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Märchenbasar

Der Sturmzauber

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Ein Schiffsjunge war den ganzen Sommer über mit einem Kapitän auf Reisen gewesen, aber als sie sich zur Herbstausreise rüsteten, wurde er unruhig und wollte nicht mit. Der Kapitän konnte ihn gut leiden, denn obgleich er noch ein blutjunger Bursche war, wußte er doch an Bord recht gut Bescheid; er war ein großer und starker Kerl und scheute sich nicht, gehörig mit Hand anzulegen, wenn es darauf ankam; er schaffte fast wie ein Vollmatrose und brachte mit seiner Lustigkeit Leben in die ganze Besatzung; deshalb wollte ihn der Kapitän ungern entbehren. Aber der Junge hatte schlechterdings keine Lust, im Herbst auf den blauen Teich zu gehen; doch wollte er an Bord bleiben, bis sie geladen hätten und segelfertig wären. Eines Sonntags, als die Mannschaft an Land war und der Kapitän bei einem Waldbauern kleines Bauholz und Scheite als Decklast einhandeln wollte – vermutlich auf eigene Rechnung -, sollte der Bursche das Schiff bewachen. Aber das müßt ihr wissen, daß er ein Sonntagskind war und ein vierblättriges Kleeblatt gefunden hatte; deshalb war er hellsehend, er konnte die Unsichtbaren sehen, aber sie konnten ihn nicht sehen.
Wie er nun so in der Vorkajüte saß, hörte er innen sprechen. Er schaute durch einen Spalt, und da sah er drei kohlschwarze Raben innen auf den Decksbalken sitzen, und die sprachen über ihre Männer. Alle waren sie ihrer überdrüssig und dachten auf ihren Tod. Man sah gleich, daß es Hexen waren, die andere Gestalt angenommen hatten.
»Aber ist auch gewiß keiner hier, der uns zuhören könnte?« sagte die eine von diesen Krähen. Der Bursche hörte an der Sprache, daß es die Frau des Kapitäns war.
»Nein, du siehst es ja«, sagten die anderen, das war die Frau des Ersten und die des Zweiten Steuermanns, »hier ist keine Menschenseele an Bord.«
»Also will ich es sagen; ich weiß eine gute Art, sie loszuwerden«, sagte die Kapitänsfrau wieder und hüpfte näher zu den beiden anderen hin; »wir wollen uns in drei Sturzwellen verwandeln und sie über Bord spülen und das Schiff mit Mann und Maus zum Sinken bringen.«
Das gefiel den anderen auch; und sie saßen lange und sprachen über den Tag und das Fahrwasser. »Aber es kann uns doch gewiß keiner hören?« sagte die Kapitänsfrau noch einmal.
»Das weißt du ja«, sagten die beiden anderen.
»Ja, denn es gibt ein Mittel dagegen, und wenn das gebraucht wird, so geht es uns schlecht; dann kostet es uns nicht weniger als Leib und Leben.«
»Was ist denn das für ein Mittel, Schwester?« fragte die eine Steuermannsfrau.
»Ist es auch gewiß wahr, daß uns niemand zuhört? Ich meine, es rauchte jemand in der Vorkajüte.«
»Du weißt doch, wir haben in jeden Winkel geschaut. Sie haben nur vergessen, das Feuer in der Kombüse ausgehen zu lassen, deshalb raucht es«, sagte die Steuermannsfrau. »Also sag nur.«
»Wenn sie drei Klafter Birkenholz kaufen«, sagte die Hexe, »aber das Maß muß vollgemessen sein, und sie dürfen nicht darum feilschen – und sie werfen das eine Klafter Stück für Stück ins Wasser, wenn die erste Sturzwelle kommt, und das zweite Klafter Stück für Stück, wenn die zweite kommt, und das dritte Klafter Stück für Stück, wenn die dritte kommt, so ist es aus mit uns.«
»Ja, das ist wahr, Schwester, dann ist es aus mit uns! Dann ist es aus mit uns!« sagten die Steuermannsfrauen. »Aber es weiß es ja keiner«, riefen sie und lachten laut, und damit flogen sie zur Luke hinaus und schrien und krächzten wie die Raben.
Als es an die Ausreise ging, wollte der Schiffsjunge um keinen Preis der Welt mit; was auch der Kapitän ihm zuredete und versprach, es half nichts; er wollte um keinen Preis mit. Schließlich fragten sie, ob er sich fürchte, weil es auf den Herbst zugehe, und sich lieber hinter dem Ofen in Mutters Schürze verkriechen wolle. Nein, sagte der Bursch, Angst habe er nicht, und sie hätten wohl noch nie solche Landrattenstreiche von ihm gesehen; das wolle er ihnen auch zeigen, denn nun gehe er mit, aber das wolle er sich ausbedingen, daß drei vollgemessene Klafter Birkenholz gekauft würden und daß er an einem bestimmten Tag kommandieren dürfe, als sei er selbst der Kapitän. Der Kapitän fragte, was das für eine Narretei sei und ob er jemals