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Es war einmal eine Mutter und ihr Sohn, die lebten friedlich und fromm, mußten aber ihrer Armut wegen mit klarem Tranke und schmaler Kost vorlieb nehmen. Sie hatten zwei Kühlein im Stalle und oft ging es ihnen so nahe, daß sie fast die Tiere verkaufen mußten. Da hatten sie wieder einmal recht schlechte Zeiten, und die Mutter sagte zum Sohne: »Geh, verkauf doch eine Kuh! Wenn wir ein bischen Geld haben, können wir uns doch wieder einmal rühren und wenn wir gescheidt damit umgehen, schaut vielleicht doch etwas heraus.« Der Sohn tat, wie sie sagte, und fuhr am andern Tage mit der Kuh auf den Markt. Er verkaufte sie leicht und bekam schönes Geld dafür, viel mehr als er gehofft hatte. Auf dem Heimwege kam er durch einen lutherischen Ort, da sah er auf einer Mauer einen Toten liegen und neben dem Toten einen Stecken. Jedermann, der vorbeiging, nahm den Stecken und schlug damit auf den Toten. Das Ding kam dem Burschen sonderbar vor und er fragte einen der Vorbeigehenden, was denn der Tote und der Stecken und die Prügel zu bedeuten haben? »Ja,« hieß es, »der Tote ist ein Katholischer, der hat Schulden zurückgelassen und muß nun so lange auf der Mauer liegen und sich prügeln lassen, bis er alles bezahlt hat.« »Wie groß sind denn seine Schulden?« fragte mitleidig der Jüngling. Sie sagten es ihm und er machte ihnen den Antrag, die Schuld auszubezahlen, wenn sie ihm den Leichnam abtreten wollten. Sie waren gern bereit dazu und er zahlte ihnen das Geld auf den Heller aus. Dann ließ er den Toten auf geweihtem Erdreich begraben und ihm alles halten, wie es ein Katholischer nach seinem Tode zu haben wünscht. Aber das Ding alles miteinander kostete ihm so viel, daß er von dem gelösten Gelde keinen Kreuzer mehr übrig hatte und wie ein Schneider heimgehen mußte. Als er nach Hause kam, fragte ihn die Mutter: »Wie stehts, hast du die Kuh gut verkauft?« »O ja, ich bin sie leicht ahnig geworden und habe mehr dafür gekriegt, als wir gemeint haben.« »Wo hast du dann das Geld?« »Das Geld habe ich schon verbraucht, um einen Toten loszukaufen, den die Lutherischen seiner Schulden wegen geprügelt haben.« »Ja, mein Sohn, das ist freilich ein gutes Werk, aber was sollen wir jetzt anfangen, wenn wir kein Geld haben?« »Seid nur nicht verzagt, Mutter! Wir haben ja noch eine Kuh im Stalle, die auch was eintragen kann. Es ist ja nächstens Markt, dort will ich das Kühlein hinführen und gut anzubringen suchen.« »Es ist wohl hart, gar keine Kuh mehr im Stalle zu haben, aber wenn es nicht anders sein kann, verkauf halt die zweite auch noch und schau, daß du einen ordentlichen Kreuzer dafür lösest!« In etlichen Tagen fuhr der Sohn auf den Markt und brachte die Kuh ohne Anstand an Mann. Er bekam weit mehr dafür, als er gehofft hatte, und machte sich nun wohlgemut auf den Heimweg. Er war nicht lange gegangen, da sah er einen Haufen Meerräuber daherkommen, die schleppten ein nacktes Weibsbild mit sich, dem sie nichts übrig gelassen hatten, als ein Tüchel um den Kopf. Den Burschen faßte ein großes Erbarmen und als die Räuber in der Nähe waren, rief er: »Was tut ihr mit dem Weibsbild?