2.3
(3)
Ein armer Schlucker wußte sich nicht anders aus seiner Not zu helfen, als daß er unter die Lastträger ging. Und weil er erfuhr, daß es in Istambul an Lastträgern mangelte, siedelte er dorthin über. Unermüdlich schleppte er Lasten und wurde so gut bezahlt, daß er sich nach einiger Zeit hundert Dukaten erspart hatte. In meiner Heimat kann ich mit den hundert Dukaten einen Handel aufmachen, sagte er sich. Das ist nicht so mühselig wie die Lastenschlepperei. Deshalb will ich nur noch soviel verdienen, wie ich für die Rückreise brauche, und das ersparte Geld inzwischen einem zuverlässigen Menschen in Verwahrung geben. Er sah sich nach einem solchen Menschen um, und sein Augenmerk fiel auf einen alten Hodscha, der einen großen Verkaufsladen besaß. In den Händen dieses Mannes ist mein Geld gewiß sicher, sagte er sich und ging in den Verkaufsladen. „Was steht zu Diensten?“ fragte Hodscha. „Nimm bitte hundert Dukaten in Verwahrung, mein erspartes, schwer erworbenes Geld. Ich will dich auch für deine Mühe entlohnen.“ — „Oh, das mache ich ganz umsonst!“ antwortete der Hodscha bereitwillig. „Viele Leute vertrauen mir ihr Geld an, bei mir ist es sicher!“ Da zog der Lastträger die hundert Dukaten hervor, übergab sie dem Hodscha und verließ ihn.
Nach einigen Wochen, als er sich das Reisegeld erarbeitet hatte, kam er wieder und bat den Hodscha, ihm die hundert Dukaten zurückzugeben. „Welche hundert Dukaten?“ rief der Hodscha scheinbar empört, überschüttete ihn mit einem Schwall von Schimpfworten und warf ihn hinaus. Verzweifelt irrte der Lastträger durch die Straßen und blieb schließlich geistesabwesend an einer Straßenecke stehen, wo ihn eine Hanum von ihrem Fenster aus erblickte. Sie ließ ihn durch ihre Dienerin auffordern, zu ihr zu kommen, und da er glaubte, daß sie ihm einen Auftrag erteilen wollte, gehorchte er. „Ich sehe, daß du traurig bist“, redete die Hanum ihn an. „Sage mir, was dir zugestoßen ist.“ — „Laß mich mit deinen Fragen in Ruhe, Frau, du kannst mir nicht helfen!“ versetzte der Lastträger grob. — „Vielleicht doch. Entdecke dich mir.“ Da schüttete der Lastträger ihr sein Herz aus. „Ich kann dir mit leichter Mühe helfen“, sagte sie dann. „Warte einen Augenblick, bis ich mich umgekleidet habe. Dann zeigst du mir unauffällig den Laden des Hodschas, ich trete dort ein, nach einem Weilchen folgst du mir und bittest noch einmal um Rückgabe deiner hundert Dukaten. Du wirst sehen, daß du dein Geld sofort erhältst.“ Und nachdem sie ein kostbares Gewand angelegt hatte, verließ sie mit dem Lastträger ihr Haus.
