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Der liebeskranke Dämon

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Es war einmal ein reicher alter Mann mit einem großen Landgut. Er hatte zwei reizende Enkelkinder, welche allerdings weit entfernt lebten.

Zur Herbstzeit verweilten Findus und Greta gerne auf dem Gut ihres geliebten Großvaters. An einem kalten, regnerischen Abend saßen sie bei heimeligem Kerzenschein beieinander.
„Wenn ihr leise seid und die Ohren spitzt, dann könnt ihr nachts das Herz des Dämons pochen hören“, flüsterte der Großvater geheimnisvoll.
In seinen schelmischen Augen spiegelte sich das knisternde Kaminfeuer. Die Kinder hockten spannungsgeladen auf dem Boden und hingen wie gebannt an seinen Lippen.
Der alte Mann warf einige Holzscheite in die Flammen und setzte seine Tabakspfeife in Brand.
„Erzähl weiter“, bat Greta ungeduldig.
Der Alte räusperte sich und fuhr fort:

„Vor vielen, vielen Jahren, lange bevor ich das Licht der Welt erblickte, herrschten die Dämonen über alles Leben. Diese dunklen Wesen konnten ewig existieren, mussten weder essen noch schlafen. Sie benötigten dazu nur Seelen, reine unverdorbene Kinderseelen. Mit ihnen nährten sie sich, ohne sie wären die Dämonen jämmerlich zugrunde gegangen. Wurde man von einem erwischt, dann war man verloren und musste ihnen bis in alle Ewigkeit willenlos zu Diensten sein. Deshalb fürchteten die Menschen das dämonische Gelichter und vor allem ihre teuflischen Fähigkeiten. Bald begannen mutige Mannsbilder die boshaften Wesen zu jagen und zu vernichten. Obwohl dies ein wahrlich schwieriges Unterfangen war, mussten viele Dämonen in die Hölle zurückkehren. Doch auch einige heldenhafte Jünglinge ließen dabei ihr Leben. Trotzdem gelang es einigen wenigen Dunkelwesen zu entkommen. Sie verkrochen sich in tiefen Erdlöchern, unzugänglichen Felsgrotten und sogar in alten, verfallenen Burgruinen.“
Greta und Findus verharrten ganz still, wagten kaum zu atmen und schauten ihren Großvater unverwandt an. Dieser entzündete seine inzwischen erkaltete Pfeife erneut und fuhr fort:
,,Droben im Zypressenhain steht eine finstere Ruine. Einst war das die prächtige Trutzburg eines hartherzigen Herzogs. Später viel später, wurde die Burg zum Schlupfwinkel eines Dämons. Er hauste noch dort, als ich ein unwissender Knabe war. Sein leerer kalter Blick, hieß es, könne Herzen versteinern lassen, sein Haupt schmückten Beulen und Hörner. Die Menschen nannten ihn Natas. Kam jemand diesem Geschöpf zu nahe, so umfing ihn sogleich der eiskalte Hauch des Todes. Und gelang es ihm sogar sein vermeintliches Opfer zu berühren, dann erstarrten dessen Glieder augenblicklich.“

„Was geschah dann?“, fragte Findus erschaudernd.
„Nun“, antwortete der Großvater, ,,dieser Dämon brachte seine Beute zum Versteck in der Burg. Dort bemächtigte er sich in aller Ruhe der Seele des Kindes.“
,,War es dann tot?“, hauchte Greta erschrocken.
,,Nein. Die armen Mädchen und Buben waren zu willenlosen Marionetten geworden.
Sie befolgten widerspruchslos Natas Befehle und führten ihm sogar ahnungslose Freunde sowie auch Geschwister zu. Sehr lange Zeit konnte sich dieses Höllenwesen an unschuldigen Seelen schadlos halten, bis … ja, bis zu jenem Tag …“
Die Geschwister rückten dichter aneinander. In ihren vom Kaminfeuer beleuchteten Gesichtern war Furcht und gleichzeitig Neugier zu erkennen. Der Großvater befeuchtete seine ausgedörrte Kehle mit einem guten Tropfen Rotwein, genehmigte sich das nächste Pfeifchen und genoss sichtlich die ihm entgegengebrachte Aufmerksamkeit. Nach einer für die Kinder viel zu langen Pause, schickte er sich an endlich fortzufahren:

