2.3
(3)
Es war einmal ein Sultan, dessen Macht weit reichte. Sein Land war gross. Er hatte viele Soldaten von allerlei Art. Zwei Kinder hatte er, zwei Mädchen, von denen die eine verheiratet, die andere aber noch ledig war.
Da trat Abu Nuwasi auf und sagte zu den Leuten: »Ich werde hingehen und mich um die Tochter des Sultans bewerben.« Die Leute versuchten ihn abzuhalten, er aber sagte: »Ich verstehe Eure Worte nicht.« Nun fragten ihn jene: »Wirst Du selbst hingehen oder jemand schicken oder einen Brief senden?« Er sagte: »Ich werde selbst hingehen.«
Er wartete den Tag der Gerichtssitzung ab, als sich viele Leute versammelt hatten, um sich dem Sultan zu nähern, und sprach zu ihm: »Sultan, ich bin zu Dir gekommen, ich möchte Deine Tochter zur Frau.« Als er diese Worte gesprochen, geriet der Sultan in grossen Zorn und befahl den Soldaten, den Abu Nuwasi zu töten. Da sprang Abu Nuwasi auf, fiel dem Vezier des Sultans zu Füssen und bat ihn ihn zu retten. Der Sultan sagte: »Dieser hat mich sehr beschimpft, aber da Du, mein Vezier, Dich sehr für ihn verwendest und seine Verzeihung erbittest, habe ich ihm verziehen; aber ich will, dass er nicht hier bleibe, sondern mein Land verlasse.« Er wurde aus der Stadt vertrieben und begab sich in ein anderes Land.
Da ereignete sich in der Stadt des Sultans etwas Sonderbares. Nach der Seite des Meeres zu erschien etwas im Wasser mit zwei Händen und streckte zehn Finger aus und zeigte sie denen, die in der Stadt waren. Die Leute waren alle erstaunt, schickten Nachricht zum Sultan und sagten ihm: »Am Strande ist ein Wunder zu sehen, es ist ein Ding, das zehn Finger im Meere ausstreckt.« Der Sultan ging hin und sah, dass es wahr war. Nun verlangte er nach den Gelehrten, die jedes Wunder deuten. Sie konnten es jedoch nicht lösen, es überstieg die Kunst aller Zauberer.
Da erschien ein Soldat und sagte zum Sultan: »Wenn Abu Nuwasi in Deinem Lande wäre, der würde jenes Wunder erkannt haben«. »Sofort,« sagte der Sultan zu seinem Vezier, »schickt Boten und ruft den Abu Nuwasi, er soll zur Stadt zurückkommen und uns dies sagen und seine Deutung geben.« Alsbald wurden Boten ausgesandt den Abu Nuwasi herbeizurufen. Er aber schickte die Antwort: »Ich kann nicht kommen, denn ich fürchte mich, der Sultan ruft mich, um mich zu hintergehen; er will mich töten.« Und er erhielt die Antwort: »Es geschieht Dir kein Leid, komme nur.«
So begab er sich auf den Weg, und als er zum Sultan kam, gab dieser ihm Bericht von der Sache. Abu Nuwasi sagte: »Ich habe verstanden, aber, wenn ich nun die Deutung jenes Wunders richtig erkannt habe, was erhalte ich dann als Dank?« Der Sultan sagte: »Ich werde Dir meine Tochter, um welche Du früher angehalten hast, zur Frau geben.« Er sagte: »Gut, Sultan, ich willige ein, bringt mich zum Strande, damit ich es sehe.« Sie brachten ihn zum Strande, und als er hinsah, bemerkte er ein Ding, das zehn Finger ausstreckte. Abu Nuwasi streckte nun neun Finger hoch, darauf zog das Wesen seine Hände zurück und streckte nachher acht Finger hoch. Abu Nuwasi zeigte sieben Finger, da streckte das Wesen sechs Finger hoch; er zeigte fünf, das Wesen vier Finger; er zeigte drei, das Wesen zwei Finger. Schliesslich streckte Abu Nuwasi einen Finger hoch und das Wunder verschwand.
