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Märchenbasar

Der Schweinehirt

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Vor hundert Jahren war in einem großen Königreich ein kleiner Schweinehirt. Der saß eines Mittags müd am Feld und sah in der Ferne die Pflüger sitzen beim Imbiß, wo sie fleißig löffelten und abschnitten und einschenkten, derweil er selbst einen gewaltigen Hunger empfand und doch vor Abend nichts kriegen sollte. Da sprach er zu sich selbst: „O daß ich doch ein Bauer wäre gleich diesen, wie zufrieden wollt ich sein.“
Und siehe da! Plötzlich, wie wenn er’s nur so träumte, war die ganze Gegend rings um ihn her verändert. Ein Baumgarten stand an der Stelle des gepflügten Feldes, der grenzte an einen wohlhabenden Bauernhof, und hier, mitten unter dem Hühner- und Taubenvolk, das im Hof herumspazierte, stand er selber, der arme Schweinejunge, als stattlicher Bauer und war ganz in Gedanken versunken, weil er gerade den heutigen Ertrag seines gesamten Wiesen- und Ackerlandes noch einmal überschlug. Da ritt ein Kornhändler vor dem Hoftore vorüber, der weckte den Bauer aus seinen Gedanken auf, denn er hatte sich ein Räuschchen getrunken, war lustig und klimperte nur so mit der Geldkatze: „He, Bäuerlein, wie teuer das Mäs?“
Der Bauer antwortete: „Kann’s nicht wohlfeiler geben, hab’s Euch schon gesagt; wir gehen zugrunde, wenn’s nicht bald um das Halbe mehr gilt.“
Der Kornhändler aber strich sich höhnisch das dicke Bäuchlein, verbeugte sich mit Spott im Gesicht und ritt unter Singsang davon.
„O daß ich doch so ein Kornhändler wäre“, seufzte der Bauer hinter ihm drein, „wie zufrieden wollt ich sein!“
Da saß er plötzlich vor einem eigenen vollen Kornmagazin und riß sich die Haare vom Kopf und kratzte sich hinter den Ohren bis aufs Blut. Jetzt eben war der Krieg aufs höchste gestiegen, und das Heer litt Mangel. Dem Wucherer hatte das Korn noch nicht gegolten, was er verlangte, und gerade brach ein Rudel Soldaten mit Gewalt in das Magazin, trug Sack um Sack auf bereitstehende Wagen, gab dem Kornhändler bald Scheltworte, bald Püffe und zog unter dem Befehl eines dickbäuchigen, rotbäckigen Obersten, der zu Pferd saß, jauchzend und hohnlachend davon.
„O daß ich doch so ein Kriegsoberst wäre, wie zufrieden wollt‘ ich sein!“ rief der Kornhändler.
Stracks stand er als Oberst vor einem Kriegsgerichte, wo der Minister des Königs ihm das Urteil lebenslänglicher Gefangenschaft sprach, weil er gewaltsam wider Recht und Billigkeit verfahren und dem eigenen Volke sein heiligstes Eigentum entrissen habe. Es half nichts, daß der Oberst einen außerordentlichen, aber im Felde verlorenen Befehl zur Rechtfertigung anführte und sich auf den schuldigen Gehorsam berief. Der Minister hieß ihn durch die Schergen abführen und blickte stolz auf den Verurteilten und die ganze tief untertänige Versammlung.
„O daß ich doch so ein fürstlicher Minister wäre“, rief der Oberst aus, „wie zufrieden wollt‘ ich sein!“
Und alsbald saß er in einer elenden Kutsche mit seiner weinenden Frau und ein paar schluchzenden Kindern und fuhr durch ein düsteres Tor, während faule Äpfel und Eier zum Fensterchen hereinflogen, daß er mit Not ihnen ausbeugen konnte. Jetzt trat ein Offizier an den Schlag, zuckte die Achseln und sagte: „Ja, Herr Minister, es sind freilich nur Lügen und Ränke, mit welchen Seine Majestät der König zur Ungnade gereizt wurden, aber es ist gut, in möglichster Eile davonzujagen und in den nächsten zwölf Jahren dieses Land nicht wieder zu betreten, da ja doch Eure Güter und Häuser nun eingezogen werden und alle Freundschaft verschwunden ist. Der König . . . „
„O daß ich ein König wäre“, stöhnte der Minister, „dann erst wollt‘ ich zufrieden sein!“
Aber schon lag er krank in einem königlichen Lehnsessel, den vier Heiducken mühsam eine verborgene Treppe hinunterzwängten. Der Krieg hatte fortgewährt, der König war selbst in das Feld gezogen, war krank geworden durch die ungewohnten Anstrengungen und sollte jetzt einem nächtlichen Überfall des Feindes entzogen werden. Dabei vermochte er auf keinem Beine zu stehen und litt fürchterliche Schmerzen von der Gicht.
Da schrie er ganz überlaut:
„O daß ich doch der armseligste Sauhirt meines Landes wäre und nur gesund, nur gerettet aus dieser Leibesgefahr! Wie zufrieden wollt‘ ich sein!“
Und siehe! Das geschah. Plötzlich saß der König wieder als kleiner Schweinehirt am Rand des Feldes; er erkannte sich in seinen Lumpen und nahm einen tollen Freudensprung über die größte Sau hinweg, denn jetzt war er wirklich zufrieden.

Quelle:
Otto Sutermeister, Kinder- und Hausmärchen aus der Schweiz

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