Der Hodscha begrüßte die offenbar reiche Kundin mit vielen Bücklingen und stellte ihr einen Stuhl hin. „Nimm Platz, Hanum, erhole dich von dem Gang durch die staubigen Straßen. Was steht zu Diensten?“ — „Ich möchte dich um eine Gefälligkeit bitten“, antwortete sie. „Aber schwöre mir, daß du niemandem etwas von unserem Gespräch verrätst.“ Der Hodscha schwor unbedingte Geheimhaltung und versicherte, daß es ihm eine unsagbar große Freude wäre, ihr gefällig sein zu dürfen. „Mein Gemahl, ein hoher Beamter, hat vor kurzem das Zeitliche gesegnet!“ flüsterte sie ihm geheimnisvoll ins Ohr. „Er hinterließ mir eine Schatulle mit Juwelen und außerdem fünftausend Dukaten. Doch nun haben sich die Erben scharenweise bei mir eingestellt, und ich möchte verhindern, daß ich die Hinterlassenschaft mit ihnen teilen muß. Deshalb habe ich mich entschlossen, dich zu fragen, ob du gewillt bist, Juwelen und Geld so lange bei dir verborgen zu halten, bis die Behörden ein Verzeichnis der Hinterlassenschaft angelegt und die übrigen Erben befriedigt haben. Ich werde dich für deine Mühe reichlich entschädigen!“ Der Hodscha begriff sofort, welch reichen Gewinn dieses Geschäft versprach, und versicherte entzückt, daß die Hanum völlig über ihn verfügen könnte und er für die Aufbewahrung ihrer Wertsachen selbstverständlich keine Bezahlung nehmen würde. In diesem Augenblick erschien der Lastträger und verlangte sein Geld. „Sofort, mein Sohn“, antwortete der Hodscha. „Wieviel hast du mir anvertraut?“ — Hundert Dukaten!“ Bereitwillig schloß der Hodscha seine Geldkassette auf und zählte hundert Dukaten ab. Der Lastträger riß sie an sich und fragte, wieviel er für die Verwahrung schuldig wäre. „Selbstverständlich nichts!“ säuselte der Hodscha.
Und der Lastträger verließ mit seinem Geld den Verkaufsladen. Nach der Versicherung, daß sie Geld und Juwelen durch ihre Dienerin schicken würde, entfernte sich die Hanum ebenfalls. Der Hodscha rieb sich höchst befriedigt die Hände und spähte nach der Dienerin aus. Er wartete bis zum Mittag, aber von der Dienerin war ebensowenig zu sehen wie von dem Geld und den Juwelen. Und als die Stunde des dritten Nachmittagsgebetes verstrich, ohne daß sich die Dienerin eingestellt hatte, begriff der Hodscha, daß er hinters Licht geführt worden war, und verfluchte sich, dem Lastträger die hundert Dukaten gegeben zu haben. Er war so wütend, daß er seinen Laden vorzeitig schloß, was noch niemals vorgekommen war, und verstört nach Hause ging. „Was bedrückt dich?“ fragte seine Frau, und als sie es erfahren hatte, meinte sie: „Wenn du mir versprichst, mir späterhin keine Vorwürfe zu machen, werde ich dem Lastträger die hundert Dukaten schon morgen wieder abnehmen.“ Der Hodscha schwor, daß er ihr keinesfalls Vorwürfe machen würde, falls sie das Geld zurückbrächte, und ging im Morgengrauen des nächsten Tages auf den Marktplatz. Seine Frau folgte ihm in einiger Entfernung, ihre beiden Kinder an der Hand. Der Hodscha zeigte, ihr unauffällig den Lastträger und verdrückte sich dann hinter eine Hausecke.
Sie aber stürzte wie von Sinnen auf den Lastträger zu und fiel ihm um den Hals. „Mann, endlich habe ich dich gefunden !“ kreischte sie aus voller Kehle. „Vor zwei Jahren hast du mich und unsere beiden kleinen Kinder im Stich gelassen, um ein Haar wären wir Hungers gestorben!“ Die Umstehenden wurden aufmerksam. „Woher soll ich Frau und Kinder haben, da ich doch niemals verheiratet, war!“ rief der Lastträger. Davon ließ sich die Frau aber nicht beirren; sie überschüttete ihn mit immer neuen Vorwürfen. „Du Unhold, wenn du nichts mehr von mir wissen willst, dann laß dich wenigstens von mir scheiden! Komm sofort mit zum Kadi!“ — „Ich bin nicht dein Mann“, widersprach der Lastträger. „Deshalb kann ich mich auch nicht von dir scheiden lassen. Du verwechselst mich mit einem anderen.“ — „Nein, du bist mein Mann!“ schrie die Frau. „Ich habe dich überall gesucht, und jetzt entgehst du mir nicht!“
Der Lärm lockte mehrere Wachsoldaten herbei; sie nahmen den Lastträger fest und führten ihn vor den Kadi. „Teurer Effendi!“ flehte die Frau. „Verschaffe mir Gerechtigkeit. Dieser hier ist mein Mann, und ich verlange, daß er entweder mich und die Kinder unterhält oder sich von mir scheiden läßt!“ Der Kadi befragte den Lastträger, der immer wieder beteuerte, mit der Frau überhaupt nicht verheiratet zu sein. Da er das jedoch nicht beweisen konnte, glaubte ihm der Kadi nicht und verurteilte ihn dazu, der Betrügerin hundert Dukaten Abfindung zu zahlen. Der Lastträger sträubte sich nach Leibeskräften und versicherte, soviel Geld gar nicht zu besitzen, aber ohne Erfolg, und ihm blieb nichts anderes übrig, als sein Geld von der Hanum zu holen, der er es zur Aufbewahrung übergeben hatte.
