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Märchenbasar

Der Schnörkelkönig

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Vor vielen Jahren lebte in einem fernen Reich ein Herrscher, dessen größte Leidenschaft darin bestand, die schönsten Ornamente zu besitzen.
Könige aus anderen Ländern horteten Gold und Edelsteine. Dieser aber bewahrte Schnörkel in seiner Schatzkammer.
Viele waren mit Tinte auf Papier gemalt. Einige waren auch aus Salzteig geformt.
Seine Majestät liebte es, an Tagen, an denen es draußen regnete, in seiner Schatzkammer zu verweilen. Er besaß schon viele unterschiedliche Werke.
Sein einziges Kind, ein bildhübsches Mädchen, das ihr Haar als zwei Schnecken an den Seiten trug, teilte die Leidenschaft ihres Vaters. Gemeinsam saßen sie oft stundenlang in der königlichen Schatzkammer und genossen den Anblick ihrer Schätze.
„Ach Vater, ich würde so gerne einmal einen Künstler, der zu solcher Zauberei fähig ist, kennen lernen. Ich liebe es, hier mit dir zu sitzen“, schwärmte die Prinzessin, eng an ihren Vater gekuschelt.
„Ja, mein Liebes, auch ich finde es atemberaubend, gemeinsam mit dir all unsere Verzierungen zu betrachten.“ Dabei strich er sanft über die zu Schnecken geformten Haare. „Aber das schönste Ornament auf der Welt bist und bleibst immer noch du, mit deiner Haartracht, mein Kind!“
Während sie so dasaßen begann der König Pläne zu schmieden, wie er seiner Tochter wohl ein Zusammentreffen mit einem dieser Künstler ermöglichen könnte. In wenigen Wochen würde sich ihre Geburt zum achtzehnten Male jähren.

Tags darauf berief der König eine Versammlung seiner Berater ein. Er sprach:
„Ich, der König der Schnörkel, bitte euch folgende Nachricht an das Volk weiterzugeben:
Derjenige, der mir das schönste und größte Ornament herbeischafft, dem will ich meine Tochter zur Frau geben.“
Diese Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, selbst über die Grenzen des Königreiches hinaus.
Viele ledige Künstler schlugen sich die Nächte um die Ohren, nur um das perfekte Muster, den fantasievollsten Schnörkel, zu erfinden.
Maler, Bäcker, Schmiede, Schneider und Architekten nahmen an der Ausschreibung teil.
Die Maler pinselten Nächte hindurch. Die Bäcker rollten und kneteten. Die Schmiede hämmerten und bogen. Die Schneider stickten und knüpften. Die Architekten zeichneten und rechneten. Jeder dachte, er würde das beste Werk von allen erschaffen.

Am Hofe des Königs aber, lebte eine Frau mit ihren drei Söhnen.
Der Jüngste war als Gärtner tätig. Er kümmerte sich um den königlichen Schlossgarten.
Der Mittlere war als Leibkoch engagiert und trug somit Sorge für das kulinarische Vergnügen seiner Majestät. Der Älteste verbrachte seine Tage damit, den König mit Späßen und Liedern zu erfreuen. Alle drei kannten die Prinzessin natürlich ebenso und fanden sie bildhübsch. Insgeheim träumte jeder davon, sie später einmal zur Gemahlin zu bekommen.
Aber niemand wagte sie auch nur anzusprechen, schätzten sie sich doch zu gering.

Eines Nachmittages, als der Älteste bei dem König war, um ihn zu unterhalten, da geschah es.
„Eure Majestät, Eure Majestät….. die Schatzkammer,….sie ist…..aufgebrochen…“, stammelte der Mittlere. Er war hochrot vor Aufregung. Seine Wangen leuchteten wie glühende Kohlen.
„Was?!“, sprang der König von seinem Thron und lief zum Aufbewahrungsort seiner geliebten Schätze.
„Ich muss sofort meiner Tochter Bescheid geben“. Schon war der König höchstpersönlich auf dem Weg zur Kammer der Prinzessin.
Aufgeregt riss der Vater die Türe auf.
„Liebes, etwas Schreckliches….Liebes?… Wo bist du? Hallo…“
Entsetzt starrte seine Majestät in die Leere. Wo war seine Tochter nur geblieben?

Die Schreckensnachricht vom Verschwinden der Königstochter sowie der gesamten Schnörkel und Ornamente verbreitete sich in Windeseile.
Das Lachen erstarb in dem sonst so fröhlichen Land. Alle Bewohner waren zutiefst entsetzt und bangten um das Leben der liebreizenden Prinzessin.
Im Angesicht dieser Tatsachen änderte der König seine Aufgabenstellung. Nun sollte derjenige seine Tochter zur Frau bekommen, der sie und die Ornamente wieder heil zu ihm zurückbringen würde.

