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Der Mann mit dem Zaubervogel

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Ein alter Bauer hatte zwei Söhne und zwei Kühe. Als er sterben sollte, sprach er zu seinen Söhnen: „Ich hinterlasse jedem von euch eine Kuh. Doch da keiner mit seiner Kuh allein pflügen kann, so spannt immer zusammen und helft einer dem andern brüderlich.“ Der Alte starb, und die Söhne befolgten auch seinen Rat einige Zeit hindurch getreulich. Da traf es sich aber einmal, als der jüngere Bruder pflügte, dass der ältere auf das Feld kam. Die Sonne schien sehr heiß, und das Erdreich war so steinhart, dass die armen Kühe fast nicht mehr fortkonnten. Weil nun der jüngere Bruder mitleidigen Herzens war, so sprach er oftmals beim Antreiben: „O ihr meine armen Kühe!“ Das hörte der ältere Bruder, und es ärgerte ihn, und er sprach: „Sage nicht mehr, ihr meine armen Kühe! sonst glauben die Leute, sie wären beide dein!“ Allein der Jüngere konnte sich nicht enthalten, bald wieder auszurufen: „O ihr meine armen Kühe!“ Da drohte der Ältere und sprach: „Wenn du noch einmal so sagst, so schlage ich deine Kuh tot!“ Jener vergaß sich und sprach bald wieder also. Und der andere nahm sogleich die Axt und schlug ihm die Kuh tot. Der Arme stand nun da und weinte und weinte, dass sich auch ein Stein hätte erbarmen müssen. Erst als es Abend war, kehrte er heim. Allein seinen garstigen Bruder konnte und wollte er nicht sehen. Er schlief draußen in der Scheune.
Am frühen Morgen nahm er ein Messer und ging wieder zu seiner Kuh, um ihr die Haut abzuziehen. Er brachte den ganzen Tag damit hin. Am Abend begab er sich zum Schlafen nach Hause, ging aber wieder nur in die Scheune. Als er am andern Morgen sich aufs Feld begab, seine arme Kuh zu sehen, standen bei ihr schon eine Menge Krähen und Schalastern (aus Agalaster = Elster). „Nu wartet!“ sprach er, „ihr sollt meine Kuh nicht umsonst fressen!“ Er stellte sich mit einem Stecken daneben, um sie totzuschlagen, wenn sie wiederkämen. Allein die Vögel kamen nicht, solange er dastand, sondern flogen nur ringsherum und sahen ungeduldig auf den fetten Bissen. Endlich erdachte er sich eine List: er nahm die Kuhhaut, kroch unter dieselbe und legte sich neben die geschundene Kuh und rührte und regte sich nicht. Die Vögel hatten nicht gesehen, wie er hineingekrochen war. Als sie nichts weiter von einem Menschen bemerkten, flogen sie von allen Seiten wieder herbei, freilich anfangs nur in die Nähe, denn sie trauten doch nicht recht. Als aber alles ruhig war, wuchs ihr Mut, sie flogen endlich auch auf die Kuh und fraßen und fraßen. Nur einmal griff der Mann unter der Haut her hastig heraus und erfasste eine Schalaster. Die andern Vögel flogen verscheucht davon. Jetzt war er wieder ruhig und lauerte. Aber umsonst, es kam nichts mehr. Darum gab er sich weiter keine Mühe und überließ jetzt den Vögeln die Kuh.
