0
(0)
Eine Prinzessin namens Amata, die Tochter des Königs von den glücklichen Inseln, wurde, ein Kind noch, einst bei einer Seefahrt vom Sturm ins offene Meer getrieben und landete im Reiche der Menschenfresser. Diese waren von furchterregendem Äußeren: sie hatten nur ein schielendes Auge, das mitten auf der Stirne saß, ein Maul so groß wie einen Backofen, eine breite und flache Nase, lange Eselsohren, struppiges Haar und vorn und hinten einen Buckel. Quälerine, die Gattin des Menschenfressers Wüterich, nahm die Prinzessin in ihr Haus auf und beschloß, da sie so schön war, sie ausnahmsweise nicht aufzufressen, sondern als zukünftige Gemahlin für ihren Sohn aufzuziehen. Der Gedanke an diese drohende Heirat bekümmerte die Prinzessin höchlichst, und als sie eines Tages so in trübe Gedanken versunken am Strande wandelte, bemerkte sie plötzlich einen Jüngling, den die Wellen auf das Ufer geworfen hatten. Sie nahm sich des jungen Fremden an und erquickte ihn mit Früchten, die sie im Walde gepflückt hatte; da er ihr aber folgen wollte, hielt sie ihn mit allen Gebärden der Angst zurück, denn sie fürchtete, er möchte dem Wüterich zum Opfer fallen. Der Schiffbrüchige – es war der Prinz Amatus, ihr Vetter, der gerade in das Land ihres Vaters hatte fahren wollen, dessen Thron er dereinst erben sollte – wurde in einem sichern Schlupfwinkel untergebracht, und die Prinzessin kam alle Tage, um ihm Nahrung zu bringen. Eines Tages – drei Tage trennten die Jungfrau nur mehr von dem Termin, da sie den jungen Menschenfresser heiraten sollte – trat sie sich einen Dorn in den Fuß und konnte die Höhle, in der sie mit den Menschenfressern hauste, nicht verlassen; der Prinz, den ihr Fernbleiben ängstigte, machte sich auf, sie zu suchen und gelangte an den Ort, den zu betreten die Jungfrau ihn mit allen Mitteln hatte hindern wollen. Der Wüterich wollte sich sogleich auf ihn stürzen, um ihn zu verschlingen, aber die Prinzessin bat, den jungen Mann als Festbraten zu ihrem Hochzeitstage aufzusparen. Dies leuchtete dem Menschenfresser ein, und der Prinz erhielt eine Gnadenfrist von drei Tagen, die er in der Höhle verbringen mußte. Amata sann lange darüber nach, wie sie den Prinzen, den sie vom ersten Augenblicke an geliebt hatte, retten könne, und dabei fiel ihr das elfenbeinerne Stäbchen ein, dessen sich die zauberkundige Quälerine bei ihren Hexereien bediente. Sie entwendete also das Stäbchen und verabredete mit dem Prinzen die Flucht, welche in der Nacht vor ihrem Hochzeitstage stattfinden sollte.