« »Verkaufen,« schrien die Seeräuber. Da brachte es der Bursche nicht mehr über sich, die Jungfrau den wilden Menschen zu überlassen. Er fragte, was sie denn koste, und die Summe, welche die Räuber verlangten, kam gerade dem Gelde gleich, das er für seine Kuh gelöst hatte. Er zahlte das Verlangte, hieß die Seeräuber wohlleben und reichte der Jungfrau seinen Mantel. Diese dankte ihm über die Maßen, bekleidete sich und so gingen sie der Heimat des Burschen zu. Als sie in die Stube traten, kam die Mutter und fragte den Sohn, ob er das Kühlein gut verkauft habe. »O ja« sagte der Sohn, »ich habe mehr gekriegt, als wir gemeint haben.« »Wo hast du dann das Geld?« Auf diese Frage konnte der Sohn freilich nicht viel antworten, denn er hatte keinen Vierer mehr in der Tasche und mußte nun die ganze Geschichte von den Seeräubern und von dem Kauf des Weibsbildes erzählen. Als die Mutter das alles hörte, wußte sie sich nimmer zu helfen und fing an zu lamentieren: »Geh weiter, was fällt dir alles ein? Keine Kuh mehr im Stall, kein Geld mehr im Beutel und dafür noch das Weibsbild im Haus, das keinen Schlampen Gewand mitgebracht hat, geschweige sonst etwas.« So ging es eine Zeitlang fort, aber als sie ein bißchen nachgab, fiel ihr die Jungfrau ins Wort und sagte, sie könne schön arbeiten und hoffe, so leicht einige Kreuzer ins Haus zu bringen. Auch bat sie recht inständig, man solle sie nur nicht verstoßen, weil sie nicht wüßte, wohin gehen, wenn sie wieder in die Welt hinausgejagt würde. Die Mutter wurde etwas sanfter und ließ die Jungfrau in dem Hause bleiben. Sie ward ihr auch von Tag zu Tag mehr zugetan. Denn sie war sehr brav und konnte so schön sticken, daß die Leute nach und nach von allen Seiten herbeikamen und ihr Arbeit brachten. So kam wieder Geld in das Haus, und was der Sohn ausgegeben hatte, wurde reichlich hereingebracht. Nach einiger Zeit nahm der Sohn die Jungfrau zur Ehe und es war nun Freude und Wohlstand im Hause. Da hub die Jungfrau einmal an in aller Heimlichkeit ein Tüchel zu sticken und stickte lange Zeit daran, ohne daß der Mann oder die Mutter etwas davon zu sehen bekam. Als die Stickerei zu Ende war, sagte sie einmal zu ihrem Manne: »Lieber Mann, wir haben lang genug gelitten miteinander und strenge Tage gehabt, wir wollen einmal ausruhen und kirchfahrten gehen.« Der Mann hatte nichts dagegen und in wenigen Tagen machte er sich mit ihr auf den Weg. Während der Wanderschaft sagte sie einmal: »Lieber Mann, ich weiß einen Platz, wo der König tagtäglich vorbeifährt, dort wollen wir uns aufstellen und sehen, ob uns nicht ein Goldstück zuteil wird.« Der Mann war mit diesem Antrag einverstanden und sie stellten sich an den Ort hin, wo der König vorbeifahren sollte. Sie warteten nicht lange, da kam eine königliche Kutsche daher, und die Frau sagte: »Der ist’s, der ist’s!« Zugleich zog sie das Tüchlein heraus, an dem sie so lange gearbeitet hatte, und darauf waren die Namen des Königs und der ganzen königlichen Verwandtschaft gestickt. Als die Kutsche ganz nahe kam, hielt sie das Tüchlein ausgebreitet vor sich und rief: »Vater, Vater, wartet ein bißchen.