Um seine Kuhhaut gut zu verkaufen, zog er weit, weit fort in die Hauptstadt, und er nahm auch seine Schalaster mit. Spät abends langte er dort an. Da er hier ganz unbekannt war und keinen Wirten hatte, so sah er sich die Häuser, in denen schon das Licht brannte, von außen etwas an: er wollte weder bei zu armen Leuten ansprechen, denn da fällt man beschwerlich, wenn man auch gern gesehen wird. Noch bei allzureichen, denn die beherbergen arme, unbekannte Leute am wenigsten. Endlich hatte er sich ein Haus ersehen, wo es ihm nicht gefehlt schien. Er klopfte an. Da hörte er drinnen hin- und herrennen, poltern und rauschen. Endlich rief eine Frauenstimme: „Wer ist da?“ – „Ein armer Reisender, habt Erbarmen und lasset mich ein!“ – „Ach, lieber Mann, bei uns ist jetzt kein Raum, sonst würden wir Euch von Herzen gern aufnehmen!“ – „Aber ein Winkel hinterm Ofen ist ja für mich gut genug, seid nicht so hartherzig!“ – „Seht doch, Freund, dass Ihr anderswo eine bessere Unterkunft findet. Denn ich müsste mich schämen, Euch aufzunehmen, wenn ich es Euch dann nicht bequem machen könnte!“ – „O gute Frau, habt nur weiter keine Sorge. Für mich ist alles gut genug. Ich bin straßenmüde und werde auch hinterm Ofen wohl und gleich schlafen! Und überdies würde ich auch morgen mit meiner Kuhhaut einen schlechten Handel machen, wenn Ihr mich jetzt nicht einließet, denn wem man die erste Tür verschließt, der hat kein Glück!“ Die Frau wollte nicht recht und war sehr ärgerlich. Da sie aber sah, dass sich der Fremde nicht abweisen ließ und sie so lange hinhielt, so sperrte sie endlich auf und bot ihm einen sehr unfreundlichen Gruß: „Ihr Unverschämter, schnell denn herein und packt Euch hinter den Ofen, und untersteht Ihr Euch nur einmal zu mucksen bis morgen früh, so lasse ich Euch auf der Stelle durch den Hund hinaushetzen!“ Der arme Gast wollte auf diese Grobheit nichts erwidern, aber in seinem Herzen wurmte es ihn. Er schleppte sich mit seiner Kuhhaut und der Schalaster in die Hell hinter den Ofen, legte sich und stellte sich bald, als wenn er schliefe. Da fing die Frau sogleich an, ihr unterbrochenes Geschäft fortzusetzen: sie zog ein Spanferkel unter dem Herd hervor, das sie in der ersten Bestürzung dahin gesteckt hatte, und legte es in die Bratröhre. Dann nahm sie die „Kletitenpfanne“ aus der Ofenröhre und die gebackenen Kletiten (Plinsen) aus der Ofenkachel und buk dort. Als sie fertig war, ging sie zum Nachbar und holte in einer Loßkanne Wein. Nur einmal öffnete sich die Türe, und ein trat ein hübscher, junger Mann: „Ah, Herr Kantor! Ich dachte nur, Sie würden jetzt nicht kommen!“ Da wurde nun gescherzt und gelacht, und endlich machte die Frau Anstalt, die Tafel herzurichten. Indem hörten sie plötzlich an die Türe klopfen und zwar so stark, dass die Frau zu ihrem Schrecken gleich merkte, es sei ihr Mann, der vom Jahrmarkt heimkehre. Im Hui war der Kantor zur Hintertüre hinaus, und die Frau raffte vom Tisch schnell alles fort, legte das Spanferkel unter den Herd, die Kletiten in die Ofenkacheln, den Wein unter das Bett. Sie warf das Bett auseinander, riss sich die Kleider vom Leibe, löschte das Licht aus, legte sich ins Bett und verhielt sich ruhig.