Diese langersehnte Nacht kam endlich herbei. Die Prinzessin nahm Mehl und knetete mit ihren weißen Händen einen Teig, in welchen sie eine Bohne steckte; dann sagte sie mit ihrem Elfenbeinstab in der Hand: »O Bohne, kleine Bohne, ich wünsche im Namen der königlichen Fee Trusio, daß du redest, wenn du gefragt wirst, so lange, bis du gar gekocht bist.« Darauf legte sie den Kuchenteig unter die Asche und trat zum Prinzen, der sie mit Ungeduld erwartete. »Auf!« sagte sie zu ihm, »das Kamel ist im Walde angebunden.« »Die Liebe und das Glück mögen uns führen,« erwiderte ganz leise der junge Prinz, »komm, meine Geliebte, gehen wir, ein glücklicheres und ruhigeres Land zu suchen!« Der Mond leuchtete zu ihrer Fahrt, sie fanden das Kamel und machten sich auf den Weg, ohne zu wissen, wohin sie gingen. Quälerine hatte den Kopf voll Sorgen, sie drehte und wendete sich im Bett herum und konnte nicht schlafen. Sie streckte die Arme aus, um zu fühlen, ob die Prinzessin schon auf ihrem Lager sei, da sie dieselbe nicht spürte, rief sie mit Donnerstimme: »Wo bist du, Mädchen?« »Hier, beim Herd,« antwortete die Bohne. »Kommst du bald schlafen?« »Gleich,« versetzte die Bohne, »schlaft nur, schlaft derweil!« Quälerine fürchtete, ihren Wüterich aufzuwecken und machte keine weiteren Einwendungen. Aber zwei Stunden später tastete sie wieder nach dem Bette Amatens und rief: »Nun, kleiner Galgenstrick, willst du nicht schlafen gehen?« »Ich wärme mich, solange ich kann!« entgegnete die Bohne. »Ich wollte, du säßest mitten im Feuer für deine Unart!« murmelte die Menschenfresserin. »Da sitze ich auch,« sagte die Bohne, »man kann sich nicht besser wärmen.« So unterhielten sie sich noch eine längere Weile, und die Bohne antwortete verständig, denn sie war eine gescheite Bohne. Schließlich tagte es, und Quälerine rief wieder nach der Prinzessin, aber die Bohne war gar gekocht und antwortete nicht mehr. Diese Stille beunruhigte sie, sie erhob sich hastig, sah sich um, rief, erschrak und suchte überall herum. Kein Prinz, keine Prinzessin und kein Zauberstab waren zu sehen! Da schrie sie so laut, daß Wälder und Täler widerhallten: »Wach auf, du Fettwanst, wach auf! Teurer Wüterich, deine Quälerine ist betrogen, unser Menschenfleisch ist davongelaufen!« Wüterich öffnete sein Auge und sprang wie ein Löwe mitten in die Höhle; er schrie, brüllte, heulte und schäumte vor Wut. »Marsch!« rief er, »meine Siebenmeilenstiefel, meine Siebenmeilenstiefel, daß ich unsere Durchgänger verfolge, sie sollen eine gute Mahlzeit abgeben, binnen kurzem werde ich meine Gurgel mit ihnen stopfen!« Er legte seine Stiefel an, in welchen ihn jeder Schritt um sieben Meilen weiterbrachte.
Die beiden Flüchtlinge setzten indes ihren Weg fort, bezaubert von dem Glück, allein beisammen zu sein, und in der Hoffnung, nicht verfolgt zu werden, bis die Prinzessin, die zuerst den schrecklichen Wüterich entdeckte, aufschrie: »Prinz! Wir sind verloren! Sieh dieses entsetzliche Ungeheuer, das auf uns zukommt wie eine Wetterwolke!« »Was sollen wir tun?« sagte der Prinz, »was soll aus uns werden? Oh, wenn ich allein wäre, würde ich mich nicht um mein Leben kümmern, aber auch das deine, meine teure Freundin, ist in Gefahr!« »Ich weiß keinen Rat; wenn das Stäbchen uns nicht hilft,« sagte Amata, »so müssen wir sterben.« Dann setzte sie hinzu: »Ich wünsche im Namen der königlichen Fee Trusio, daß unser Kamel ein Teich werde, der Prinz ein Nachen und ich eine alte Schifferin, die ihn steuert!« Alsogleich war der Teich, der Nachen und die Schifferin da, und der Wüterich kam an das Ufer: »Hola, ho, alte Vettel,« rief er »habt Ihr nicht ein Kamel mit einem jungen Mann und einem jungen Mädchen vorbeikommen sehen?« Die Schifferin, die sich in der Mitte des Sees hielt, setzte ihre Brille auf die Nase, betrachtete den Wüterich und gab ihm ein Zeichen, daß sie jene wohl gesehen habe und daß sie über die Wiese dort weitergegangen seien. Der Menschenfresser glaubte ihr und wandte sich nach links; die Prinzessin wünschte nun ihre alte Gestalt wieder anzunehmen, sie berührte dreimal mit dem Stab sich selbst, den Nachen und den Teich und wurde ebenso wie der Prinz wieder so schön und jung wie zuvor. Sie stiegen auf das Kamel und ritten nach rechts, um ihrem Todfeind nicht zu begegnen. Während sie so eilig vorwärtswanderten und irgend jemanden zu finden hofften, den sie nach dem Wege zu den glücklichen Inseln fragen könnten, lebten sie von den Früchten des Feldes, tranken das Wasser der Quellen und schliefen unter den Bäumen, stets in Furcht, die wilden Tiere möchten kommen, sie zu verzehren. Der Prinz gab der Prinzessin gegenüber dem Wunsche Ausdruck, möglichst bald zu ihrem königlichen Vater zu gelangen, denn sie hatte ihm versprochen, ihm mit dessen Einverständnis die Hand zum Ehebunde zu reichen.
