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Drei Kinder, von denen das älteste kaum Kraft besaß, um einen schwachen Bogen zu spannen, hatte der plötzliche Tod ihrer Eltern zu Waisen gemacht. Der Vater war ein Einsiedler gewesen, der sich schon in seiner Jugend von seinem Stamm getrennt hatte, um ein ruhiges und ungestörtes Leben zu führen. „
Es schien ein guter Manitu über diesen Knaben zu wachen; sie litten nie Not, und der älteste davon wurde sogar in ganz kurzer Zeit ein tüchtiger und glücklicher Jäger. Er lehrte diese Kunst auch seine beiden Brüder, die ebenfalls darin recht erfreuliche Fortschritte machten.
Da sich nun jeder einen großen Köcher machen wollte, wozu sie starke Tierhäute brauchten, so gingen sie eines Tages auf Hochwild aus, und jeder schlug seinen eigenen Weg ein, weil jeder zuerst ein Tier erlegen wollte.
Adjibwe, der Jüngste, konnte sich dieses Glückes rühmen; denn gleich danach, als er sich von den anderen getrennt hatte, lief ein wohlgenährter Bär an ihm vorbei, den er mit einem gut gezielten Pfeil niederstreckte.
Während er nun mit dem Abziehen der Haut beschäftigt war, kam es ihm vor, als sähe er etwas Rotes über sich hin und her wehen. Er glaubte sich zu täuschen und rieb sich die Augen, aber die geheimnisvolle Erscheinung schwebte noch immer ganz deutlich vor ihm in der Luft hin und her. Auch hörte er eine fremde Stimme, die ihn ans Ufer des nahen Sees rief. Er folgte ihr und sah einen großen roten Schwan vor sich auf dem Wasser schwimmen. Da er in Schussweite war, so sandte er gleich einen Pfeil nach ihm, der ihn zwar traf, aber wirkungslos an ihm abprallte. Der zweite Pfeil hatte denselben Erfolg, und so verschoss er auf diese Art nach und nach seinen ganzen Vorrat, ohne dem Schwan nur den geringsten Schaden zuzufügen.
Danach lief er nach Hause und holte die zurückgelassenen Pfeile seiner Brüder und verschoss sie ebenfalls vergebens. Da sah er denn den roten Schwan mit großen Augen an, und es fiel ihm ein, dass sein Vater einst gesagt hatte, er habe drei magische Pfeile in seinem Medizinsack stecken. Schnell holte er diese, und als er zurückkam, war der Schwan noch immer da.
Der erste Pfeil flog vorbei; der zweite kam schon etwas näher, und der dritte flog dem Schwan mitten durch den Hals, worauf er sich erhob und dem Untergange der Sonne zusegelte. Dies ärgerte nun den jungen Odjibwe ganz gewaltig, und da er wusste, dass seine Brüder nicht sehr glimpflich mit ihm verfahren würden, wenn die magischen Pfeile fehlten, so watete er ins Wasser, um sie wiederzuholen. Aber er fand nur zwei, denn der Schwan hatte den dritten weggetragen. Nun, dachte er, so weit kann er damit doch nicht fliegen, als dass ich ihn nicht mit Leichtigkeit einholen könnte. Odjibwe war nämlich berühmt wegen seiner Schnelligkeit; er konnte so schnell laufen, dass ein von ihm abgeschossener Pfeil weit hinter ihm niederfiel.
Er lief nun den ganzen Tag durch Wälder und Täler, über Berge und Prärien, ohne jedoch dem Schwan nahe zu kommen. Als er sich am Abend ein Schlafplätzchen suchte, kam es ihm vor, als würden in seiner Nähe Bäume gefällt; aber er konnte niemanden sehen und tröstete sich vorläufig mit dem Gedanken, dass der folgende Morgen diesen Umstand wohl näher erklären werde.
Mit Aufgang der Sonne raffte er sich von seinem Lager auf. Sein Weg führte ihn auf einen steilen Hügel, von dessen Spitze er eine weit ausgedehnte Stadt vor sich erblickte. Auf dem höchsten Punkt der Stadt stand der Wächter und schrie in einem fort: „Madschi Kokoho!“ Dadurch wollte er nämlich die Leute aufmerksam machen, dass ein Fremder nahe.
Gleich gingen einige dem jungen Mann entgegen und führten ihn in die Hütte ihres Häuptlings.
Der alte Häuptling freute sich ungemein über den schmucken Jüngling und befahl seiner Tochter, ihm augenblicklich ein kräftiges Mahl zu bereiten, seine Mokassins zu trocknen und überhaupt ein sorgsames Auge auf ihn zu haben, „damit es“, wie er sagte, „meinem lieben Schwiegersohn an nichts fehle.“
Diese Worte klangen doch dem jungen Odjibwe etwas zu kurios; so mir nichts dir nichts zum Schwiegersohn und Ehemann gemacht zu werden, ohne dass man ihn dabei auch nur mit einer Miene gefragt hätte, kam ihm doch etwas verdächtig vor. Aber das Mädchen war schön, und so dachte er das eheliche Leben auf kurze Zeit schon aushaken zu können.
