Lange ist es her, da lebte einmal ein Mann, der stets sein Glück versuchen musste, daher nannten ihn die Leute den Spieler. Überall, wo die Männer zum Glücksspiel zusammenkamen, war auch er nicht weit, aber er hatte kein Glück, sosehr er sich auch mühte. Nach und nach verlor er alles, was er besaß, und nur ein zahmer Truthahn war ihm geblieben, der ihm überall nachfolgte.
Eines Tages, so erzählt man, hörte der Truthahn, wie sich einige Verwandte über das Lotterleben des Spielers unterhielten: „Wir wollen ihm noch einmal Gelegenheit geben zu gewinnen. Wenn er wieder verliert, müssen wir ihn umbringen, denn es geht nicht an, dass er weiterhin auf unsere Kosten lebt und unser Eigentum verspielt.“ Der Truthahn berichtete dem Spieler, was er vernommen hatte, und als dieser wiederum im Spiel verlor, schlug der Vogel vor, dass sie sich aus dem Staube machen sollten, bevor es zu spät sei. Sie sagten niemandem von ihren Plänen, verließen das Dorf und wanderten zum Fluss hinunter. Dort angekommen, sprach der Truthahn: „Geh und suche eine dicke Fichte aus, die nicht zu weit vom Ufer steht, ich will derweil zum Biber gehen und ihn um seine Werkzeuge bitten. Dann schwimmen wir auf dem Stamm den Fluss hinunter.“
Am nächsten Morgen machte sich der Spieler an die Arbeit, um den Fichtenstamm zu fällen. Als es Abend wurde, war der Stamm beinahe am Umfallen. Da sagte sich der Spieler: „Den Rest mache ich am Morgen, jetzt ist es genug. Man soll nicht zuviel Arbeit auf einmal bewältigen wollen.“ Er hatte nämlich herausgefunden, dass Bäume fällen schwieriger als Spielen war. Als der Spieler am nächsten Morgen zurückkehrte, stand der Stamm gerade und unversehrt am Ufer, als ob er nie etwas von einem Beile gespürt habe. Wieder machte sich der Mann an die Arbeit, wieder blieb ein Rest für den nächsten Tag, und zu seinem großen Erstaunen stand am Morgen der Stamm wiederum unbeschädigt am Ufer. Auch am dritten Tage erging es ihm nicht anders. Als er am vierten Tage wieder bei der Arbeit war, diesmal fest entschlossen, nicht aufzuhören, bevor der Stamm am Boden lag, hörte er mit einem Male eine Stimme hinter sich: „Was machst du mit meinen Bäumen?“ Erstaunt sah sich der Spieler um, wer ihn wohl belauscht haben könnte, und da stand der Schwarze Geist vor ihm, der, der die Erde geschaffen hat!
„Den Stamm brauche ich, um den Fluss hinunterzuschwimmen bis zu dem Punkt, wo das Wasser nicht mehr weiterfließt.“ Schwarzer Geist half dem Spieler bei der Arbeit, schnitt den Stamm mit einem Schlag auf die richtige Länge zu und setzte dann die Baumkrone wieder auf den Stumpf. Beide wuchsen sogleich zusammen, ein neuer Stamm erschien, und bald darauf stand die Fichte wieder unversehrt an ihrer Stelle am Flussufer. „Niemand soll fortan einen meiner Bäume fällen, ohne meine Zustimmung zu haben“, sprach der Schwarze Geist, „denn alle Bäume sind mein seit Anbeginn.“ Seitdem beten die Apachen zum Schwarzen Geist, ehe sie einen seiner Bäume anrühren. Als der Stamm am Boden lag, kam dem Spieler ein neuer Gedanke. Er würde die Stromschnellen in der Schlucht des donnernden Wassers kaum überleben, wenn er rittlings auf dem Stamme den Fluss hinuntertrieb. Verkröche er sich jedoch in einen hohlen Stamm, so überlegte er, dann würde das Holz seinen Körper umgeben wie der harte Knochen das weiche Mark. So bat der Spieler den Schwarzen Geist um Rat, wie er den Stamm wohl aushöhlen könne. Dieser rief sogleich die Spechte herbei und trug ihnen auf, den Stamm nach den Wünschen des Spielers auszuhöhlen. Als sich die Spechte an die Arbeit machten, sprach der Schwarze Geist zum Spieler: „Da du von ihnen Hilfe gefordert hast, musst du ihnen auch einen Lohn geben. Geh und suche etwas, was den Spechten gefallen könnte.“ Nach einer Weile kehrte der Spieler mit schwarzen, blauen, gelben, weißen und roten Steinperlen zurück, die er den Spechten als Lohn für ihre Arbeit gab. Seitdem tragen die Spechte bunte Kleider, die mit Perlenstickereien verziert sind. Der Schwarze Geist aber war mit einigen blauen Blumen zufrieden, die der Truthahn gesammelt hatte.
