Suche

Märchenbasar

Der Tanz in der Christnacht

0
(0)
Im Unterinntal, wo die reichen Bauern ihre Höfe haben, lebte am Reinthaler See eine Bäurin, die war die reichste weit und breit, und dennoch war sie nicht glücklich. Vater und Mutter waren verstorben, Geschwister hatte sie keine, und so lebte sie einsam, denn bei all ihrem Geld wollte sie niemand zur Frau, sie war nämlich häßlich, so häßlich, daß kein Mensch ihren Anblick ertrug, ohne von Ekel befallen zu werden. Oft saß sie einsam in ihrem Zimmer, betrachtete sich im Spiegel, spie aus, so widerwärtig fand sie sich selbst, knirschte mit den Zähnen vor Wut, an anderen Tagen weinte sie, flehte zum Himmel, daß er auch jemanden sende, den sie lieben könne und von dem sie wiedergeliebt würde. Ihr ganzes Geld hätte sie darum gegeben, alles, wenn sie durch irgend etwas ansehnlicher geworden wäre. So vergingen die Jahre, die Bäurin wurde zwar älter, aber nicht schöner, ihre Sehnsucht nach Liebe allerdings von Tag zu Tag größer. Ich nehm einen jeden, sagte sie sich, es muß nur ein Mann sein, und wie sie es sagte, wandte sich ihr Geschick, sie wagte es nicht, daran zu glauben. Eines Tages kam den langen, sanft geschwungenen Weg zum Hof herauf eine Kutsche, heraus stieg ein Herr im Jägersgewand, am Kopf einen grünen Hut mit Auerhahnfedern, die der Wind hin und her blies, er ließ die Bäurin vors Haus rufen, stellte sich hin und sprach freiweg: „Die längste Zeit hab ich dich rühmen hören, deinen Fleiß, deinen Reichtum, nur haben die Leute gesagt: eine Schönheit ist sie nicht. Und was seh ich, du bist ja hübsch, zwar schon reifer als ein frisch gebrütetes Küchlein, aber eine Vergnügung für einen Mann, der schon so viel gesehen hat, daß er hinter dem Zauber der Jugend nur mehr die Mühsal des Alters erkennt.“ Die also Angesprochene glaubte, man erlaube sich einen Scherz mit ihr, drehte sich um und wollte ins Haus laufen. Schon stand der fremde Mann neben ihr, nahm sie am Arm, schaute sie liebevoll an, daß sie stehenblieb, und als er erst sagte, er sei eigens aus München gekommen, da war sie verwirrt und den Tränen nahe, und rief: „Bist du denn blind, siehst du nicht, welch Auswurf der Natur ich bin, wie häßlich, wie schrecklich häßlich!“ Der Jäger lachte galant und erwiderte: „Was weißt du, liebe Frau? Wenn in dem einen Land die Frau eine Schönheit ist, weil sie beleibt ist und die Männer ihre quellenden Formen lieben, so gilt sie in einem anderen als eine Vettel, oder wenn man sie hier verehrt und ihre schlanke Gestalt lobpreist, so sagt man anderswo: diese Bohnenstange, dieses Knochengeklapper, Schönheit und Hässlichkeit, was ist das? Ich habe lange genug gelebt, daß ich dahinter zu sehen vermag, und was ich bei dir sehe, das ist ein Herz, daß sich nach Liebe sehnt und sich, wenn es geliebt wird, in Liebe verzehrt, ist es nicht so?“ Die häßliche Bäurin wurde verlegen, neigte den Kopf, was konnte sie einer solchen Gewandtheit des Ausdruckes entgegenhalten, nur das eine; wie unendlich schön es wäre, wie beglückend, wenn der Herr aus München die Wahrheit spräche. Sie bat ihn ins Haus, zumindenst das letztere wollte sie herausfinden. Und wer auf ihrem Hof arbeitete, konnte es bestätigen: es scheint ihr nicht schwergefallen zu sein. Gegen Abend ging sie mit ihrem Gast zur Kutsche, Arm in Arm, dann erhielt sie einen Kuß auf die Wange, sie winkte dem Wagen noch nach, als er schon längst verschwunden war, ihr Gesicht strahlte, ja wurde sogar um ein klein wenig schöner, dennoch blieb es häßlich genug. Sie verging vor Glück, endlich hatte sich ihr sehnlichster Wunsch erfüllt, und es war einer gekommen und hatte ihr seine Liebe gestanden und sie um die Hand gebeten. Und was war das für ein Herr! Reich und gebildet, belesen, weitgereist, gewandt. Und sie hatte er auserwählt, sie! Wie war das nur möglich? Ihr Herz war randvoll von Glück und Freude. Wegen des weiten Weges von München her und weil der Zukünftige noch Geschäftliches erledigen mußte, bevor er zu ihr ziehen konnte, hatten sie den Hochzeitstermin bereits festgesetzt, es störte sie nicht, das dies etwa schnell ging für hiesige Sitten, auch nicht, daß der schöne Herr Bräutigam darauf bestand, die Ehe am Christabend zu feiern. Jetzt oder nie, dachte sie sich.

