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Märchenbasar

Der Süß-Sauerkirschbaum

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Es war einmal ein Zwillingspaar. Das Mädchen hieß Kicherliese und der Junge hieß Lachaugust. Beide waren sehr lustig und freuten sich des Lebens. Liese kicherte bei jeder Gelegenheit und August lachte oft aus tiefster Seele.
Eines Tages kam die Hexe Unfreundlich am Haus der Zwillinge vorbei und hörte sie juchzen und lachen. So etwas konnte sie nicht ertragen und hielt an, um nachzuschauen. Als sie die Kinder sah, holte sie aus ihrem Korb frische, dunkelrote Süßkirschen hervor und gab sie den Zwillingen. Da es eigentlich noch gar keine Kirschen gab, ließen sie sich die Köstlichkeit gut schmecken und lachten dabei. Doch aus dem Lachen wurde plötzlich Weinen. Die Süßkirschen waren Zauberfrüchte, die das Gegenteil bewirkten, von dem, was man gerade gedachte zu tun. So lebten die beiden Kinder nun sehr unglücklich und hatten es in ihrem Leben nicht einfach. Die Eltern suchten mit ihnen viele Ärzte auf, doch keiner konnte helfen. Kicherliese wurde von ihren Freundinnen nur noch Heulsuse gerufen. Darüber ärgerte sich das Mädchen sehr. Ihrem Bruder ging es nicht anders, er wurde in der Schule verspottet und man rief ihn Jammerlappen.

Eines Tages in den Sommerferien besuchten die Zwillinge ihre Tante. Sie wohnte mitten in einer Obstplantage. Die Tante begrüßte ihren Neffen und ihre Nichte mit einem kleinen Korb voller Kirschen. Doch die Kinder wollten sie nicht essen. Sie hatten Angst, dass sie vielleicht Zwerge oder Riesen werden könnten und erzählten, was geschehen war.
„Seitdem können wir nicht mehr lachen“, endete Kicherliese leise.
Da sprach die Tante: „Ich habe von solch einer Verzauberung schon gehört. In unserem Ort wohnt eine alte, weise Frau. Wir werden morgen zu ihr gehen.“

Am nächsten Tag gingen alle drei zum Haus der alten, weisen Frau. Sie begrüßte die Kinder sehr freundlich. Die Tante erzählte, was geschehen war und fragte, was man dagegen unternehmen kann. Da sprach die alte Frau: „Ihr beide seid verzaubert worden von dem Baum der Süß-Sauerkirsche. Dieser Baum wächst im Reich der bösen Hexe Unfreundlich. Aber das Reich liegt weit von hier entfernt. Ihr müsst durch drei Länder wandern. Dort aber warten viele Gefahren auf euch. Von dem Baum müsst ihr die hellroten Sauerkirschen pflücken und verspeisen. Erst dann bekommt ihr euer freundliches Wesen zurück.
Als Kicherliese das hörte, fing sie gleich an zu weinen und Lachaugust liefen ebenfalls Tränen aus den Augen.
„Wie kommen wir dort hin?“, fragte der Junge und wischte sich die Tränen mit dem Ärmel seines Hemdes ab.
„Ich habe ein Hündchen, das kennt den Weg dort hin und wird euch führen und beschützen, denn er kann mehr als nur bellen“, setzte sie hinzu und zwinkerte belustigt mit den kleinen, schwarzen Augen. Liese und August nahmen dankend an und beide streichelten den goldfarbenen kleinen Hund, der sich seiner Aufgabe voll bewusst war.

Zurück im Haus der Tante rüsteten sie sich für den langen Weg zum Reich der Hexe Unfreundlich. Am nächsten Tag wanderten sie los mit Rucksäcken voller Nahrung und anderen nützlichen Dingen. Der Hund lief voraus und zeigte ihnen wie versprochen den Weg.
Unverhofft stand plötzlich der Troll Ambrus vor ihnen. Er sah gefährlich aus und fragte die Kinder, was sie in seinem Wald zu suchen hätten. Die beiden waren ehrlich und erzählten dem Waldgeist ihre Geschichte. Als sie endete, lief er grün an und schimpfte auf die Hexe. Dann aber wurden seine Gesichtszüge weich und er sagte: „Ich werde euch helfen!“, schnippte mit den Fingern und plötzlich stand eine Droschke mit vier Pferden wie aus dem Nichts da. Ambrus bat sie einzusteigen, er selbst setzte sich auf den Kutschbock. Das war etwas anderes als das mühsame Wandern über Stock und Stein. Der kleine Hund bellte vor Vergnügen.

