Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne. Die beiden Älteren waren stark und stolz, der Jüngste aber war still und von gutem Herzen. Eines Tages verirrte sich der König auf der Jagd und kam erst spät zurück; er berichtete, dass er im tiefsten Wald einem weißen Hirsch begegnet sei, der menschliche Worte sprach:
„Wer mich fängt, dem bringe ich Glück und Heil für das ganze Reich.“
Da sandte der König seine Söhne aus, nacheinander den Hirsch zu erjagen.
Der Älteste ritt mit glänzendem Schwert und stolzem Gefolge. Als er den Hirsch sah, bat dieser: „Schone mich und teile nur ein Stück Brot mit mir, so will ich dir dienen.“ Doch der Prinz lachte: „Ich füttere keine Tiere!“ Da stürzte sein Pferd, und er musste schmerzlich heimkehren.
Der Zweite zog mit Speer und Hunden. Wieder bat der Hirsch um ein Stück Brot und einen Schluck Wasser. Der Prinz aber sprach: „Ich gebe nichts, ich nehme nur!“ Da fuhren die Hunde auf ihn los, sodass er fliehen musste.
Endlich kam der Jüngste, der stille Prinz. Er hatte nur ein Stückchen Schwarzbrot in der Tasche. Als der Hirsch ihn bat, brach er es sogleich entzwei und sprach: „Teil mit mir, Freund, so bleibe ich nicht allein.“ Da verwandelte sich der Hirsch in einen alten Mann mit langem Bart.
Der sprach: „Weil du gütig bist, will ich dir helfen. Dreimal sollst du mich rufen, wenn Not dich trifft.“ Und er reichte dem Prinzen ein goldenes Horn.
Auf dem Heimweg verirrte sich der Jüngste in einer wilden Schlucht. Da blies er ins Horn, und sogleich stand der Hirsch wieder da, trug ihn sanft hinaus und zeigte ihm einen verborgenen Schatz.
Ein zweites Mal, als eine Räuberbande den Prinzen gefangen nahm, blies er ins Horn; der Hirsch kam, stieß mit mächtigen Geweihen, dass die Räuber flohen, und befreite ihn.
Ein drittes Mal, als die Prinzessin aus dem Nachbarreich von einem Drachen entführt ward, blies er in höchster Not ins Horn. Da sprang der Hirsch aus dem Wald hervor, schlug mit den Hufen, dass der Drache zu Boden fiel, und der Prinz konnte die Jungfrau erretten.
So brachte er sie heim, und der König sprach: „Nicht die Stärke der Waffen, sondern Güte und Demut haben dir das Reich bewahrt.“ Der Jüngste erhielt die Krone und die Prinzessin zum Weib, und das goldene Horn wurde in Ehren gehalten.
Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute im Segen des sprechenden Hirsches.
© 2025 Mario Eberlein