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Märchenbasar

Der reiche Krämer

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Wo war’s, wo war’s nicht, es waren auf der Welt ein armer und ein reicher Krämer. Der eine war so arm, dass er kaum wusste, woher das Essen nehmen; der reiche aber hatte hundert Läden. Neunundneunzig gab er andern zur Verwaltung, er selbst behielt nur einen.
Dieser reiche Krämer ging einmal in den Wald spazieren.
Auf seinem Spaziergang erblickte er ein schönes Mädchen, das gerade zum Brunnen ging.
»Wohin gehst du, schönes Mädchen?« fragte er.
»Zum Brunnen! Wohin sollte ich sonst wohl gehen?« erwiderte das Mädchen.
Als das Mädchen auf dem Rückweg wieder daher kam, begleitete es der reiche Krämer bis zur Hütte, wo ihr Vater wohnte; denn ihr Vater war Waldhüter.
Das Mädchen gefiel dem reichen Kaufmann; er lud sie mitsamt ihrem Vater zu Mittag ein. In besonderen Zimmern wurde für sie aufgetragen. Der Vater ass allein, und das Mädchen mit dem reichen Krämer.
Als sie gegessen hatten, steckte der Vater was in die Tasche für seine Tochter, und das Mädchen ebenso für ihren Vater.
Das Mahl dauerte lange, sodass es dem Waldhüter schon zu lange schien, und er fragte, wo seine Tochter wäre.
Es dauerte nicht lange, da wurde seine Tochter vor ihn geführt, von Kopf zu Fuss in Seide gekleidet; sie war wie eine Königin. Der reiche Krämer hatte sie ankleiden lassen.
Da sagte der reiche Krämer dem Waldhüter, er solle ihm seine Tochter geben; denn er wolle sie heiraten. Der Alte willigte mit tausend Freuden ein: »Da hast du sie, warum denn nicht!«
Und so wurde das Mädchen die Gemahlin des reichen Krämers, und der Alte ging als Hüter in den Wald zurück. Und sie lebten glücklich.
Einstmals war ein grosses Fest im Walde. Eine Unmenge Leute waren dort und dazu noch so viele, wie der Hund Flöhe hat. Waren dort auch der reiche und der arme Krämer.
Und wie so in der Unterhaltung alles herankommt, beginnt der reiche Krämer seine Gemahlin zu preisen, was für eine gute Frau das sei, wie schön und wie treu! Dem Lobspruch hörten dort alle zu, auch der arme Krämer. Plötzlich sagt der arme Krämer:
»Hör, Bruder, es gibt keine Frau, die nicht verlockt werden könnte, die nicht verführt werden könnte!«
»Na, Bruder,« sprach der reiche Krämer, »wenn Ihr jene verführen könnt, dann sei mein ganzes Vermögen Euer! Wenn Ihr’s aber nicht könnt, dann nehme ich Euch, was Ihr habt!«
»Abgemacht, ein Hundsfott, wen’s reut!« sagte der arme Krämer; »ich stehe für das, was ich gesagt habe!«
Doch sie hatten besprochen, dass sie einander binnen drei Tagen sichere Nachricht zukommen lassen müssten; darüber hinaus sollte der Vertrag nicht gelten.
Ging der arme Krämer schnurstracks zur Frau des reichen. Er wollte dort gleich die Frau umarmen und küssen; doch die stiess ihn so zurück, dass er sieben Purzelbäume schoss.
Ein Tag war schon vergangen; der arme Krämer war in grosser Sorge: was sollte er jetzt nun machen?
Er kannte eine alte Frau, die früher dort beim reichen Krämer gedient hatte. Zu der ging er, sie zu fragen, was nun werden sollte. Die Alte fand gleich etwas aus. Sie sagte ihm:
»Ich werde dich in einer Lade verstecken und dich irgendwie ins Gemach der reichen Krämerin tragen lassen. Fürchte nichts, es wird alles gut werden!«
So geschah’s auch. Sie versteckte ihn in einer Lade, dann ging sie zur reichen Krämerin; sie habe sich mit ihrem Manne entzweit, sie möge ihr erlauben, dass sie ihre Lade, in der sie ihr bischen Kram habe, herbringen lassen dürfe! Die reiche Krämerin war damit einverstanden, erlaubte es; kam es ihr doch nicht in den Sinn, was das sein könnte!
