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Märchenbasar

Der Teufel im Faßhahnen

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Eine Prinzessin, die Tochter des mächtigsten Kaisers, war in die Jahre gekommen, da sie sich vermählen konnte, und ihr Vater wünschte, daß sie sich einen Gatten wähle. Es erschienen auch wirklich viele Prinzen und andere vornehme Herren am Hofe und warben um die Hand der liebenswürdigen Prinzessin. Diese war aber eine leidenschaftliche Tänzerin und wollte keinen anderen zum Gemahl nehmen als den, der sie im Tanzen überträfe. Sie selbst tanzte so schön, aber auch so rasend, daß keiner, der es mit ihr wagte, so lange aushielt wie sie. Mancher Fürstensohn fiel tot im Saale nieder, mancher verließ lungensüchtig den Hof, und viele hohe Herren zogen heimlich wieder davon, wenn sie sich überzeugt hatten, wie furchtbar die schöne Kaiserstochter tanzte.
Monate waren vergangen, und noch immer sah der Kaiser seine geliebte Tochter unverheiratet. Deshalb ließ er in seiner Hauptstadt und im ganzen Lande öffentlich bekanntmachen, jeder, welcher sich getraue, seine Tochter im Tanzen zu übertreffen, solle sich melden, und der erste, dem sie sich ergebe, solle sie zur Frau bekommen, er möge sein, wes Standes er wolle. Daraufhin versammelten sich wieder viele große Herren, auch allerlei Leute, hoch und nieder, am kaiserlichen Hof, und jeder gedachte die schöne Prinzessin im Tanz zu übertreffen. Der Kaiser ließ also wieder ein großes, prachtvolles Fest veranstalten, welches viele Tage dauern und wobei jeden Abend beim Scheine von viel tausend Lichtern und Fackeln getanzt werden sollte.
Viele hatten sich bereits müde und krank oder gar tot getanzt, und noch immer war die Prinzessin unübertroffen. Da drängte sich plötzlich durch die festlichen Reihen ein unbekannter Fremdling, welcher mit der Prinzessin zu tanzen verlangte. Sie bekam, als sie ihn sah, Abscheu vor ihm und weigerte sich, mit ihm zu tanzen; der Kaiser aber, welcher sehr gerechtigkeitsliebend war, nötigte sie, und bald sah man die Prinzessin mit dem Fremden so toll im Saal umhertanzen, daß man bald merkte, die tanzwütige Kaiserstochter habe nunmehr ihren Meister gefunden. Wirklich rief sie auch nach einiger Zeit um Hilfe, weil sie erschöpft und dem Tode nahe war und ihr Tänzer sie durchaus nicht loslassen wollte. Jetzt erhob sich der Kaiser und befahl dem Fremden einzuhalten, dieser aber kehrte sich wenig daran und schwang seine Tänzerin immer noch mit sich den ganzen Saal entlang, auf und ab, bis ihr der Atem ausging und ihr die Füße versagten. Nun warf er sie ohnmächtig zu den Füßen des Kaisers am Throne nieder und sagte höhnisch: »Nimm hier deine Tochter! Ich könnte sie mir nach meinem Rechte wohl nehmen, aber ich bin kein Freund von so armseligem Plunder. Das Unheil rechne dir selber zu, alter Tor, warum hast du der Laune deines Kindes keinen Zügel angelegt! Vor dem tollen Rasen aber, das deinen Palast bis jetzt erfüllt hat, will ich Ruhe schaffen für ewige Zeiten. Du und deine Tochter und dein ganzer Hof, dein Palast und die ganze Stadt mit allem, was darin lebt, sollen in Stein erstarren. So lange wird über euch allen der Zauber liegen, bis einer kommt und mich überwindet.«
Als der Teufel, denn kein anderer war der Fremde, so sprach, ergriff den Kaiser und alle anderen ein solcher Schrecken, daß ihr Blut gerann und sie zu Stein erstarrten; auch die Prinzessin lag versteinert zu den Füßen des alten Kaisers am Throne. Über den ganzen Palast und die volkreiche Stadt erging der steinerne Bann, so daß weit und breit sich nichts mehr regte.