„In einer lauen Sommernacht, als der Dämon wieder jagen wollte, traf er am Burgweiher auf eine anmutige Maid. Da ihr Gewand bereits im Grase lag, stand sie bloß, wie Gott sie geschaffen hatte, im silbernen Mondlicht. Die Schöne sang eine unvergleichlich liebliche Melodie und berührte damit des Bösen Herz. Dieser jedoch wusste nicht, wie ihm geschah. Natas verspürte plötzlich ein noch niemals zuvor empfundenes Gefühl. Er hatte sich in die schöne, fremde Jungfrau verliebt. Deshalb blieb er verborgen und konnte sich aber dennoch nicht an ihr sattsehen. Von Stunde an schlich er Nacht für Nacht zum Weiher, um dort die Maid unbemerkt anzuschmachten.“
,,Hat sie denn gar nichts bemerkt, Großvater?“, fragte Greta leise.
,,Zuerst nicht, meine Kleine, aber dann, als sich eines Nachts der Mond hinter dicken Wolken versteckte, wagte sich Natas dichter heran. Und just in dem Augenblick verschwanden die Wolken, das Mädchen fuhr herum und bemerkte erschrocken einen flüchtenden Schatten. Geschwind warf es sich sein Gewand über und folgte ihm bis zur Burg. Obwohl es der Maid ein wenig grauste, trat sie zögernd ein. Als der Dämon die Jungfrau erblickte, übermannte ihn seine Liebe zu ihr so stark, dass er sie wie von Sinnen an sich riss. Im selben Moment erkannte der Dämon seinen Fehler, denn er spürte, wie sie in seinen Armen zu Eis wurde und in tausend Stücke zerbrach. Abermals verspürte er nie gekannte Regungen. Sie betrübten ihn, fügten ihm sogar Schmerz zu, ließen sein steinernes Herz zerspringen und salziges Wasser lief aus seinen Augen. Die Tränen bewirkten ein Wunder und brachten Natas Herz wieder zum Schlagen. Aber sein Liebesschmerz war so gewaltig, dass er sein eigenes pochendes Herz nicht ertragen konnte. Es würde ihn stets daran erinnern, wie schuldig er am Tod der Jungfrau war. So riss er es sich selbst aus dem Leib, doch nicht einmal ein dämonisches Höllenwesen kann ohne Herz überleben. Es entglitt seiner Pranke und Natas Körper zerfloss. Aber sein Herz nicht. Das lag am Boden und schlug immer weiter!“

Greta zitterte am ganzen Körper. Leise weinend klammerte sie sich an ihrem Bruder fest. Sie starrte geistesabwesend vor sich hin und raunte:
„Ich kann es pochen hören! Ich kann es pochen hören!“
„Nein, das kannst du bestimmt nicht“, beschwichtigte Findus seine Schwester. ,,Du glaubst es nur zu hören. Das ist doch bloß eine Legende, nicht wahr, Großvater?“
Der nickte nachdenklich, nahm seine Enkelin schuldbewusst in den Arm und sprach tröstend zu ihr:
,,Es tut mir sehr leid, wenn ich dich mit meiner Erzählung geängstigt habe. Vielleicht solltest du zu Bett gehen.“
Der Knabe begleitete sie hinauf ins Schlafgemach und versicherte ihr mehrfach, dass es gewiss nur eine erfundene Geschichte wäre. Halbwegs beruhigt schlief Greta ein.

Findus gesellte sich wieder zu seinem Großvater vor den Kamin.
„Sag, ist es tatsächlich nur eine Legende?“, fragte er den alten Mann.
„Hm, vielleicht. Wer weiß das schon“, entgegnete dieser.
„Hatte dir dein Großvater auch schon davon erzählt?“
,,Also, in den Spinnstuben berichteten die alten Weiber, dass viele Jahre später ein Wanderbursche in der Burgruine übernachtete und dieser durch ein lautes Klopfgeräusch erwachte. Er ging dem – bum, bum – nach und fand nur ein steinernes kaltes Herz. Der Bursche fand Gefallen an dem seltsamen Stein und nahm ihn mit. Von da an soll er in Vollmondnächten immer wieder seltsame Geräusche vernommen haben und das Dämonenherz befindet sich wohl heute noch in seinem Besitz.“

Böse Träume rissen Findus aus dem Schlaf. Er stand auf, um nach seiner Schwester zu sehen. Barfüßig lief er über den Gang, dabei kam er an des Großvaters Kammertür vorbei und da glaubte er etwas zu hören. Behutsam öffnete der Knabe die Tür, trat sachte ein und fragte besorgt:
„Schläfst du Großvater, oder ist dir nicht wohl?“
Jedoch der alte Mann schlief tief und fest. Aber das Klopfen war nun lauter und deutlicher zu hören. Findus hielt den Atem an, lauschte angestrengt, um die Ursache herauszufinden. Plötzlich führte ihn das Geräusch zum Schreibsekretär. Mit zittriger Hand hob er den Deckel.
,,Jesses Maria!“, entschlüpfte es ihm halblaut.
Vor dem Jungen lag das pochende und pulsierende Dämonenherz. Wie gebannt starrte er es an und ihm wurde bewusst, dass jener Wanderbursche nur sein Großvater gewesen sein konnte.

Quelle: Ulla Magonz

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