Der goldene Herbst, der vor der Tür stand, wurde also in jeder Beziehung zu einer goldenen Zeit. Wie versessen schmückte sie den Hof, ließ das Dach ausbessern, den Dachstuhl neu streichen, die Böden schrubben, die Stuben putzen bis in die entlegensten Winkel, in denen der Schmutz von Jahrzehnten saß. Alles sollte blitzblank und einladend sein für den Zukünftigen, schließlich war er ein Städter und hatte einen anderen Begriff von Reinlichkeit. Die Woche einmal bekam sie ein Briefchen, indem der ferne Geliebte ihr neuerlich seine Liebe gestand, die nunmehr, da er sie endlich kennengelernt habe, beträchtlich gewachsen sei, so daß er den Tag der Vermählung kaum noch erwarten könne. Die Blätter an den Bäumen verfärbten sich, der See der unterhalb des Hofes lag einsam, immer öfter schwebten weißliche Nebelwolken über dem Wasser, es wurde kälter, der erste Rauhreif überzog die Felder, dann kamen die Herbststürme und fegten das restliche Laub von den Ästen. Die häßliche Bäurin saß schon längst zu Hause und wußte nicht, was sie noch alles tun sollte, um sich die Zeit zu vertreiben. Immer schwerer wurde ihr das Warten, schon waren die Einladungen verschickt und die Köche bestellt. Zwar gab es einige Frömmler, die am Hochzeitstermin etwas auszusetzen hatten, ja der Pfarrer weigerte sich rundheraus, die Trauung am Christabend vorzunehmen, aber was beschwerte sie das? – Es kamen Leute genug, denen die Speisekarte, die sie der Einladung beigelegt hatte, mehr zu Gesicht stand als der Kirchenkalender. Zudem schrieb der Herr Bräutigam aus München, er werde sich selbst einen Geistlichen mitnehmen, bei ihm in der Großstadt verstehe man sich besser darauf, die Zeichen der Zeit zu erkennen und sich den Wünschen der Menschen anzupassen. Wie er sich nur ausdrücken kann! – dachte sie und sprach fortan von den „Zeichen der Zeit“ und den „Wünschen der Menschen“, wenn jemand meinte, es bedeute vielleicht einen Frevel, die Hochzeit an einem Tag zu begehen, da Gott im Himmel Menschengestalt angenommen habe, um die Welt aus ihrem Leiden zu erlösen. Wohl schrieb sie es in ihrem Brief, wie sie die Gewohnheit angenommen hatte, jede Woche ein Packen eingeschriebener Seiten nach München zu schicken. Der Mann ließ sich nicht irremachen, er antwortete postwendend: Wenn Gott das Leiden in die Welt nicht hineingetan hätte, müßte er es auch nicht herausholen. Das kam ihr doch zu lästerlich vor, und sie sagte es niemanden.