Nachdem der Wüterich über Berge, Wälder und Ebenen gelaufen war, kehrte er in seine Höhle zurück, wo Quälerine und die kleinen Menschenfresserchen ihn mit Ungeduld erwarteten. »Nun«, rief Quälerine ihm zu, »hast du sie gefunden und gefressen, diese Ausreißer, diese Diebe? Hast du mir keinen Fuß und keine Pratze übriggelassen?« »Ich glaube, sie sind davongeflogen,« versetzte Wüterich, »wie ein Wolf bin ich überall umhergerannt, ohne sie zu treffen, niemanden habe ich gesehen außer einer Alten in einem Nachen auf einem Teich, die mir Nachricht von ihnen gegeben hat.« »Und was hat sie dir von ihnen gesagt?« erwiderte Quälerine ungeduldig. »Sie hätten sich nach links gewandt!« antwortete der Wüterich. »Bei meinem Haupte«, sprach jene, »du bist schön angeführt worden. Mir geht durch den Kopf, daß du mit ihnen selber geredet hast. Kehr um und wenn du sie erwischst, so schone sie keinen Augenblick!« Der Wüterich schmierte seine Siebenmeilenstiefel und sauste wie ein Rasender davon.
Unser junges Liebespaar trat gerade aus einem Wald, wo es die Nacht verbracht hatte. Als sie ihn bemerkten, erschraken sie von neuem. »Meine Geliebte,« sagte der Prinz, »da kommt unser Feind! Ich fühle Mut genug, ihm entgegenzutreten; bist du stark genug, um allein zu fliehen?« »Nein,« rief sie, »ich verlasse dich nicht, Grausamer! Zweifelst du so an meiner Liebe? Aber versäumen wir keinen Augenblick. Vielleicht kann uns das Stäbchen wieder nützen. Ich wünsche«, setzte sie hinzu, »im Namen der königlichen Fee Trusio, daß der Prinz zu einem Gemälde werde, das Kamel zu einem Pfeiler und ich zu einem Zwerg.« Die Verwandlung vollzog sich auf der Stelle und der Zwerg begann auf seinem Horn zu blasen. Wüterich, der mit großen Schritten näherkam, fragte ihn: »Höre, kleine Mißgeburt, sahst du nicht einen hübschen Burschen und ein Mädchen auf einem Kamel hier vorbeikommen?« »Im Falle«, sagte der Zwerg, »daß Ihr Euch auf der Suche nach einem ritterlichen Jungherr, einer bewunderungswürdigen Dame und deren Reittier befindet, so wisset, daß ich ebendieselben gestern um diese Stunde erschauet habe, wie sie freudigen Gemütes einherstolzierten. Besagter Ritter war mit den Preisen der Turniere beladen, die zu Ehren der Merlusine abgehalten wurden, so Ihr allda leibhaftig abkonterfeit sehet. Beim Scheiden redete die Jungfrau zu mir wie folgt: Zwerg, sagte sie, um eines ersuche ich dich: so du einen ungeschlachten Riesen erblickst, der seine Auge inmitten der Stirn trägt, so bitte ihn höflich, daß er in Frieden reise und uns ziehen lasse. Darauf spornte sie ihren Zelter an und entfernte sich.« »Wohin?« fragte Wüterich. »Quer über jene blumichte Wiese am Waldessaum,« versetzte der Zwerg. »Wenn du lügst,« sagte der Menschenfresser, »so sei versichert, kleiner Schmutzfink, daß ich dich mitsamt deinem Pfeiler und dem Bild der Meerlaus da verschlingen werde!