Um sicher zu sein, daß er bei dieser Gelegenheit nicht Reißaus nehmen würde, gab der Kadi ihm einen Wachsoldaten mit, der ihn nicht aus den Augen ließ. Die Hanum staunte nicht schlecht, als der Lastträger plötzlich niedergeschlagen und obendrein unter Bewachung vor ihr stand, und ließ sich den Grund seines Kommens berichten. „Bei dem Weib handelt es sich sicherlich um die Frau des Hodschas“, sagte sie dann. „Hier sind deine hundert Dukaten, bezahle die Abfindung und verlange vom Kadi eine gerichtlich beglaubigte Urkunde darüber, daß die Kinder dir zustehen. Wenn du sie hast, dann bringe sie zu mir.“
Gesagt, getan. Als der Lastträger die Kinder wegführen wollte, erhob die Frau des Hodschas ein großes Geschrei und versuchte, sie ihm wegzureißen. Doch der Kadi verwehrte es ihr, und gegen seine Entscheidung war sie machtlos. Verzweifelt rannte sie nach Hause und berichtete ihrem Mann, daß sie zwar die hundert Dukaten ergaunert, dafür jedoch die Kinder verloren hätte. Der Hodscha raufte sich vor Verzweiflung die Haare, wußte jedoch ebensowenig, was er dagegen unternehmen sollte. Der Lastträger brachte die Kinder inzwischen, wie verabredet, zur Hanum, die sie liebevoll versorgte. Am nächsten Morgen trug sie ihm auf: „Führe die Kinder auf den Marktplatz und übergib sie dem Ausrufer. Er soll sie zunächst für hundert Dukaten feilbieten. Ich werde dann den Preis in die Höhe treiben. Und wenn der Zeitpunkt gekommen ist, um die Versteigerung abzubrechen, gebe ich dir einen Wink.“
Kurz darauf führte der Ausrufer die Kinder schon durch die Stadt und verkündete dabei ihren Preis. Er kam auch am Laden des Hodschas vorüber, der seine Kinder erkannte und auf die Straße stürzte. „Ich biete hundertundeinen Dukaten!“ rief er. „Hundertundeinen Dukaten!“ wiederholte der Ausrufer und ging mit den Kindern auf den Marktplatz zurück, wo er von der Hanum erwartet wurde. „Das ist ein empörend niedriger Preis für die Kinder!“ rief sie. „Ich biete fünfhundert Dukaten.“ — „Fünfhundert Dukaten!“ wiederholte der Ausrufer und kehrte zum Hodscha zurück. „Fünfhundertundeinen Dukaten!“ rief ihm der Hodscha zu. „Fünfhundertundeinen Dukaten!“ grölte der Ausrufer und begab sich zur Hanum. „Tausend Dukaten!“ sagte sie. „Tausend Dukaten, wer bietet mehr?“ grölte der Ausrufer und trottete zum Hodscha. „Tausendundeinen Dukaten!“ rief dieser zähneknirschend. „Eintausendfünfhundert Dukaten!“ bot die Hanum. Und so ging es weiter, bis sie den Preis auf zweitausendfünfhundert Dukaten hochgetrieben und der Hodscha wiederum einen Dukaten mehr geboten hatte.