Er begab sich also gemächlich zur Ruhe und erwachte am anderen Morgen etwas früher als gewöhnlich. Einige Fragen, die er an seine junge Frau richtete, blieben unbeantwortet, und als er ihr einen Kuss geben wollte, drehte sie ihm kalt den Rücken.
„Was willst du von mir?“ fragte sie endlich voll Ingrimm.
„Sage mir, mein liebes Kind, ist der rote Schwan schon vorüber geflogen? Ich verfolge ihn seit gestern; denkst du, dass ich ihn einholen werde?“
„Kwapadisid! – Dummkopf!“ erwiderte sie mürrisch; aber sie gab ihm später doch die Richtung an, die er einzuschlagen habe, worauf denn der junge Mann seine trockenen Mokassins anzog und seine Reise fortsetzte.
Als es wieder Abend geworden war, sah er abermals eine große Stadt vor sich, deren Wächter ebenfalls in den früher erwähnten Worten den Besuch verkündete.
Odjibwe wurde wieder auf die liebenswürdigste Weise in die Hütte des dortigen Chiefs geführt und musste es sich gefallen lassen, als Gemahl eines noch schöneren Mädchens zu fungieren. Doch dieses war etwas freundlicher – wenn auch nicht viel – und gab ihm auch am anderen Morgen die genaue Richtung des roten Schwans an.
Während des Tages begegnete Odjibwe nichts Besonderes auf seiner Reise. Gegen Abend kam er an eine Hütte, durch deren halboffene Tür er einen alten Mann einsam am Feuer sitzen sah.
„Nischime“, sagte dieser, „komm herein und trockne deine Kleider; ich will dir inzwischen etwas zu essen kochen!“
Diese Einladung war Odjibwe recht erwünscht, denn er war müde, hungrig und durstig. Der Alte schien ein Zauberer zu sein, denn auf sein Kommando kam plötzlich ein großer, mit Wasser gefüllter Kessel zur Tür herein gelaufen, hängte sich ohne Beihilfe über das Feuer, und der Alte warf dann ein einziges Maiskörnlein nebst einer Heidelbeere hinein.
Das ist eine schlechte Gelegenheit, deinen fürchterlichen Hunger zu stillen, dachte Odjibwe bei sich selber; doch als ihm der Zauberer winkte, munter zuzugreifen – siehe, da war der ganze Kessel bis an den Rand voll nahrhafter Speise, und trotzdem nun Odjibwe wie einer drauflos aß, der acht Tage gehungert hat, sah man ihn doch nicht leer werden. Als er satt war, gab der Alte dem Kessel wieder ein magisches Zeichen, und dieser verschwand wieder. Danach steckten sich beide ihre Pfeifen an, und Odjibwe musste den Zweck seiner Reise erzählen.
Der Zauberer ermutigte ihn zwar in seinem Unternehmen, riet ihm jedoch, sich auf das Schrecklichste vorzubereiten, da noch keiner, der dem roten Schwan gefolgt sei, zurückgekehrt wäre. Am nächsten Tag werde er einem seiner Kollegen begegnen, der ihm weitere Auskunft geben werde.
So kam es denn auch. Der zweite Magier nahm ihn ebenfalls sehr freundlich auf und zeigte ihm den Weg zum dritten. Dieser kam ihm liebreich entgegen, führte ihn in seine Hütte und setzte ihm in einer medizinenen Schüssel ein stärkendes Mahl vor.
Nachdem sich Odjibwe gehörig gesättigt hatte, sagte der Alte: „Junger Mann, du gehst einen gefährlichen Weg, von dem noch keiner zurückgekommen ist. Der rote Schwan ist die Tochter eines berühmten Medizinmanns, der sie wie heiliges Wampum behütet. Er trug einst einen großen Wampumskalp als Mütze, um den er jedoch von betrügerischen Feinden beschwindelt wurde. Diese hatten ihm nämlich erzählt, dass die einzige Tochter ihres Chiefs todkrank sei und nur durch den Anblick seines Skalps genesen könne, worauf er ihn von seinem kahlen, blutigen Kopf zog und gegen das Versprechen weggab, dass er ihn am nächsten Tag wieder zurückbekommen würde. Aber er hat bis jetzt vergebens darauf gewartet. Die fremden Krieger banden ihn auf eine lange Stange und umtanzten, verhöhnten und verspotteten ihn auf alle möglichen Arten. Bei dem geringsten Schimpf nun, der diesem Wampumskalp angetan wird, schreit der alte Chief laut auf vor Schmerzen, und er hat daher demjenigen, der ihn wieder zurückbringt, seine schöne Tochter, den roten Schwan, zur Frau versprochen.
Dieser rote Schwan hat schon viele Wagehälse angelockt, und mancher tapfere Krieger hat schon sein Leben bei jenem mächtigen Feind gelassen. Doch wenn du über gewaltige und erfahrene Schutzgeister zu gebieten hast, so ist es leicht möglich, dass du Erfolg hast. Morgen wirst du in die Nähe seines Wigwams kommen, er wird dich sogleich hineinrufen und verschiedene Fragen hinsichtlich deiner Träume und Manitus an dich stellen und dann verlangen, dass du ihm seinen heiligen Skalp wieder holst, damit sein wunder Kopf heile.“
Danach wies der Alte Odjibwe eine Schlafstelle an. Am anderen Morgen gab er ihm das Geleit zur Wohnung des unglücklichen Chiefs.
