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Wo war’s, wo war’s nicht – das war wohl noch jenseits des Oceanmeeres, da war einmal ein armer Mann, der hatte drei Söhne. Wie sie eines Morgens aufwachten, fragte der Vater den Ältesten: »Was hast du geträumt, mein Sohn?« »Ja was ich geträumt habe, lieber Vater,« sagte der, »ich saß an einem gedeckten Tische und aß mich so satt, daß, wie ich mich auf den Bauch klopfte, schallte es so, daß alle Sperlinge im Dorfe davonflogen.« »Gut, mein Sohn,« sagte der Vater, »wenn du heut satt geworden bist, so ists damit schon genug; unser Brot ist so schon so schmal, heute brauchst du nicht mehr zu essen.« Weiter fragte er den Mittelsten: »Was hast du geträumt, mein Sohn?« »Ach lieber Papa! Ich hatte Stiefeln an mit so schönen Sporen, daß wie ich sie an einander schlug, schallte es über sieben Länder.« »Gut, mein lieber Sohn,« sagte der Vater auch zu dem »hast du nun das eine Mal Stiefeln angehabt, so hast du für diesen Winter genug damit.« Zuletzt fragte er auch den Jüngsten was er geträumt hätte, aber der zögerte es zu sagen. Der Vater nöthigte ihn dazu, aber er schwieg noch immer. Nach den Bitten kamen Drohungen, und als auch das nichts half, fing er an das Kind zu schlagen. »Fliehen ist schimpflich, aber es hilft,« dem guten Rathe folgte auch unser Junge und lief fort, der Vater ihm nach mit der Ruthe. Als sie nun auf die Straße kamen, kam auf der Landstraße, die dort vorbeiführt, der König mit sechs goldmähnigen mit Diamant beschlagenen Pferden. Der hielt an und fragte den Vater, warum er sein Kind schlüge. »Darum, großmächtigster König, weil es mir seinen Traum nicht erzählen will.« »Thue ihm nichts, guter Mann,« sagte der Fürst, »aber weißt du was? deinen Jungen hier kannst du mir geben, nimm diesen Beutel dafür, ich möchte seinen Traum erfahren und ihn mitnehmen.« Der Vater war das zufrieden, und der König reiste mit dem Knaben weiter.
Zu Hause rief er das Kind vor sich und fragte ihn aus über seinen Traum, aber der Knabe antwortete auch hier nichts. Und nicht Bitten nicht Drohungen konnten ihn dazu bringen, daß er seinen Traum gesagt hätte. Da wurde der König zornig über seine Halsstarrigkeit und sagte wüthend: »Unartiger Knabe, deinem König ungehorsam sein – weißt du wohl, daß das soviel heißt als den Tod verdienen? Aber einen solchen Tod, daß es dir nicht noch an Zeit fehlen soll darüber nachzudenken, was es heißt dem Könige nicht gehorchen.«
Darauf rief er seine Trabanten und befahl ihnen, jenen lebendig in das Mauerverließ des Schloßthurms einzumauern. Das Kind hörte das Urtheil ruhig an, aber des Königs schöne Tochter wurde bleich dabei und sank hin, und weidete mit heimlicher Freude ihre Augen an dem schlanken schwarzäugigen Jüngling mit dem Milchgesicht und dem reichen Rabenhaar. Der Knabe wurde weggeführt, aber das Mädchen nahm sich im Geheimen vor, Retterin des anmuthigen Knaben zu werden, zu dem sie im ersten Augenblick Liebe und Zuneigung gefaßt hatte. Darum bestach sie einen von den Arbeitern, daß er unvermerkt einen Stein lose lassen sollte, so daß man ihn herausnehmen und einsetzen könnte. Es geschah so und das schöne Mädchen brachte ihm heimlich Speise in sein Mauerverließ.