gehört hätte, daß man einem Schiffsjungen das Kommando eines Schiffes anvertraut habe. Aber der Junge antwortete, das sei ihm gleich; wenn sie nicht die drei Klafter Birkenholz kaufen und ihm gehorchen wollten, als sei er der Kapitän, nur einen einzigen Tag lang – den Tag solle der Kapitän und die Mannschaft im voraus zu wissen bekommen -, so werde er das Schiff mit keinem Fuß mehr betreten, und noch viel weniger würde er dort jemals wieder Pech oder Teer an die Hände bekommen. Dem Kapitän kam die Sache kurios vor, aber schließlich gab er nach, weil er den Burschen mithaben wollte, und er dachte sich auch wohl, er werde wieder zu Verstand kommen, wenn sie erst einmal unterwegs wären. Der Steuermann war derselben Ansicht. »Laßt ihn nur ruhig kommandieren! Wenn es gar zu schiefgeht, so werden wir ihm schon helfen«, sagte er. Also wurde das Birkenholz gekauft, vollgemessen und ungefeilscht, und sie stachen in See.
Als der Tag anbrach, an dem der Schiffsjunge kommandieren sollte, war das Wetter ruhig und schön; aber er trommelte die ganze Mannschaft heraus und ließ die ganzen Segel bis auf ein winziges Stückchen reffen. Der Kapitän und die Mannschaft lachten dazu und sagten: »Da kann man sehen, was für einer das Kommando hat; sollen wir nicht auch noch das letzte Segel reffen?« – »Noch nicht«, sagte der Schiffsjunge, »aber in einer kleinen Weile.«
Da kam auf einmal eine Bö daher und gleich so heftig, daß sie glaubten, sie würden kentern, und wenn sie nicht die Segel gerefft hätten, so wären sie ohne Zweifel untergegangen, als die erste Sturzwelle über das Schiff brauste. Der Bursche befahl, sie sollten das erste Klafter Birkenholz über Bord werfen, aber Stück für Stück, eins nach dem andern, niemals zwei, und die anderen zwei Klafter dürften sie nicht anrühren. Jetzt gehorchten sie ihm aufs Wort und lachten nicht mehr, sondern warfen Stück für Stück das Birkenholz hinaus. Als das letzte fiel, hörten sie ein Stöhnen wie von einem, der mit dem Tode ringt, und da war die Bö schon vorbei.
»Gott sei Dank!« sagte die Besatzung – und der Kapitän sagte: »Das will ich aber der Reederei zu wissen tun, daß du Schiff und Ladung gerettet hast!«
»Das ist schon recht, aber wir sind noch nicht fertig«, sagte der Bursche, »es kommt noch viel schlimmer«, und er hieß sie jeden Fetzen festbinden, auch den Rest vom großen Marssegel. Die zweite Bö kam noch gewaltiger als die erste, und sie war so böse und heftig, daß die ganze Besatzung Angst hatte. Als es am schlimmsten war, sagte der Bursche, sie sollten nun das zweite Klafter über Bord werfen; und sie warfen Stück für Stück hinaus und gaben wohl acht, daß sie nichts vom dritten Klafter nahmen. Als das letzte Stück fiel, hörten sie wieder ein tiefes Stöhnen, und dann wurde es ruhig. »Nun kommt noch ein Ansturm, und das ist der schlimmste«, sagte der Bursche und kommandierte jeden auf seinen Posten, und am Schiff war kein Tau mehr los.
Die letzte Bö kam noch viel heftiger als die beiden ersten; das Schiff legte sich über, daß sie glaubten, es würde sich nicht mehr aufrichten, und die Sturzwelle ging über das Deck.
Aber der Bursche hieß sie das letzte Klafter Holz über Bord werfen, Stück für Stück und nicht zwei auf einmal. Als das letzte Holzstück fiel, hörten sie ein tiefes Stöhnen wie von einem, der einen schweren Tod stirbt, und als es ruhig wurde, war die ganze See mit Blut gefärbt, so weit sie sehen konnten.
Als sie an Land kamen, sprachen der Kapitän und der Steuermann davon, daß sie an ihre Frauen schreiben wollten. »Das könnt ihr ruhig bleiben lassen«, sagte der Schiffsjunge, »ihr habt ja doch keine Frauen mehr.«
»Was faselst du da, du Grünschnabel! Haben wir denn keine Frauen?« sagte der Kapitän. – »Oder hast du sie am Ende gar umgebracht?« sagte der Steuermann.
»Nein, das haben wir alle zusammen besorgt«, gab der Junge zur Antwort und erzählte, was er an jenem Sonntag, als er das Schiff bewachte, gehört und gesehen hatte, als die Mannschaft an Land war und der Kapitän bei dem Holzbauern Extrafracht einhandelte.
Als sie heimkamen, erfuhren sie, daß ihre Frauen am Tag vor dem Unwetter verschwunden seien, und seitdem hatte niemand etwas von ihnen gesehen oder gehört.

[Norwegen: Klara Stroebe: Nordische Volksmärchen]

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