Nun kehrten sie zur Stadt zurück, und der Sultan fragte: »Abu Nuwasi, gieb mir Auskunft, was ist die Deutung des Wunders?« Er sagte: »Das Wunder ist gekommen um zu fragen: ›Giebt es ein Geheimnis unter zehn Leuten?‹ Ich antwortete ihm: ›Es giebt keins, auch nicht unter neun.‹ Es sagte: ›Vielleicht unter acht?‹ Ich antwortete: ›Nicht einmal unter sieben.‹ Es sagte: ›Auch nicht unter sechs?‹ Ich antwortete: ›Nicht einmal unter fünf.‹ Es fragte weiter: ›Auch nicht unter vier?‹ Ich antwortete: ›Nicht einmal unter drei.‹ Und es sagte: ›Auch nicht unter zwei?‹ Ich antwortete: ›Selbst bei einem einzelnen Menschen giebt es kein Geheimnis‹. Da verschwand es. Das ist das Wunder, das zu Euch gekommen ist.«
Der Sultan glaubte ihm, und die Hochzeitsfeier seiner Tochter mit Abu Nuwasi war grossartig. Abu Nuwasi blieb meist zu Hause, jedoch schlief er nicht bei seiner Frau, noch wohnte er sonst mit ihr zusammen. Eines Tages wurde dem Sultan die Nachricht hinterbracht: »Jener Mann, welchem Du Dein Kind verheiratet hast, er und Deine Tochter leben nicht wie Mann und Frau.« Der Sultan sagte: »Ruft mir ihn, er soll herkommen.« Er wurde herbeigerufen, und der Sultan sagte ihm: »Ich habe Dir meine Tochter zur Frau gegeben, warum schläfst und wohnst Du nicht mit ihr zusammen?« Abu Nuwasi sagte: »Ich habe zuerst Deinen Befehl abgewartet, denn ich fürchtete mich.« Darauf sagte der Sultan: »Gut, ich befehle es Dir.«
Abu Nuwasi ging nun nach Hause, schlief mit seiner Frau zusammen und feierte die eigentliche Hochzeit. Er erhielt die Hälfte der Stadt und ihre Leute dazu. Er lebte in Frieden mit seiner Frau und genoss grosses Ansehen beim Sultan wegen der Deutung jenes Wunders mit den zehn Fingern.
Abu Nuwasi hatte ihnen die richtige Lösung gegeben: »Unter zehn Leuten giebt es kein Geheimnis und einer allein kann auch kein Geheimnis bewahren.« Hat jemand ein Geheimnis, so bekommt er sicherlich einen Freund, dem er es mitteilen wird, und dieser erzählt es seinem Freunde. Auf diese Weise wird es nach aussen getragen, so dass bald alle es wissen.
Da trat Abu Nuwasi auf und sagte zu den Leuten: »Ich werde hingehen und mich um die Tochter des Sultans bewerben.« Die Leute versuchten ihn abzuhalten, er aber sagte: »Ich verstehe Eure Worte nicht.« Nun fragten ihn jene: »Wirst Du selbst hingehen oder jemand schicken oder einen Brief senden?« Er sagte: »Ich werde selbst hingehen.«
Er wartete den Tag der Gerichtssitzung ab, als sich viele Leute versammelt hatten, um sich dem Sultan zu nähern, und sprach zu ihm: »Sultan, ich bin zu Dir gekommen, ich möchte Deine Tochter zur Frau.« Als er diese Worte gesprochen, geriet der Sultan in grossen Zorn und befahl den Soldaten, den Abu Nuwasi zu töten. Da sprang Abu Nuwasi auf, fiel dem Vezier des Sultans zu Füssen und bat ihn ihn zu retten. Der Sultan sagte: »Dieser hat mich sehr beschimpft, aber da Du, mein Vezier, Dich sehr für ihn verwendest und seine Verzeihung erbittest, habe ich ihm verziehen; aber ich will, dass er nicht hier bleibe, sondern mein Land verlasse.« Er wurde aus der Stadt vertrieben und begab sich in ein anderes Land.
Da ereignete sich in der Stadt des Sultans etwas Sonderbares. Nach der Seite des Meeres zu erschien etwas im Wasser mit zwei Händen und streckte zehn Finger aus und zeigte sie denen, die in der Stadt waren. Die Leute waren alle erstaunt, schickten Nachricht zum Sultan und sagten ihm: »Am Strande ist ein Wunder zu sehen, es ist ein Ding, das zehn Finger im Meere ausstreckt.« Der Sultan ging hin und sah, dass es wahr war. Nun verlangte er nach den Gelehrten, die jedes Wunder deuten. Sie konnten es jedoch nicht lösen, es überstieg die Kunst aller Zauberer.