An der Grenze zum Reich des Riesen Ganzgroß hielt er an, hieß die Kinder mit ihrem Hund aussteigen und sagte: „Vor dem Riesen braucht ihr keine Angst zu haben, er fürchtet sich vor kleinen Hunden.“
Kicherliese und Lachaugust bedankten sich herzlich und betraten das Reich von Ganzgroß. Nach einer kurzen Wegstrecke kam der große Kerl auch schon auf sie zugetobt. Er war weder freundlich noch zornig, solch kleine Leute hatte er noch nie gesehen, klatschte in die Hände und fragte neugierig: „Wer seid ihr denn?“
Kicherliese erschrak über den Krach und befahl dem Hündchen zu bellen. Der Riese wich ängstlich zurück, drehte sich um und rannte davon. So wanderten die Kinder und das Hündchen durch das Riesenland und überschritten nach drei Tagen die Grenze zum Land des Zauberer Tubala. Unmittelbar neben der Grenzschranke stand das Häuschen der Fee Arwen. Sie winkte den Wanderern zu und lud sie auf eine Rast zu sich ein. Auch ihr erzählten die Kinder von der Untat der Hexe. Die Fee gab Kicherliese und Lachaugust je einen Hut und sagte: „Ich will euch helfen! Schaut her! Das sind nicht irgendwelche Hüte. Wenn ihr sie aufsetzt, kommt ihr unbehelligt durch das Reich des Zauberers Tubala. Ohne sie würde euch der Zauberer in weinende Bäume verwandeln. Das Hündchen aber, Lachaugust, setze auf deinen Kopf und stülpe den Hut darüber. Der Zauberer würde ihn sonst riechen und ihr würdet nicht weit kommen. Nun geht und kommt bald als glückliche Kinder wieder zurück!“

Nun mussten sie nur noch durch das Land des großen Drachen Faldobat.
„Wie kommen wir da unbehelligt dadurch?“, fragte Lachaugust seine Schwester. Da fing das Hündchen an zu bellen und sprach: „Ich werde das schon machen! Kommt einfach hinter mir her!“ Schon trippelte er davon, die Kinder liefen ihm nach. Wie aus dem Boden gestampft stand das Untier plötzlich vor ihnen. Da verwandelte sich das Hündchen flugs in eine Wespe und flog ins Ohr des Drachen. Ein gut gezielter Stich brachte Faldobat zum Jaulen und Winseln. Er krümmte sich vor Schmerzen. Die Wespe begann nun im Ohr des Drachen laut zu singen, obendrein so fürchterlich falsch, dass ihm die Kochen zitterten. Dann sprach die Wespe: „Wenn du willst, dass ich aufhöre, musst du die beiden Kinder durch dein Land zum Reich der Hexe Unfreundlich bringen. Machst du es nicht, dann steche ich dich noch einmal und singe bis dir das Trommelfell platzt.“
Da bekam der Drache Angst, hieß die Kinder auf seinen Rücken steigen und flog eilig durch sein Imperium, wobei der Flugwind sein geschundenes Ohr kühlte. An der Grenzmarke zum Reich der Hexe ließ er die Kinder herunter. Die Wespe flog aus dem Ohr des Drachen und verwandelte sich wieder in das goldfarbene Hündchen.