Dieser saß in einer dunklen Ecke seines Wigwams und seufzte und stöhnte jämmerlich. „Ach“, klagte er, „ich bin ein armer Mann; meine Kopfwunde will nicht heilen, und ich habe niemanden, der mich bedient!“
Odjibwe bemerkte aber, dass er doch nicht so verlassen und einsam war, wie er vorgab, denn seine Hütte war in der Mitte geteilt, und der rote Schwan befand sich im andern Zimmer.
Odjibwe ließ sich ruhig nieder, hängte seine Mokassins vors Feuer und hörte die Erzählung des Alten geduldig an. Darauf fragte ihn dieser nach seinen Träumen, und Odjibwe teilte ihm mehrere davon mit, zu denen er jedoch bedenklich den Kopf schüttelte und sagte: „Mein Sohn, du wirst mein Leben nicht retten können, wenn du nichts Besseres geträumt hast.“
Nun erzählte ihm Odjibwe seinen letzten Traum. „Das ist der rechte!“ schrie der Alte laut auf. „Das ist der Traum, auf den ich so lange gewartet habe! Du wirst mein Retter sein!“
Am anderen Morgen ging Odjibwe weiter. „Wenn du übermorgen“, sprach er beim Abschied zum Alten, „das Geschrei des Habichts hörst, so denke, dass ich Erfolg gehabt habe und dir deinen Skalp zurückbringe.“
Nachdem er beinahe abermals eine Tagereise hinter sich hatte, kam er in ein großes Dorf, in dessen Mitte eine große Stange aufgerichtet war, um die munter getanzt wurde. Als er näher kam, sah er auch den besagten Wampumskalp daran flattern.
Ehe er noch bemerkt wurde, verwandelte er sich schnell in einen Kolibri und summte den Leuten die Ohren voll. Dann nahm er die Gestalt eines winzigen fliegenden Insekts an, band den Skalp ungesehen los und flog damit langsam fort. Dann gab er das verabredete Signal; der Alte streckte seinen blutigen Kopf heraus, und Odjibwe setzte ihm seine lange vermisste Wampumkopfhaut wieder auf. Aber er musste sie ihm in der Geschwindigkeit doch ein wenig zu unsanft aufgedrückt haben, denn der Chief wurde todkrank und erwartete mit jeder Minute sein Ende. Doch er erholte sich zuletzt wieder, und Odjibwe wusste vor Erstaunen gar nicht, was er eigentlich sagen sollte, da anstatt eines abgelebten Greises ein junger, rüstiger Mann vor ihm stand, der sich in den feinsten Worten für seine Errettung bedankte.
Beide wurden gute Freunde, aber der Magier ließ nie ein Wörtchen über den geheimnisvollen Schwan fallen. Deshalb erinnerte ihn Odjibwe bei der Abreise, dass er öffentlich bekannt gemacht habe, seinem Retter den roten Schwan zur Frau zu geben.
Darauf öffnete der Magier das andere Zimmer, in dem eine reizende Jungfrau saß. „Sie ist meine Schwester“, sprach er; „nimm sie mit zu deinen Freunden, und behandle sie gut, denn sie ist deiner würdig.“
Danach nahm das junge Ehepaar freundlichen Abschied und begab sich auf die Reise nach Odjibwes Heimat. Bald kamen sie an die Hütte des dritten Alten, der vor Freude über das Glück des Jünglings fast närrisch wurde. Er bewirtete beide mit dem Besten, was sein magischer Kessel hervorbringen konnte, und machte auch Odjibwe einen großen Medizinsack zum Geschenk, der allerlei heilige Sachen enthielt.
Auch die beiden anderen Alten beschenkten ihn in ähnlicher Weise. Darauf kam er mit seiner Frau in die zweite Stadt, in der er wieder vom Chief beherbergt und Schwiegersohn genannt wurde. Seine Tochter benahm sich immer noch so gleichgültig gegen ihn wie früher und würdige ihn kaum eines Blickes, wozu sie natürlich jetzt auch mehr Ursache hatte.
Aber dem wusste Odjibwe schon abzuhelfen. Langsam öffnete er einen seiner drei Medizinsäcke, der Wampum und allerlei kostbare Federn enthielt, und bot dies dem Chief zum Andenken an.
Als dies die Tochter sah, nahm ihr Gesicht gleich einen ganz anderen Ausdruck an; ihre Zunge löste sich, und als ihr der Vater nun befahl, sich zur Abreise fertig zu machen, hatte sie augenblicklich ihr Bündlein gepackt.
Damit schien aber ein anwesender junger Mann nicht einverstanden zu sein, denn er rief plötzlich: „Wer auch der Freche sei, der mir meinen Schatz für ein paar lumpige Geschenke wegführt – ich werde ihn töten, und wenn ihn tausend Manitus beschützen!“ Dabei zog er ein langes Messer aus einem Gürtel und ging auf Odjibwe los; aber mit dem Stechen wartete er ruhig, bis ihn der Chief festhielt, denn er war ein feiger Prahlhans, der sich kaum getraute, einen alten Hund anzufassen.