Nun war der Stamm zur Reise bereit, und der Spieler kroch in sein seltsames Gefährt. Truthahn aber bat sogleich die Spinnen, die Öffnung zu verschließen. Da kamen aus den vier Himmelsrichtungen die schwarze Spinne, die blaue Spinne, die gelbe Spinne und die weiße Spinne, um dem Spieler zu helfen. Während die Spinnen sich an die ihnen übertragene Arbeit machten, rief der Truthahn die Schwalbe. Die schwarze Spinne hatte derweil ein schwarzes Netz gesponnen, darüber spann die zweite ein blaues Gewebe, dann folgte ein gelbes Netz, über das die weiße Spinne ihr schimmerndes Gespinst befestigte. Kaum war das letzte Netz vollendet, als auch schon die Schwalbe damit begann, eine feste Lage Schlamm über die Öffnung zu mauern, durch die kein Wasser zu dringen vermochte. Der Truthahn hatte mittlerweile dem Biber sein Werkzeug zurückgebracht und ihn gebeten, den Stamm ins Wasser zu rollen, da er ja in diesen Dingen Erfahrung habe: Sogleich beeilte sich der Biber, diesen Wunsch zu erfüllen, und rollte den ausgehöhlten Stamm in den Fluss. Rasch trieb er in der Strömung davon. Der Truthahn folgte am Ufer und ließ den Stamm nicht aus den Augen. Ohne Unterlass trug das Wasser den Spieler seinem unbekannten Ziele zu.
Vier Tage und vier Nächte reiste er in dem seltsamen Gefährt den Fluss hinab, und an jedem der vier Tage hatte er ein neues Hindernis zu überwinden. Am Mittag des ersten Tages ergriff das Wasserungeheuer den Stamm und wollte ihn nicht fortlassen. Erst als der Truthahn ihm Früchte anbot, ließ es den Stamm fahren. Am zweiten Tage fischten die Klippenleute, die in den Geisterstädten der großen Höhlen wohnen, den Stamm aus dem Wasser. Wieder hatte der Truthahn große Mühe, sie zu überreden, den Stamm weiterzulassen. Am dritten Tage hielt Otter den Stamm auf, und am vierten Tage endlich sah Kabaskin, der Geist des Wassers, dem alle Wasser der Erde gehören, den schwimmenden Baumstamm und verlangte eine Belohnung, wenn er ihn passieren ließ. Weiter schwamm der Spieler im hohlen Holze, denn Kabaskin ließ den Stamm schließlich in die Schlucht des donnernden Wassers treiben. Kabaskin, der Geist des Wassers, der dort in jener Schlucht seine Wohnung hatte, ist allmächtig. Nichts geschieht, ohne dass Kabaskin davon erfährt. Das Wasser, das ihm gehört, fließt rings um die ganze Welt, die eine Insel ist. So sieht Kabaskin alles, hört alles, weiß alles und wird von allen verehrt, denn niemand kann ohne das Wasser leben. Auch der Truthahn hatte ihn mit großer Ehrfurcht behandeln müssen, damit er am Ende den Spieler fortließ.