Nach diesem geschah es eines Tages, daß sieben milchweiße Rosse, die alle bis aufs Haar einander gleich waren, auf des Fürsten Hof geführt wurden, von dem mächtigen hundsköpfigen Tatarenkönige, mit dem Begehren, sie sollten sagen, wie jedes Pferd von Jahr zu Jahr älter wäre als das andere; und wenn das Keiner herausbekäme, welches das jüngste wäre und wie sie dann nacheinander folgten bis zum ältesten, dann wollte er das Land mit so viel Tataren überschwemmen, als es Grashalme hätte, und sie Alle spießen und die Königstochter sich zur Frau holen. Der König erschrak bei dieser Nachricht und berieth sich mit den Weisen seines Reiches, aber vergeblich; darum war der ganze Hof in Sorge und Trauer.
Die schöne Königstochter wurde auch traurig und brachte ihrem Geliebten die Speise nicht mehr wie sonst mit Freuden sondern mit thränenden Augen. Da er ihre Thränen sah, fragte er sie nach der Ursache. Da nun die Königstochter ihm ihre Noth geklagt hatte, tröstete er sie und sagte, sie sollte ihrem Vater rathen in sieben Gelten siebenerlei Hafer zu schütten, so daß jeder wieder von einem besondern Jahrgang wäre. Dann sollten sie die Pferde heranlassen, die würden sich nach ihrem Alter an den früher- oder späterjährigen Hafer stellen, und danach sollten sie sie bezeichnen. So geschah es; die Pferde wurden zurückgeschickt mit der Bezeichnung ihres Alters, und der Tatarenfürst mußte die Auflösung bestätigen.
Aber da geschah es wieder, daß ein Stab von ihm ankam, der an beiden Seiten von gleicher Dicke war, wieder mit der vorigen Drohung, wenn Keiner herausfände an welchem Ende er vom Stamme geschnitten wäre. Der Fürst wurde wieder traurig, und das Mädchen klagte ihren Kummer dem Jüngling, der sagte: »Sei nicht traurig, großmächtigste Königstochter, sondern sage deinem Vater, er soll die Mitte des Stockes genau ausmessen, um hier einen Zwirn herumbinden, und welches Ende nun als das schwerere sich neigen wird wenn er ihn so aufhängt, das wird vom Stamme geschnitten sein.« Der König that also und da er den Stock mit dem bezeichneten Ende zurücksandte, bestätigte der Tatarenfürst kopfschüttelnd die Auflösung.
»Noch einen Versuch mache ich,« sagte er zornig, »weil ich sehe, es will sich dort Jemand mit mir messen, dann werden wir sehen wer von uns Beiden das kürzere Ende zieht.« Und es geschah nicht lange darauf, daß ein Pfeil an die Mauern des Königsschlosses flog, welcher es wie ein Erdbeben bis in seine Grundfesten erschütterte. Der Schrecken war groß und wurde noch größer, als man auf den Federn an dem Pfeile die frühern Drohungen des tatarischen Fürsten geschrieben las, wenn der König nicht im Stande wäre, ihn dort herauszuziehn und zurückzuschaudern. Da wurde er noch viel bekümmerter als bis dahin, und kein Schlaf kam auf seine Augen. Er rief die Helden seines Königreiches zusammen, auch alle Glückskinder, wer nur mit einer Eihaut oder einem Weisheitszahne oder einer grauen Haarlocke geboren war, und versprach sein halbes Königreich und seine Tochter Dem, der des Tatarenfürsten Verlangen erfüllen könnte.
Das Mädchen erzählte nun mit kummervollem Gesichte dem Jünglinge auch ihr neues Leid, und der rieth ihr, jetzt, damit Niemand ihre Liebe merken könnte, die Maueröffnung zuzumachen, als wenn niemals einer da durchgekommen wäre, und dann zu reden als hätte sie einen Traum gehabt, daß er noch lebte und im Stande wäre das Verlangte zu vollbringen; er sollte d’rum die Mauern aufreißen lassen.