« Der König wurde aufmerksam, ließ anhalten und las seinen eigenen und seiner Verwandten Namen auf dem dargehaltenen Tüchlein. Er stieg aus, grüßte das Weibsbild und schaute es verwundert an. Auf einmal erkannte er seine Tochter, fiel ihr um den Hals und konnte nicht zu Worte kommen vor lauter Freude. Der Mann machte dabei große Augen und fragte, was das zu bedeuten habe. Da erzählte die Frau, daß die Meerräuber sie dem König, ihrem Vater, gestohlen hätten und ihr Gewand in die See geworfen. Dann stellte sie dem König ihren Retter vor und sagte ihm, daß dieser seinen letzten Kreuzer für sie hingegeben und daß sie ihn zum Danke dafür geheiratet habe. Dem König rannen gerade die Tränen von den Augen, während er das alles hörte, er hieß die zwei zu sich in den Wagen sitzen und sie fuhren nun miteinander in den Palast. Was da für eine Freude war und wie die Verwandten zusammenliefen, das kann man sich wohl vorstellen. Als die ganze Familie bei einander war, hub die Königstochter wieder an zu sprechen und sagte: »Wir sind nun alle beisammen, Mutter und Kind, Vettern und Basen, aber eines fehlt noch von unserer Verwandtschaft und das soll auch da sein.« Der König fragte, wer das wäre, und die Tochter antwortete ihm: »Das ist die Mutter meines Gemahls, die war immer gut gegen mich und hat mich in ihr Haus aufgenommen in meinen schlimmsten Tagen. Laß sie hierher kommen und behalte sie am Hofe, damit ihr ersetzt werde, was sie an mir getan hat!« Der König hatte eine große Freude hierüber und sagte zu seiner Tochter: »Laß allsogleich einspannen, fahret hin und bringt sie hierher!« Bevor sie abreisten versprach er auch noch dem Schwiegersohn, daß er einstweilen das halbe und nach seinem Tode das ganze Königreich bekommen solle. Sie fuhren nun mit zwei königlichen Dienern weg, um die Mutter abzuholen. Die Diener wußten, daß die Straße an einem Meere vorbeiging, und weil sie dem Bauernburschen um sein Glück neidig waren, so redeten sie insgeheim ab, daß sie den Wagen umwerfen und den Gemahl der Prinzessin ins Wasser hinausstoßen wollten. Gesagt, getan. Als der Wagen am Meere vorbeifuhr, fiel er auf einmal um, und der junge König bekam einen Stoß, daß er mitten im Wasser lag. Die Königin fing nun freilich an zu jammern und bat ihre zwei Begleiter, daß sie ihm heraushelfen sollten, bevor es zu spät sei. Die zwei aber lachten sie aus, stellten den Wagen zurecht und nahmen ihr einen Eid ab, daß sie niemand sagen sollte, daß ihr Mann durch Bosheit zu Grunde gegangen sei. Sie kamen nun zur alten Mutter und da machten die zwei Diener sogleich ein großes Wesen daraus, was sich für Unglück ereignet habe, daß der Wagen umgefallen und der junge König ins Wasser gestürzt sei. Die alte Bäurin machte große Augen und wußte sich weder zu raten noch zu helfen, sowohl bei der Nachricht vom Glücke ihres Sohnes, als bei der Erzählung von seinem Unglücke. Sie mußte nun mit an den Hof fahren und wurde dort mit aller Freude empfangen. Dem alten König logen die zwei Diener wieder ein Lustiges vor und die junge Königin durfte ihnen nicht widersprechen des gegebenen Eides wegen. Da hätte nun Freude sein sollen am Hofe, aber da war lauter Jammer, denn wer hätte daran gedacht, daß der junge kerngesunde Mann der Prinzessin so bald zugrunde gehen sollte? Aber daß er zugrunde gegangen sei, das war erlogen, denn er hatte sich durch Schwimmen auf eine Insel gerettet. Auf der Insel war ein Adlernest und der alte Adler brachte seinen Jungen tagtäglich Fleisch zur Nahrung. Von diesem Fleisch suchte er immer etwas zu bekommen und fristete sich auf diese Weise sein