Die alte Frau dingte sofort zwei Leute, die nahmen die Lade und trugen sie geradewegs in die Stube, wo die Gemahlin des reichen Krämers zu schlafen pflegte.
Doch darüber war ein Tag vergangen.
In der Nacht des dritten Tages kroch der arme Krämer aus der Lade, trat ans Bett. Der Frau war wohl sehr heiss gewesen, sie hatte ihre Brust entblösst. Der arme Krämer suchte nur, ob er nicht irgend ein Mal an ihr finden könnte; er betrachtete ihre Brust, und da sah er ein wunderschönes Goldhaar. Drauf kroch er in die Lade zurück, achtsam, dass er nicht raschle; denn wenn die Frau aufgewacht wäre, dann wär’s schlimm gewesen.
Doch sie wachte nicht auf.
Anderntags in aller Frühe ging die alte Frau zur reichen Krämerin: sie habe sich mit ihrem Manne ausgesöhnt und möchte ihre Lade jetzt nach Hause holen. »Das ist recht,« sagte die Frau, gab ihr auch noch zwei Leute mit, dass sie sich nicht selbst damit schleppen sollte, die arme, alte Frau.
Als die Lade nach Hause gebracht worden war und die beiden Leute fortgegangen waren, kroch der arme Krämer aus der Lade, ging schnurstracks in den Wald. In seiner grossen Freude wäre er fast über eine Baumwurzel auf den Bauch gefallen.
Der reiche Krämer erblickte ihn, dachte schon im Vorhinein: nun jetzt ist’s aus mit dem armen Krämer; das bischen, was er hatte, hat er nun auch verloren! Als er anlangte, rief er ihm entgegen: »Na, was gibt’s Neues?« Antwortete drauf der arme Krämer:
»Das gibt’s, dass ich deine Frau verführt habe! Wenn du’s wissen willst, sage ich dir auch noch, dass sie ein Goldhaar auf der Brust hat! Und jetzt ist dein ganzes Vermögen mein!«
Der reiche Krämer erschrak über diese Worte so, dass er glaubte, ihn rühre der Schlag.
»Mein Gott nein! Mein Gott nein! diese Frau! Da habe ich geglaubt: ihr kann ich trauen! Aber auch ihr nicht!« Sein ganzes Vermögen gab er dem armen Mann; ihm selbst blieb nur seine Gemahlin und seine Flinte. Seine Flinte gab er auch seiner Gemahlin: »die soll ich nun auch nicht mehr haben!«
Sie zogen in die weite Welt hinaus. Ein Kreuzweg teilte sich dort, wohin sie gegangen waren; auf dem einen Weg zog die Frau, auf dem andern der Mann.
Die Frau kam von ungefähr zu einem Waldhüter, und da sie gut schiessen konnte, nahmen sie sie dort als Jäger an. Bald legte sie auch Jägerkleider an.
Da sie eine Flinte hatte, mit der sie alles traf, was sie aufs Ziel nahm, so geriet sie von dort an einen Königshof. Sie sah auch in Männerkleidern schön aus, und sie gewannen sie bald lieb.
Der König wollte ihr durchaus seine Tochter geben; doch sie entdeckte sich einmal dem Mädchen, dass sie auch eine Frau sei und sie also nicht heiraten könne. Und sie erzählte ihr Lebensschicksal von Anfang bis zu Ende. Danach begann es die Königstochter zu dauern, dass sie solch ein Schicksal gehabt habe und dass diese Frau etwas ganz anderes verdiene.