Die Sorge um die Thronfolgerin beschäftigte auch die drei Brüder.
„Die arme Prinzessin. Kommt Brüder, lasst uns dies liebreizende Wesen suchen und finden.“, beschloss der Jüngste.
„Aber wo sollen wir mit der Suche beginnen?“, wollte der Mittlere wissen
„Ach, lasst uns einfach losziehen und uns umhören. Vielleicht stoßen wir so auf Hinweise.“
Die Geschwister packten ihre Bündel und marschierten drauflos.

Unterwegs erfuhren sie von einem Land in dem Trolle herrschten.
„In welche Richtung müssen wir marschieren, um in dieses Land der Trolle zu gelangen?“, fragte der Jüngste einen Einsiedler, der ihnen bereitwillig Auskunft erteilte.
„Wandert in Richtung Westen, sieben Tage und sieben Nächte. Dort werdet ihr sieben Höhlen finden. In einer davon wird die Prinzessin gefangen gehalten. Der böse Trollkönig hat es auf die Schönheit abgesehen. Er will, wenn er schon selber nicht schön sein kann, wenigstens in bildhübsche Gesichter sehen und formvollendete Dinge betrachten“, berichtete der Eremit.
„Woher weißt Du das alles?“, fragte der Mittlere.
„Nun, man kommt eben herum und da hört man so allerlei.“
„Hab Dank für deine Hilfe“, verabschiedete sich der Älteste und zog seine Brüder hinter sich her.

Die Reise dauerte eine ganze Woche, ehe sie zu den von dem Mann beschriebenen Höhlen, im Land der Trolle, gelangten. Schon von weitem hörten sie ein gefährliches Zischen und Fauchen. Den Brüdern wurde mulmig zumute. Dennoch wollten und durften sie sich keine Schwäche leisten. Die liebenswerte Prinzessin war also in den Klauen der Trolle.
Doch in welcher dieser vielen Höhlen war sie denn nun gefangen?
Langsam und achtsam schlichen sie an den Eingängen vorbei. Doch, halt was war denn das?
Der Jüngste vernahm ein kurzes Blitzen auf dem Boden vor einer Höhlenpforte. Als er sich näher hinbewegte, erkannte er eine glitzernde Haarnadel.
Das war also der Ort, an dem die Königstochter gefangen genommen wurde. Sie musste wohl ihre Haarnadel verloren haben. Der Jüngste griff vorsichtig, um es nicht zu zerbrechen nach dem Kleinod und steckte es tief in seine Tasche.
„Kommt Brüder, hier entlang!“
Die jungen Männer folgten ihm und so drangen sie in die verschlungenen Höhlengänge vor. Rücken an Rücken drehten sie sich die Gänge entlang, wohl darauf achtend, nicht aus dem Hinterhalt überfallen zu werden. Solche Trolle konnten ganz schön gefährlich und hinterlistig sein. Nach einigen Minuten fragte der Mittlere flüsternd:
„Waren wir da nicht schon einmal?“
„Ja, mir kommt es auch so vor“, bestätigte der Ältere. Ratlosigkeit machte sich unter den Gefährten breit. Verunsichert kauerten sich die Brüder aneinander und überlegten, wie sie aus dieser Angelegenheit wieder raus kämen. Vor allem aber, wo sich wohl die Prinzessin aufhalten würde.
„Irgendetwas sagt mir, dass das Mädchen ganz tief im Inneren der Höhlengänge auf ihren Retter wartet“, sinnierte der Jüngste
„Du meinst wohl ihre Retter“, verbesserte der Älteste ungerührt, „wir sind doch zu dritt!“
„Wohlan, lasst uns weitergehen“, mahnte der Mittlere zum Aufbruch.

Die Kameraden irrten noch eine Weile herum. Draußen wurde es mittlerweile dunkel. Ab und zu verirrte sich ein Glühwürmchen zu ihnen in die Höhle.
„Wir müssen uns beeilen. Es wird schon kalt. Die Prinzessin musste schon lange genug in diesem Gefängnis hier ausharren“, spornte der Jüngste seine Brüder weiter an.