Da erschien ein Soldat und sagte zum Sultan: »Wenn Abu Nuwasi in Deinem Lande wäre, der würde jenes Wunder erkannt haben«. »Sofort,« sagte der Sultan zu seinem Vezier, »schickt Boten und ruft den Abu Nuwasi, er soll zur Stadt zurückkommen und uns dies sagen und seine Deutung geben.« Alsbald wurden Boten ausgesandt den Abu Nuwasi herbeizurufen. Er aber schickte die Antwort: »Ich kann nicht kommen, denn ich fürchte mich, der Sultan ruft mich, um mich zu hintergehen; er will mich töten.« Und er erhielt die Antwort: »Es geschieht Dir kein Leid, komme nur.«
So begab er sich auf den Weg, und als er zum Sultan kam, gab dieser ihm Bericht von der Sache. Abu Nuwasi sagte: »Ich habe verstanden, aber, wenn ich nun die Deutung jenes Wunders richtig erkannt habe, was erhalte ich dann als Dank?« Der Sultan sagte: »Ich werde Dir meine Tochter, um welche Du früher angehalten hast, zur Frau geben.« Er sagte: »Gut, Sultan, ich willige ein, bringt mich zum Strande, damit ich es sehe.« Sie brachten ihn zum Strande, und als er hinsah, bemerkte er ein Ding, das zehn Finger ausstreckte. Abu Nuwasi streckte nun neun Finger hoch, darauf zog das Wesen seine Hände zurück und streckte nachher acht Finger hoch. Abu Nuwasi zeigte sieben Finger, da streckte das Wesen sechs Finger hoch; er zeigte fünf, das Wesen vier Finger; er zeigte drei, das Wesen zwei Finger. Schliesslich streckte Abu Nuwasi einen Finger hoch und das Wunder verschwand.
Nun kehrten sie zur Stadt zurück, und der Sultan fragte: »Abu Nuwasi, gieb mir Auskunft, was ist die Deutung des Wunders?« Er sagte: »Das Wunder ist gekommen um zu fragen: ›Giebt es ein Geheimnis unter zehn Leuten?‹ Ich antwortete ihm: ›Es giebt keins, auch nicht unter neun.‹ Es sagte: ›Vielleicht unter acht?‹ Ich antwortete: ›Nicht einmal unter sieben.‹ Es sagte: ›Auch nicht unter sechs?‹ Ich antwortete: ›Nicht einmal unter fünf.‹ Es fragte weiter: ›Auch nicht unter vier?‹ Ich antwortete: ›Nicht einmal unter drei.‹ Und es sagte: ›Auch nicht unter zwei?‹ Ich antwortete: ›Selbst bei einem einzelnen Menschen giebt es kein Geheimnis‹. Da verschwand es. Das ist das Wunder, das zu Euch gekommen ist.«
Der Sultan glaubte ihm, und die Hochzeitsfeier seiner Tochter mit Abu Nuwasi war grossartig. Abu Nuwasi blieb meist zu Hause, jedoch schlief er nicht bei seiner Frau, noch wohnte er sonst mit ihr zusammen. Eines Tages wurde dem Sultan die Nachricht hinterbracht: »Jener Mann, welchem Du Dein Kind verheiratet hast, er und Deine Tochter leben nicht wie Mann und Frau.« Der Sultan sagte: »Ruft mir ihn, er soll herkommen.« Er wurde herbeigerufen, und der Sultan sagte ihm: »Ich habe Dir meine Tochter zur Frau gegeben, warum schläfst und wohnst Du nicht mit ihr zusammen?« Abu Nuwasi sagte: »Ich habe zuerst Deinen Befehl abgewartet, denn ich fürchtete mich.« Darauf sagte der Sultan: »Gut, ich befehle es Dir.«
Abu Nuwasi ging nun nach Hause, schlief mit seiner Frau zusammen und feierte die eigentliche Hochzeit. Er erhielt die Hälfte der Stadt und ihre Leute dazu. Er lebte in Frieden mit seiner Frau und genoss grosses Ansehen beim Sultan wegen der Deutung jenes Wunders mit den zehn Fingern.
Abu Nuwasi hatte ihnen die richtige Lösung gegeben: »Unter zehn Leuten giebt es kein Geheimnis und einer allein kann auch kein Geheimnis bewahren.« Hat jemand ein Geheimnis, so bekommt er sicherlich einen Freund, dem er es mitteilen wird, und dieser erzählt es seinem Freunde. Auf diese Weise wird es nach aussen getragen, so dass bald alle es wissen.
[Afrika: Ostafrika. Märchen der Welt]