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Der Ritter ohne Beine und der Ritter ohne Augen

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In einem Land in einem Reich lebten ein Zar und eine Zarin. Die hatten einen Sohn, Iwan Zarewitsch, und dieser hatte einen Wärter, der hieß Katoma Djadka, dubowaja Schapka. Als der Zar und die Zarin sehr alt geworden waren, erkrankten sie beide und da sie fühlten, daß sie nicht mehr gesund werden konnten, beriefen sie Iwan Zarewitsch zu sich und sagten zu ihm:
»Wenn wir sterben, so folge immer Katomas Ratschlägen und achte ihn hoch, dann wirst du glücklich werden – – tust du es aber nicht, so gehst du zugrunde wie eine Fliege!«
Am nächsten Tage starben der Zar und die Zarin. Iwan Zarewitsch begrub seine Eltern und beherzigte ihre Lehren und beratschlagte stets mit Katoma, ehe er etwas unternahm. Über kurz oder lang war der Zarewitsch erwachsen und wollte heiraten. Er sagte deshalb zu Katoma:
»Es ist langweilig so allein zu leben; ich will heiraten!«
»Zarewitsch, ja, du bist in den Jahren, in denen man an eine Braut denkt. Geh in den großen Saal, dort sind die Bilder aller Zaren- und Königstöchter gesammelt. Betrachte sie dir gut und wähle dir eine aus, und die dir gefällt, die sollst du heiraten.«
Iwan Zarewitsch ging in den großen Saal, sah die Bilder an und seinem Sinne gefiel Anna, die Wunderschöne, die Königstochter.
Sie war so schön wie keine zweite Prinzessin auf der Welt.
Unter ihrem Bilde stand geschrieben: »Wer ihr ein Rätsel aufgeben kann, das sie nicht lösen kann, der wird ihr Mann! Wessen Rätsel sie lösen wird, der stirbt!«
Iwan Zarewitsch las diese Inschrift und wurde traurig. Er ging zu Katoma und sagte:
»Ich war im großen Saale und suchte mir zur Braut Anna, die Wunderschöne, aus. Ich weiß nur nicht, ob ich sie freien kann.«
»Ja, Zarewitsch, schwer wäre es für dich, müßtest du allein zu ihr reisen. Du würdest sie nie freien! Nimm mich aber mit und tue, was ich dir sage, dann kann es gehen.«
Da bat Iwan Zarewitsch Katoma, mit ihm zu reisen und gab sein Ehrenwort, ihm zu gehorchen in Leid und Freud.
Sie machten sich auf den Weg zu Anna, der Wunderschönen, der Königstochter, reisten ein Jahr, ein zweites und ein drittes und kamen durch viele Länder. Iwan Zarewitsch sagte:
»Wir reiten nun so lange, sind nahe an dem Reiche von Anna, der Wunderschönen, und wissen noch immer kein Rätsel für sie!«
»Wir haben noch Zeit uns eines auszudenken.«
Sie ritten weiter, da sah Katoma ein Beutelchen auf dem Wege liegen und sprach:
»Iwan Zarewitsch, da hast du dein Rätsel für die Königstochter. Gib ihr das Rätsel zu lösen auf:
»’Wir ritten unseres Weges, da lag Gutes, wir nahmen es in Gutem und legten unser Gutes hinein.‘ – Das errät sie ihr Leben lang nicht! Jedes andere Rätsel löst sie gleich auf, sie braucht dazu nur in ihrem Zauberbuche nachsehen und dann läßt sie dir den Kopf abschlagen.«
Endlich kamen der Zarewitsch und Katoma zu einem hohen Schlosse, da wohnte die wunderschöne Königstochter. Sie stand gerade auf ihrem Balkon und schickte ihnen Boten entgegen, um zu erfahren, woher sie kämen und was sie wollten.