Dort war ihres Bleibens nicht mehr; sie kam an den Hof eines andern Königs. Dort aber konnte sie keinen Ausweg finden, denn sie hatte keine Gelegenheit dazu; der König verheiratete seine Tochter mit ihr. Es fehlte gerade nur noch, dass sie getraut wurden.
Denn ein Krieg war ausgebrochen, dahin wurde sie geschickt, und darum wurde die Trauung aufgeschoben. Dort kämpfte sie wie ein Held, stellte ordentlich ihren Mann. Unter den vielen Kriegern aber erkannte sie ihren Mann, der dort im Felde war.
Sie sann lange, wie sie sich wohl vom Hofe des Königs losmachen könnte. Sie sann und sann, und plötzlich hatte sie es gefunden.
Als sie zu Hause am Hofe angelangt waren, sagte sie ihrem Schwiegervater, sie müsse durchaus jetzt auf ihr Gut reisen; doch in zwei Tagen würde sie wieder da sein. Was jetzt auch sei, sie müsse gehen!
Der König sagte:
»Gut, mein Sohn, aber erst sollt ihr getraut werden; dann kannst du gehen!«
Doch der Held – oder vielmehr die Frau – versprach hoch und heilig, dass er wiederkäme, aber jetzt müsste er fort. Schliesslich willigte der König auch ein. Sie wurde wie ein schöner, glänzender Prinz angezogen, auf den das halbe Reich harrte, ein Regiment Soldaten wurde ihr mitgegeben; so eilte sie in einem goldenen, schönen Wagen von dannen.
Als sie des Weges fuhr, sah sie einen verabschiedeten Soldaten. »Kommt, sitzt auf!« sagte sie zu ihm. Dieser Verabschiedete war niemand anderes als ihr eigener Mann. Doch der erkannte sie nicht; sie erkannte ihn.
Die Soldaten schickte sie heim und fuhr mit dem Verabschiedeten ganz allein heim in ihre einstige Stadt.
Dort blieb der Wagen vor einem Laden stehen, der vordem ihnen gehört hatte. Der Prinz – oder vielmehr die Frau – lud den Soldaten ein, in den Laden zu gehen; doch der scheute sich; er sei ein so armer, armer Mann, und es schicke sich nicht für ihn, mit einem so strahlenden Prinzen an einem Ort zu sitzen.
Mit Müh und Not ging er schliesslich hinein.
Der Laden gehörte dem Krämer, der aus einem Armen ein Reicher geworden war. Der Prinz trank dort mit dem Verabschiedeten einen Becher Branntwein und begann den Kaufmann auszufragen:
»Ihr habt aber einen schönen Laden! Wie seid ihr dazu gekommen? Habt Ihr ihn geerbt, oder habt Ihr ihn selbst erworben?«
Der vom Armen zum Reichen Gewordene erzählte ihnen den Betrug, wie er die Frau, die er hatte verführen sollen wegen des Vermögens, nicht hatte verführen können, dass er nur ihre Brust gesehen habe und auch das nur zufällig. Und so sei er zu dem Vermögen gekommen.
Der Verabschiedete erkannte den vom Armen zum Reichen Gewordenen, wurde nur blau und grün vor Wut, aber wagte nicht, vor dem Prinzen zu sprechen.
Plötzlich warf der Prinz sein Kleid ab und zeigte sich dem Verabschiedeten – oder vielmehr ihrem Mann:
»Siehst du, du hast alles von mir geglaubt, was dieser Schurke gesagt hat. Glaubst du denn jetzt, dass ich unschuldig bin?«
»Jetzt glaube ich es schon!« sagte der Verabschiedete, der einstmalige reiche Krämer.
Da musste der vom Armen zum Reichen Gewordene das ganze Hab und Gut zurückgeben; sein eigenes verlor er auch noch, zog von dannen und wurde flüchtig und heimatlos; der aus einem Reichen ein Armer Gewordene liess sich von neuem mit seiner Gemahlin trauen, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie jetzt noch glücklich zusammen.

[Ungarn: Elisabet Róna-Sklarek: Ungarische Volksmärchen]

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