war eine alte Frau und badete. Das Haar wickelte sich um ihren Fuss, sie nahm es, holte es hervor und schnitt die Spitze ab.
Alsdann ging sie um Feuer zu bitten, rief hodi und trat in jenes Haus. Der Jüngling war in der Halle; zu dem sprach sie: »Ich möchte Feuer haben!« Er sprach: »Geh‘ hinein!« Die Alte ging hinein und begab sich nach oben. Als sie das junge Mädchen sah, verstellte sie sich und fiel hin. Da sprach diese: »Die arme alte Frau ist gefallen!« und sie ging hin und hob sie auf. Die Alte ergriff schnell eins ihrer Haare und nahm es an sich; das Mädchen selbst hatte nichts davon gemerkt. Dann fragte sie: »Was willst Du?« »Ich bin gekommen um Feuer zu bitten.« Sie gab ihr Feuer und sie stieg wieder herunter und begab sich nach Hause.
Nun holte sie jenes Haar hervor, das sie im Flusse gefunden, und das, welches sie dem jungen Mädchen genommen hatte, es war genau wie dieses; dieses junge Mädchen war also die Trägerin dieser schönen Haare.
Die Alte ging zum König und sprach: »Diese Frau passt für niemand ausser für Dich.« Er fragte: »Wo ist diese Frau?« »Ich habe sie weit von hier gesehen.« »Kannst Du sie nicht herbringen?« Sie sprach: »Gieb mir Leute mit.« »Willst Du hundert oder zweihundert Leute haben?« »Dort brauche ich nicht viele Leute, es ist eine Arbeit für zwanzig.« Er gab ihr fünfundzwanzig Leute und sie ging mit ihnen, bis sie in jene Stadt kamen.
Das junge Mädchen sass oben im Hause und las; da bemerkte sie die Leute und sprach zu ihrem Bruder: »Komm, iss schnell, es kommen Leute wie zum Kriege ausgerüstet, ich habe sie gesehen, sie kommen.« Die Leute kamen bis an’s Haus heran und riefen hodi. Er antwortete: »Was wollt Ihr?« Jene Alte erwiderte: »Wir wollen die junge Herrin da drinnen!« »Tritt ein und hole sie!« Die Alte freute sich sehr und ging hinein, während der Jüngling einen andern Weg nahm. Auf der Treppe trafen sie sich und er tötete sie. Dann trat er heraus und tötete die andern. Dem Letzten schnitt er ein Ohr ab und sprach zu ihm: »Essen hast Du gebracht, wo sind aber die Zuthaten dazu?« Dann liess er ihn laufen und er ging hin und berichtete es dem König. Dieser sagte: »Wo ist das junge Mädchen?« »Frage mich nicht, wo Deine Leute sind! Sie sind getötet worden und mir hat man das Ohr abgehauen und gesagt«: »Du hast das Essen gebracht, wo sind denn die Zuthaten?« Der Sultan sprach: »Wieviel Leute sind dort?« Er erwiderte: »Es ist nur ein Mann da, aber seine Tapferkeit ist die von tausend Mann.« Da schickte der Sultan fünfzig Mann hin.
Am nächsten Morgen sprach seine Schwester zu ihm: »Komm, iss erst, es kommen Leute.« Er ging schnell zum Essen und als er fertig war, stieg er herab und traf die Leute; und er schlug und tötete sie. Es blieb nur einer übrig, der eiligst zum Sultan zurücklief. Der Sultan fragte: »Wo sind Deine Gefährten?« Er erwiderte: »Sie sind gefallen, ich bin allein übrig geblieben, mir hat man die Hand abgeschlagen und gesagt«: »Du hast Essen gebracht, wo sind die Zuthaten?« Der Sultan sprach: »Wieviel Leute erfordert dieser Mensch?« Er antwortete: »Der eine ist wie tausend und einer!«
Nun schickte er hundert Mann. Auch diese bemerkte seine Schwester und sprach: »Da kommen noch mehr Leute als vordem!« Dann bereitete sie das Essen und er ass schnell. Als er unten anlangte, bemerkte er den Vezier des Sultans und seine Schar. Er ging hinaus, schlug und tötete sie, so dass nur einer übrig blieb. Zu dem sprach er: »Geh‘ hin und sage ihm, dass Du die Zuthaten gebracht hast, man hat gegessen, nun wünscht man Wasser zum Hände waschen.«
Er ging schleunigst zurück und meldete dem Sultan, dass jener Wasser zum Hände waschen begehre. Da rüstete er zweihundert Mann zum Kriege aus. Die gingen hin und wurden gleichfalls geschlagen, so dass nur einer übrig blieb, dem er ein Ohr und eine Hand abschlug und befahl: »Sage ihm, man will jetzt Tabak und Bete, er solle es schnell zurecht machen.«
Da rüstete der Sultan tausend Mann zu einem grossen Kriege aus, er selbst an der Spitze. Sie zogen aus; und die, welche zuerst anlangten, warfen einen Graben aus. Jenes junge Mädchen aber sagte zu ihrem Bruder: »Es kommen Leute, komm, iss zuerst!« Er ging hinauf zu seiner Schwester, ass schnell und als er herabkam, sah er das Heer in der Nähe des Hauses. Er ging ihnen entgegen, schlug sie und tötete viele; dabei fiel er in jenen Graben, welchen die Kriegsleute ausgeworfen hatten und zwar in ein Loch in dem Graben. Die Uebriggebliebenen rannten davon und sprachen: »Er ist nun tot.« Der junge Mann in der Grube hatte jedoch keineswegs Schaden genommen.
Sein Pferd fanden seine Brüder im Walde und wunderten sich darüber. Sie ergriffen es und brachten es zur Stadt zurück. Da sahen sie überall Blut und tote Menschen und fanden auch ihn und sprachen: »Wie kommt das, bist Du verwundet?« Er antwortete: »Ich bin nicht verwundet.« Sie zogen ihn aus dem Graben und sagten: »Erzähle uns, was vorgefallen ist!« Er sprach: »Dieser Krieg ist zum sechsten und siebenten Male gekommen.« »Warum hast Du es uns nicht wissen lassen?« erwiderten sie. Er sprach: »Diese waren mir gleich, sie haben mich nicht besiegt!« Da sagten sie: »Es schickt sich nicht, ihn wieder allein zu lassen, wenn wir zum Vögel schiessen gehen, so gehe nur einer.« Sie lebten ferner in Ruhe und Frieden.
[Märchen aus Ostafrika]