Am anderen Tag nahm Odjibwe die Tochter des Chiefs mit, und bald verkündete ein Wächter die Nähe der ersten Stadt. Alle Weiber und Kinder liefen herbei, um die drei Fremden zu sehen, die ihren Weg
schnurstracks zur Hütte ihres Chiefs nahmen. Dieser bewirtete sie freundlich; er stopfte Odjibwe eine prachtvolle Pfeife und ließ sich dessen Reiseabenteuer erzählen. Als er damit fertig war, führte ihm der Alte seine schöne Tochter zu und bat ihn, sie als Frau anzunehmen.
Das schien aber wieder einem anwesenden närrischen Liebhaber sehr nahe zu gehen, denn er sprang wild auf und schrie: „Das Mädchen gehört mir, und der Fremde ist ein Kind des Todes!“
Der Chief ergriff ihn beim Arm, aber er wand sich los und versuchte dem glücklichen Odjibwe, der übrigens tat, als hörte er ihn nicht, einen Schlag zu versetzen. Ehe er dazu jedoch recht ausholen konnte, hatte ihn der Alte mit seiner Keule niedergestreckt. Als er sich nach geraumer Zeit wieder erholt hatte, wurde ihm bedeutet, das Haus so schnell wie möglich zu verlassen und künftighin die Gesellschaft alter Weiber mit seiner Gegenwart zu beglücken, in die er am besten passe.
Am anderen Morgen gab der Chief Odjibwe seine Tochter mit und begleitete seine Gäste noch eine lange Strecke. Bald sah Odjibwe seine alte Heimat wieder. Er ließ seine schönen Gefährtinnen ein wenig ausruhen und ging allein voraus, um seine Brüder auf den angenehmen Besuch vorzubereiten.
Das war denn auch sehr gut, denn ihre Hütte lag über und über voll Schmutz und Asche, und sie selber waren auch nicht viel reinlicher. Der eine saß mit gräulich geschwärztem Gesicht neben dem Feuer und weinte, als ob er nicht recht bei Sinnen sei; der andere hatte seinen Kopf mit allerlei merkwürdigen Federn besteckt, so dass sich Odjibwe kaum des Lachens enthalten konnte. „Lacht doch auch“, rief er ihnen zu, „denn ich habe jedem ein köstliches Weiblein mitgebracht!“
Als dies Madschikihwis hörte, sprang er wie besessen aus seiner Ecke und guckte durch die Tür.
„Halt!“ sagte Odjibwe. „Habt nur Geduld, und wascht euch vor allen Dingen den Dreck aus den Gesichtern, damit sich die Mädchen nicht vor euch zu fürchten brauchen.“
Das taten sie auch. Aber Madschikihwis musste dabei jeden Augenblick durch die Türritze sehen, und als die Jungfrauen endlich hereinkamen, lief er wie ein Verrückter hin und her und wollte bald diese, bald jene haben. Doch er musste die nehmen, die ihm zugeteilt wurde, und er wurde zuletzt auch recht glücklich mit ihr.
Die drei Paare führten nun ein recht zufriedenes und sorgenfreies Leben, und nach kurzer Zeit liefen auch schon recht muntere Stammhalter um ihre Wigwams herum.
Aber eines Tages gab’s doch bedenklichen Streit, denn die beiden Brüder drangen in Odjibwe, die magischen Pfeile ihres Vaters, die er heimlich mitgenommen habe, wieder zu ersetzen. Damit hatten sie aber böse Absichten; sie wollten ihn nämlich gern aus dem Weg schaffen, so dass einer von ihnen den roten Schwan zur Frau nehmen könnte. Odjibwe, der dies nicht im Entferntesten ahnte, zog auch wirklich aus, um die Pfeile zu suchen.
Da gelangte er auf seiner beschwerlichen Reise an ein großes Loch in der Erde, das ihn zu den Wohnungen der Geister leitete. Das Land schien recht hübsch zu sein; auch gab es darin Wild in Hülle und Fülle.
Das erste Tier, das ihm entgegenkam, war ein Büffel; der redete ihn wie ein Mensch an und fragte ihn, was er eigentlich im Land der Toten suche.
„Die magischen Pfeile meines Vaters“, erwiderte Odjibwe.
„Wir wissen es“, sagte der nur aus Knochen bestehende Büffelchief, „aber ich rate dir, so schnell wie möglich wieder zurückzugehen, denn deine Brüder wollen dein Weib verführen!“
Odjibwe erblickte darauf ein blendendes Licht in seiner Nähe, das er für die Sonne hielt. „Was ist das?“ fragte er.
„Es ist der Ort, wo die Guten wohnen.“
„Und was bedeutet diese dunkle Wolke?“
„Das ist der Wohnplatz der Schlechten.“
Darauf fragte Odjibwe nichts mehr. Kraft seiner mächtigen Schutzgeister gelangte er bald wieder an die freie Luft und vor die Tür seines heimatlichen Wigwams.
Der Büffelchief hatte die Wahrheit gesprochen. Seine beiden sauberen Brüder lagen sich gerade in den Haaren, da jeder Odjibwes Weib besitzen wollte. Dieser trat jedoch auf einmal in die Hütte und zerschmetterte ihnen mit einem furchtbaren Keulenschlag den Schädel, so dass keiner mehr ans Leben, viel weniger an Weiberverführung dachte.