Danach bedeutete sie dem Lastträger, die Versteigerung abzubrechen, er gehorchte, der Ausrufer führte dem Hodscha die beiden Kinder zu und händigte die zweitausendfünfhundertundeinen Dukaten, die er für sie erhielt, dem Lastträger ein. Dieser ging damit zur Hanum. „Hier ist das gesamte ersteigerte Geld“, sagte er. „Gib nur davon meine hundert Dukaten!“ — „Aber nein!“ antwortete sie erstaunt. „Ich will nichts von dem Geld, es gehört dir. Aber ich rate dir, Istambul noch heute zu verlassen, denn später kommst du nicht mehr mit heiler Haut davon.“ Da dankte der Lastträger ihr von ganzem Herzen für ihre große Güte und machte sich noch zur gleichen Stunde auf den Heimweg in sein Vaterland, wo er bis zu seinem Ende glücklich und zufrieden lebte.
Nach einigen Wochen, als er sich das Reisegeld erarbeitet hatte, kam er wieder und bat den Hodscha, ihm die hundert Dukaten zurückzugeben. „Welche hundert Dukaten?“ rief der Hodscha scheinbar empört, überschüttete ihn mit einem Schwall von Schimpfworten und warf ihn hinaus. Verzweifelt irrte der Lastträger durch die Straßen und blieb schließlich geistesabwesend an einer Straßenecke stehen, wo ihn eine Hanum von ihrem Fenster aus erblickte. Sie ließ ihn durch ihre Dienerin auffordern, zu ihr zu kommen, und da er glaubte, daß sie ihm einen Auftrag erteilen wollte, gehorchte er. „Ich sehe, daß du traurig bist“, redete die Hanum ihn an. „Sage mir, was dir zugestoßen ist.“ — „Laß mich mit deinen Fragen in Ruhe, Frau, du kannst mir nicht helfen!“ versetzte der Lastträger grob. — „Vielleicht doch. Entdecke dich mir.“ Da schüttete der Lastträger ihr sein Herz aus. „Ich kann dir mit leichter Mühe helfen“, sagte sie dann. „Warte einen Augenblick, bis ich mich umgekleidet habe. Dann zeigst du mir unauffällig den Laden des Hodschas, ich trete dort ein, nach einem Weilchen folgst du mir und bittest noch einmal um Rückgabe deiner hundert Dukaten. Du wirst sehen, daß du dein Geld sofort erhältst.“ Und nachdem sie ein kostbares Gewand angelegt hatte, verließ sie mit dem Lastträger ihr Haus.
Der Hodscha begrüßte die offenbar reiche Kundin mit vielen Bücklingen und stellte ihr einen Stuhl hin. „Nimm Platz, Hanum, erhole dich von dem Gang durch die staubigen Straßen. Was steht zu Diensten?“ — „Ich möchte dich um eine Gefälligkeit bitten“, antwortete sie. „Aber schwöre mir, daß du niemandem etwas von unserem Gespräch verrätst.“ Der Hodscha schwor unbedingte Geheimhaltung und versicherte, daß es ihm eine unsagbar große Freude wäre, ihr gefällig sein zu dürfen. „Mein Gemahl, ein hoher Beamter, hat vor kurzem das Zeitliche gesegnet!“ flüsterte sie ihm geheimnisvoll ins Ohr. „Er hinterließ mir eine Schatulle mit Juwelen und außerdem fünftausend Dukaten. Doch nun haben sich die Erben scharenweise bei mir eingestellt, und ich möchte verhindern, daß ich die Hinterlassenschaft mit ihnen teilen muß. Deshalb habe ich mich entschlossen, dich zu fragen, ob du gewillt bist, Juwelen und Geld so lange bei dir verborgen zu halten, bis die Behörden ein Verzeichnis der Hinterlassenschaft angelegt und die übrigen Erben befriedigt haben. Ich werde dich für deine Mühe reichlich entschädigen!“ Der Hodscha begriff sofort, welch reichen Gewinn dieses Geschäft versprach, und versicherte entzückt, daß die Hanum völlig über ihn verfügen könnte und er für die Aufbewahrung ihrer Wertsachen selbstverständlich keine Bezahlung nehmen würde. In diesem Augenblick erschien der Lastträger und verlangte sein Geld. „Sofort, mein Sohn“, antwortete der Hodscha. „Wieviel hast du mir anvertraut?“ — Hundert Dukaten!“ Bereitwillig schloß der Hodscha seine Geldkassette auf und zählte hundert Dukaten ab. Der Lastträger riß sie an sich und fragte, wieviel er für die Verwahrung schuldig wäre. „Selbstverständlich nichts!“ säuselte der Hodscha.