So wurde es Dezember, Weihnachten rückte näher, gegen Ende November hatte es ausgiebig geschneit, wenn kein Südwind aufkam, wie es im letzten Jahr geschehen war, bestand die Hoffnung, daß der Schnee liegenblieb. Die Nächte waren kalt, der Himmel sternenklar, in den Hof der hässlichen Bäurin war Ruhe eingekehrt: alles war getan, den Bräutigam würdig zu empfangen. Da geschah es, drei Tage vor der Hochzeit und damit drei Tage vor der Heiligen Nacht, daß im Tennen des Hofes, an welcher Stelle genau, das wurde niemals bekannt, weit nach Mitternacht ein Feuer ausbrach: in kürzester Zeit wurde das eingelagerte Heu erfasst, noch ehe einer im Haus ein Knistern vernahm, hatten die Flammen den vorderen, nach Westen gerichteten Wohnteil erfasst. Die Hitze riß ein Loch ins Dach, begleitet von einem dumpfen Knall, im hohen Bogen flogen Ziegel auf den vereisten Weg vom Stall zur Tränke hinab. Das Feuer schlug hoch, jetzt hatte es Luft, fauchend schossen die Flammen aus den Heustöcken herauf, in der Luft begann es zu sausen, Wind kam auf und wirbelte über den Schnee. Jetzt erst ging ein Licht an in einer der Kammern, das Fenster wurde aufgemacht, jemand streckte den Kopf heraus, viel zu langsam ging alles, sekundenlang war es still, dann ertönte der Schrei: „Feuer, Jesses, Feuer!“ aber es war schon zu spät, viel zu spät. Bis die Leute vom Dorf heraufkamen, war der Hof bis auf den Grund abgebrannt. Mägde und Knechte standen in Decken gehüllt vor den glimmenden Resten des Hauses, bisher hatten sie, gleichsam gedankenverloren, in die Flammen gestarrt. Nein, nein, sie wollte nicht weinen, wie es alle erwarteten, sie wollte nicht alles sein lassen und verzweifeln, gar noch bereuen, wofür? Daß sie nicht leben durfte, daß ein blindes Schicksal oder ein missgünstiger Gott sie daran hinderten, das Mindeste zu haben, was allen anderen zugestanden wurde? Eine ohnmächtige Wut packte sie, sie reckte die Fäuste zum Himmel und schrie: „Nur daß ihr es wisst, die Hochzeit findet statt, und weil der Hof jetzt abgebrannt ist, übersiedeln wir alle auf den See hinunter, dort lassen wir das Eis glänzen, daß das Fest gleich ein zweifaches wird, so werden die Lichter erstrahlen, das schwör ich, so wahr ich hier stehe!“ „Du bist meiner würdig“, sagte der Bräutigam, als er angereist kam und erfuhr, wie seine Braut sich entschieden hatte. In aller Eile wurde der Schnee aus der Mitte des Sees gekehrt, das bläuliche Eis tauchte auf, darin waren Luftblasen gefroren, man breitete Teppiche darüber, um die Kälte von unten und die Wärme von oben, wo die Tafel aufgestellt war, abzuhalten. Der Schnee, am Rande des weitläufigen Kreises aufgeschüttet, wurde gestampft und darauf riesige Holzhaufen gestapelt. Sie sollten am Abend aufgeschüttet werden und die Luft innerhalb des Kreises erwärmen. Die Speisen wurden am Ufer zubereitet und in Schlitten zu den Tischen geführt. Bevor das Gelage begann, trat der Franziskanerpater unter die Leute, den der Bräutigam aus München mitgenommen hatte. Er forderte die Gäste auf, Platz zu nehmen. Als sich alle gesetzt hatten, stellte er sich vor das Brautpaar hin, welches in der Mitte des U – förmigen saß, und sprach: „Da alle Kirchen heute zu einem anderen Gebrauch bestimmt sind, soweit mir bekannt ist, aber nichts in der Heiligen Schrift steht, was eine Vermählung an diesem Abend verbietet, haben wir und auf die größte aller Kirchen für unsere Feier erwählt: die Natur! Seht hin auf das strahlende Eis, auf das Weiß des Schnees, auf den schwarzen Wald – sie sind die heiligsten und beständigsten Zeugen, die ihr euch wünschen könnt.“ Und noch viele Worte machte der Pater, bis er das Sakrament stiftete. Die Bäurin war zu Tränen gerührt, der Bräutigam schaute vornehm drein, und ließ alles in Würde über sich ergehen. Dann aber begann das Festmahl, Schnaps wurde gereicht, um alle aufzuwärmen, es folgte die Suppe, die Vorspeise, die Hauptspeise, die Nachspeise, und zuletzt, beim Kaffee war es schon soweit, daß man von überall her, zwar leise, aber deutlich vernehmbar, die Glocken läuten hörte, welche zur Mitternachtsmette luden.