Danach lebte Odjibwe in ungestörtem Glück bis an sein seliges Ende.
Es schien ein guter Manitu über diesen Knaben zu wachen; sie litten nie Not, und der älteste davon wurde sogar in ganz kurzer Zeit ein tüchtiger und glücklicher Jäger. Er lehrte diese Kunst auch seine beiden Brüder, die ebenfalls darin recht erfreuliche Fortschritte machten.
Da sich nun jeder einen großen Köcher machen wollte, wozu sie starke Tierhäute brauchten, so gingen sie eines Tages auf Hochwild aus, und jeder schlug seinen eigenen Weg ein, weil jeder zuerst ein Tier erlegen wollte.
Adjibwe, der Jüngste, konnte sich dieses Glückes rühmen; denn gleich danach, als er sich von den anderen getrennt hatte, lief ein wohlgenährter Bär an ihm vorbei, den er mit einem gut gezielten Pfeil niederstreckte.
Während er nun mit dem Abziehen der Haut beschäftigt war, kam es ihm vor, als sähe er etwas Rotes über sich hin und her wehen. Er glaubte sich zu täuschen und rieb sich die Augen, aber die geheimnisvolle Erscheinung schwebte noch immer ganz deutlich vor ihm in der Luft hin und her. Auch hörte er eine fremde Stimme, die ihn ans Ufer des nahen Sees rief. Er folgte ihr und sah einen großen roten Schwan vor sich auf dem Wasser schwimmen. Da er in Schussweite war, so sandte er gleich einen Pfeil nach ihm, der ihn zwar traf, aber wirkungslos an ihm abprallte. Der zweite Pfeil hatte denselben Erfolg, und so verschoss er auf diese Art nach und nach seinen ganzen Vorrat, ohne dem Schwan nur den geringsten Schaden zuzufügen.
Danach lief er nach Hause und holte die zurückgelassenen Pfeile seiner Brüder und verschoss sie ebenfalls vergebens. Da sah er denn den roten Schwan mit großen Augen an, und es fiel ihm ein, dass sein Vater einst gesagt hatte, er habe drei magische Pfeile in seinem Medizinsack stecken. Schnell holte er diese, und als er zurückkam, war der Schwan noch immer da.
Der erste Pfeil flog vorbei; der zweite kam schon etwas näher, und der dritte flog dem Schwan mitten durch den Hals, worauf er sich erhob und dem Untergange der Sonne zusegelte. Dies ärgerte nun den jungen Odjibwe ganz gewaltig, und da er wusste, dass seine Brüder nicht sehr glimpflich mit ihm verfahren würden, wenn die magischen Pfeile fehlten, so watete er ins Wasser, um sie wiederzuholen. Aber er fand nur zwei, denn der Schwan hatte den dritten weggetragen. Nun, dachte er, so weit kann er damit doch nicht fliegen, als dass ich ihn nicht mit Leichtigkeit einholen könnte. Odjibwe war nämlich berühmt wegen seiner Schnelligkeit; er konnte so schnell laufen, dass ein von ihm abgeschossener Pfeil weit hinter ihm niederfiel.
Er lief nun den ganzen Tag durch Wälder und Täler, über Berge und Prärien, ohne jedoch dem Schwan nahe zu kommen. Als er sich am Abend ein Schlafplätzchen suchte, kam es ihm vor, als würden in seiner Nähe Bäume gefällt; aber er konnte niemanden sehen und tröstete sich vorläufig mit dem Gedanken, dass der folgende Morgen diesen Umstand wohl näher erklären werde.
Mit Aufgang der Sonne raffte er sich von seinem Lager auf. Sein Weg führte ihn auf einen steilen Hügel, von dessen Spitze er eine weit ausgedehnte Stadt vor sich erblickte. Auf dem höchsten Punkt der Stadt stand der Wächter und schrie in einem fort: „Madschi Kokoho!“ Dadurch wollte er nämlich die Leute aufmerksam machen, dass ein Fremder nahe.
Gleich gingen einige dem jungen Mann entgegen und führten ihn in die Hütte ihres Häuptlings.
Der alte Häuptling freute sich ungemein über den schmucken Jüngling und befahl seiner Tochter, ihm augenblicklich ein kräftiges Mahl zu bereiten, seine Mokassins zu trocknen und überhaupt ein sorgsames Auge auf ihn zu haben, „damit es“, wie er sagte, „meinem lieben Schwiegersohn an nichts fehle.“
Diese Worte klangen doch dem jungen Odjibwe etwas zu kurios; so mir nichts dir nichts zum Schwiegersohn und Ehemann gemacht zu werden, ohne dass man ihn dabei auch nur mit einer Miene gefragt hätte, kam ihm doch etwas verdächtig vor. Aber das Mädchen war schön, und so dachte er das eheliche Leben auf kurze Zeit schon aushaken zu können.
Er begab sich also gemächlich zur Ruhe und erwachte am anderen Morgen etwas früher als gewöhnlich. Einige Fragen, die er an seine junge Frau richtete, blieben unbeantwortet, und als er ihr einen Kuss geben wollte, drehte sie ihm kalt den Rücken.