Und der Lastträger verließ mit seinem Geld den Verkaufsladen. Nach der Versicherung, daß sie Geld und Juwelen durch ihre Dienerin schicken würde, entfernte sich die Hanum ebenfalls. Der Hodscha rieb sich höchst befriedigt die Hände und spähte nach der Dienerin aus. Er wartete bis zum Mittag, aber von der Dienerin war ebensowenig zu sehen wie von dem Geld und den Juwelen. Und als die Stunde des dritten Nachmittagsgebetes verstrich, ohne daß sich die Dienerin eingestellt hatte, begriff der Hodscha, daß er hinters Licht geführt worden war, und verfluchte sich, dem Lastträger die hundert Dukaten gegeben zu haben. Er war so wütend, daß er seinen Laden vorzeitig schloß, was noch niemals vorgekommen war, und verstört nach Hause ging. „Was bedrückt dich?“ fragte seine Frau, und als sie es erfahren hatte, meinte sie: „Wenn du mir versprichst, mir späterhin keine Vorwürfe zu machen, werde ich dem Lastträger die hundert Dukaten schon morgen wieder abnehmen.“ Der Hodscha schwor, daß er ihr keinesfalls Vorwürfe machen würde, falls sie das Geld zurückbrächte, und ging im Morgengrauen des nächsten Tages auf den Marktplatz. Seine Frau folgte ihm in einiger Entfernung, ihre beiden Kinder an der Hand. Der Hodscha zeigte, ihr unauffällig den Lastträger und verdrückte sich dann hinter eine Hausecke.
Sie aber stürzte wie von Sinnen auf den Lastträger zu und fiel ihm um den Hals. „Mann, endlich habe ich dich gefunden !“ kreischte sie aus voller Kehle. „Vor zwei Jahren hast du mich und unsere beiden kleinen Kinder im Stich gelassen, um ein Haar wären wir Hungers gestorben!“ Die Umstehenden wurden aufmerksam. „Woher soll ich Frau und Kinder haben, da ich doch niemals verheiratet, war!“ rief der Lastträger. Davon ließ sich die Frau aber nicht beirren; sie überschüttete ihn mit immer neuen Vorwürfen. „Du Unhold, wenn du nichts mehr von mir wissen willst, dann laß dich wenigstens von mir scheiden! Komm sofort mit zum Kadi!“ — „Ich bin nicht dein Mann“, widersprach der Lastträger. „Deshalb kann ich mich auch nicht von dir scheiden lassen. Du verwechselst mich mit einem anderen.“ — „Nein, du bist mein Mann!“ schrie die Frau. „Ich habe dich überall gesucht, und jetzt entgehst du mir nicht!“
Der Lärm lockte mehrere Wachsoldaten herbei; sie nahmen den Lastträger fest und führten ihn vor den Kadi. „Teurer Effendi!“ flehte die Frau. „Verschaffe mir Gerechtigkeit. Dieser hier ist mein Mann, und ich verlange, daß er entweder mich und die Kinder unterhält oder sich von mir scheiden läßt!“ Der Kadi befragte den Lastträger, der immer wieder beteuerte, mit der Frau überhaupt nicht verheiratet zu sein. Da er das jedoch nicht beweisen konnte, glaubte ihm der Kadi nicht und verurteilte ihn dazu, der Betrügerin hundert Dukaten Abfindung zu zahlen. Der Lastträger sträubte sich nach Leibeskräften und versicherte, soviel Geld gar nicht zu besitzen, aber ohne Erfolg, und ihm blieb nichts anderes übrig, als sein Geld von der Hanum zu holen, der er es zur Aufbewahrung übergeben hatte.