Tausend Jahre waren vergangen, da geriet zufällig ein lustiger Geselle in die Gegend, wo sich mitten in einer Wildnis die versteinerte Stadt mit ihrem prächtigen Palaste befand. Es war zwar alles ausgestorben, er mußte sich über die Anzahl von Steinbildern wundern, die er allenthalben fand. Anstatt zierlicher Gärten sah er zwischen den Häusern nur einzelne verwilderte Waldstücke gelagert, in denen sich ganze Schwärme von Raben, Krähen und Raubvögeln eingenistet hatten. Der lustige Geselle ließ sich aber dadurch nicht irremachen, sondern schritt geradezu auf den Palast los, ging dort unerschrocken durch alle Hallen und Gänge, scheute sich vor keiner Türe, konnte aber nirgends etwas Lebendes finden. Endlich gelangte er in die Küche, wo er am Spieß einen Braten stecken fand, drunter aber lag ein Häuflein toter Asche. Als er die Speise näher betrachtete, fand er auch sie, trotz ihrer täuschenden Farbe, von Stein. Halb lachend, halb unmutig brach er seinen Stock entzwei und machte ein Feuer darunter, indem er zu sich sprach: »Vielleicht kann ich doch mit Gottes Hilfe den Braten weichbringen.« Kaum stiegen aber die ersten Rauchwolken durch den Schornstein hinauf, so fiel ein sehr mageres Menschenbein herab, welches übrigens der unerschrockene Koch sorglos beiseite schob. Wie er aber sah, daß das Fleisch am Feuer nur schwärzer, aber nicht weicher werden wollte, schlug er es auf dem gepflasterten Fußboden in Stücke und steckte an den leeren Spieß das herabgefallene Menschenbein. Nicht lange dauerte es, so fiel aus dem Kamin noch ein zweites, gleichfalls abgemagertes Menschenbein herab. »Wahrlich«, sagte der lustige Geselle, »sonderliche Küchenstücke in diesem Königsschloß; ich hätte doch gedacht, daß man sich zum Räuchern hier fettere Schinken auserlesen würde!« Kaum hatte er aber dies gesprochen, so fielen ein Paar ebenso magere Arme und endlich ein ganzer Rumpf herab, an dem ein Kopf mit einem widrigen Gesichte hing. Der wälzte sich zu den Armen, die am Boden lagen, drückte je einen derselben an die Achsel, so daß er sitzen blieb, ergriff dann mit den Händen das eine Bein und setzte sichs an, endlich zog er gar das andere vom Spieß weg und stand so als vollständige Menschengestalt vor dem lustigen Gesellen.