« »Nie war Untreue in mir,« entgegnete der Zwerg, »und nie ließ mein Mund eine Lüge verlauten, aber Ihr müßt Euch sputen, wenn Ihr sie noch fällen wollt, ehe die Sonne sinkt.« Der Menschenfresser entfernte sich, der Zwerg nahm seine alte Gestalt wieder an und berührte das Bild und den Pfeiler, die wieder zu dem wurden, was sie sein sollten. Der Wüterich lief vergebens umher, er fand weder den Liebhaber noch die Geliebte, und müde wie ein Hund kehrte er in seine Höhle zurück. »Was? Du kommst wieder ohne die Gefangenen?« rief Quälerine, indes sie ihre Igelborsten raufte, »komm mir nicht zu nahe, sonst erwürge ich dich!«
»Ich bin niemandem begegnet,« sagte er, »als einem Zwerg, einem Pfeiler und einem Gemälde.« »Bei meinem Haupte«, versetzte sie, »das waren sie! Ich bin eine Närrin, dir die Sorge für meine Rache anzuvertrauen, als ob ich zu schwach wäre, selber mich zu rächen. Also gelt? Jetzt gehe ich! Ich lege die Schuhe an und werde genau so schnell gehen wie du.« Sie zog die Siebenmeilenstiefel an und eilte von dannen.
Der Prinz und die Prinzessin sahen Quälerine kommen; sie war in eine Schlangenhaut gekleidet, welche in allen Farben schillerte, und auf der Schulter trug sie eine Keule aus Eisen von einem entsetzlichen Gewicht. Sie schaute sich sorgfältig nach allen Seiten um und hätte die beiden sicher bemerkt, wenn sie nicht gerade in der Tiefe eines Waldes geschritten wären. »Wir können nicht vorwärts noch rückwärts,« sagte Amata weinend, »dort kommt die grausame Quälerine, deren Anblick mein Blut zu Eis erstarren macht; sie ist gescheiter wie der Wüterich. Wenn einer von uns beiden mit ihr redet, wird sie uns erkennen und uns den Prozeß machen, um uns zu fressen, und damit wird sie höchstwahrscheinlich bald fertig sein.« »O Liebe, Liebe!« rief der Prinz, »verlaß uns nicht!« »Nun, kleines Stäbchen«, hub die Prinzessin an, »tu deine Pflicht! Ich wünsche im Namen der königlichen Fee Trusio, daß das Kamel zu einer Kiste und mein teurer Prinz zu einem schönen Orangenbaum werde, den ich in eine Biene verwandelt umschwirre.« Sie klopfte wie gewöhnlich dreimal mit dem Stäbchen auf jeden von ihnen, und die Verwandlung vollzog sich auf der Stelle, ohne daß Quälerine, die alsbald anlangte, etwas davon merkte. Die abscheuliche Megäre setzte sich ganz außer Atem unter den Orangenbaum, und die Prinzessin Biene machte sich ein Vergnügen daraus, sie an tausend Stellen zu stechen; so hart ihre Haut auch war, sie fühlte doch den Stachel und schrie laut auf. Wie sie sich auf dem Rasen wälzte und um sich schlug, glich sie einem Stier oder Löwen, der unter einen Bienenschwarm gefallen ist, denn diese eine Biene arbeitete wie ihrer hundert sonst. Der Prinz Orangenbaum verging vor Angst, sie möchte sich ertappen lassen und getötet werden. Endlich entfernte sich Quälerine über und über blutend und die Prinzessin wollte ihre alte Gestalt wieder annehmen, aber zum Unglück gingen gerade Fremde vorüber, welche das wertvolle Elfenbeinstäbchen entdeckten, aufhoben und mitnahmen.