„Was willst du von mir?“ fragte sie endlich voll Ingrimm.
„Sage mir, mein liebes Kind, ist der rote Schwan schon vorüber geflogen? Ich verfolge ihn seit gestern; denkst du, dass ich ihn einholen werde?“
„Kwapadisid! – Dummkopf!“ erwiderte sie mürrisch; aber sie gab ihm später doch die Richtung an, die er einzuschlagen habe, worauf denn der junge Mann seine trockenen Mokassins anzog und seine Reise fortsetzte.
Als es wieder Abend geworden war, sah er abermals eine große Stadt vor sich, deren Wächter ebenfalls in den früher erwähnten Worten den Besuch verkündete.
Odjibwe wurde wieder auf die liebenswürdigste Weise in die Hütte des dortigen Chiefs geführt und musste es sich gefallen lassen, als Gemahl eines noch schöneren Mädchens zu fungieren. Doch dieses war etwas freundlicher – wenn auch nicht viel – und gab ihm auch am anderen Morgen die genaue Richtung des roten Schwans an.
Während des Tages begegnete Odjibwe nichts Besonderes auf seiner Reise. Gegen Abend kam er an eine Hütte, durch deren halboffene Tür er einen alten Mann einsam am Feuer sitzen sah.
„Nischime“, sagte dieser, „komm herein und trockne deine Kleider; ich will dir inzwischen etwas zu essen kochen!“
Diese Einladung war Odjibwe recht erwünscht, denn er war müde, hungrig und durstig. Der Alte schien ein Zauberer zu sein, denn auf sein Kommando kam plötzlich ein großer, mit Wasser gefüllter Kessel zur Tür herein gelaufen, hängte sich ohne Beihilfe über das Feuer, und der Alte warf dann ein einziges Maiskörnlein nebst einer Heidelbeere hinein.
Das ist eine schlechte Gelegenheit, deinen fürchterlichen Hunger zu stillen, dachte Odjibwe bei sich selber; doch als ihm der Zauberer winkte, munter zuzugreifen – siehe, da war der ganze Kessel bis an den Rand voll nahrhafter Speise, und trotzdem nun Odjibwe wie einer drauflos aß, der acht Tage gehungert hat, sah man ihn doch nicht leer werden. Als er satt war, gab der Alte dem Kessel wieder ein magisches Zeichen, und dieser verschwand wieder. Danach steckten sich beide ihre Pfeifen an, und Odjibwe musste den Zweck seiner Reise erzählen.
Der Zauberer ermutigte ihn zwar in seinem Unternehmen, riet ihm jedoch, sich auf das Schrecklichste vorzubereiten, da noch keiner, der dem roten Schwan gefolgt sei, zurückgekehrt wäre. Am nächsten Tag werde er einem seiner Kollegen begegnen, der ihm weitere Auskunft geben werde.
So kam es denn auch. Der zweite Magier nahm ihn ebenfalls sehr freundlich auf und zeigte ihm den Weg zum dritten. Dieser kam ihm liebreich entgegen, führte ihn in seine Hütte und setzte ihm in einer medizinenen Schüssel ein stärkendes Mahl vor.
Nachdem sich Odjibwe gehörig gesättigt hatte, sagte der Alte: „Junger Mann, du gehst einen gefährlichen Weg, von dem noch keiner zurückgekommen ist. Der rote Schwan ist die Tochter eines berühmten Medizinmanns, der sie wie heiliges Wampum behütet. Er trug einst einen großen Wampumskalp als Mütze, um den er jedoch von betrügerischen Feinden beschwindelt wurde. Diese hatten ihm nämlich erzählt, dass die einzige Tochter ihres Chiefs todkrank sei und nur durch den Anblick seines Skalps genesen könne, worauf er ihn von seinem kahlen, blutigen Kopf zog und gegen das Versprechen weggab, dass er ihn am nächsten Tag wieder zurückbekommen würde. Aber er hat bis jetzt vergebens darauf gewartet. Die fremden Krieger banden ihn auf eine lange Stange und umtanzten, verhöhnten und verspotteten ihn auf alle möglichen Arten. Bei dem geringsten Schimpf nun, der diesem Wampumskalp angetan wird, schreit der alte Chief laut auf vor Schmerzen, und er hat daher demjenigen, der ihn wieder zurückbringt, seine schöne Tochter, den roten Schwan, zur Frau versprochen.
Dieser rote Schwan hat schon viele Wagehälse angelockt, und mancher tapfere Krieger hat schon sein Leben bei jenem mächtigen Feind gelassen. Doch wenn du über gewaltige und erfahrene Schutzgeister zu gebieten hast, so ist es leicht möglich, dass du Erfolg hast. Morgen wirst du in die Nähe seines Wigwams kommen, er wird dich sogleich hineinrufen und verschiedene Fragen hinsichtlich deiner Träume und Manitus an dich stellen und dann verlangen, dass du ihm seinen heiligen Skalp wieder holst, damit sein wunder Kopf heile.“
Danach wies der Alte Odjibwe eine Schlafstelle an. Am anderen Morgen gab er ihm das Geleit zur Wohnung des unglücklichen Chiefs.