Dieser ließ sich aber keinen Schrecken einjagen, sondern sprach: »Wer bist du? Gib Antwort, sonst reiß auch ich dir den halb gebratenen Schinken wieder aus, wie du ihn mir genommen hast.« – »Mit Erlaubnis, Herr Prahlhans, diese Beine sind mein«, war die Antwort, »ich habe sie im Schornstein aufgehängt, weil sie vom weiten Gang etwas ermüdet und angelaufen waren.« – »Angelaufen«, sagte lachend der Spaßvogel, »angelaufen! Wahrlich, dies sieht man ihnen nicht an, sie müssen demnach schon lange hängen.« – »Das geht dich alles nichts an«, entgegnete der Unheimliche hierauf, »schere dich um deine Beine und nicht um die anderer Leute. Überhaupt nimm dich in acht mit deiner losen Zunge, denn wisse, ich bin der Teufel und dieses Schlosses Herr, und wenn du hier Gast sein willst, mußt du mit mir kämpfen.«
»Gut«, sprach der lustige Geselle, »morgen werden wir kämpfen. Für heute aber muß ich dich bitten, daß du mir als deinem Gast in diesem unwirtlichen Schloß etwas zu essen und zu trinken gibst, denn ich bin hungrig und durstig von der langen Reise.« Der Teufel war bereit, seinen Wunsch zu erfüllen, und führte ihn hinab in den ungeheuren Keller des Palastes. Dort öffnete der lustige Geselle einen der Hahnen, aus dem der herrlichste Wein sprang, und trank nach Herzenslust. Als er den Hahn wieder schloß, spottete der Kellermeister über ihn und sagte, wenn er morgen nicht besser fechte, als heute trinke, so hätte er besser getan, er wäre daheimgeblieben. Der lustige Geselle erwiderte darauf: »Wenn du sehen willst, wie ich trinken kann, so gehe mit mir einen Wettstreit ein, welcher von uns beiden ein großes Faß am reinsten aussäuft.« – »Hui!« rief der Teufel, »so ist’s recht! Leg du dich unter jenes Faß, und ich mache mich an dieses daneben, sie enthalten beide auf den Tropfen gleich viel. Wenn es dir so recht ist, du Großmaul, so mag der Kampf auf Tod und Leben gehen, wir ersparen dann den morgigen Zweikampf.« – »Mir gefällt der Vorschlag«, versetzte der lustige Geselle hierauf, »es sei, wie du sagst.«
Jeder begab sich nun unter sein Faß, der Fremde heiter und unbesorgt, der Teufel aber schlau nach seinem Gegner schielend. Dieser drehte den Hahn nur ein klein wenig, so daß der Wein kaum tropfenweise lief, dabei stellte er sich aber, als ob er ungeheure Züge hinunterschlucke. Der Teufel lachte hierüber verschmitzt, setzte ein wenig ab und rief: »Trink nur, du Tölpel, das letzte vom Wein ziehst du doch nicht heraus, denn der muß im Hahn hängenbleiben. Ich dagegen stehe dafür, daß kein Tröpfchen übrigbleibt: ich stecke mich in den Hahn hinein und mache so das Faß rein trocken.« Mit diesen Worten zog er sich immer dünner zusammen, so daß er endlich ganz bequem in die dünne Hahnenröhre hineinschlüpfen konnte. Darauf hörte der lustige Geselle nur noch, daß etwas mächtige Schlücke machte; schnell war er jetzt besonnen, sprang auf, drehte den Hahn, in welchen der Teufel geschlüpft war, zu, und rief: »Hab ich dich nun, du dummer Teufel!« Da fing der Teufel an, entsetzlich zu schreien, zu winseln und zu fluchen; allein der lustige Geselle kehrte sich nicht daran, sondern verließ den Keller, um womöglich seinen Hunger zu stillen, da er nun nicht mehr durstig war. Doch wie staunte er, als er wieder durch die Gemächer des Palastes schritt und alles von buntestem Leben erfüllt fand. Die zahllosen Steinbilder, über die er kurz vorher so gestaunt hatte, sah er jetzt lebendig und lustig durcheinanderrennen. Die Stellen, an denen die verwilderten Waldstücke um den Palast herum und zwischen den Häusern der Stadt nur wilde Vögel, Raben und Krähen beherbergt hatten, waren in die prächtigsten Gärten verwandelt, deren Blumenpracht das Auge ergötzte. Auch