Um sicher zu sein, daß er bei dieser Gelegenheit nicht Reißaus nehmen würde, gab der Kadi ihm einen Wachsoldaten mit, der ihn nicht aus den Augen ließ. Die Hanum staunte nicht schlecht, als der Lastträger plötzlich niedergeschlagen und obendrein unter Bewachung vor ihr stand, und ließ sich den Grund seines Kommens berichten. „Bei dem Weib handelt es sich sicherlich um die Frau des Hodschas“, sagte sie dann. „Hier sind deine hundert Dukaten, bezahle die Abfindung und verlange vom Kadi eine gerichtlich beglaubigte Urkunde darüber, daß die Kinder dir zustehen. Wenn du sie hast, dann bringe sie zu mir.“
Gesagt, getan. Als der Lastträger die Kinder wegführen wollte, erhob die Frau des Hodschas ein großes Geschrei und versuchte, sie ihm wegzureißen. Doch der Kadi verwehrte es ihr, und gegen seine Entscheidung war sie machtlos. Verzweifelt rannte sie nach Hause und berichtete ihrem Mann, daß sie zwar die hundert Dukaten ergaunert, dafür jedoch die Kinder verloren hätte. Der Hodscha raufte sich vor Verzweiflung die Haare, wußte jedoch ebensowenig, was er dagegen unternehmen sollte. Der Lastträger brachte die Kinder inzwischen, wie verabredet, zur Hanum, die sie liebevoll versorgte. Am nächsten Morgen trug sie ihm auf: „Führe die Kinder auf den Marktplatz und übergib sie dem Ausrufer. Er soll sie zunächst für hundert Dukaten feilbieten. Ich werde dann den Preis in die Höhe treiben. Und wenn der Zeitpunkt gekommen ist, um die Versteigerung abzubrechen, gebe ich dir einen Wink.“
Kurz darauf führte der Ausrufer die Kinder schon durch die Stadt und verkündete dabei ihren Preis. Er kam auch am Laden des Hodschas vorüber, der seine Kinder erkannte und auf die Straße stürzte. „Ich biete hundertundeinen Dukaten!“ rief er. „Hundertundeinen Dukaten!“ wiederholte der Ausrufer und ging mit den Kindern auf den Marktplatz zurück, wo er von der Hanum erwartet wurde. „Das ist ein empörend niedriger Preis für die Kinder!“ rief sie. „Ich biete fünfhundert Dukaten.“ — „Fünfhundert Dukaten!“ wiederholte der Ausrufer und kehrte zum Hodscha zurück. „Fünfhundertundeinen Dukaten!“ rief ihm der Hodscha zu. „Fünfhundertundeinen Dukaten!“ grölte der Ausrufer und begab sich zur Hanum. „Tausend Dukaten!“ sagte sie. „Tausend Dukaten, wer bietet mehr?“ grölte der Ausrufer und trottete zum Hodscha. „Tausendundeinen Dukaten!“ rief dieser zähneknirschend. „Eintausendfünfhundert Dukaten!“ bot die Hanum. Und so ging es weiter, bis sie den Preis auf zweitausendfünfhundert Dukaten hochgetrieben und der Hodscha wiederum einen Dukaten mehr geboten hatte.
Danach bedeutete sie dem Lastträger, die Versteigerung abzubrechen, er gehorchte, der Ausrufer führte dem Hodscha die beiden Kinder zu und händigte die zweitausendfünfhundertundeinen Dukaten, die er für sie erhielt, dem Lastträger ein. Dieser ging damit zur Hanum. „Hier ist das gesamte ersteigerte Geld“, sagte er. „Gib nur davon meine hundert Dukaten!“ — „Aber nein!“ antwortete sie erstaunt. „Ich will nichts von dem Geld, es gehört dir. Aber ich rate dir, Istambul noch heute zu verlassen, denn später kommst du nicht mehr mit heiler Haut davon.“ Da dankte der Lastträger ihr von ganzem Herzen für ihre große Güte und machte sich noch zur gleichen Stunde auf den Heimweg in sein Vaterland, wo er bis zu seinem Ende glücklich und zufrieden lebte.
Quelle:
(Märchen aus Jugoslawien)