So mußte das Liebespaar Orangenbaum und Biene bleiben, bis eines Tages eine Prinzessin in jenem Walde lustwandelte. Der gefiel der Orangenbaum so gut, daß sie ihn in ihren Garten verpflanzen ließ, wohin ihm seine treue Biene folgte. Die Prinzessin hatte ein unwiderstehliches Gelüste, eine Blüte von dem Baume zu brechen, und so sehr es ihr auch die Biene mit Stichen verwehrte, endlich gelang es ihr doch, einen Zweig zu pflücken; aber wie erschrak sie, als der Orangenbaum einen Wehschrei ertönen ließ und Blut aus der Wunde strömte. Sogleich berief sie eine Feenversammlung, und die Fee Trusio, die sich darunter befand, entwandelte den Prinzen Orangenbaum und auf dessen Bitten auch die Prinzessin Biene. Auf dem fliegenden Wagen der Fee begab sich das Liebespaar zu Amatens Eltern. Sie wurden vom König und der Königin um so liebevoller empfangen, als diese bereits jede Hoffnung auf ein Wiedersehen aufgegeben hatten. Alsbald wurde die Hochzeit gehalten, der die Grazien im Festgewande beiwohnten; auch die Liebesgöttin fand sich ein, obwohl sie gar nicht geladen war, und auf ihren ausdrücklichen Wunsch erhielt der älteste Sohn des jungen Paares den Namen: »Treuelieb«.
Diese langersehnte Nacht kam endlich herbei. Die Prinzessin nahm Mehl und knetete mit ihren weißen Händen einen Teig, in welchen sie eine Bohne steckte; dann sagte sie mit ihrem Elfenbeinstab in der Hand: »O Bohne, kleine Bohne, ich wünsche im Namen der königlichen Fee Trusio, daß du redest, wenn du gefragt wirst, so lange, bis du gar gekocht bist.« Darauf legte sie den Kuchenteig unter die Asche und trat zum Prinzen, der sie mit Ungeduld erwartete. »Auf!« sagte sie zu ihm, »das Kamel ist im Walde angebunden.« »Die Liebe und das Glück mögen uns führen,« erwiderte ganz leise der junge Prinz, »komm, meine Geliebte, gehen wir, ein glücklicheres und ruhigeres Land zu suchen!« Der Mond leuchtete zu ihrer Fahrt, sie fanden das Kamel und machten sich auf den Weg, ohne zu wissen, wohin sie gingen. Quälerine hatte den Kopf voll Sorgen, sie drehte und wendete sich im Bett herum und konnte nicht schlafen. Sie streckte die Arme aus, um zu fühlen, ob die Prinzessin schon auf ihrem Lager sei, da sie dieselbe nicht spürte, rief sie mit Donnerstimme: »Wo bist du, Mädchen?« »Hier, beim Herd,« antwortete die Bohne. »Kommst du bald schlafen?« »Gleich,« versetzte die Bohne, »schlaft nur, schlaft derweil!« Quälerine fürchtete, ihren Wüterich aufzuwecken und machte keine weiteren Einwendungen. Aber zwei Stunden später tastete sie wieder nach dem Bette Amatens und rief: »Nun, kleiner Galgenstrick, willst du nicht schlafen gehen?« »Ich wärme mich, solange ich kann!« entgegnete die Bohne. »Ich wollte, du säßest mitten im Feuer für deine Unart!« murmelte die Menschenfresserin. »Da sitze ich auch,« sagte die Bohne, »man kann sich nicht besser wärmen.« So unterhielten sie sich noch eine längere Weile, und die Bohne antwortete verständig, denn sie war eine gescheite Bohne. Schließlich tagte es, und Quälerine rief wieder nach der Prinzessin, aber die Bohne war gar gekocht und antwortete nicht mehr. Diese Stille beunruhigte sie, sie erhob sich hastig, sah sich um, rief, erschrak und suchte überall herum. Kein Prinz, keine Prinzessin und kein Zauberstab waren zu sehen! Da schrie sie so laut, daß Wälder und Täler widerhallten: »Wach auf, du Fettwanst, wach auf! Teurer Wüterich, deine Quälerine ist betrogen, unser Menschenfleisch ist davongelaufen!« Wüterich öffnete sein Auge und sprang wie ein Löwe mitten in die Höhle; er schrie, brüllte, heulte und schäumte vor Wut. »Marsch!« rief er, »meine Siebenmeilenstiefel, meine Siebenmeilenstiefel, daß ich unsere Durchgänger verfolge, sie sollen eine gute Mahlzeit abgeben, binnen kurzem werde ich meine Gurgel mit ihnen stopfen!« Er legte seine Stiefel an, in welchen ihn jeder Schritt um sieben Meilen weiterbrachte.