Dieser saß in einer dunklen Ecke seines Wigwams und seufzte und stöhnte jämmerlich. „Ach“, klagte er, „ich bin ein armer Mann; meine Kopfwunde will nicht heilen, und ich habe niemanden, der mich bedient!“
Odjibwe bemerkte aber, dass er doch nicht so verlassen und einsam war, wie er vorgab, denn seine Hütte war in der Mitte geteilt, und der rote Schwan befand sich im andern Zimmer.
Odjibwe ließ sich ruhig nieder, hängte seine Mokassins vors Feuer und hörte die Erzählung des Alten geduldig an. Darauf fragte ihn dieser nach seinen Träumen, und Odjibwe teilte ihm mehrere davon mit, zu denen er jedoch bedenklich den Kopf schüttelte und sagte: „Mein Sohn, du wirst mein Leben nicht retten können, wenn du nichts Besseres geträumt hast.“
Nun erzählte ihm Odjibwe seinen letzten Traum. „Das ist der rechte!“ schrie der Alte laut auf. „Das ist der Traum, auf den ich so lange gewartet habe! Du wirst mein Retter sein!“
Am anderen Morgen ging Odjibwe weiter. „Wenn du übermorgen“, sprach er beim Abschied zum Alten, „das Geschrei des Habichts hörst, so denke, dass ich Erfolg gehabt habe und dir deinen Skalp zurückbringe.“
Nachdem er beinahe abermals eine Tagereise hinter sich hatte, kam er in ein großes Dorf, in dessen Mitte eine große Stange aufgerichtet war, um die munter getanzt wurde. Als er näher kam, sah er auch den besagten Wampumskalp daran flattern.
Ehe er noch bemerkt wurde, verwandelte er sich schnell in einen Kolibri und summte den Leuten die Ohren voll. Dann nahm er die Gestalt eines winzigen fliegenden Insekts an, band den Skalp ungesehen los und flog damit langsam fort. Dann gab er das verabredete Signal; der Alte streckte seinen blutigen Kopf heraus, und Odjibwe setzte ihm seine lange vermisste Wampumkopfhaut wieder auf. Aber er musste sie ihm in der Geschwindigkeit doch ein wenig zu unsanft aufgedrückt haben, denn der Chief wurde todkrank und erwartete mit jeder Minute sein Ende. Doch er erholte sich zuletzt wieder, und Odjibwe wusste vor Erstaunen gar nicht, was er eigentlich sagen sollte, da anstatt eines abgelebten Greises ein junger, rüstiger Mann vor ihm stand, der sich in den feinsten Worten für seine Errettung bedankte.
Beide wurden gute Freunde, aber der Magier ließ nie ein Wörtchen über den geheimnisvollen Schwan fallen. Deshalb erinnerte ihn Odjibwe bei der Abreise, dass er öffentlich bekannt gemacht habe, seinem Retter den roten Schwan zur Frau zu geben.
Darauf öffnete der Magier das andere Zimmer, in dem eine reizende Jungfrau saß. „Sie ist meine Schwester“, sprach er; „nimm sie mit zu deinen Freunden, und behandle sie gut, denn sie ist deiner würdig.“
Danach nahm das junge Ehepaar freundlichen Abschied und begab sich auf die Reise nach Odjibwes Heimat. Bald kamen sie an die Hütte des dritten Alten, der vor Freude über das Glück des Jünglings fast närrisch wurde. Er bewirtete beide mit dem Besten, was sein magischer Kessel hervorbringen konnte, und machte auch Odjibwe einen großen Medizinsack zum Geschenk, der allerlei heilige Sachen enthielt.
Auch die beiden anderen Alten beschenkten ihn in ähnlicher Weise. Darauf kam er mit seiner Frau in die zweite Stadt, in der er wieder vom Chief beherbergt und Schwiegersohn genannt wurde. Seine Tochter benahm sich immer noch so gleichgültig gegen ihn wie früher und würdige ihn kaum eines Blickes, wozu sie natürlich jetzt auch mehr Ursache hatte.
Aber dem wusste Odjibwe schon abzuhelfen. Langsam öffnete er einen seiner drei Medizinsäcke, der Wampum und allerlei kostbare Federn enthielt, und bot dies dem Chief zum Andenken an.
Als dies die Tochter sah, nahm ihr Gesicht gleich einen ganz anderen Ausdruck an; ihre Zunge löste sich, und als ihr der Vater nun befahl, sich zur Abreise fertig zu machen, hatte sie augenblicklich ihr Bündlein gepackt.
Damit schien aber ein anwesender junger Mann nicht einverstanden zu sein, denn er rief plötzlich: „Wer auch der Freche sei, der mir meinen Schatz für ein paar lumpige Geschenke wegführt – ich werde ihn töten, und wenn ihn tausend Manitus beschützen!“ Dabei zog er ein langes Messer aus einem Gürtel und ging auf Odjibwe los; aber mit dem Stechen wartete er ruhig, bis ihn der Chief festhielt, denn er war ein feiger Prahlhans, der sich kaum getraute, einen alten Hund anzufassen.