Das Mädchen that wie ihr gerathen war; der Fürst erstaunte, und nahm die Rede von dem Jünglinge wirklich nur für einen Traum, weil er ihn zwar nicht vergessen hatte, aber seine Asche schon längst von den Mauern begraben glaubte. Aber weil er in so großer Noth war, freute er sich doch und sah in seiner Angst auch den Traum seiner Tochter als möglich an. Der König ließ also die Mauern aufreißen und ein schöner junger Ritter sprang heraus.
»Du wirst nicht länger Angst haben, mein König!« rief der Jüngling von Hoffnung begeistert, und indem er mit seiner Rechten den Pfeil herauszog, schleuderte er ihn mit solcher Gewalt ins Tatarenlager hinüber, daß selber die Thurmknöpfe des Fürstenpallastes umstürzten. Als das der Tatarenfürst sah, wollte er jetzt den, der das Alles Vollbracht hatte, sehen und auch näher kennen lernen. Da erbot sich der Jüngling zu ihm zu kommen und machte sich mit einem Gefolge von zwölf Rittern auf den Weg zu ihm. Aber weil er die Zauberkunst des Tatarenfürsten auf die Probe stellen wollte, unterschied er sich in gar Nichts von seinen Begleitern, machte sich auch in Waffen, Kleidern und der ganzen Rüstung ihnen so weit es anging gleich.
Der Fürst empfing sie mit großer Pracht, und da er bemerkte, daß sie einander Alle glichen, errieth er die List welche dahinter steckte. Aber um seine Unwissenheit nicht zu verrathen, wollte er nicht fragen, wer der weise Held mit dem starken Arme wäre, sondern trug seiner Mutter, einer Zauberin, auf es herauszubringen. In dieser Absicht ließ sie die alte Hexe alle in ein Schlafzimmer führen; sie selbst schlich sich in ein Versteck in der Stube. Als die Anwesenden ruhig geworden waren, rief sie so recht zufrieden aus: »Ei wie guten Wein hat doch der Fürst!« »Freilich guten!« sagte da einer, »es ist ja Menschenblut d’runter.« Die alte Hexe merkte sich das Bett aus dem die Worte kamen, und als sie schliefen, schnitt sie ihm etwas vom Zopfe ab, schlich sich leise aus der Stube und hinterbrachte das Zeichen ihrem Sohne. Die Gäste wachten auf, und alsbald bemerkte unser Held das Zeichen, und um es zu vereiteln, schnitt er bei Allen etwas ab. Wie sie nun zu Mittag aßen, wußte der Fürst nicht, woran er sich zu halten hatte.
Die andere Nacht schlich sich des Fürsten Mutter wieder hinein, und sagte wieder: »Ei was für gutes Brot hat der Tatarenfürst!« »Freilich gutes!« sagte da ein Anderer, »es ist ja Muttermilch drunter.« Und als sie schliefen, schnitt sie dem der in dem Bette lag, woher die Stimme gekommen war, ein ganz kleines Schnipsten vom Knebelbart ab, und that das Zeichen ihrem Sohne zu wissen. Diesmal waren sie noch aufmerksamer aufeinander, und wie sie das Zeichen bemerkten, schnitten sie sich Alle eben so viel von ihren Knebelbärten ab, und am andern Tage wußte der Fürst wieder nicht woran er war.
Den dritten Abend versteckte sich die Alte nochmals und sagte laut vor sich hin: »Etwas für ein schöner Mann ist der Tatarenfürst!« »Freilich schön, weil er ein Bankert ist,« antwortete ein Anderer; und als sie schliefen, machte sie an der Helmblende dessen, von dem die Stimme gekommen war, ein kleines Zeichen und that das Zeichen ihrem Sohne zu wissen. Am andern Morgen sah der Fürst die Helme Aller so gezeichnet.