Die beiden Flüchtlinge setzten indes ihren Weg fort, bezaubert von dem Glück, allein beisammen zu sein, und in der Hoffnung, nicht verfolgt zu werden, bis die Prinzessin, die zuerst den schrecklichen Wüterich entdeckte, aufschrie: »Prinz! Wir sind verloren! Sieh dieses entsetzliche Ungeheuer, das auf uns zukommt wie eine Wetterwolke!« »Was sollen wir tun?« sagte der Prinz, »was soll aus uns werden? Oh, wenn ich allein wäre, würde ich mich nicht um mein Leben kümmern, aber auch das deine, meine teure Freundin, ist in Gefahr!« »Ich weiß keinen Rat; wenn das Stäbchen uns nicht hilft,« sagte Amata, »so müssen wir sterben.« Dann setzte sie hinzu: »Ich wünsche im Namen der königlichen Fee Trusio, daß unser Kamel ein Teich werde, der Prinz ein Nachen und ich eine alte Schifferin, die ihn steuert!« Alsogleich war der Teich, der Nachen und die Schifferin da, und der Wüterich kam an das Ufer: »Hola, ho, alte Vettel,« rief er »habt Ihr nicht ein Kamel mit einem jungen Mann und einem jungen Mädchen vorbeikommen sehen?« Die Schifferin, die sich in der Mitte des Sees hielt, setzte ihre Brille auf die Nase, betrachtete den Wüterich und gab ihm ein Zeichen, daß sie jene wohl gesehen habe und daß sie über die Wiese dort weitergegangen seien. Der Menschenfresser glaubte ihr und wandte sich nach links; die Prinzessin wünschte nun ihre alte Gestalt wieder anzunehmen, sie berührte dreimal mit dem Stab sich selbst, den Nachen und den Teich und wurde ebenso wie der Prinz wieder so schön und jung wie zuvor. Sie stiegen auf das Kamel und ritten nach rechts, um ihrem Todfeind nicht zu begegnen. Während sie so eilig vorwärtswanderten und irgend jemanden zu finden hofften, den sie nach dem Wege zu den glücklichen Inseln fragen könnten, lebten sie von den Früchten des Feldes, tranken das Wasser der Quellen und schliefen unter den Bäumen, stets in Furcht, die wilden Tiere möchten kommen, sie zu verzehren. Der Prinz gab der Prinzessin gegenüber dem Wunsche Ausdruck, möglichst bald zu ihrem königlichen Vater zu gelangen, denn sie hatte ihm versprochen, ihm mit dessen Einverständnis die Hand zum Ehebunde zu reichen.
Nachdem der Wüterich über Berge, Wälder und Ebenen gelaufen war, kehrte er in seine Höhle zurück, wo Quälerine und die kleinen Menschenfresserchen ihn mit Ungeduld erwarteten. »Nun«, rief Quälerine ihm zu, »hast du sie gefunden und gefressen, diese Ausreißer, diese Diebe? Hast du mir keinen Fuß und keine Pratze übriggelassen?« »Ich glaube, sie sind davongeflogen,« versetzte Wüterich, »wie ein Wolf bin ich überall umhergerannt, ohne sie zu treffen, niemanden habe ich gesehen außer einer Alten in einem Nachen auf einem Teich, die mir Nachricht von ihnen gegeben hat.« »Und was hat sie dir von ihnen gesagt?« erwiderte Quälerine ungeduldig. »Sie hätten sich nach links gewandt!« antwortete der Wüterich. »Bei meinem Haupte«, sprach jene, »du bist schön angeführt worden. Mir geht durch den Kopf, daß du mit ihnen selber geredet hast. Kehr um und wenn du sie erwischst, so schone sie keinen Augenblick!« Der Wüterich schmierte seine Siebenmeilenstiefel und sauste wie ein Rasender davon.
