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Der Räuberhauptmann Hans Kühstock

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Ein armer Bauersmann hatte einen Sohn. Als dieser etwa fünfzehn Jahre alt war, schickte er ihn in die Stadt, da solle er sich einen Dienst suchen und ein Handwerk lernen. Der Junge ging seines Wegs daher, als ihm ein feiner Herr begegnete und ihn fragte: „Wohin geht die Reise?“ „In die Stadt, wo ich mir einen Meister suchen soll“, sprach der Junge. „So gehe mit mir, ich lehre dir ein Handwerk, das seinen Mann ernährt“, sagte der Herr und der Junge folgte ihm. Sie kamen in einen Wald und zu einer Höhle, da saßen elf Räuber und der feine Herr war der zwölfte. Er zeigte dem Jungen große Haufen von Gold und Silber, welche in der Höhle lagen und fragte ihn: „Wie gefällt dir das? So reich möchtest du auch wohl werden nicht wahr?“ „Ihr versteht das schönste Handwerk auf der Welt und das einen goldnen Boden hat“ sprach der Junge. „Bei euch gehe ich gern in die Lehre.“ Jetzt aßen und tranken sie zusammen und waren guter Dinge bis es Abend wurde. Da gab ihm der Räuber einen Stock, vor dem alle Türen sprangen und sprach: „Nun geh und arbeite, ob du etwas verdienst.“ Da ging der Junge und arbeitete in andrer Leute Geldbeutel so lange bis er zweihundert Taler zusammen hatte, und dabei bekam er keine Schwielen in die Hände, denn alle Schlösser öffneten sich ihm, sobald er sie nur mit dem Stock berührte. Als er in die Höhle zurückkam und seinen Verdienst auf den Tisch zählte, sprach der eine Räuber: „Viel ist’s zwar nicht, aber immer doch etwas, morgen musst du fleißiger sein.“ In der folgenden Nacht brachte er dreihundert Taler mit und der Räuber sagte: „Diesmal geht’s schon besser, aber man merkt dir noch immer an, dass du ein Anfänger bist.“ Da kam er in der dritten Nacht mit vierhundert Talern wieder. „Du machst schon Fortschritte“, sprach der Räuber, „und von heut an bist du Geselle. Du kannst aber die Nacht noch Meister werden, wenn du Mut hast. Heute ist einer von uns gegangen, um einen Ochsen zu stehlen, wenn du ihm den unterwegs nimmst, dann bist du unser Mann.“ „Es kommt auf einen Versuch an“, sprach der Junge, „lasst mich mir nur etwas aussuchen, was ich dazu nötig habe.“ Da ging er tiefer in die Höhle, nahm sich eine silberne Säbelscheide, verkleidete sich in einen Bettler und machte sich auf den Weg. Im Walde setzte er sich an die Landstraße hin und legte die Scheide neben sich. Bald kam der Räuber mit dem Ochsen daher; als er die Säbelscheide sah, blieb er stehen und fragte: „Ei was hast du da? wie kommst du zu der prächtigen Scheide?“ „Ich fand sie im Walde“, erwiderte der Bettler. „Wo die Scheide lag muss auch der Säbel sich finden“, sagte der Räuber. „Halte mir den Ochsen auf ein paar Augenblicke, ich will doch sehn ob ich ihn nicht finde.“ Und er eilte in den Wald um zu suchen, unterdessen trieb der Junge den Ochsen der Höhle zu, wo ihn die Räuber als ihren Meister begrüßten und ihn sogleich zum Hauptmann der Bande ernannten. Da er das Handwerk so schnell gelernt hatte, stieg ihm der Stolz zu Kopfe und am folgenden Morgen sprach er: „Ich gehe einmal zu meinem Vater und bleibe zwei Tage aus, in der Zeit darf jeder von euch tun was er will; wenn ich wiederkommen bringe ich Arbeit für euch mit.“ Er ließ sich sein Pferd satteln, schwang sich in schönen Kleidern drauf und ritt nach Hause zu. Sein Vater traute seinen Augen nicht, als er ihn sah und fragte erstaunt: „Wie kommst du zu dem Reichtum?“ „Durch meinen Eifer und meine Arbeitsamkeit“, sprach der Junge. „Ich bin schon Meister und arbeite mit zwölf Gesellen Nacht und Tag, was gibst du, was hast du.“ „Ei seht mir doch den Jungen an, was schaffst du denn?“ „Leere Beutel, lieber Vater.“ „Also bist du ein Spitzbub?“ rief der Alte entsetzt; „dann mach nur dass du mir aus dem Hause kommst, sonst überliefere ich dich selbst dem Gericht.“ „Wie ihr wollt, ade Vater“, sprach Hans, saß wieder auf sein Ross und ritt weiter, nachdem er noch einen Beutel voll Geld auf den Tisch geworfen hatte.