sah er, wie auserlesene, herrlich duftende Speisen von reich gekleideten Dienern hin und her getragen wurden. Alle Gemächer und Gänge, die er durchschritt, waren mit frischen Blumen geschmückt, besonders schön aber prangte der Hauptsaal des Palastes, in welchen er jetzt gelangte. Von beiden Seiten rauschte herrliche Musik, nach welcher prächtig geschmückte Menschen fröhlich tanzten. Oben im Saal, unter einem Thronhimmel, saßen der Kaiser und die Kaiserin, und zu ihren Füßen erblickte er, halb sitzend, halb auf den Thronstufen knieend, die Prinzessin. Sie hatte ihren Kopf in den Schoß der Kaiserin, ihrer Mutter, gestützt, und Tränen im Auge; sie sah aus, als wäre sie eben von einem bösen Traum erwacht, in welchem sie ihre Eltern tief gekränkt hatte. Ihr feuchter Blick machte aber die unvergleichlich schöne Jungfrau noch viel bezaubernder, so daß der Fremdling alles, was um ihn her vorging, und das Erstaunen über seinen sonderbaren Aufzug gar nicht mehr bemerkte, sondern nur zum Thron zu gelangen trachtete. Als der Kaiser, dem sein ganz fremdartiges Kleid ebenfalls auffiel, ihn auch bemerkte, rief er ihn vor sich, fragte ihn, wer er sei, wo er herkomme und wie er in diese Hallen geraten sei. »Hoher Herr!« erwiderte hierauf der lustige Geselle, »wie ich hierhergekommen bin, kann ich nicht sagen, ebensowenig als ob ich träume oder wache. Laß mich aber erzählen, was ich von meiner Geschichte weiß.« Der Kaiser gab hierauf ein Zeichen zu allgemeiner Stille, der Fremdling erzählte alles, gerade so, wie er es wußte, und schloß endlich mit dem Abenteuer, wobei er den Teufel in einen Faßhahn gesperrt hatte, worüber sich der Kaiser des Lachens nicht enthalten konnte und auch alle Umstehenden ihren lauten Beifall bezeugten. Der Kaiser war nun sehr neugierig zu wissen, ob es sich mit dem eingesperrten Teufel wirklich so verhalte, und begab sich sogleich mit dem Erzähler und einigen von seinem Hofstaate in die Keller, wo ihn dann auch das Fluchen und Schelten des eingesperrten Teufels hinlänglich überzeugte, daß der Fremde nicht gelogen hatte.
Als der Kaiser wieder in den Saal zurückgekommen war, ließ er abermals Stille gebieten und hub folgendermaßen an: »Ihr alle, die ihr hier gegenwärtig seid, werdet euch wohl erinnern, wie ich sowohl hier in meiner Hauptstadt als auch im ganzen Lande bekanntmachen ließ, daß der, welcher meine liebe Tochter, die Prinzessin, im Tanzen überträfe, dieselbe zur Gemahlin bekommen solle. Viele haben sich bei dieser Brautwerbung Krankheit und Tod geholt, bis endlich jener Unheimliche kam, der meine Tochter im Tanzen mehr als nur übertraf, sie zuletzt verächtlich von sich warf und einen grausen Fluch über uns alle verhängte. Nun ist aber dieser Fremdling erschienen, hat den Feind besiegt und uns erlöst. Daher ist es billig, daß er der Gemahl meiner Tochter werde und dereinst, wenn ich sterbe, nach mir Zepter und Krone trage. Daher will und gebiete ich, daß ihr ihm alle zur Stunde huldigt.« Nachdem das geschehen war, führte der gute, alte Kaiser den glücklichen, lustigen Gesellen zu der Kaiserin, und aus deren Hand empfing er nun die Prinzessin, die nicht lange bedurfte, um seine hübschen Züge tausendmal feiner zu finden als aller derer, die sich am Hofe ihres Vaters befanden. Ohne das Fest zu unterbrechen, ordnete man die Trauung an, und der lustige Geselle lebte mit der schönen Prinzessin, die ihre Tanzwut völlig abgelegt hatte, bis an sein Ende glücklich, ohne sich im geringsten darum zu bekümmern, daß er aus seinem Zeitalter um tausend Jahre zurückversetzt war.

[Rumänien: Arthur und Albert Schott: Rumänische Volkserzählungen aus dem Banat]

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