Unser junges Liebespaar trat gerade aus einem Wald, wo es die Nacht verbracht hatte. Als sie ihn bemerkten, erschraken sie von neuem. »Meine Geliebte,« sagte der Prinz, »da kommt unser Feind! Ich fühle Mut genug, ihm entgegenzutreten; bist du stark genug, um allein zu fliehen?« »Nein,« rief sie, »ich verlasse dich nicht, Grausamer! Zweifelst du so an meiner Liebe? Aber versäumen wir keinen Augenblick. Vielleicht kann uns das Stäbchen wieder nützen. Ich wünsche«, setzte sie hinzu, »im Namen der königlichen Fee Trusio, daß der Prinz zu einem Gemälde werde, das Kamel zu einem Pfeiler und ich zu einem Zwerg.« Die Verwandlung vollzog sich auf der Stelle und der Zwerg begann auf seinem Horn zu blasen. Wüterich, der mit großen Schritten näherkam, fragte ihn: »Höre, kleine Mißgeburt, sahst du nicht einen hübschen Burschen und ein Mädchen auf einem Kamel hier vorbeikommen?« »Im Falle«, sagte der Zwerg, »daß Ihr Euch auf der Suche nach einem ritterlichen Jungherr, einer bewunderungswürdigen Dame und deren Reittier befindet, so wisset, daß ich ebendieselben gestern um diese Stunde erschauet habe, wie sie freudigen Gemütes einherstolzierten. Besagter Ritter war mit den Preisen der Turniere beladen, die zu Ehren der Merlusine abgehalten wurden, so Ihr allda leibhaftig abkonterfeit sehet. Beim Scheiden redete die Jungfrau zu mir wie folgt: Zwerg, sagte sie, um eines ersuche ich dich: so du einen ungeschlachten Riesen erblickst, der seine Auge inmitten der Stirn trägt, so bitte ihn höflich, daß er in Frieden reise und uns ziehen lasse. Darauf spornte sie ihren Zelter an und entfernte sich.« »Wohin?« fragte Wüterich. »Quer über jene blumichte Wiese am Waldessaum,« versetzte der Zwerg. »Wenn du lügst,« sagte der Menschenfresser, »so sei versichert, kleiner Schmutzfink, daß ich dich mitsamt deinem Pfeiler und dem Bild der Meerlaus da verschlingen werde!« »Nie war Untreue in mir,« entgegnete der Zwerg, »und nie ließ mein Mund eine Lüge verlauten, aber Ihr müßt Euch sputen, wenn Ihr sie noch fällen wollt, ehe die Sonne sinkt.« Der Menschenfresser entfernte sich, der Zwerg nahm seine alte Gestalt wieder an und berührte das Bild und den Pfeiler, die wieder zu dem wurden, was sie sein sollten. Der Wüterich lief vergebens umher, er fand weder den Liebhaber noch die Geliebte, und müde wie ein Hund kehrte er in seine Höhle zurück. »Was? Du kommst wieder ohne die Gefangenen?« rief Quälerine, indes sie ihre Igelborsten raufte, »komm mir nicht zu nahe, sonst erwürge ich dich!«
»Ich bin niemandem begegnet,« sagte er, »als einem Zwerg, einem Pfeiler und einem Gemälde.« »Bei meinem Haupte«, versetzte sie, »das waren sie! Ich bin eine Närrin, dir die Sorge für meine Rache anzuvertrauen, als ob ich zu schwach wäre, selber mich zu rächen. Also gelt? Jetzt gehe ich! Ich lege die Schuhe an und werde genau so schnell gehen wie du.« Sie zog die Siebenmeilenstiefel an und eilte von dannen.