Iwan Zarewitsch antwortete: »Ich komme aus meinem fernen Reiche, um Anna, die Wunderschöne, die Königstochter, zu freien.«
Das meldete man ihr und sie befahl, den Zarewitsch in das Schloß zu führen, er sollte ihr dort vor allen beratenden Fürsten und Bojaren ein Rätsel aufgeben: »Ich habe geschworen,« sagte sie, »den zu heiraten, der mir ein Rätsel aufgibt, das ich nicht auflösen kann. Errate ich es aber, so muß der sterben, der es mir aufgab.«
»Schöne Königstochter, höre mein Rätsel an«, sagte Zarewitsch Iwan. »Wir ritten unsere Straße, da lag Gutes am Wege. Wir nahmen es im Guten und legten unser Gutes hinein.«
Anna, die Wunderschöne, nahm ihr Zauberbuch und begann es nach Rätseln durchzusehen. Sie sah das ganze Buch durch – doch vergebens. Da entschieden die Fürsten und Bojaren, daß sie den Zarewitsch heiraten müsse. Darüber war die Königstochter gar nicht froh, sie mußte aber trotzdem Vorbereitungen für ihre Hochzeit treffen.
Heimlich dachte sie aber immer nach, »wie könnte ich die Zeit hinziehen und meinen Bräutigam loswerden?« Sie beschloß ihn durch schwere Arbeiten zu ermüden. Einmal rief sie Iwan Zarewitsch zu sich und sprach:
»Lieber Iwan Zarewitsch, erwählter Gatte, wir müssen zur Hochzeit rüsten, erweise mir daher einen kleinen Dienst. In meinem Reiche an der und der Stelle steht eine große, eiserne Säule. Bring sie in die Hofküche und spalte sie in kleine Scheite für den Koch als Brennholz.«
»Um Gottes willen, Königstochter! Bin ich hierher gekommen, um Brennholz zu hacken? Ist das ein Amt für mich? Ich habe dazu meinen Diener!«
Er rief sogleich Katoma und befahl ihm, die eiserne Säule in die Küche zu schaffen und sie in kleine Scheite zu hacken, als Brennholz für den Koch. Katoma ging sogleich hin, packte die Säule mit beiden Händen, brachte sie in die Hofküche und spaltete sie in kleine Stücke. Vier eiserne Scheite aber nahm er und steckte sie in seine Tasche: »Später kann ich sie vielleicht brauchen.«
Am nächsten Tage sprach die Königstochter:
»Lieber Zarewitsch, erwählter Gatte! Morgen werden wir getraut. Ich fahre im Wagen zur Kirche und dir wird ein stolzer Hengst vorgeführt werden. Den mußt du dir beizeiten zureiten.«
»Ich selbst soll das Pferd zureiten? Dazu habe ich meinen Diener!«
Iwan Zarewitsch rief Katoma und sprach: »Geh in den Stall, befiel den Knechten das Roß herauszuführen. Reit es zu, ich will morgen darauf in die Kirche reiten.«
Katoma durchschaute die Hinterlist der Königstochter, ging ohne zu zaudern in den Stall und befahl den Knechten, das Pferd herauszuführen. Zwölf Knechte sperrten zwölf Schlösser auf, öffneten zwölf Türen und führten das Zauberroß an zwölf Ketten heraus. Katoma trat zu ihm und kaum hatte er sich hinaufgeschwungen, so hob sich das Roß hoch in die Luft, höher als im Wald die Bäume stehen, niederer als die Wolken wehen. Katoma saß aber fest, mit einer Hand hielt er sich an der Mähne fest, mit der anderen holte er ein eisernes Scheit aus seiner Tasche und schlug damit das Roß zwischen den Ohren. Das Scheit zerbrach, da nahm er ein zweites, dann ein drittes und als auch dieses brach und er zum vierten griff, da war das Pferd so ermattet, daß es nicht weiter Widerstand leistete, sondern mit menschlicher Stimme sprach:
»Väterchen Katoma, laß mich noch lebendig zur Erde hinab und was du willst, soll nach deinem Wunsche geschehen. Befiehl nur!«
»Höre zu, elendes Tier,« erwiderte Katoma, »morgen wird Iwan Zarewitsch auf dir zur Trauung reiten. Pass auf! Wenn dich die Knechte in den weiten Hof führen und er an dich herantritt, seine Hand auf dich legt, so steh still, zuck mit keinem Ohre. Steigt er auf, so sink bis über die Hufe in die Erde ein und geh unter ihm dahin, mit schwerem Schritte, als trügest du eine ungeheure Last.«
Das Pferd sank halb tot zur Erde hernieder. Katoma ergriff es beim Schweif warf es den Stallknechten hin und sagte:
»He, Kutscher und Knechte, führt das elende Tier in den Stall!«
Der nächste Tag kam heran und damit die Stunde, in die Kirche zu reiten. Für die Königstochter stand ein Wagen bereit, aber dem Zarewitsch brachte man das Zauberroß. Von allen Seiten war das Volk in unzählbarer Menge zusammengelaufen.