Zuletzt bezwang sich der Fürst und sagte: »Ich sehe es ist unter euch ein größerer Meister als ich bin, aber umsovielmehr wünsche ich ihn zu kennen; darum mag er sich nennen. Ich möchte den sehen und kennen lernen, den seltenen Mann, der weiser und mächtiger sein will als ich.« Der Jüngling sprang auf und sagte: »ich habe nicht weiser und stärker sein wollen als du, ich habe nur das vollbracht was du uns aufgegeben hattest, und ich bin auch Der, welcher in den drei Nächten gezeichnet worden ist.« »Das ist gut, Jüngling, jetzt beweist aber deine Worte: wie kann Menschenblut im Weine sein?« »Laß den Kellermeister kommen und er solls dir sagen,« war des Jünglings Antwort. Der erschien zitternd und gestand, zur Zeit da er jenen Wein eingefüllt, hätte er sich mit seinem Messer in den Finger geschnitten, und davon wäre ein Tropfen hineingefallen. »Wie aber war Muttermilch in dem Brote?« fragte der Fürst. »Laß die Bäckerin rufen und sie muß es sagen,« sprach der Jüngling. Und als diese gefragt wurde, erzählte sie, sie stille jetzt ihr Kind, und weil sie es vorher an der Brust gehabt, so hätte die Milch während dem Kneten wieder zu stießen angefangen und wäre etwas davon hineingeflossen. Die Mutter Zauberin aber, als dir Rede auf den letzten Ausspruch des Jünglings kam, gestand jetzt von Neuem, daß der Fürst wirklich ein Bankert wäre.
Da bezähmte der Fürst seinen Zorn nicht länger, sondern rief wüthend in seinem Uebermuth: »Ich werde einen solchen Menschen nicht leiden, der sich mit mir messen kann; ich oder du, einer von uns Beiden muß sterben. Sieh dich vor, Jüngling!« Und bei diesen Worten stürzte er mit blitzendem Säbel auf ihn los. Den Jüngling rettete nur ein unverhoffter Fehltritt des Fürsten, aber ehe der wieder auf seinen Füßen stand, durchstach er ihn und trug sein Haupt auf den Säbel gespießt heim zum König. »Sieh was mit mir geschehen ist, das war mein Traum,« sagte jetzt der siegreiche Jüngling, »aber vorher konnte ich ihn nicht sagen, sonst wäre er wohl nicht wahr geworden.« Der König umarmte jetzt den Jüngling, übergab ihm sein halbes Königreich und seine Tochter, und vielleicht leben sie noch glücklich zusammen, wenn sie nicht gestorben sind.
Zu Hause rief er das Kind vor sich und fragte ihn aus über seinen Traum, aber der Knabe antwortete auch hier nichts. Und nicht Bitten nicht Drohungen konnten ihn dazu bringen, daß er seinen Traum gesagt hätte. Da wurde der König zornig über seine Halsstarrigkeit und sagte wüthend: »Unartiger Knabe, deinem König ungehorsam sein – weißt du wohl, daß das soviel heißt als den Tod verdienen? Aber einen solchen Tod, daß es dir nicht noch an Zeit fehlen soll darüber nachzudenken, was es heißt dem Könige nicht gehorchen.«
Darauf rief er seine Trabanten und befahl ihnen, jenen lebendig in das Mauerverließ des Schloßthurms einzumauern. Das Kind hörte das Urtheil ruhig an, aber des Königs schöne Tochter wurde bleich dabei und sank hin, und weidete mit heimlicher Freude ihre Augen an dem schlanken schwarzäugigen Jüngling mit dem Milchgesicht und dem reichen Rabenhaar. Der Knabe wurde weggeführt, aber das Mädchen nahm sich im Geheimen vor, Retterin des anmuthigen Knaben zu werden, zu dem sie im ersten Augenblick Liebe und Zuneigung gefaßt hatte. Darum bestach sie einen von den Arbeitern, daß er unvermerkt einen Stein lose lassen sollte, so daß man ihn herausnehmen und einsetzen könnte. Es geschah so und das schöne Mädchen brachte ihm heimlich Speise in sein Mauerverließ.