Da verstummte die ausgelassene Gesellschaft, alle lauschten dem Läuten, sonst war nichts zu vernehmen, niemand bewegte sich, die Flammen der Kerzen und Fackeln brannten gerade nach oben, ihr Licht spiegelte sich am Eis, das man inmitten der Tische freigelassen hatte, um nach dem Gastmahl zu tanzen. So erstrahlte die Fläche vom hundertfachen Lichts, das ringsum aufgesteckt war. Auf dieses Licht schauten die Leute und wurden durch den Klang der Glocken in eine andere Stimmung versetzt, plötzlich wußten sie alle, daß an diesem Abend doch Weihnachten war, da mochten sie noch so ausgiebg Hochzeit feiern.
Dem Bräutigam aber gefiel diese Besinnlichkeit gar nicht, er sprang auf, warf die Serviette auf seinen Teller und rief: „So, Musik her, jetzt wird getanzt“, und er nahm die Hand seiner Braut riß sie hoch, trat zurück, daß die beiden Stühle umfielen, ging um die Tafel herum, stellte sich mitten aufs Eis, noch immer sprach niemand, noch immer starrten sie vor sich hin, da rief er noch einmal: „Musik“, und da erklang ein lustiger Tanz und übertönte die Glocken, und der Bräutigam drehte die Braut, und die Braut drehte sich mit ihm, gewann wieder ein kleines Stück Schönheit dazu. Jetzt beugten sich die Leute einander zu, und sie sagten: „Wie weltgewandt er ist!“ oder: „Wieviel Geld er wohl hat!“ Immer schneller spielte die Musik, auch die drei Musiker hatte der Bräutigam aus München mitgebracht, immer schneller wirbelte das Paar herum. „Hör auf, ich kann schon nicht mehr!“ rief die Braut, der Bräutigam lachte, dann rief sie noch: „Ich fall gleich hin!“ und er rief: „Ich halt dich schon!“ und noch schneller spielten die Musiker. Da sahen die Leute, daß er sie trug, daß ihre Füße schon nicht mehr den Boden berührten. „Ein starker Mann“ sagten sie und nickten voll Anerkennung. Und noch schneller wurde der Tanz, als habe ein Sturmwind die Töne erfasst, als hetzte er sie fort, immer wilder und schneller, da war es tatsächlich ein Wind, der blies die Kerzen aus, und auf einmal war es stockdunkel. Da verstummte die Musik, ein Sausen war zu vernehmen, ein grelles Lachen, und der Bräutigam fuhr mit der Braut in den Armen zwischen den Leuten hindurch, warf sie zur Seite. Da begann es an allen Ecken und Enden zu krachen, der Boden schwankte, das Krachen und Brechen wurde lauter, lief unter den Teppichen hindurch, die Tische sanken, das Wasser brach ein, die Leute schrien, liefen auseinander, aber es ging zu schnell, viel zu schnell, niemand konnte sich retten: der See tat sich auf und verschlang sie mit Stühlen, Tischen und allen Köstlichkeiten, das Eiswasser schlug über ihnen zusammen, noch hörte man, da alles vorbei war, das Läuten der Mitternachtsglocken, die zur Mette luden, auf einer Eisscholle, die vereinzelt dahintrieb, lagen Brautschleier und Brautstrauß: das war es, was vom Fest übrigblieb. Das Unglück sprach sich noch in derselben Nacht herum, in den Kirche wurde für die Toten gebetet, dabei verbreitete sich das Gerücht unter den Leuten, der Herr Bräutigam sei der Teufel gewesen, der Pater und die drei Musiker, die ganze Münchner Gesellschaft eben, seine verwandlungsreichen Gesellen. Wer weiß es? – Auferstanden ist keiner, um die Frage zu klären.

Deutschland Ignaz Zingerle

Wie hat dir das Märchen gefallen?

Zeige anderen dieses Märchen.

Gefällt dir das Projekt Märchenbasar?

Dann hinterlasse doch bitte einen Eintrag in meinem Gästebuch.
Du kannst das Projekt auch mit einer kleinen Spende unterstützen.

Vielen Dank und weiterhin viel Spaß

Skip to content