Leben. Inzwischen hatte man am Hofe die ärgste Trauer vergessen und es hieß, die Königstochter sollte sich einen neuen Gemahl wählen. Sie gab mit der Zeit dem Wunsch der Ihrigen nach und wählte sich einen braven Mann. Der Hochzeitstag erschien und abends sollte die Vermählung gefeiert werden. Während am Hofe alles mit Vorbereitung zur Festlichkeit beschäftigt war, saß der junge König auf seiner Insel und schaute hinaus in das weite Meer. Auf einmal sah er etwas daher schwimmen und als es immer näher und näher kam, erkannte er, daß es Menschengestalt habe. Kaum war der Schwimmende ans Ufer gelangt, so winkte er ihm und sagte: »Komm mit!« Der König wollte davon nichts wissen und fragte: »Ja, wie soll ich mit dir kommen? Ich habe beim Hereinschwimmen gelitten genug und bin völlig nur durch ein Wunder gerettet worden. Soll ich mich noch einmal in diese Gefahr begeben?« Da machte ihm der Schwimmer Mut und sagte: »Sei nur nicht verzagt und vertraue auf mich, ich will dich schon herausbringen. Weißt du aber auch, wer ich bin?« »Nein«, antwortete der König. »Ich bin jener Todte, den du losgekauft hast, ich habe bis zum heutigen Tag im Fegefeuer bleiben müssen, zum Danke für deine Wohltat will ich dir jetzt heraushelfen, damit du zur rechten Zeit die Deinigen wiederfindest.« Jetzt gewann der König Vertrauen und glaubte auch den Schwimmer als jenen Toten zu erkennen. Er wagte es, sprang zu ihm in das Meer und wurde glücklich ans Ufer gebracht. Als sie auf trockenem Boden waren, sagte der Tote: »Jetzt schau, daß du heimkommst. Denn deine Gemahlin soll heute mit einem andern Hochzeit haben und abends wird die Vermählung sein. Schau, daß du zu rechter Zeit hinkommst, die Königin wird dich schon erkennen.« Da nahm der König vom Toten Abschied und eilte nach Hause. Als er am Hof ankam, hielten ihn die Schildwachen zurück. Sie sagten, es dürfe kein Mensch hinein oder heraus; und er, weil er so zerlumpt und abgemagert ausschaue, solle nur gar nicht daran denken. Er sagte aber in einem fort, er müsse bei der Königin sein und brachte sie endlich so weit, daß sie eine Botschaft hineinschickten. Die Königin schickte ein Geld herab, und dieses boten ihm die Wachen mit dem Bedeuten, daß er jetzt zufrieden sein und fortgehen solle. Er war aber nicht zufrieden und wiederholte sein altes Lied, daß er bei der Königin selber sein müsse. Endlich schickten die Schildwachen noch einmal hinauf und sie kam herunter. Er hatte eine übergroße Freude, als er seine Gemahlin wiedersah und gab sich ihr sogleich zu erkennen. Sie war freilich wie vom Himmel gefallen, als ihr totgeglaubter Gemahl auf einmal vor ihr stand, zweifelte aber keinen Augenblick, daß er der rechte sei. Nun gingen sie zum Könige und erzählten ihm, daß es mit der Hochzeit nichts mehr sei, denn der frühere Gemahl sei wiedergekommen. Was für eine Freude jetzt im königlichen Schlosse war, das magst du dir selber einbilden, denn zu beschreiben ist es gar nicht. Was tat aber der Bräutigam, den die Königstochter am selbigen Abend hätte heiraten sollen? Er mußte halt länger ledig bleiben, bekam aber zur Entschädigung einen Teil des Königreiches und wird später wohl eine andere Frau genommen haben.
(Meran)
[Österreich: Ignaz und Josef Zingerle: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol]