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Märchenbasar

Der Schwarzkünstler-Zar

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Es war einmal ein Zar, ein freier Herr, der lebte in einer Gegend, die war so flach wie ein Tischtuch. Er hatte Frau und Tochter und viel Hausgesind, und er war ein Schwarzkünstler. Einst rüstete er ein Gastmahl für die ganze Welt, für alle Bojaren, für alle Bauern und für alle Bürger aus der Stadt. Sie kamen zusammen und begannen den Schmaus, da sprach der Zar und rief aus: »Wer vor mir, dem Zaren, zu entfliehen und sich zu verstecken vermag, dem geb ich die Hälfte des Reichs und meine Tochter zur Frau; nach meinem Tode aber soll er auf dem Zarenthron sitzen.« Alle, die da beim Mahle saßen, verstummten und erblaßten. Doch ein wackerer, kühner Bursch, der wagte es und sprach zum Zaren: »Zar, freier Herr! Ich kann vor dir entfliehen und mich verstecken.« – »Nun, so geh, kühner Bursch, und verbirg dich, morgen werd ich dich suchen; gelingt es dir aber nicht, dich zu verstecken, muß dein Kopf herunter von den Schultern!«
Der kühne Jüngling verließ die Gemächer des Zaren, ging durch die Stadt hin, er ging und ging und kam zu der Badstube eines Popen. Da dachte er in seinem Sinn: »Wohin soll ich vor dem Zaren entfliehen und mich verstecken? Ich will in die Badstube des Popen gehn und mich unter der Schwitzbank in der Ecke verbergen, wie soll der Zar mich dort finden!«
Am Morgen früh stand der Schwarzkünstler-Zar auf, heizte den Ofen, setzte sich auf den geflochtenen Stuhl, nahm sein Zauberbuch vor, begann zu lesen und zu forschen, wohin der Jüngling gegangen sei: »Der kühne Bursch hat meine weißsteinernen Gemächer verlassen, ist die Straße entlanggegangen, kam bis zur Badstube des Popen und hat sich in seinem Sinn gedacht: ‚Wohin soll ich vor dem Zaren entfliehen und mich verstecken? Ich will in die Badstube des Popen gehn und mich unter der Schwitzbank in der Ecke verbergen, wie soll der Zar mich dort finden.‘ Eilt hin, ihr Diener, sucht in der Badstube des Popen und führt den Burschen her.« Die Diener liefen eilig hin, kamen in die Badstube, hoben die Bank auf: da lag der kühne Jüngling in der Ecke. »Guten Tag, wackerer Bursch!« – »Guten Tag, ihr Zarendiener!« – »Komm, Väterchen Zar hat dich zu sich gerufen.« Die Diener führten den kühnen Jüngling fort und brachten ihn vor das Angesicht des Zaren. Der aber sprach: »Hast du nicht vermocht, vor mir zu entfliehen und dich zu verstecken?« – »Nein, Eure Majestät.« – »Hast du’s nicht gekonnt, muß dein Kopf von den Schultern herunter.« Er nahm seinen scharfen Säbel und hieb ihm den verwegenen Kopf ab.
Der Zar hatte Gefallen am bösen Spiel. Am nächsten Tage gab er wieder ein Gastmahl und einen Ball, versammelte die Bojaren und die Bauern und alle Bürger aus der Stadt, ließ die Tische aufstellen, und man fing an zu zechen. Und wiederum rief er bei der Tafel aus: »Wer vor mir, dem Zaren, zu entfliehen und sich zu verbergen vermag, dem geb ich die Hälfte des Reichs und meine Tochter zur Frau; nach meinem Tode aber soll er auf dem Zarenthron sitzen.« Alle, die da beim Mahle saßen, verstummten und erblaßten. Doch ein wackerer, kühner Bursch, der wagte es und sprach zum Zaren: »Zar, freier Herr! Ich kann vor dir entfliehen und mich verstecken.« – »Nun, so geh, kühner Bursch, und verbirg dich, morgen werd ich dich suchen; gelingt es dir aber nicht, dich zu verstecken, muß dein Kopf herunter von den Schultern!«
Der kühne Jüngling verließ die weißsteinernen Gemächer, ging durch die Stadt hin, ging weiter und weiter, war es nah oder weit, niedrig oder hoch, da stand eine riesengroße Scheuer. Der Bursch dachte bei sich: »Ich will mich ins Stroh verkriechen und in die Spreu, wie soll der Zar mich dort finden!« Er verkroch sich und lag still.