Bräutigam und Braut traten aus dem weißsteinernen Palaste heraus und die Königstochter bestieg den Wagen. Sie wartete auf das, was mit Iwan Zarewitsch geschehen würde. Sie glaubte, das Roß würde ihn mit seinen Locken dem Winde entgegentragen. Sie vermeinte schon seine Knochen über das weite Feld zerstreut zu sehen.
Iwan Zarewitsch trat an das Pferd heran, legte ihm seine Hand auf den Rücken, setzte den Fuß in den Bügel, da stand das Zauberroß auch schon wie angemauert und zuckte mit keinem Ohr. Der Zarewitsch stieg auf und der Hengst sank tief in die Erde ein. Man nahm ihm seine zwölf Ketten ab, da schritt er schweren, gleichmäßigen Schrittes voran und der Schweiß lief in Strömen von ihm herab.
»Das ist ein Held, das ist Kraft!« sagte das Volk von Iwan Zarewitsch.
Braut und Bräutigam wurden getraut und traten Hand in Hand aus der Kirche. Die Königstochter wollte noch einmal des Gatten Kraft erproben und drückte seine Hand. Sie drückte so stark, daß er es nicht ertragen konnte. Das Blut stieg ihm zu Kopfe, die Augen traten aus ihren Höhlen.
»So ein Held bist du!« dachte sie, »prächtig hat mich dein Katoma getäuscht, aber das bleibt euch nicht geschenkt.«
Anna, die Wunderschöne, die Königstochter, lebte mit ihrem von Gott gesandten Gatten, wie es einer Frau geziemte, sie hörte stets liebevoll auf seine Worte, aber trotzdem dachte sie nur darüber nach, wie sie Katoma verderben könnte, denn sie wußte, daß sie mit dem Zarewitsch allein leicht fertig werden könnte. Aber wie viele Verleumdungen sie auch ersann und vorbrachte, Iwan Zarewitsch glaubte ihr nichts, sondern hielt zu Katoma. Als ein Jahr vergangen war, sagte er zu seiner Frau:
»Liebes Weib, wunderschöne Königstochter, ich möchte mit dir in mein Land reisen!«
»Ja bitte, reisen wir, ich möchte seit langem dein Reich sehen.«
Sie machten sich auf den Weg und Katoma saß hinter dem Kutscher. Wie sie so dahin fuhren und fuhren, schlief Iwan Zarewitsch ein. Plötzlich begann ihn Anna, die wunderschöne Königstochter, zu wecken und klagte:
»Hör doch, Zarewitsch, du schläfst immerzu und merkst nichts! Katoma gehorcht mir gar nicht. Er lenkt die Pferde absichtlich über Stock und Stein, in Graben hinein, als wollte er uns umbringen. Ich sprach freundlich zu ihm, aber er lacht mich nur aus. Ich will nicht weiterleben, wenn du ihn nicht strafst.« Im Halbschlafe wurde Iwan Zarewitsch sehr zornig auf Katoma und sagte zu der Königstochter:
»Mach mit ihm, was du willst.«
Da befahl die Königstochter sogleich ihren Dienern, Katoma die Beine abzuschlagen. Er ergab sich seinen Peinigern und dachte: »Muß ich leiden, so mag der Zarewitsch auch erfahren, was Kummer ist.«
Man schlug ihm die Beine ab. Die Königstochter sah umher und bemerkte einen hohen Baumstamm am Wegesrande. Da befahl sie ihren Dienern, Katoma darauf zu setzen. Den Zarewitsch aber ließ sie, an einem Stricke angebunden, hinter dem Wagen herlaufen und so kehrte sie in ihr Königreich zurück. Katoma saß auf seinem Stamme und weinte bittere Tränen:
»Lebwohl, Iwan Zarewitsch, vergiß mich nicht!«
Iwan Zarewitsch lief in Sprüngen hinter dem Wagen her; er wußte wohl, daß er einen Fehler begangen hatte, es war aber nichts mehr zu machen.