Unterwegs kehrte er in ein Wirtshaus ein, ließ sich einen Schnaps geben und fragte: „Was Neues?“ „Nicht viel“ sagte der Wirt, „außer dass gestern zwölf Räuber gefangen worden sind; das sollen aber nur die Gesellen sein, dem Hauptmann sind die Soldaten auf der Fährte, der heißt Hans Kühstock.“ „Heißt der so, dann weiß ich wo er ist und wir wollen ihn bald haben“, sprach Hans. „Gestern hat er mir erst im Walde die Taschen geleert. Gebt mir nur schlechte Kleider und einen Esel, dann locke ich ihn in euer Haus.“ Der Wirt tat es mit Freuden und Hans zog weiter, kaufte auf dem nächsten Bauernhof zwei Körbe mit Eiern, Käse und Butter und trieb damit zur Hauptstadt. Da kam er an dem Turm vorbei, worin die zwölf Kerle gefangen saßen und sah, wie sie an den Gitterfenstern lagen und Trübsal nach Noten bliesen. Er hielt seinen Esel an, guckte hinauf und rief: „Gelt, ihr habt gestohlen? Was seid ihr für dumme Teufel! Wisst ihr denn nicht, dass ehrlich am längsten währt?“ Da ärgerten sich die Spitzbuben, er aber lachte sie aus und verspottete sie, bis sie vor Zorn vom Fenster wegliefen. Das tat er ihnen aber darum, weil sie ihn verraten hatten.
Vor der Stadt wohnte ein Leinweber, der war blutarm und nagte am Hungertuch. Hans Kühstock, der das wusste, ging zu ihm und schenkte ihm die Eier und den Käse. „Hör ‚mal Bruderherz“ sagte Hans, der das Stehlen nun einmal nicht lassen konnte; „ich bin arm und du bist arm und der König hat Geld mehr als zu viel; wie wäre es, wenn wir ihm ein paar Taschen voll davon abnähmen? Ihm tut’s nichts und uns tut’s sehr viel.“ „Ach du scheinst mir einer von denen zu sein, die nur glühend Eisen und Mühlsteine liegen lassen“, sprach der Leinweber, „aber ich bin’s zufrieden; ehrlich bin ich lang genug gewesen und habe es zu nichts gebracht; da werde ich einmal zur Abwechslung Spitzbub. Wie kommen wir aber in die Schatzkammer?“ „Dafür lass mich sorgen“ antwortete Hans.
Abends gingen Beide an den Turm, wo die Schatzkammer war; an der Erde hatte sie ein Fenster, das war mit drei eisernen Läden verschlossen. Hans hielt seinen Stock daran, da sprangen sie alle auf und Beide stiegen hinein. Hans nahm eine gute Hand voll Geld, der Leinweber stopfte sich aber beide Taschen voll; dann gingen sie ruhig wieder nach Hause. Als der König Morgens in die Schatzkammer kam und den Diebstahl bemerkte aber alle Fenster und Türen geschlossen sah, ließ er die zwölf Spitzbuben zu sich kommen und fragte sie, wie der Dieb wohl in die Kammer gelangt sein könne? Die untersuchten die Fenster und sahen gleich, wo der Fehler war. „Hans Kühstock ist hier gewesen“ sprachen sie, „und durch dies Fenster gestiegen.“ Der König versprach ihnen die Freiheit, wenn sie ihn fingen; da legten sie Fallen und Schlingen an das Fenster und versicherten den König, morgen würde Hans Kühstock in seinen Händen sein.
