Der goldene Herbst, der vor der Tür stand, wurde also in jeder Beziehung zu einer goldenen Zeit. Wie versessen schmückte sie den Hof, ließ das Dach ausbessern, den Dachstuhl neu streichen, die Böden schrubben, die Stuben putzen bis in die entlegensten Winkel, in denen der Schmutz von Jahrzehnten saß. Alles sollte blitzblank und einladend sein für den Zukünftigen, schließlich war er ein Städter und hatte einen anderen Begriff von Reinlichkeit. Die Woche einmal bekam sie ein Briefchen, indem der ferne Geliebte ihr neuerlich seine Liebe gestand, die nunmehr, da er sie endlich kennengelernt habe, beträchtlich gewachsen sei, so daß er den Tag der Vermählung kaum noch erwarten könne. Die Blätter an den Bäumen verfärbten sich, der See der unterhalb des Hofes lag einsam, immer öfter schwebten weißliche Nebelwolken über dem Wasser, es wurde kälter, der erste Rauhreif überzog die Felder, dann kamen die Herbststürme und fegten das restliche Laub von den Ästen. Die häßliche Bäurin saß schon längst zu Hause und wußte nicht, was sie noch alles tun sollte, um sich die Zeit zu vertreiben. Immer schwerer wurde ihr das Warten, schon waren die Einladungen verschickt und die Köche bestellt. Zwar gab es einige Frömmler, die am Hochzeitstermin etwas auszusetzen hatten, ja der Pfarrer weigerte sich rundheraus, die Trauung am Christabend vorzunehmen, aber was beschwerte sie das? – Es kamen Leute genug, denen die Speisekarte, die sie der Einladung beigelegt hatte, mehr zu Gesicht stand als der Kirchenkalender. Zudem schrieb der Herr Bräutigam aus München, er werde sich selbst einen Geistlichen mitnehmen, bei ihm in der Großstadt verstehe man sich besser darauf, die Zeichen der Zeit zu erkennen und sich den Wünschen der Menschen anzupassen. Wie er sich nur ausdrücken kann! – dachte sie und sprach fortan von den „Zeichen der Zeit“ und den „Wünschen der Menschen“, wenn jemand meinte, es bedeute vielleicht einen Frevel, die Hochzeit an einem Tag zu begehen, da Gott im Himmel Menschengestalt angenommen habe, um die Welt aus ihrem Leiden zu erlösen. Wohl schrieb sie es in ihrem Brief, wie sie die Gewohnheit angenommen hatte, jede Woche ein Packen eingeschriebener Seiten nach München zu schicken. Der Mann ließ sich nicht irremachen, er antwortete postwendend: Wenn Gott das Leiden in die Welt nicht hineingetan hätte, müßte er es auch nicht herausholen. Das kam ihr doch zu lästerlich vor, und sie sagte es niemanden.
So wurde es Dezember, Weihnachten rückte näher, gegen Ende November hatte es ausgiebig geschneit, wenn kein Südwind aufkam, wie es im letzten Jahr geschehen war, bestand die Hoffnung, daß der Schnee liegenblieb. Die Nächte waren kalt, der Himmel sternenklar, in den Hof der hässlichen Bäurin war Ruhe eingekehrt: alles war getan, den Bräutigam würdig zu empfangen. Da geschah es, drei Tage vor der Hochzeit und damit drei Tage vor der Heiligen Nacht, daß im Tennen des Hofes, an welcher Stelle genau, das wurde niemals bekannt, weit nach Mitternacht ein Feuer ausbrach: in kürzester Zeit wurde das eingelagerte Heu erfasst, noch ehe einer im Haus ein Knistern vernahm, hatten die Flammen den vorderen, nach Westen gerichteten Wohnteil erfasst. Die Hitze riß ein Loch ins Dach, begleitet von einem dumpfen Knall, im hohen Bogen flogen Ziegel auf den vereisten Weg vom Stall zur Tränke hinab. Das Feuer schlug hoch, jetzt hatte es Luft, fauchend schossen die Flammen aus den Heustöcken herauf, in der Luft begann es zu sausen, Wind kam auf und wirbelte über den Schnee. Jetzt erst ging ein Licht an in einer der Kammern, das Fenster wurde aufgemacht, jemand streckte den Kopf heraus, viel zu langsam ging alles, sekundenlang war es still, dann ertönte der Schrei: „Feuer, Jesses, Feuer!“ aber es war schon zu spät, viel zu spät. Bis die Leute vom Dorf heraufkamen, war der Hof bis auf den Grund abgebrannt. Mägde und Knechte standen in Decken gehüllt vor den glimmenden Resten des Hauses, bisher hatten sie, gleichsam gedankenverloren, in die Flammen gestarrt. Nein, nein, sie wollte nicht weinen, wie es alle erwarteten, sie wollte nicht alles sein lassen und verzweifeln, gar noch bereuen, wofür? Daß sie nicht leben durfte, daß ein blindes Schicksal oder ein missgünstiger Gott sie daran hinderten, das Mindeste zu haben, was allen anderen zugestanden wurde? Eine ohnmächtige Wut packte sie, sie reckte die Fäuste zum Himmel und schrie: „Nur daß ihr es wisst, die Hochzeit findet statt, und weil der Hof jetzt abgebrannt ist, übersiedeln wir alle auf den See hinunter, dort lassen wir das Eis glänzen, daß das Fest gleich ein zweifaches wird, so werden die Lichter erstrahlen, das schwör ich, so wahr ich hier stehe!