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Der pfiffige Seilergeselle

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Es war auch einmal ein Seilergeselle. Der ging, wie jeder seines Handwerks, alle Tage den Krebsgang, war aber doch ein ganz gewichstes Bürschlein, das nicht wenig Witz und Gritz unter seinem Kappenschild sitzen hatte. Eines Tages gefiel es ihm bei seinem alten Meister nicht mehr, und also schnürte er sein Bündel und machte sich auf in die Fremde. Als er, ein krummes Hahnenfederchen hinterm Ohr und den Wanderstecken in der Hand, aus der Werkstatt trat, sah er da ein Trumm Hanffaden und einen abgebrochenen Hechelzahn liegen, hob beides auf und steckte es in die Tasche. „Man kann nie wissen, wofür so ein Ding einmal gut sein könnte“, dachte er und zog vergnügt in die weite Welt hinaus.

Eines schönen Tages kam er in eine große Stadt, und weil er rechtschaffen müde war, setzte er sich nahm beim Tor auf einen Prellstein in die Sonne, um von der langen Wanderschaft ein wenig auszuruhen. Gerade war er am Einschlafen, da ertönte ein Trompetenstoß, und ein Herold verkündete. mit lauter Stimme: „Der König tut allen kund und zu wissen: So einer den Mut aufbringt, das Einhorn und den Riesen zu besiegen, die schon seit langem das Land unsicher machen, der soll meine einzige Tochter zur Frau bekommen und nach meinem Tode König werden !“ – „ja ja . . wäre gar nicht übel … so einer den Mut hat“, sirmelte der Geselle vor sich hin und war eben wieder daran, in der wohlig warmen Mittagssonne einzunicken. Da surrte ihm ein Mückenschwarm so lästig und frech um die Ohren, daß er auffuhr und im Ärger so tüchtig dreinschlug, daß gleich sieben Mücken auf einmal liegenblieben. „Hahaha!“ lachte er und schrieb auf seinen Kappenschild:

„Schlag‘ sieben z’Tod
von hint‘ und vorn,
auf einen Streich
wohl ohne Zorn!“

Das las der Herold, der eben wieder vorbeigeritten kam, und rief: „He du! Du bist der rechte Mann, das Einhorn und den Riesen zu erlegen!“, nahm den Seilergesellen hinter sich aufs Pferd und ritt mit ihm davon, dem Königsschlosse zu. Während sie so über Stock und Stein dahintrabten, wollte es dem Gesellen fast ein wenig bange werden. Je näher sie aber dem Schloß kamen und je mehr er an die schöne Prinzessin dachte, desto leichter wurde ihm zumut. „Sei doch kein Hasenfuß!“ sagte er zu sich. „Wer nichts wagt, gewinnt nichts! Habe ich sieben Mücken auf einen Schlag getötet, so werde ich doch auch mit sieben Schlägen ein Einhorn zur Strecke bringen können! Und – der Dümmste ist ja meiner Mutter Sohn auch nie gewesen.“ Mittlerweile waren sie im Schloßhof angelangt. Der König ließ den Burschen sogleich zu sich rufen, befahl ihm, daß er zuerst gegen das böse Einhorn angehen müsse, und fragte, wann er mit der Arbeit beginnen wolle. „Auf der Stelle! Bei mir wird nicht -lange gefackelt!“ antwortete der Seilergeselle und machte sich auf in den Wald, in dem das Ungeheuer hauste.

Als er nahe bei dem Ort war, schlug er einen schmalen Seitenpfad ein, um das Einhorn vorsichtig anzuschleichen. Plötzlich aber stürzte es aus dem Dickicht hervor und geradewegs auf ihn zu. Er konnte sich gerade noch hinter eine große Zwittertanne flüchten, und darauf schoß nun das Untier in so gewaltigem Ansturm los, daß es sein langes Horn in die Tannengabel verrannte. Schnell steckte der Geselle den spitzen stählernen Hechelzahn durch das Horn, so daß das Tier nicht vor- und rückwärts konnte und gefangen war. Fröhlich pfeifend wanderte er darauf in die Stadt zurück, ging ins Schloß und sagte: „Draußen im Wald bei der großen Zwittertanne könnt ihr euer Einhorn abholen!“ Da machten alle große Augen, verwunderten sich sehr und sagten untereinander: „Das ist ein Heidenkerl, der ist recht für den Riesen!“ Und darum trug ihm der König auch auf, alsbald gegen den Unhold ins Feld zu ziehen. „Mach’s gut!“ sagte der König. – „Nur keine Bange! Ich werde diesen großmauligen Tropf schon kleinkriegen!“ erwiderte der Geselle und zog dem Riesen entgegen.