Endlich sahen sie eine weibliche Gestalt in einer Ecke kauern. Der Jüngste war als erster bei ihr.
„Habt keine Angst Prinzessin. Wir werden Euch helfen!“
Behutsam tippte der Bursche auf die Schulter der schlafenden Königstochter. Ihre Haare waren zerzaust und verfilzt. Erschrocken fuhr das Mädchen aus ihrem traumlosen Schlafe hoch. Nachdem sie sich von ihrem Schreck erholt hatte, begann sie zu erzählen:
„Ich habe in meinem schönen weichen Bett geschlafen. Plötzlich kamen drei gemeine Trolle in mein Zimmer und überwältigten mich. Ich konnte nicht einmal um Hilfe schreien, so schnell hielten sie mir den Mund zu. Sie schleppten mich hier her, in diese dunkle kalte Höhle.
Schau nur, was sie mit meinen Haaren gemacht haben“, schluchzte die Prinzessin erbarmungswürdig. „Die ganze Zeit wühlten sie mit ihren ekligen Pranken darin herum. Auch der Kopfschmuck wurde mir entwendet.“
Der Jüngste griff tief in seine Tasche und holte die gefundene Nadel heraus, um damit die Haare der Prinzessin behutsam hochzustecken. Ein kurzes Lächeln huschte über ihr angestrengtes Gesicht. Nun zog der Jüngste seine Jacke aus, um sie dem fröstelnden Mädchen um die Schultern zu legen.
„Danke, du bist mein Retter“. Die Erlöste fiel dem Jüngling um den Hals, der sich verlegen räusperte. Erst jetzt erblickte sie seine beiden Brüder, die erschöpft daneben standen.
„Wie kommen wir da jetzt wieder hinaus? Vor allem aber auch, ohne von den Trollen bemerkt zu werden? Denn Trolle sind vorwiegend in der Nacht aktiv!“, grübelte der Mittlere.
Macht Euch keine Sorgen lächelte die Prinzessin und blickte hinunter zu ihrem Kleid.
Mit einer Hand zeigte sie einen Faden, der noch immer an ihrem Kleide hing.
Die Prinzessin rollte nun den Zwirn einfach wieder auf. Meter für Meter näherten sie sich der Freiheit. Die Reisenden wurden immer übermütiger, je mehr das Zwirnknäuel wuchs.
„Bald liebste Prinzessin seid Ihr wieder in den armen Eures Vaters, dem König“, freute sich der Jüngste.
Am Eingang entdeckten sie den Grund, warum sich das Kleid aufgelöst hatte. Die Trolle hatten die Thronerbin auf ihren Schultern in die Höhle getragen und dabei war das Kleid an einem Felsen hängen geblieben. Die Abenteurer waren vorhin wohl zu aufgeregt, um diesen Zwirn am Boden zu bemerken. Nun aber hatte sie dieser unscheinbare Faden in die Freiheit geführt.
„Aber wo sind denn nun die Ornamente und Schnörkel hingekommen“, erinnerte der Älteste an den zweiten Teil der Aufgabe.
„Wieso? Sind denn die Ornamente meines Vaters gestohlen worden?“, beunruhigte sich die Prinzessin.
„Ja, leider muss ich Euch Recht geben.“, bestätigte der Mittlere.
„Oh nein! Wir müssen sie finden! Ohne sie wird mein Vater seines Lebens nicht mehr froh!“
Die Prinzessin war außer sich vor Sorge.
„Ja, wir werden sie finden. Aber zuerst bringen wir Euch zu Eurem Vater nach Hause.“ bestimmte der Jüngste.
Nach wenigen Tagen durfte der König seine Tochter wieder überglücklich in die Arme schließen.
„Liebling endlich. Ich hatte solche Angst um dich.“
„Es ist in Ordnung, Vater. Mir geht es gut“, beschwichtigte die Tochter.
„Aber nun müssen wir die Ornamente finden, Vater!“
„Vergiss die Ornamente. Hauptsache du bist wieder da. Du mein allerschönstes Ornament!“
„Aber ich trage die Haare noch nicht so schön wie sonst immer!“
„Ach Liebling, du wärst auch ohne Haare noch immer das schönste Ornament für mich“, versicherte der König seiner heimgekehrten Tochter.
Auch das Volk jubelte auf, als sich der Throninhaber nun wieder mit seiner Tochter auf dem majestätischen Balkon zeigte.

Wie versprochen bekam der Jüngste seine angebetete Prinzessin zur Gemahlin. Sein Hochzeitsgeschenk für sie war ein wunderschöner Rosengarten in Form eines Labyrinthes. Da er die Königstochter schon seit jeher anhimmelte, hatte er schon Monate davor an dieser Rosenformation gearbeitet. Nun also, an dem Tage ihrer Hochzeit, durfte er das Werk seiner Braut und ihrem Vater als Geschenk präsentieren.
Das Hochzeitsfest dauerte drei Tage und drei Nächte. Die Schneider schenkten dem Paar eine blütenfarbene Bettwäsche, bestickt mit den schönsten Schnörkeln und Ornamenten.
Die Hochzeitskutsche wurde von den Schmieden zur Verfügung gestellt. Gemeinsam hatten die Meister ihrer Zunft einen wunderbaren Wagen aus rankenförmigem Geschmeide gezaubert.
So lebte das Volk, unter der liebevollen und gütigen Herrschaft ihres Königs und dessen Schwiegersohns, noch viele lange Jahre in glücklicher Zufriedenheit.

Quelle: Diane Legenstein

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