“ „Du bist meiner würdig“, sagte der Bräutigam, als er angereist kam und erfuhr, wie seine Braut sich entschieden hatte. In aller Eile wurde der Schnee aus der Mitte des Sees gekehrt, das bläuliche Eis tauchte auf, darin waren Luftblasen gefroren, man breitete Teppiche darüber, um die Kälte von unten und die Wärme von oben, wo die Tafel aufgestellt war, abzuhalten. Der Schnee, am Rande des weitläufigen Kreises aufgeschüttet, wurde gestampft und darauf riesige Holzhaufen gestapelt. Sie sollten am Abend aufgeschüttet werden und die Luft innerhalb des Kreises erwärmen. Die Speisen wurden am Ufer zubereitet und in Schlitten zu den Tischen geführt. Bevor das Gelage begann, trat der Franziskanerpater unter die Leute, den der Bräutigam aus München mitgenommen hatte. Er forderte die Gäste auf, Platz zu nehmen. Als sich alle gesetzt hatten, stellte er sich vor das Brautpaar hin, welches in der Mitte des U – förmigen saß, und sprach: „Da alle Kirchen heute zu einem anderen Gebrauch bestimmt sind, soweit mir bekannt ist, aber nichts in der Heiligen Schrift steht, was eine Vermählung an diesem Abend verbietet, haben wir und auf die größte aller Kirchen für unsere Feier erwählt: die Natur! Seht hin auf das strahlende Eis, auf das Weiß des Schnees, auf den schwarzen Wald – sie sind die heiligsten und beständigsten Zeugen, die ihr euch wünschen könnt.“ Und noch viele Worte machte der Pater, bis er das Sakrament stiftete. Die Bäurin war zu Tränen gerührt, der Bräutigam schaute vornehm drein, und ließ alles in Würde über sich ergehen. Dann aber begann das Festmahl, Schnaps wurde gereicht, um alle aufzuwärmen, es folgte die Suppe, die Vorspeise, die Hauptspeise, die Nachspeise, und zuletzt, beim Kaffee war es schon soweit, daß man von überall her, zwar leise, aber deutlich vernehmbar, die Glocken läuten hörte, welche zur Mitternachtsmette luden.
Da verstummte die ausgelassene Gesellschaft, alle lauschten dem Läuten, sonst war nichts zu vernehmen, niemand bewegte sich, die Flammen der Kerzen und Fackeln brannten gerade nach oben, ihr Licht spiegelte sich am Eis, das man inmitten der Tische freigelassen hatte, um nach dem Gastmahl zu tanzen. So erstrahlte die Fläche vom hundertfachen Lichts, das ringsum aufgesteckt war. Auf dieses Licht schauten die Leute und wurden durch den Klang der Glocken in eine andere Stimmung versetzt, plötzlich wußten sie alle, daß an diesem Abend doch Weihnachten war, da mochten sie noch so ausgiebg Hochzeit feiern.
Dem Bräutigam aber gefiel diese Besinnlichkeit gar nicht, er sprang auf, warf die Serviette auf seinen Teller und rief: „So, Musik her, jetzt wird getanzt“, und er nahm die Hand seiner Braut riß sie hoch, trat zurück, daß die beiden Stühle umfielen, ging um die Tafel herum, stellte sich mitten aufs Eis, noch immer sprach niemand, noch immer starrten sie vor sich hin, da rief er noch einmal: „Musik“, und da erklang ein lustiger Tanz und übertönte die Glocken, und der Bräutigam drehte die Braut, und die Braut drehte sich mit ihm, gewann wieder ein kleines Stück Schönheit dazu. Jetzt beugten sich die Leute einander zu, und sie sagten: „Wie weltgewandt er ist!“ oder: „Wieviel Geld er wohl hat!“ Immer schneller spielte die Musik, auch die drei Musiker hatte der Bräutigam aus München mitgebracht, immer schneller wirbelte das Paar herum. „Hör auf, ich kann schon nicht mehr!“ rief die Braut, der Bräutigam lachte, dann rief sie noch: „Ich fall gleich hin!“ und er rief: „Ich halt dich schon!“ und noch schneller spielten die Musiker. Da sahen die Leute, daß er sie trug, daß ihre Füße schon nicht mehr den Boden berührten. „Ein starker Mann“ sagten sie und nickten voll Anerkennung. Und noch schneller wurde der Tanz, als habe ein Sturmwind die Töne erfasst, als hetzte er sie fort, immer wilder und schneller, da war es tatsächlich ein Wind, der blies die Kerzen aus, und auf einmal war es stockdunkel. Da verstummte die Musik, ein Sausen war zu vernehmen, ein grelles Lachen, und der Bräutigam fuhr mit der Braut in den Armen zwischen den Leuten hindurch, warf sie zur Seite. Da begann es an allen Ecken und Enden zu krachen, der Boden schwankte, das Krachen und Brechen wurde lauter, lief unter den Teppichen hindurch, die Tische sanken, das Wasser brach ein, die Leute schrien, liefen auseinander, aber es ging zu schnell, viel zu schnell, niemand konnte sich retten: der See tat sich auf und verschlang sie mit Stühlen, Tischen und allen Köstlichkeiten, das Eiswasser schlug über ihnen zusammen, noch hörte man, da alles vorbei war, das Läuten der Mitternachtsglocken, die zur Mette luden, auf einer Eisscholle, die vereinzelt dahintrieb, lagen Brautschleier und Brautstrauß: das war es, was vom Fest übrigblieb. Das Unglück sprach sich noch in derselben Nacht herum, in den Kirche wurde für die Toten gebetet, dabei verbreitete sich das Gerücht unter den Leuten, der Herr Bräutigam sei der Teufel gewesen, der Pater und die drei Musiker, die ganze Münchner Gesellschaft eben, seine verwandlungsreichen Gesellen. Wer weiß es? – Auferstanden ist keiner, um die Frage zu klären.
Deutschland Ignaz Zingerle