Dem Manne wurde das Warten vor der Türe jetzt doch zu lang. Er stieß an die Türe, als wollte er sie in tausend Trümmer zerschmettern, und tobte und fluchte: „Willst du einmal aufmachen, vermaledeites Weib!“ Die Frau zitterte jetzt am ganzen Leibe, stieg aus dem Bett, schlich zur Türe und öffnete. „Wie ist es auf einmal so stockfinster?“ fragte der Mann im Eintreten: „es war einige Augenblicke früher ganz hell im Zimmer, und warum lässt du mich so lange warten? Ich habe zweimal geklopft, so dass ein Toter dadurch hätte erwachen müssen!“ – „Zweimal? das ist nicht wahr!“ rief die Frau trotzig. „Doch es mag sein einmal vielleicht, während ich die Gartentüre zugesperrt habe. Ich habe nur dies letzte Klopfen gehört. Allein bist du ein Wilder, dass du so tobst. Ich bin so erschreckt worden, dass ich am ganzen Leibe zittere. Du sollst die Sünde verbeten, wenn mir etwas geschieht!“ Damit legte sie sich ins Bett und ließ ihren Mann im Dunkeln herumtappen. Der bereute nun, dass er so heftig gewesen, ging schweigend zum Feuer, und da noch gute Glutkohlen waren, blies er’s zur Flamme an, nahm ein Licht und stellte es auf den Tisch. Als er nun seine schwere Reisekleidung, Pelz und Handschuhe abgelegt hatte, ging er zum Bett und sprach mit sanfter Stimme:
„Lieber Schatz, hast du nichts für mich zum Essen. Ich bin so hungrig, dass ich einen Ochsen aufessen möchte!“ – „Friss Brot!“ schrie die Frau, „es ist gut genug für dich, Zottelbär, der du bist!“ Dem Mann stieg die Galle wieder. Allein er schwieg, ging zum Brotschrank, nahm sich einen angeschnittenen Laib hervor und setzte sich zum Tisch. Da zappte der Fremde hinterm Ofen, der alles gesehen und gehört hatte, was vorgegangen war, seine Schalaster am Schwanz, dass sie aufschrie. „Frau, was ist das?“ rief der Mann. „Es ist ja so ein Straßenmann, den ich bei seiner unverschämten Halsstarrigkeit nicht abweisen konnte!“
Der Mann nahm das Licht und ging damit zum Ofenwinkel, leuchtete hinein und sah den Fremden da liegen. „Was habt Ihr in der Hand?“ fragte er ihn. Der Gast sprach ganz pfiffig: „Einen Zaubervogel, der wahrsagt!“ – „Einen Zaubervogel! Himmlischer Gott, so einen habe ich nie gesehen. Lasset ihn doch gleich etwas wahrsagen!“ Da kneipte der Fremde seine Schalaster, dass sie wieder aufkreischte.
„Was sagt er denn?“ – „Es sei ein gebratenes Spanferkel unterm Herd!“ – „Nur zu! das wäre mir gerade recht!“ Er bückte sich gleich und sah zu seiner Verwunderung das noch dampfende Spanferkel. Es wurde gleich aufgetischt, und der Fremde hinterm Ofen musste herauskommen und mitessen. Als sie damit fertig waren, sagte der Wirt: „Ei, ich habe noch Hunger, macht, dass Euer Zaubervogel noch etwas uns verschafft.“ Da zwickte und zappte der Gast seine Schalaster, dass sie wieder einmal krächzte. „Was sagt er?“ – „Es sei in dem Kachelofen ein Teller voll Kletiten!“ – „Ei, das ist ja prächtig!“ rief der Wirt, griff gleich danach und langte die Schüssel hervor, und sie waren noch warm. Sie aßen wieder zusammen, „Nun möchte ich gern auch einmal guten Wein trinken. Ich habe leider keinen im Keller. Machet, dass Euer Vogel uns eine Flasche herzaubert!“ Der Gast kneipte wieder seine Schalaster, dass sie kreischte. „Was meint er?“ – „Unter dem Bett sei eine Loßkanne mit Wein.“ Der Hausherr tat einen Griff und holte zu seinem Erstaunen die Kanne hervor. Jetzt aßen und tranken beide und waren vergnügt. Die Frau im Bett aber verging fast vor Gift und Galle. Der Hauswirt wurde, als er mehrere Gläser getrunken hatte, sehr gesprächig. Der Zaubervogel ging ihm immer im Kopf herum. „Wenn du doch so einen Vogel hättest!“ dachte er. Endlich sprach er zu seinem Gaste: „Höret, Freund, wollt Ihr mir nicht Euern Vogel verkaufen? Seht, ich habe einen guten Markt gehabt, den ganzen Erlös gebe ich Euch!“ – „Oh, der ist mir um keinen Preis feil!“ sprach der Gast: „denn mit ihm kann ich alle vergrabenen Schätze heben.“