Der Schwarzkünstler-Zar hatte die Nacht über geschlafen, stand am Morgen früh auf, wusch sich mit Quellwasser, trocknete sich mit dem Handtuch, heizte seinen Ofen, nahm sein Zauberbuch vor, setzte sich auf den geflochtenen Stuhl und begann zu lesen und zu forschen, wohin der Jüngling gegangen sei: »Der kühne Bursch hat meine weißsteinernen Gemächer verlassen, ist die Straße entlanggegangen bis zur riesengroßen Scheuer und hat sich in seinem Sinn gedacht: ‚Ich will mich ins Stroh verkriechen und in die Spreu, wie soll der Zar mich dort finden!‘ Eilt hin, ihr Diener, sucht in der riesengroßen Scheuer und führt den Burschen her.« Die Diener liefen eilig hin, kamen zu der riesengroßen Scheuer: da lag der kühne Jüngling im Stroh und in der Spreu. »Guten Tag, wackerer Bursch!« – »Guten Tag, ihr Zarendiener!« – »Komm, Väterchen Zar hat dich zu sich gerufen.« Die Diener führten den kühnen Jüngling fort und brachten ihn vor das Angesicht des Zaren. Der aber sprach: »Hast du nicht vermocht, vor mir zu entfliehen und dich zu verstecken?« – »Nein, Eure Majestät.« – »Hast du’s nicht gekonnt, muß dein Kopf von den Schultern herunter.« Er nahm seinen scharfen Säbel und hieb ihm den verwegenen Kopf ab.
Der Zar fand Gefallen am bösen Spiel: am dritten Tage ließ er abermals ein Gastmahl rüsten, und wiederum fand sich ein kühner Bursch. »Ich kann vor dir entfliehen und mich verstecken, aber erst beim dritten Mal.« Der Zar war einverstanden, und der Jüngling verließ die weißsteinernen Gemächer, ging die Straße entlang, ging weiter und weiter, verwandelte sich in ein Hermelin mit schwarzem Schwanz und lief auf der Erde. Und es kroch unter jede Wurzel und jeden Haufen Holz, lief auf der Erde umher, lief weiter und weiter und kam zu den Fenstern des Zarenpalastes, verwandelte sich in einen goldenen kleinen Bohrer und tanzte unter den Fenstern umher, tanzte und tanzte und verwandelte sich in einen Falken und flog vor das Fenster vom Gemach der Zarentochter. Diese erblickte den Falken, öffnete ihr Fenster und lockte ihn zu sich: »Welch schöner, kleiner Falke, welch herrlicher, kleiner Falke ist das doch!« Er ließ sich auf das Fensterbrett nieder, hüpfte auf den Boden und verwandelte sich in den kühnen Jüngling. Die Zarentochter nahm ihn wohl auf und setzte ihn an die Eichentische; sie tranken, bankettierten und tafelten, und taten, was nötig war. Dann verwandelte sich der wackere Bursch in einen goldenen Ring, den nahm die Zarentochter und steckte ihn an den Finger.
