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Der Traum vom Paradies

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Vor langer Zeit, als die Elfen und Feen noch zusammen mit allen anderen Lebewesen sichtbar auf der Erde wohnten, da brach unter den Waldtieren ein fürchterlicher Streit aus.

Eine kleine Waldmaus erzählte einmal: „Wusstet ihr, dass es droben im Himmel ein Paradies gibt? Alle Tiere, die dort leben, leuchten in den schönsten Farben. Das wäre ein Leben! Stellt euch vor, blaue und gelbe Vögel, grüne und orange Fische, rote und lila Mäuse… Wie wäre das doch schön! Einfach traumhaft!“
Diese Geschichte verbreitete sich wie ein Lauffeuer unter den Waldtieren. Sie begannen sich zu fragen, wie man wohl ins Paradies gelangen könnte. Doch leider wusste darauf niemand eine Antwort, nicht einmal die gescheite Schleiereule.
Da war es nur verständlich, dass mit der Zeit die Unzufriedenheit der Tiere zunahm. Sie begannen von frühmorgens bis spätabends zu jammern und zu klagen. Ihr Geschrei war weithin zu hören.
Schließlich wurde eine Waldelfe darüber so wütend, dass sie zu den Tieren ging: „Was soll dieses Geheul? Wenn das so weiter geht, werdet ihr euer blaues Wunder erleben! Wartet nur, bis ich meinen Zauberstab geholt habe, dann zaubere ich euch die Stimmen weg!“
Die Tiere spitzten ihre Ohren und für einen winzig kleinen Augenblick war Stille eingekehrt. Doch schon bald erhob eine Schnecke ihr Wort: „Du kannst also zaubern?“
Die Elfe lachte: „Ja, natürlich kann ich das!“
Wie freute sich die Schnecke: „Könntest du uns auch ins Paradies zaubern?“
Gespannt hörte sich die Elfe die Geschichte von den Tieren im Himmel an. Dann meinte sie: „Das steht mir nicht zu! Wir Lebewesen sind für die Erde gemacht und nicht für den Himmel!“
„Wie wär’s, wenn du uns zumindest so verwandelst, dass wir nicht ständig so trostlos grau und braun aussehen?“, bettelten die Waldtiere.
Und weil die Tiere wieder alle durcheinander schrien, klagten und jammerten, ließ sich die Waldelfe erweichen, holte ihren Zauberstab und sprach leise einen Zauberspruch.
Im Nu erhielten alle Tiere eine andere Farbe. Der Wald erstrahlte in den buntesten Farben: die Mäuse waren pink, die Schnecken grün, die Vögel lila, die Schlangen gelb, die Hasen orange, die Frösche blau…
Die Tiere jubelten, freuten sich und trauten ihren Augen nicht. Sie bewunderten sich gegenseitig.

Eigentlich hätten sie jetzt zufrieden sein müssen, doch irgendwann geschah es, dass die Mäuse von einem Frosch ausgelacht wurden: „Ha, ha! Pinke Mäuse! Wie lustig!“
Diese Bemerkung gefiel den Mäusen ganz und gar nicht. Sie wollten keine lustigen Mäuse sein und zum Gespött der anderen werden. Sie wehrten sich: „Lieber eine pinke Maus, als ein blauer Frosch! Du bist wohl zu lange im Wasser gewesen! Hi, hi!“
Die Schnecken hingegen behaupteten von sich: „Wir sind die wichtigsten Tiere im Wald! Schließlich sind wir grün. Grün ist die Farbe der Hoffnung und des Lebens!“
„Pah, was redet ihr da für einen Unsinn!“, lachten die Schlangen. „Wir tragen die schönste Farbe: gelb! Gelb wirkt so warm wie die Sonne. Ohne uns wäre es hier im Wald eisig kalt, und wir müssten erfrieren!“
So kam es, dass unter den Tieren ein erneuter Streit um die Farben ausbrach. Entweder sie neckten sich gegenseitig und lachten einander aus, oder sie prahlten mit ihren Farben.
Die Waldelfe kam wutschnaubend herbeigeflogen und schrie: „Was soll dieses Geschrei? Hab ich euch nicht das gegeben, was ihr euch so sehnlichst gewünscht habt?“
Die kluge Schleiereule antwortete: „Liebe Elfe! So sag du uns doch, wer von uns am Wichtigsten ist, wessen Farbe am Wertvollsten ist?“
Daraufhin schüttelte die Elfe ihren Kopf und sagte: „Ihr unzufriedenen Tiere! Ihr habt nichts Besseres zu tun, als euch um Farben zu streiten, und wer von euch der Schönste und Wichtigste ist! Versteht ihr denn nicht, dass ihr erst gemeinsam das schönste, bunteste Bild ergebt? Nur zusammen seid ihr stark!“
Abermals brachen die Tiere in lautes Gebrüll aus. Keiner konnte das Wort des anderen verstehen.
Zu guter Letzt hatte die Waldelfe genug von dem Krach und erhob ihre Stimme sowie ihren Zauberstab: „Zur Strafe will ich euch die Farben wieder nehmen! Von nun an sollt ihr wieder mit eurer ursprünglichen Farbe leben!“
Kurz darauf standen die Tiere in Grau- und Brauntönen vor der Waldelfe. Der Wald verdunkelte sich wieder.
Die Schnecken schauten sich an und brachen in Tränen aus. Die Mäuse taten es ihnen gleich.
Schließlich erbarmte sich die Waldfee und sagte: „Eines aber will ich euch zugestehen: ich baue euch eine bunte Himmelsleiter. Diese dürft ihr bis zum Paradies empor steigen! Aber erst dann, wenn ihr hier ein friedvolles, erfülltes Leben gefristet habt!“

Die Tiere beruhigten sich und hatten es plötzlich gar nicht mehr eilig in den Himmel zu kommen.

Immer dann, wenn ein Tier starb, erschien ein leuchtend bunter Regenbogen, der dem Tier den Weg zum Paradies bahnte.

Quelle: Carmen Kofler

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