Als Anna, die Wunderschöne, wieder in ihrem Königreiche angelangt war, mußte der Zarewitsch die Kühe hüten. Jeden Morgen zog er mit ihnen ins Freie und abends trieb er sie in den königlichen Hof zurück, da saß dann die Königstochter auf dem Balkon und prüfte, ob die Kühe alle beisammen wären. Der Zarewitsch mußte sie zählen und in den Stall treiben, der letzten aber einen Kuß unter den Schwanz geben. Die Kuh wußte das schon, blieb deshalb am Tore stehen und hob den Schwanz.
Katoma saß auf dem Stamm tagelang, ohne zu essen oder zu trinken. Er konnte nicht herabsteigen, da dachte er Hungers sterben zu müssen.
In der Nähe war ein dichter Wald und dort lebte ein blinder, sehr starker Ritter. Dieser Ritter witterte die Tiere, die vorbeiliefen, er jagte ihnen nach und fing sie ein, gleichgültig ob es ein Hase war, ein Fuchs oder ein Bär, das war dann sein Mittagsbraten. Der Ritter konnte nämlich so schnell laufen, daß ihm kein springendes Tier entkam. Eines Tages schlich ein Fuchs vorüber, das hörte der Ritter und jagte ihm nach. Der Fuchs lief bis zu dem Baumstamm, auf dem Katoma saß, und machte dort kehrt. In der Eile der Verfolgung stieß der Blinde mit der Stirne derart an den Stamm an, daß er ihn mit der Wurzel ausriß. Katoma fiel zur Erde und fragte: »Wer bist du?«
»Ich – bin der blinde Ritter, ich lebe bald dreißig Jahre hier im Walde und nähre mich davon, daß ich dann und wann ein Tier einfange und am Feuer brate, sonst wäre ich längst verhungert!«
»Bist du wirklich von Kind auf blind?«
»Nein, mich hat Anna, die Wunderschöne, die Königstochter, geblendet.«
»Bruder,« sagte Katoma, »ich verlor auch durch sie meine Beine; sie ließ mir beide abschlagen.«
Die Ritter beschlossen beisammen zu bleiben und einander zu helfen. Der Blinde sagte zu Katoma:
»Setz dich auf meinen Rücken und weise mir den Weg. Ich will dir mit meinen Füßen dienen, dien du mir mit deinen Augen.«
Der Blinde hob Katoma auf und der ohne Beine schrie: »rechts, links, geradeaus!«
So lebten sie eine Zeitlang im Walde und fingen sich Hasen, Füchse und Bären zu ihrer Nahrung. Einmal sagte Katoma:
»Sollen wir ewig ganz einsam hier leben? Ich hörte, in der Stadt lebe ein reicher Kaufmann mit seiner Tochter. Die, heißt es, ist ganz unbeschreiblich mildtätig gegen Arme und Krüppel. Jedem gibt sie eigenhändig Almosen. Bruder, entführen wir sie! Sie soll bei uns, als unsere Hausfrau, wohnen.«
Der Blinde nahm ein Wägelchen, setzte den ohne Beine hinein und zog ihn zur Stadt, gerade bis vor das Haus des Kaufmanns. Die Tochter sah aus dem Fenster und sprang sogleich auf, um ihnen ein Almosen zu bringen. Sie trat zu Katoma und sagte:
»Nimm hin, um Gottes willen!«
Er nahm ihre Gabe, ergriff dabei ihre Hand, zog sie in den Wagen und rief es dem Blinden zu; der lief so schnell davon, daß keine Pferde ihn einholen konnten. Der Kaufmann versuchte umsonst die beiden Ritter einzuholen, es war ganz unmöglich.
Die Ritter brachten die Kaufmannstochter in ihre Waldhütte und sprachen: »Bleibe bei uns, als unsere Schwester, sei unsere Hausfrau. Wir Armen haben niemand, der unser Essen kocht, unsere Wäsche wäscht. Gott wird dich deshalb nicht verlassen.«
Da blieb die Kaufmannstochter bei ihnen, die Ritter ehrten und liebten sie wie eine leibliche Schwester. Zuweilen gingen sie auf die Jagd und dann blieb die Schwester allein zu Hause. Sie versah die Wirtschaft, kochte das Essen und wusch die Wäsche. Da kam einmal Baba Jaga mit dem Knochenbein zu der Hütte herein und sog dem schönen Mädchen die Brust aus. So oft die Ritter auf der Jagd waren, kam Baba Jaga wieder. Über kurz oder lang war die schöne Kaufmannstochter mager und kränkelte. Der Blinde sah es nicht, aber Katoma merkte, daß etwas nicht in Ordnung wäre. Er sagte es seinem Gefährten und beide fragten die Schwester nach der Ursache. Baba Jaga hatte ihr aber streng verboten etwas zu erzählen. Sie fürchtete sich deshalb lange, ihnen ihren Kummer anzuvertrauen. Endlich überredeten sie die Brüder dennoch und sie erzählte alles.
»Jedesmal, wenn ihr auf die Jagd geht, erscheint in der Hütte ein uraltes Weib. Sie hat ein böses Gesicht und lange graue Haare. Sie läßt sich von mir den Kopf absuchen und saugt meine weiße Brust aus.«
»Ah,« sagte der Blinde, »das ist Baba Jaga, warte nur, mit der muß man auf ihre eigene Art umgehen! Morgen jagen wir nicht. Wir wollen versuchen sie zu Hause anzutreffen und zu fangen.«
Am Morgen des nächsten Tages gingen die beiden nicht auf die Jagd.
»Kriech unter die Bank«, sagte der Blinde zu Katoma, »und sitz still. Ich gehe auf den Hof und warte unter dem Fenster. Du Schwesterchen setz dich hieher. Kommt Baba Jaga, so flicht, während du ihr den Kopf absuchst, vorsichtig einen Teil ihrer Haare und hänge den Zopf dann zum Fenster hinaus. Ich werde sie bei ihren grauen Zotteln packen.«
Wie gesagt, so getan. Der Blinde packte Baba Jaga bei ihrem grauen Zopfe und schrie:
»He, Katoma, steig hervor und halte das böse Weib, bis ich in die Hütte komme.«
Baba Jaga hörte das, wollte den Kopf heben und aufspringen, aber das ging nicht, sie riß und zerrte, doch das nützte alles nichts.
Katoma kam unter der Bank hervorgekrochen und wälzte sich auf sie wie ein steinerner Berg. Er würgte sie, daß ihr Hören und Sehen verging. Der Blinde sprang zur Hütte herein und sagte:
»Wir müssen einen großen Scheiterhaufen machen, die Alte verbrennen und ihre Asche in alle Winde verstreuen.«
Baba Jaga begann zu flehen:
»Väterchen, Täubchen, vergebt mir … was ihr wollt, tue ich für euch!«
»Gut, alte Hexe«, sagten die Ritter, »zeige uns den Brunnen mit heilendem und belebendem Wasser.«
»Schlagt mich nur nicht, dann zeige ich ihn euch gleich.«
Jetzt stieg Katoma auf des Blinden Rücken und dieser nahm Baba Jaga an den Zöpfen. So führte sie die beiden in den dichtesten Wald bis zu einem Brunnen und sagte:
»Hier ist heilendes, belebendes Wasser.«
»Gib acht, Katoma, mach keinen Fehler, betrügt sie uns diesmal, können wir es unser Leben lang nicht mehr gutmachen.«
Katoma brach von einem Baume ein grünes Zweiglein und warf es in den Brunnen. Das Ästchen war noch nicht bis zum Wasser gefallen, da loderte es schon in Flammen auf.
»Ah, du wolltest schon wieder betrügen!«
Die Ritter trafen Anstalt, Baba Jaga in den Feuerbrunnen zu werfen, doch sie flehte noch mehr wie vorher und schwur einen großen Eid, sie wolle nicht mehr betrügen.
»Wahr und wahrhaftig, ich zeige euch gutes Wasser!«
Die Ritter waren bereit, es noch einmal zu probieren und Baba Jaga führte sie zu einem anderen Brunnen. Katoma brach ein dürres Zweiglein von einem Baume und warf es in den Brunnen. Das Ästchen war noch nicht bis zum Wasser gefallen, als es Schößlinge trieb, grünte und blühte.
»Dieses Wasser ist gut«, sagte Katoma. Der Blinde wusch seine Augen und wurde sofort sehend. Er ließ den Krüppel in das Wasser hinab und gleich wuchsen ihm Beine. Da freuten sich beide sehr und sprachen untereinander:
»Da wir gesund sind, werden wir alles wieder erlangen, was unser war, nur müssen wir zuerst mit Baba Jaga abrechnen. Wenn wir ihr jetzt verzeihen, werden wir nichts Gutes davon haben, denn ihr ganzes Leben lang sinnt sie dann Böses wider uns.«
Sie kehrten zum Feuerbrunnen zurück und warfen Baba Jaga hinein. Da verbrannte sie.
Katoma heiratete nun die Kaufmannstochter und alle drei zogen in das Königreich Annas, der Wunderschönen, um Iwan Zarewitsch zu erlösen. Sie gingen zur Hauptstadt, da begegnete er ihnen mit seiner Kuhherde.
»Halt, Hirt«, sprach Katoma, »wohin treibst du das Vieh?«
»In den Königshof. Die Königstochter zählt jeden Tag nach, ob alle Kühe heimkehren.«
»Hirt, zieh meine Kleider an, ich will deine anziehen und die Kühe heimtreiben.«
»Nein, Bruder, das geht nicht. Wenn die Königstochter das merkt, geht es mir schlecht.«
»Fürchte dich nicht, es geschieht dir nichts! Katoma bürgt dir dafür.«
Iwan Zarewitsch seufzte.
»Ach guter Mann, lebte der noch, weidete ich hier keine Kühe.«
Da gab Katoma sich zu erkennen. Der Zarewitsch umarmte ihn innig und weinte bitterlich.
»Ich hoffte nicht mehr, dich wiederzusehen!«
Sie tauschten die Kleider und Katoma trieb die Kühe in den königlichen Hof. Anna, die Wunderschöne, trat auf den Balkon und zählte die Tiere, dann befahl sie, alle in den Stall zu treiben. Alle Kühe gingen in den Stall, nur die letzte blieb stehen und sträubte den Schwanz.
Katoma sprang auf sie los und rief:
»Elendes Tier, auf was wartest du hier?«
Er packte und riß sie so stark am Schwanze, daß ihm das ganze Fell in der Hand blieb. Die Königstochter sah das und rief laut:
»Was macht der elende Hirt? Ergreift ihn und bringt ihn zu mir!«
Die Diener ergriffen Katoma und schleppten ihn ins Schloß. Katoma ließ es geschehen, ohne zu widerstreben und vertraute auf seine Kraft. Man brachte ihn zur Königstochter, die sah ihn an und fragte:
»Wer bist du?«
»Ich bin Katoma, dem du einst die Beine abschlagen und dann auf einen Baumstamm aussetzen ließest.«
Da dachte die Königstochter:
»Wenn er sogar seine Beine wieder erlangen konnte, ist gegen ihn nicht aufzukommen«, und sie bat ihn und den Zarewitsch um Verzeihung. Sie bereute ihre Sünden und schwor einen Eid, Iwan Zarewitsch ewig zu lieben und ihm in allem zu gehorchen. Iwan Zarewitsch vergab ihr und fortan lebten sie in Frieden und Eintracht. Der einst blinde Ritter blieb bei ihnen, aber Katoma reiste mit seiner Frau zu dem reichen Kaufmann und zog in sein Haus.

[Rußland: A.N. Afanaßjew: Russische Volksmärchen]

 

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