Nun wurde der Hausherr noch begieriger: „Freund, ich gebe Euch die Hälfte meines Vermögens! Schlaget doch ein!“
„Topp!“ schlug der Fremde ein und sprach: „Gut, weil Ihr es seid, sollt Ihr um den Preis ihn haben. Einem andern hätte ich ihn nicht gegeben!“ Während dieser Unterhandlungen war es auch Tag geworden. Die Frau sprang voll Wut aus dem Bett und schrie: „Nein, das werde ich nicht zugeben, dass du an diesen Betrüger das halbe Vermögen verschleuderst!“
„Was? Betrüger!“ rief der Fremde: „gleich soll mein Zaubervogel noch eine Probe geben!“ Nun fürchtete aber die Frau, jetzt werde die Geschichte mit dem Kantor kommen, und sagte gleich ganz ruhig: „Halt meinetwegen, das halbe Vermögen sollt Ihr haben!“ Sogleich lief nun der Hausherr, borgte noch fünftausend Gulden zu den tausend, die er vom Jahrmarkt heimgebracht, und gab sie als die Hälfte seines Vermögens schnell dem Fremden, damit nur dieser oder seine Frau den Handel nicht noch rückgängig mache. Der Fremde strich das Geld ein, gab seine Schalaster hin, nahm seine Haut auf den Rücken und wollte fortgehen. „Halt, was hast du da?“ fragte der Wirt. „Das Instrument, mit dem man die Zaubervögel fängt!“ Jetzt erst fing die Gier und die Ungeduld an, in dem Manne sich zu regen. „Was hilft es dir“, dachte er bei sich, „wenn du einen Vogel hast und jenem bleibt das Instrument, womit er sich noch viele andere fängt. Das musst du um jeden Preis auch haben!“ – „Lieber Freund!“ sprach er, „Ihr werdet vielleicht von dem Instrument nicht so rechten Gebrauch machen können als ich, verkaufet mir auch das! Ich gebe Euch die andere Hälfte meines Vermögens!“
Der Fremde schien sich lange zu bedenken. Endlich schlug er dem Wirten in die Hand und sprach :“Weil Ihr es seid, einem andern hätte ich’s nicht gegeben. Nur schnell aber das Geld her, ich habe Eile.“ Der Mann war sogleich fort, um Haus und Hof und Acker zu verkaufen. Die Frau unterdessen lief wie wahnsinnig im Zimmer auf und ab und schrie: „Schändlicher Betrüger! „Warte nur!“ – „Soll ich meinen Zaubervogel sprechen lassen?“ sprach der Fremde und nichts weiter, und sie verstummte. Ihr Mann kam keuchend mit dem Gelde und zählte es auf. Der Fremde strich es ein und machte sich davon. Er ging nun geradewegs in seine ferne Heimat und war da bald angesehen wegen seines Reichtums. Seinen Bruder aber quälte der Neid, und er wollte auch so reich werden, und da er gehört, wie sein Bruder es angestellt habe, so schlug er seine Kuh tot, fing eine Schalaster auf dieselbe Art und ging damit in die nächste Stadt und bot sie aus zum Verkaufe und verlangte dafür eine mächtige Summe. Da hielten ihn die Leute für einen Narren und trieben allerlei Spott und Kurzweil mit ihm. So hatte er außer dem Verlust der Kuh jetzt noch Spott und Schande.
Dem dummen Hausherrn in der Hauptstadt gingen auch bald die Augen auf. Er sah, dass er keinen Zaubervogel und kein Instrument zum Zaubervogelfange sondern eine einfältige Schalaster, wie alle sind, und eine ganz gewöhnliche Kuhhaut gekauft habe. Er musste nun mit seiner Frau betteln gehen, da sie all ihr Vermögen zum Fenster hinausgeworfen hatten. Allein die Frau hat die wahrhaftige Geschichte ihrem Manne nie erzählt. Durch den Kantor ist sie allein unter die Leute gekommen. Sonst würden auch wir ja nichts davon wissen.

Quelle: (Josef Haltrich)

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