Der Prinz und die Prinzessin sahen Quälerine kommen; sie war in eine Schlangenhaut gekleidet, welche in allen Farben schillerte, und auf der Schulter trug sie eine Keule aus Eisen von einem entsetzlichen Gewicht. Sie schaute sich sorgfältig nach allen Seiten um und hätte die beiden sicher bemerkt, wenn sie nicht gerade in der Tiefe eines Waldes geschritten wären. »Wir können nicht vorwärts noch rückwärts,« sagte Amata weinend, »dort kommt die grausame Quälerine, deren Anblick mein Blut zu Eis erstarren macht; sie ist gescheiter wie der Wüterich. Wenn einer von uns beiden mit ihr redet, wird sie uns erkennen und uns den Prozeß machen, um uns zu fressen, und damit wird sie höchstwahrscheinlich bald fertig sein.« »O Liebe, Liebe!« rief der Prinz, »verlaß uns nicht!« »Nun, kleines Stäbchen«, hub die Prinzessin an, »tu deine Pflicht! Ich wünsche im Namen der königlichen Fee Trusio, daß das Kamel zu einer Kiste und mein teurer Prinz zu einem schönen Orangenbaum werde, den ich in eine Biene verwandelt umschwirre.« Sie klopfte wie gewöhnlich dreimal mit dem Stäbchen auf jeden von ihnen, und die Verwandlung vollzog sich auf der Stelle, ohne daß Quälerine, die alsbald anlangte, etwas davon merkte. Die abscheuliche Megäre setzte sich ganz außer Atem unter den Orangenbaum, und die Prinzessin Biene machte sich ein Vergnügen daraus, sie an tausend Stellen zu stechen; so hart ihre Haut auch war, sie fühlte doch den Stachel und schrie laut auf. Wie sie sich auf dem Rasen wälzte und um sich schlug, glich sie einem Stier oder Löwen, der unter einen Bienenschwarm gefallen ist, denn diese eine Biene arbeitete wie ihrer hundert sonst. Der Prinz Orangenbaum verging vor Angst, sie möchte sich ertappen lassen und getötet werden. Endlich entfernte sich Quälerine über und über blutend und die Prinzessin wollte ihre alte Gestalt wieder annehmen, aber zum Unglück gingen gerade Fremde vorüber, welche das wertvolle Elfenbeinstäbchen entdeckten, aufhoben und mitnahmen.
So mußte das Liebespaar Orangenbaum und Biene bleiben, bis eines Tages eine Prinzessin in jenem Walde lustwandelte. Der gefiel der Orangenbaum so gut, daß sie ihn in ihren Garten verpflanzen ließ, wohin ihm seine treue Biene folgte. Die Prinzessin hatte ein unwiderstehliches Gelüste, eine Blüte von dem Baume zu brechen, und so sehr es ihr auch die Biene mit Stichen verwehrte, endlich gelang es ihr doch, einen Zweig zu pflücken; aber wie erschrak sie, als der Orangenbaum einen Wehschrei ertönen ließ und Blut aus der Wunde strömte. Sogleich berief sie eine Feenversammlung, und die Fee Trusio, die sich darunter befand, entwandelte den Prinzen Orangenbaum und auf dessen Bitten auch die Prinzessin Biene. Auf dem fliegenden Wagen der Fee begab sich das Liebespaar zu Amatens Eltern. Sie wurden vom König und der Königin um so liebevoller empfangen, als diese bereits jede Hoffnung auf ein Wiedersehen aufgegeben hatten. Alsbald wurde die Hochzeit gehalten, der die Grazien im Festgewande beiwohnten; auch die Liebesgöttin fand sich ein, obwohl sie gar nicht geladen war, und auf ihren ausdrücklichen Wunsch erhielt der älteste Sohn des jungen Paares den Namen: »Treuelieb«.
[Ernst Tegethoff: Französische Volksmärchen]