Als es gegen Abend ging, sprach der Leinweber: „Das eine Mal war nicht der Mühe wert, komm lass uns mehr holen.“ Da gingen sie zu dem Turm, Hans Kühstock hielt seinen Stock an das Fenster und es sprang auf. „Lass mich zuerst hinein“, sprach er zu dem Leinweber, „es möchte drin nicht richtig sein und du verstehst dich noch schlecht aufs Handwerk.“ „Weg da, ich will dir beweisen, dass ich Mut habe“, sagte der Leinweber und ging in die Falle. „Da siehst du wer Recht hatte“, sprach Hans Kühstock. „Aber wart ich helfe uns Beiden, drehe nur den Kopf einmal herum.“ Der Leinweber tat’s und ritsch schnitt der Räuber ihm den Kopf ab, nahm sich die Taschen voll Geld und ging mit dem Kopfe seiner Wege zu des Leinwebers Haus zurück. Am Morgen kam der König in die Schatzkammer, da lag der blutige Leichnam. Er ließ die Räuber kommen, welche die Leiche untersuchten. „Das ist er nicht“, sprachen sie, „aber wenn man die Leiche an den Galgen hängt, dann kann man ihn fangen, denn er wird trachten, dieselbe zu stehlen, darum muss eine starke Wache dabei aufgestellt werden.“
Dies geschah, aber Hans Kühstock lachte den König heimlich aus und dachte, so gescheit sei ein guter Spitzbub wohl, dass er nicht in diese dumme Falle gehe. Er zog des Leinwebers alte Kleider an, kaufte sich zwei kleine Fässchen mit Branntwein, worein er starken Schlaftrunk goss, und lud sie auf seinen Esel; dann ließ er vom Schneider zwölf Pfarrersröcke machen, packte sie ein und lud sie zu den Fässchen; also zog er als es dunkel wurde dem Galgen zu, indem er schrie: „Lebenstrank! Wer kauft Lebenstrank?“ Als die Soldaten, deren zwölf auf Wache standen, ihn sahen, riefen sie ihm zu und ließen sich einschenken, und der Branntwein schmeckte ihnen so gut, dass das Fässchen bald leer wurde. Da sanken sie einer nach dem andern um und schliefen wie die Klötze. „Jetzt ist die Reihe wieder an mir“, sprach Hans Kühstock, zog ihnen ihre Montur aus und lud sie nebst den Gewehren, Säbeln und dem Leichnam auf seinen Esel, dann zog er ihnen die Pfarrersröcke an und trieb dem Leinewebershäuschen zu.
Morgens wachten die Soldaten auf und da kann man sich denken, was sie für Augen machten. Anfangs wollten sie alle desertieren, aber da sprach einer von ihnen, der ein durchtriebener Pfiffikus war: „Bleibt ruhig hier, ich mache Alles gut.“ Er ging in seinem Pfarrersrock zum König, warf sich ihm zu Füßen und sprach: „Herr König, ach schenket mir und meinen Mitbrüdern das Leben! Wir haben es nicht verdient, aber wir hoffen, ihr werdet uns gnädig sein.“ Der König war sehr erstaunt und sprach: „Herr Pfarrer, ich schenke es euch gern, weiß aber nicht, was ihr verbrochen haben könnt.“ Da stand der Soldat auf und erzählte Alles. Der König lachte zwar über den neuen Streich des Räubers, aber innerlich ärgerte er sich doch, ließ die zwölf Spitzbuben kommen und drohte ihnen, sie würden sofort Alle an den Galgen gehängt, wenn sie ihm nicht ein sicheres Mittel sagten, den Hans Kühstock zu fangen. Da rieten sie, der König solle die ganze Gegend umzingeln und alle Häuser durchsuchen lassen, wenn man ihn dann nicht finde, dann müssten sie sich in ihr Schicksal ergeben. Der König ließ alsbald seine Befehle ergehen und alle Leute wurden den zwölf Spitzbuben vorgeführt und alle Häuser durchsucht. Aber Hans Kühstock fand sich nicht, der war längst über alle Berge, um anderswo seine Kunst zu betreiben; wo er aber sein Nest gehabt hatte, das erfuhr der König, als man des Leinwebers Haus durchsuchte. Am folgenden Tage mussten die zwölf Spitzbuben baumeln.

Quelle: Johann Wilhelm Wolf

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