Schließlich erfasste ein Wirbel den Stamm und trieb ihn ans Ufer. Da rief der Truthahn: „Der-auf-dem-Wasser-treibt, wir sind da!“ Sogleich befreite sich der Spieler, der von nun an einen neuen Namen hatte, aus dem Stamme, besah sich den Fluss und den Berg am anderen Ufer und dachte dabei: „Diese Stelle gefällt mir. Hier möchte ich bleiben und einen Garten pflanzen.“ Der Truthahn aber antwortete auf diesen Gedanken: „Vom Denken allein wächst nichts, die Saat habe ich bei mir. Nimm den Grabstock und brich den Boden auf, dann wollen wir pflanzen.“ Erstaunt begann der Mann mit der Arbeit, und bald hatte er ein großes Stück ebenes Land umgebrochen. Darauf stellte sich der Truthahn im Osten auf und lief die Kante des Feldes entlang. Überall blieben schwarze Maiskörner zurück. Als er die südliche Kante entlang lief, war dort mit einem Male blauer Mais. Im Westen lag kurz darauf gelber Mais am Boden, während im Norden Bohnen, Kürbiskerne und Tabaksamen in die umgebrochene Erde fielen. Denn der Truthahn ist seit alters her der Herr aller Saaten. Sorgsam bettete der Mann die Samenkörner in die Erde. Dann war sein Feld bestellt, und Der-auf-dem-Wasser-treibt schlug in der Nähe sein Lager auf. Schon nach zwölf Tagen trugen seine Pflanzen, und die Ernte konnte beginnen. Wieder hatte der Truthahn seine Hand im Spiele gehabt. Nur der Tabak sollte bis zum nächsten Tage stehen bleiben. Abends, nach der Ernte, saß der Mann mit dem Truthahn am Ufer und blickte über den Fluss nach Osten. Mit einem Male glaubte er dort einen Lichtschimmer zu sehen. Lange dachte er darüber nach, wer wohl am jenseitigen Ufer sein Lager haben mochte. Gleich am nächsten Morgen begab er sich über den Fluss, um nachzusehen, aber er konnte niemanden entdecken. In der folgenden Nacht sah er wiederum Licht, als ob dort ein Feuer unterhalten würde. Wieder sah er am anderen Morgen nach und kehrte am Mittag erfolglos zurück zu seinem Garten. In der dritten Nacht sah er ganz deutlich, dass dort am anderen Ufer ein Feuer brannte, aber alles Suchen blieb vergeblich.
Zu dieser Zeit hatte er auch seinen Tabak geerntet, von dem er nun stets einen Beutel voll bei sich trug. In der vierten Nacht wiederholte sich der Lichtschein, und diesmal beschloss der Mann, ganz sicherzugehen. Er nahm einen gegabelten Ast und steckte ihn so in den Boden, dass er den Lichtschein durch die Astgabel beobachten konnte. Am nächsten Morgen sah er durch die Astgabel und merkte sich genau die Stelle, an der das Feuer gebrannt haben musste. Dann setzte er über den Fluss in der festen Absicht, herauszufinden, was es mit dem nächtlichen Lichtschein für eine Bewandtnis habe. Als er sich der Stelle näherte, sah er ein junges Mädchen, das an einem Bache damit beschäftigt war, Leder einzuweichen. Vorsichtig schlich der Mann näher und versteckte sich hinter ein paar Büschen, um besser beobachten zu können. Da begann neben ihm auf einem Zweige eine Zikade zu musizieren. Laut und hell klangen die Töne durch die morgendliche Stille, und dem Manne war es, als ob jemand auf einer Flöte zu blasen begonnen habe. Und als er sich umsah, bemerkte er, dass Zikade wirklich auf einer Flöte blies, einer Flöte, die vier verschiedene Farben hatte. „Gib mir deine Flöte“, bat er den Zikadenmann, „damit ich sehe, ob ich auch so gut spiele wie du.