Am anderen Tag nahm Odjibwe die Tochter des Chiefs mit, und bald verkündete ein Wächter die Nähe der ersten Stadt. Alle Weiber und Kinder liefen herbei, um die drei Fremden zu sehen, die ihren Weg
schnurstracks zur Hütte ihres Chiefs nahmen. Dieser bewirtete sie freundlich; er stopfte Odjibwe eine prachtvolle Pfeife und ließ sich dessen Reiseabenteuer erzählen. Als er damit fertig war, führte ihm der Alte seine schöne Tochter zu und bat ihn, sie als Frau anzunehmen.
Das schien aber wieder einem anwesenden närrischen Liebhaber sehr nahe zu gehen, denn er sprang wild auf und schrie: „Das Mädchen gehört mir, und der Fremde ist ein Kind des Todes!“
Der Chief ergriff ihn beim Arm, aber er wand sich los und versuchte dem glücklichen Odjibwe, der übrigens tat, als hörte er ihn nicht, einen Schlag zu versetzen. Ehe er dazu jedoch recht ausholen konnte, hatte ihn der Alte mit seiner Keule niedergestreckt. Als er sich nach geraumer Zeit wieder erholt hatte, wurde ihm bedeutet, das Haus so schnell wie möglich zu verlassen und künftighin die Gesellschaft alter Weiber mit seiner Gegenwart zu beglücken, in die er am besten passe.
Am anderen Morgen gab der Chief Odjibwe seine Tochter mit und begleitete seine Gäste noch eine lange Strecke. Bald sah Odjibwe seine alte Heimat wieder. Er ließ seine schönen Gefährtinnen ein wenig ausruhen und ging allein voraus, um seine Brüder auf den angenehmen Besuch vorzubereiten.
Das war denn auch sehr gut, denn ihre Hütte lag über und über voll Schmutz und Asche, und sie selber waren auch nicht viel reinlicher. Der eine saß mit gräulich geschwärztem Gesicht neben dem Feuer und weinte, als ob er nicht recht bei Sinnen sei; der andere hatte seinen Kopf mit allerlei merkwürdigen Federn besteckt, so dass sich Odjibwe kaum des Lachens enthalten konnte. „Lacht doch auch“, rief er ihnen zu, „denn ich habe jedem ein köstliches Weiblein mitgebracht!“
Als dies Madschikihwis hörte, sprang er wie besessen aus seiner Ecke und guckte durch die Tür.
„Halt!“ sagte Odjibwe. „Habt nur Geduld, und wascht euch vor allen Dingen den Dreck aus den Gesichtern, damit sich die Mädchen nicht vor euch zu fürchten brauchen.“
Das taten sie auch. Aber Madschikihwis musste dabei jeden Augenblick durch die Türritze sehen, und als die Jungfrauen endlich hereinkamen, lief er wie ein Verrückter hin und her und wollte bald diese, bald jene haben. Doch er musste die nehmen, die ihm zugeteilt wurde, und er wurde zuletzt auch recht glücklich mit ihr.
Die drei Paare führten nun ein recht zufriedenes und sorgenfreies Leben, und nach kurzer Zeit liefen auch schon recht muntere Stammhalter um ihre Wigwams herum.
Aber eines Tages gab’s doch bedenklichen Streit, denn die beiden Brüder drangen in Odjibwe, die magischen Pfeile ihres Vaters, die er heimlich mitgenommen habe, wieder zu ersetzen. Damit hatten sie aber böse Absichten; sie wollten ihn nämlich gern aus dem Weg schaffen, so dass einer von ihnen den roten Schwan zur Frau nehmen könnte. Odjibwe, der dies nicht im Entferntesten ahnte, zog auch wirklich aus, um die Pfeile zu suchen.
Da gelangte er auf seiner beschwerlichen Reise an ein großes Loch in der Erde, das ihn zu den Wohnungen der Geister leitete. Das Land schien recht hübsch zu sein; auch gab es darin Wild in Hülle und Fülle.
Das erste Tier, das ihm entgegenkam, war ein Büffel; der redete ihn wie ein Mensch an und fragte ihn, was er eigentlich im Land der Toten suche.
„Die magischen Pfeile meines Vaters“, erwiderte Odjibwe.
„Wir wissen es“, sagte der nur aus Knochen bestehende Büffelchief, „aber ich rate dir, so schnell wie möglich wieder zurückzugehen, denn deine Brüder wollen dein Weib verführen!“
Odjibwe erblickte darauf ein blendendes Licht in seiner Nähe, das er für die Sonne hielt. „Was ist das?“ fragte er.
„Es ist der Ort, wo die Guten wohnen.“
„Und was bedeutet diese dunkle Wolke?“
„Das ist der Wohnplatz der Schlechten.“
Darauf fragte Odjibwe nichts mehr. Kraft seiner mächtigen Schutzgeister gelangte er bald wieder an die freie Luft und vor die Tür seines heimatlichen Wigwams.
Der Büffelchief hatte die Wahrheit gesprochen. Seine beiden sauberen Brüder lagen sich gerade in den Haaren, da jeder Odjibwes Weib besitzen wollte. Dieser trat jedoch auf einmal in die Hütte und zerschmetterte ihnen mit einem furchtbaren Keulenschlag den Schädel, so dass keiner mehr ans Leben, viel weniger an Weiberverführung dachte.
Danach lebte Odjibwe in ungestörtem Glück bis an sein seliges Ende.
(Amerika)