Als er in den zerklüfteten Eichenwald kam, in dem der Riese seine Höhle hatte, lief er dem Unhold geradewegs in die Hände. Der Riese lag rücklings im Gras, über eine ganze Waldwiese hin. Er hatte geschlafen und war durch das raschelnde Laub aufgeweckt worden. Aber er stand des verächtlichen Seilerleins wegen, das blaß und zitternd an einem Baume lehnte, nicht einmal vom Boden auf. „Du elendes Wichtlein“, sagte er, „fällt dir das Herz schon in die Hosen, he? Du willst es wohl mit mir aufnehmen? Komm her, ich will dich zwischen Daumen und Zeiger zerdrücken wie eine Schnake!“ Unterdessen hatte aber unser Geselle sich schnell überlegt, wie er den Unhold am besten unschädlich machen könnte; und was war ihm da für ein guter Einfall gekommen! Er zog das Stück Hanffaden aus der Tasche, hielt’s dem Riesen hin und sagte: „Tu nur nicht so großspurig mit deiner Kraft! Was gilt’s, du vermagst den Schneller da nicht zu zerreißen!“ Der Riese hatte sich inzwischen sitzlings aufgerichtet und lachte, daß der Wald widerhallte: „Hahaha! Ich dieses elende Flachsricklein da nicht zerreißen können? Gib her!“ Der Seilergeselle war aber ein verteufelt pfiffiger Kerl und sagte: „Wart mal, ich will dir erst zeigen, wie man einen Schneller in die Hand nehmen muß, um ihn zerreißen zu können – ich bin nämlich ein Seiler, mußt du wissen.“ Er hieß den Riesen im Gras sitzenbleiben und die Knie anziehen, so hoch, bis er fast das Kinn drauflegen könne; nun den Schneller um die Hände wickeln, so, und jetzt die Arme beugen und die Fäuste rechts und links an den Knien außen anstemmen. „Gut so!“ sagte der Geselle. „jetzt zieh!“ Wie aber der Riese gerade so recht anfangen wollte zu ziehen, steckte ihm der Seiler seinen hagebuchenen Wanderstecken zwischen Ellbogen und Kniekehlen durch und – eh er sich’s versah, war der Riese ins Bocksfutter gespannt und lag hilflos am Boden. „Viel Vergnügen derweil!“ rief lachend der Geselle, wanderte seelenruhig in die Stadt und zum Schloß hinauf und sagte: „Holt euch den Lümmel! Er liegt draußen auf der großen Wiese im Wald; ich hab‘ ihn ins Bocksfutter gespannt.“

Die Leute im Schloß und in der Stadt sprachen den ganzen Tag von niemand anderem als dem mutigen Gesellen, der das Land von den beiden Ungeheuern befreit hatte, und manche wünschten ihm auch schon Glück zu der schönen Prinzessin, die er nun bald heiraten werde. Doch sie alle, samt dem Seilergesellen, freuten sich zu früh. Der König nämlich wollte ihm seine Tochter nicht zur Frau geben, weil er nur ein einfacher Seilergeselle und niederen Standes war. Darum besann er sich hin und her, wie er seinem Versprechen entgehen könnte, und dachte sich zuletzt eine neue schwere Aufgabe aus, von der er glaubte, daß sie der Geselle nicht lösen könne. Er befahl ihm also: „Spanne einem Bauern einen Ochsen, der keinen Schwanz hat, vom Pfluge, ohne daß es der Bauer merkt! Bringst du das zuwege, dann darfst du wiederkommen und wegen der Heirat fragen.“ Der Geselle besann sich eine Weile, dann war ihm schon ein guter Einfall gekommen. „Ei, das mag ein großes Kunststück sein, Herr König!“ sagte er und ging aus dem Schloß und zur Stadt hinaus.

Als er ein Stück weit in den Feldern draußen war, sah er einen Bauern mit einem Ochsengespann am Waldrand ackern. Er schlich sich unbemerkt näher und rief: „O Wunder über Wunder! O Wunder über Wunder!“ In währendem Rufen zog er sich aber immer tiefer in den Wald zurück. Der Bauer hinterm Pfluge stutzte bei den Worten, die er da rufen hörte, und dachte bei sich: „Der da drin hat gewiß einen Schatz gefunden! Will doch mal hingehen und sehen!“ – und lief der Stimme nach ins Holz. Derweil sprang der Geselle schnell aus dem Dickicht hervor, spannte einen Ochsen vom Pflug, schnitt ihm den Schwanz ab, steckte ihn dem andern ins Maul, so daß nur noch das Haarbüschel am Ende heraussah, und machte sich mit dem schwanzlosen Ochsen davon. Als der Bauer lange genug und umsonst den Wald durchsucht hatte, kam er zurück und sah, was geschehen war. „Oh, oh!“ rief er verzweifelt aus. „jetzt hab‘ ich Wunder über Wunder! Nun hat derweil ein, Ochs den andern gefressen!“

Als aber der Geselle auch diese dritte Aufgabe gelöst hatte, konnte der König nicht mehr anders, als sein gegebenes Wort halten. Er gab dem Burschen seine schöne, junge Tochter zur Frau und ließ eine Hochzeit zurichten, so prunkvoll, wie man im ganzen Lande noch keine gesehen hatte. Und als er bald darauf starb, wurde der Seilergeselle König, und das ist er heute noch, wenn er nicht gestorben ist.

Quelle:
(Schwäbische Volksmärchen – Franz Georg Brustgi)

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