Der Schwarzkünstler-Zar hatte die Nacht über geschlafen, stand am Morgen früh auf, wusch sich mit Quellwasser, trocknete sich mit dem Handtuch, heizte seinen Ofen, nahm sein Zauberbuch vor, setzte sich auf den geflochtenen Stuhl, begann zu lesen und zu forschen, wohin der Jüngling gegangen sei. Und er befahl seinen Dienern: »Geht hin, führt meine Tochter herbei oder bringt mir ihren Ring.« Die Diener kamen und sagten: »Der Zar hat dich vor sein Angesicht gerufen.« – »Warum denn, weshalb?« – »Kommst du nicht selber, so gib uns den Ring.« Die Zarentochter nahm den Ring ab und gab ihn den Dienern. Sie brachten ihn hin und gaben ihn dem Zaren. Der Zar nahm ihn entgegen und warf ihn über die linke Schulter, da ward er zum schönen kühnen Jüngling. »Guten Tag, wackerer Bursch.« – »Guten Tag, Zar, freier Herr.« – »Nun, da ich dich gefunden hab, muß dein Kopf herunter von den Schultern.« – »Nein, Zar, freier Herr, noch zweimal kann ich mich verstecken, so war es zwischen uns abgemacht.« – »Nun, dann geh.«
Der kühne Jüngling verließ die Gemächer des Zaren, ging hinaus auf das freie Feld und verwandelte sich in einen grauen Wolf. Er lief und lief und rannte und rannte über die ganze Erde und verwandelte sich in einen Bären. Er stapfte und stapfte durch die dunklen Wälder und verwandelte sich dann in ein Hermelin mit schwarzem Schwanz. Und wieder lief er und kroch unter die Wurzeln und Haufen von Holz, kam zu den Gemächern des Zaren, verwandelte sich in einen kleinen Bohrer und tanzte und tanzte vor den Fenstern des Zaren, verwandelte sich in einen Falken und flog vor das Fenster vom Gemach, in dem die Zarentochter wohnte. Sie erblickte den Falken und öffnete ihr Fenster. »Welch ein herrlicher, kleiner Falke!« Er ließ sich auf das Fensterbrett nieder, hüpfte auf den Boden und ward zum schönen kühnen Jüngling. Die Zarentochter nahm ihn wohl auf und setzte ihn an die Eichentische; sie tranken, tafelten und bankettierten, taten, was nötig war, und dachten mit Fleiß nach, wohin man vor dem Zaren entfliehen und sich verstecken könnte. Und sie beschlossen: der Jüngling solle sich in einen lichten Falken verwandeln und weit, weit aufs freie Feld hinausfliegen. Der kühne Bursch ward zum edlen Falken, die Zarentochter öffnete das Fenster, setzte ihn hinauf und rief ihm zu: »Flieg hin, lieber Falke, weit, weit auf das freie Feld, verwandle dich dort, lieber Falke, in siebenundsiebzig Gräser, und diese alle in ein Gras!«
Der Schwarzkünstler-Zar hatte die Nacht über geschlafen, stand am Morgen früh auf, wusch sich mit Quellwasser, trocknete sich mit dem Handtuch, heizte seinen Ofen, nahm sein Zauberbuch vor, setzte sich auf den geflochtenen Stuhl, begann zu lesen und zu forschen, wohin der Jüngling gegangen sei. Und er befahl seinen Dienern: »Geht hin auf das freie Feld und reißt von jedem Gras einen Armvoll aus und bringt alles zu mir her.« Die Diener gingen und fanden die Gräser, rissen sie aus und brachten sie dem Zaren. Der Zar saß auf dem Stuhl und suchte das eine Gras; er fand es und warf es über die linke Schulter, da ward es zum schönen Jüngling. »Guten Tag, wackerer Bursch!« – »Guten Tag, Zar, freier Herr!« – »Nun, ich hab dich abermals gefunden, jetzt muß dein Kopf von den Schultern herunter.« – »Nein, noch einmal kann ich mich verstecken, zum letztenmal.« – »Schon gut, dann geh, morgen werd ich dich suchen.«
Der kühne Jüngling verließ die Gemächer des Zaren, ging die Straße hinab, kam auf das freie Feld, verwandelte sich in einen grauen Wolf und lief davon; er lief und lief und lief und kam zum blauen Meer, verwandelte sich in einen Hecht und sprang ins Wasser; er schwamm hinüber über das blaue Meer, stieg ans Ufer, verwandelte sich in einen lichten Falken, schwang sich hoch in die Luft und flog über Berg und Kluft; er flog und flog über das flache Feld, erblickte auf grüner Eiche das Nest des Vogels Magowej und fiel dort ein. Der Vogel Magowej war zu der Zeit nicht da, hernach aber kam er geflogen und sah den kühnen Jüngling in seinem Neste liegen. Da rief der Vogel Magowej: »Ach, welch ein Flegel! Fliegt in ein fremdes Nest, läßt sich nieder und liegt darin.« Er packte ihn mit den Krallen und trug ihn fort aus seinem Nest, trug ihn über das blaue Meer und legte ihn dem Schwarzkünstler-Zaren unter das Fenster. Der Jüngling verwandelte sich in eine Fliege, flog in die Gemächer des Zaren, verwandelte sich dann in einen Feuerstein und legte sich auf den Stahl.