Nun hatten sie ihr Ziel erreicht. Nach geraumer Zeit kamen sie in einen Wald, in dem ein großes Haus stand. Davor saß die Hexe Unfreundlich und fing Fliegen, die ihr besonders gut schmeckten. Sofort versteckten sich die Kinder mit dem Hündchen hinter einer der dicken Eichen. Aus der Ferne sahen sie, dass vor dem Haus ein großer Kirschbaum stand. Der Baum trug auf einer Seite hellrote Kirschen und auf der anderen dunkelrote. Das musste der Süß-Sauerkirschbaum sein.
„Wie kommen wir an die Kirschen heran?“, flüsterte Kicherliese.
„Das weiß ich noch nicht“, antwortete das Hündchen. Doch da kam ihnen eine Schar Stare zu Hilfe. Sie flogen auf den Kirschbaum und pickten an den Früchten herum, so dass etliche herunterfielen. Schnell bückten sich die Kinder und steckten sich die hellroten Sauerkirschen in den Mund. Sofort fiel der Zauber von ihnen ab und sie sahen sich glücklich an. Im selben Moment bekam die Hexe fürchterliches Ohrensausen und sie wusste, dass einer ihrer Zauber aufgehoben wurde. Sie schnappte ihren Besen und flog zur Kirschbaumspitze, doch da sah sie nur Stare, die sich an den Kirschen labten. Wütend wollte sie die Vögel mit Hexerei vertreiben, doch der Zauber wirkte an Tieren nicht. Die schwarzen Vögel fraßen alle Früchte ab. Die Hexe fing fürchterlich an zu kreischen, denn bis zur nächsten Kirschernte konnte sie nun nicht mehr hexen.
„Die Viecher haben mir aber ganz sicher nicht dieses Ohrensausen verursacht“, murmelte sie, suchte mit ihren scharfen Augen die Umgebung ab und erblickte die Kinder mit dem Hündchen. Wütend steuerte sie ihren Besen auf sie zu und wollte schon Kicherliese an einem ihrer Zöpfe greifen. Doch das Hündchen verwandelte sich – hast du nicht gesehen – in einen Wolf und biss die Hexe ins Bein, sodass sie vor Schmerz von ihrem Besen fiel und nicht mehr aufsteigen und davonfliegen konnte. Der Wolf schnappte sich den Besen und knurrte die Alte böse an. Das war zuviel für die Hexe. So schnell es ging, humpelte sie zurück in ihr Hexenhaus und verriegelte alle Türen, da sie sich vor dem Tier fürchtete. Den Kindern konnte sie nichts anhaben, schließlich hatte sie weder Süßkirschen noch ihren Besen.
Der Wolf sah, dass Kicherliese und Lachaugust mit verwunderten Augen und offenen Mündern stock und steif dastanden, stupste sie freundlich mit seiner grauen Schnauze sachte an und verwandelte sich wieder in das Hündchen. Dem Leben wieder zugewandt setzten sich die drei auf den Besen und hiu ging es in Richtung Heimat. Unterwegs machten sie Rast auf einer Waldwiese, da ihr Reiseutensil doch recht ungewohnt und nicht so leicht zu handhaben war.
Plötzlich sahen sie am Himmel bunte Lichter und eine weiße Kutsche gezogen von vier Schimmeln flog auf sie zu. Es war der Waldtroll Ambrus. Er stieg aus der Kutsche, begrüßte die Kinder und sprach: „Die Fee Arwen schickt mich. Ich bin gekommen, um euch nach Hause zu bringen. Steigt nur ein! So werde ihr auch nicht mehr dem Drachen Faldobat, dem bösen Zauberer Tubala und auch nicht dem Riesen Granzgroß begegnen. Das Hündchen werde ich der alten Frau zurückgeben und die Tarnhüte meiner Freundin, der Fee Arwen.“
Die Kinder stiegen glücklich ein und unterwegs wurde wieder fröhlich und laut gelacht.

Zuhause freuten sich die Eltern von Kicherliese und Lachaugust, dass alles so gut ausgegangen war. Der Vater nahm den Hexenbesen, zersägte ihn in sieben gleiche Teile, steckte sie in den Küchenherd. Und oh Wunder, einmal entzündet, brannte das Feuer so lange sie lebten lustig vor sich hin.
Die Hexe war ohne ihren Besen bewegungslos geworden und konnte nun keine Süßkirschen mehr verteilen und Kinder verzaubern. Vor Wut darüber alterte sie so schnell, dass sie schon bald vom Teufel geholt wurde und nun in der Hölle für ihre Sünden bis in alle Ewigkeit büßen muss.

Quelle: Friedrich Buchmann

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