“ Doch kaum hatte er das Instrument an die Lippen gesetzt und ihm den ersten Ton entlockt, als das Mädchen mitten in der Arbeit innehielt. Weiter spielte der Mann auf der Zikadenflöte; da kam das Mädchen suchend auf die Stelle zu, an der er verborgen saß. Beim vierten Ton jedoch hatte sie ihn entdeckt, und mit Windeseile lief sie auf eine Felswand zu! Rasch gab der Mann dem Eigentümer die Flöte zurück und sprach: „Hab Dank für deine Hilfe, Zikadenmann.“ Darauf eilte er dem Mädchen nach und kam gerade zurecht, um zu sehen, wie es in der Felswand verschwand, ohne dass dort eine Öffnung war. Der-auf-dem-Wasser-treibt folgte ihr sogleich und bemerkte zu seinem Erstaunen, dass er ebenfalls durch den Felsen gehen konnte, als ob es Wasser sei. Bald darauf bemerkte er ein Lager; ein alter Mann und eine alte Frau saßen dort vor einer Hütte.
Kaum hatte die Frau ihn erblickt, da rief sie aus: „Hier kommt mein Schwiegersohn! Ich muss mich rasch verstecken!“ Denn bei diesen Menschen herrschte die Sitte, dass Schwiegersohn und Schwiegermutter einander nicht begegnen durften, ganz so, wie es die Apachen noch heute halten. Der alte Mann hingegen blieb ruhig sitzen und sah dem Gast entgegen. Dann nahm er eine Pfeife zur Hand, stopfte sie mit allerlei Kräutern und reichte sie dem Besucher. Als dieser zu rauchen begann, wurde ihm fast übel! So nahm er von seinem Tabak und bot dem Alten seine eigene Pfeife an. Süß und angenehm war der Geschmack, so überwältigend, dass der alte Mann keine Worte fand, sein Lob auszudrücken. Ja nach dem ersten Zuge verfiel er in einen Zustand der Verzückung, saß unbeweglich da, als ob er des Guten zuviel empfangen habe! Der-auf-dem-Wasser-treibt blies dem alten Manne Tabaksrauch zuerst auf den rechten Fuß, dann die rechte Hand, den Scheitel, auf die linke Hand und schließlich auf den linken Fuß, so wie es die Medizinmänner tun, wenn sie eine Krankheit austreiben wollen. Bald darauf hatte der Alte sein Gleichgewicht wiedergefunden. Der-auf-dem-Wasser-treibt bemerkte bald, dass man in diesem Lager weder Tabak noch Mais, weder Bohnen noch Kürbisse kannte und dass die Menschen ausschließlich von der Jagd lebten. Nur die Frauen zogen ab und zu hinaus, um wilde Früchte und Samen zu sammeln. Der Alte aber, der am Tabak solch großen Gefallen gefunden hatte, war‘ der beste Jäger weit und breit; daher hieß er auch Der-die-Tiere-hat. Bei seinem nächsten Besuch brachte Der-auf-dem-Wasser-treibt allerlei Geschenke aus seinem Garten mit, die von allen ungläubig bestaunt wurden. Als er kurz darauf das Mädchen zur Frau nahm, das er an jenem Bache überrascht hatte, zog er, wie es sich gehörte, ins Lager seiner Frau. Er zeigte den Menschen dort, wie man sät und erntet, wie man für die Pflanzen sorgen muss und welche Gerichte aus den einzelnen Früchten gekocht werden konnten. Er selbst aber lernte von seinem Schwiegervater alle Geheimnisse der Jagd. Daher kommt es, dass die Apachen heute nicht nur gute Jäger sind, sondern auch ihre Gärten haben.
Quelle:
(Nordamerika – Jicarilla-Apachen)