Der Schwarzkünstler-Zar hatte die Nacht über geschlafen, stand am Morgen früh auf, wusch sich mit Quellwasser, trocknete sich mit dem Handtuch, heizte seinen Ofen, nahm sein Zauberbuch vor, setzte sich auf den geflochtenen Stuhl, begann zu lesen und zu forschen, wohin der Jüngling gegangen sei. Der Zar las in seinem Zauberbuch getreu bis zu der Stelle, da der Vogel Magowej den kühnen Jüngling aus dem Nest getragen hatte. Und er befahl seinen Dienern: »Geht hin über das freie Feld, fahrt auf Schiffen über das blaue Meer und sucht die grüne Eiche; fällt die Eiche, sucht das Nest, führt den Burschen hierher.« Die Diener gingen und fällten die Eiche und fanden das Nest und wühlten und wühlten, aber kein Jüngling war darin. Sie kamen zum Zaren: »Wir fanden die grüne Eiche, das Nest war da, der Bursch aber nicht.« Der Zar schaut in sein Buch und findet: dort, ganz gewiß, ist der Jüngling. Der Zar machte sich bereit, ging selbst auf die Suche. Er spähte und spähte, wühlte und wühlte, aber konnte nichts finden. Er ließ die grüne Eiche klein hacken, auf ein Feuer legen und verbrennen. Nicht ein einziger Span blieb übrig, und der Zar dachte nun bei sich: »Wenn ich den Burschen auch nicht gefunden hab, lebendig soll er nicht länger auf der Erde weilen.«
Sie kehrten in das Zarenreich zurück, und der Zar lebte so dahin einen Tag und den zweiten und den dritten. Und eines Morgens stand die Magd auf und machte Feuer. Sie nahm aus dem Feuerzeug den Stahl und den Stein, legte den Schwamm bereit, schlug den Stahl gegen den Stein, der Stein flog ihr aus der Hand über die linke Schulter weg, da ward er zum schönen Jüngling. »Guten Tag, Zar, freier Herr!« – »Guten Tag, kühner Bursch, nun muß dein Kopf von den Schultern herunter!« – »Nein, Zar, freier Herr, du hast mich drei Tage lang gesucht und es dann aufgegeben; ich bin jetzt von selber gekommen. Mir gebührt nun die Hälfte des Reichs und die Zarentochter als Frau.« Da konnte der Zar nichts dagegen machen. Mit fröhlichem Schmaus und rascher Hochzeit gab man die Tochter dem kühnen Burschen zur Frau; er heiratete die Zarentochter, wurde des Zaren Schwiegersohn und bekam die Hälfte des Reichs, und nach dem Tode des Zaren sollte er den Thron haben.

[Rußland: August von Löwis of Menar: Russische Volksmärchen]

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