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Märchenbasar

Der lateinische Junge

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Eine Witwe hatte zwei Söhne. Von denen hatte der eine einen „Schuss“ und war nicht recht bei Trost. „Der muss mir ein Gelehrter werden!“ sprach sie und brachte ihn in die Stadt zu einem Studenten, der sollte ihn in einigen Tagen die lateinische Sprache lehren. Der Student war nun ein lustiger Vogel wie die meisten. Der sagte: „Kommt nur in drei Tagen wieder, so könnt Ihr Euern Sohn als Gelehrten heimführen!“ Des anderen Tages ging der Student mit seinem Schüler auf die Jagd in den Wald. Da sahen sie im Felde einen Stier scharren : „bikä schärrentis“ zeigte der Student. Der Schüler sprach es nach und wiederholte es in einem fort, damit er’s nicht vergesse. Weiter sahen sie einen hohen Baum mit einem Krähennest: „hochbaumus cronästus!“ sagte der Student. Der Schüler wiederholte:
„bikä schärrentis,
hochbaumus cronästus.“
Im Walde ging ein alter Mann, der trug einen Korb: „altmännus cu corbus!“ sagte der Student. Der Schüler wiederholte:
„bikä schärrentis,
hochbaumus cronästus,
altmännus cu corbus“.
Allein es fing ihm schon an, viel zu werden, und er fragte: „Ist die lateinische Sprache noch lang?“ – „Nein!“ tröstete ihn der Student, „du bist bald damit fertig!“ Im Walde traf er nichts zum Schießen. Da ließ er sich hinunter in die Ebene an den Fluß und fand hier einige wilde Enten, die schnatterten:
„änti givanti, di schnärra im flussi!“ sagte leise der Student. Der Schüler wiederholte:
„bikä schärrentis,
hochbaumus cronästus,
altmännus cu corbus,
änti givanti, di schnärra im flussi!“
Der Student schoss und traf eine Ente, die war aber am jenseitigen Ufer des Flusses. Da warf er schnell seine Büchse auf den Rücken und sprach: „schwämm nö biss!“ und watete durch den Fluss. Sein Schüler aber wiederholte:
„bikä schärrentis,
hochbaumus cronästus,
altmännus cu corbus,
änti givanti, di schnärra im flussi!
schwämm nö biss!“
Der Student freute sich über seine Beute und wollte schnell zu seinen Kameraden, um sie ihnen zu zeigen. Darum beendigte er den lateinischen Unterricht und sprach zu seinem Schüler: „Jetzt kannst du die lateinische Sprache. Nun darfst du in acht Tagen gar nichts anders sprechen, damit du sie nicht vergisst!“ Der Junge sagte sich nun den Spruch immer vor, und seine Mutter war himmelfroh, als sie nach drei Tagen ihn abholte und hörte, dass ihr Sohn ein ganzer Lateiner sei. Denn auf alle ihre Fragen antwortete er nichts anders als den lateinischen Spruch, den er gelernt hatte. „Ach, was wird unser Herr Pfarrer dazu sagen!“ jubelte sie vor Freude in ihrem Mutterherzen. Sie bezahlte den Unterricht dem Studenten gut und führte ihren Sohn nach Hause und ging mit ihm zum Herrn Pfarrer und sprach: „Herr Pfarrer, mein Sohn hat die Muttersprache verlernt und ist ein Gelehrter geworden. Wollt Ihr ihm nicht die Schule geben, dass er die Kinder lehrt?“ – „Ich will ihn erst prüfen, was er kann“, sprach der Pfarrer freundlich und forderte den Sohn sogleich auf, er solle sagen, was er wisse. Da sagte dieser seinen Spruch, und kein Wort sonst konnte der Pfarrer aus ihm herausbringen. „Euer Sohn ist zu gelehrt!“ sprach endlich der Pfarrer zur Frau, „als dass wir ihn brauchen könnten!“ Da führte die Mutter ihren Sohn traurig nach Hause und sprach: „Warum hast du doch gar so viel gelernt“ Aber der Sohn sagte wieder seinen lateinischen Spruch, und das tat er noch drei Tage, bis die acht Tage um waren, wie ihm der Student, sein Lehrer, befohlen hatte. Seine Mutter war inzwischen untröstlich, weinte und klagte ihren Nachbarinnen, wie sie mit ihrem Sohn jetzt nicht einmal sprechen könne, da er nichts als lateinisch verstehe.
Da geschah es am neunten Tage, dass der gelehrte Sohn, als er in der Scheune drosch und die Schweine hinkamen, plötzlich ausrief: „Häts än de Stall!“ Kaum hatte das seine Mutter gehört, so weinte und schluchzte sie vor Freuden: „Ach, meinem Sohn ist die Muttersprache wiedergekommen. Gott sei Dank, dass er kein Gelehrter mehr ist!“
bikä schärrentis,
hochbaumus cronästus,
altmännus cu corbus,
änti givanti, di schnärra im flussi!
schwamm no biss!

Quelle: (Josef Haltrich)

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