Nach diesem geschah es eines Tages, daß sieben milchweiße Rosse, die alle bis aufs Haar einander gleich waren, auf des Fürsten Hof geführt wurden, von dem mächtigen hundsköpfigen Tatarenkönige, mit dem Begehren, sie sollten sagen, wie jedes Pferd von Jahr zu Jahr älter wäre als das andere; und wenn das Keiner herausbekäme, welches das jüngste wäre und wie sie dann nacheinander folgten bis zum ältesten, dann wollte er das Land mit so viel Tataren überschwemmen, als es Grashalme hätte, und sie Alle spießen und die Königstochter sich zur Frau holen. Der König erschrak bei dieser Nachricht und berieth sich mit den Weisen seines Reiches, aber vergeblich; darum war der ganze Hof in Sorge und Trauer.
Die schöne Königstochter wurde auch traurig und brachte ihrem Geliebten die Speise nicht mehr wie sonst mit Freuden sondern mit thränenden Augen. Da er ihre Thränen sah, fragte er sie nach der Ursache. Da nun die Königstochter ihm ihre Noth geklagt hatte, tröstete er sie und sagte, sie sollte ihrem Vater rathen in sieben Gelten siebenerlei Hafer zu schütten, so daß jeder wieder von einem besondern Jahrgang wäre. Dann sollten sie die Pferde heranlassen, die würden sich nach ihrem Alter an den früher- oder späterjährigen Hafer stellen, und danach sollten sie sie bezeichnen. So geschah es; die Pferde wurden zurückgeschickt mit der Bezeichnung ihres Alters, und der Tatarenfürst mußte die Auflösung bestätigen.
Aber da geschah es wieder, daß ein Stab von ihm ankam, der an beiden Seiten von gleicher Dicke war, wieder mit der vorigen Drohung, wenn Keiner herausfände an welchem Ende er vom Stamme geschnitten wäre. Der Fürst wurde wieder traurig, und das Mädchen klagte ihren Kummer dem Jüngling, der sagte: »Sei nicht traurig, großmächtigste Königstochter, sondern sage deinem Vater, er soll die Mitte des Stockes genau ausmessen, um hier einen Zwirn herumbinden, und welches Ende nun als das schwerere sich neigen wird wenn er ihn so aufhängt, das wird vom Stamme geschnitten sein.« Der König that also und da er den Stock mit dem bezeichneten Ende zurücksandte, bestätigte der Tatarenfürst kopfschüttelnd die Auflösung.
»Noch einen Versuch mache ich,« sagte er zornig, »weil ich sehe, es will sich dort Jemand mit mir messen, dann werden wir sehen wer von uns Beiden das kürzere Ende zieht.« Und es geschah nicht lange darauf, daß ein Pfeil an die Mauern des Königsschlosses flog, welcher es wie ein Erdbeben bis in seine Grundfesten erschütterte. Der Schrecken war groß und wurde noch größer, als man auf den Federn an dem Pfeile die frühern Drohungen des tatarischen Fürsten geschrieben las, wenn der König nicht im Stande wäre, ihn dort herauszuziehn und zurückzuschaudern. Da wurde er noch viel bekümmerter als bis dahin, und kein Schlaf kam auf seine Augen. Er rief die Helden seines Königreiches zusammen, auch alle Glückskinder, wer nur mit einer Eihaut oder einem Weisheitszahne oder einer grauen Haarlocke geboren war, und versprach sein halbes Königreich und seine Tochter Dem, der des Tatarenfürsten Verlangen erfüllen könnte.
Das Mädchen erzählte nun mit kummervollem Gesichte dem Jünglinge auch ihr neues Leid, und der rieth ihr, jetzt, damit Niemand ihre Liebe merken könnte, die Maueröffnung zuzumachen, als wenn niemals einer da durchgekommen wäre, und dann zu reden als hätte sie einen Traum gehabt, daß er noch lebte und im Stande wäre das Verlangte zu vollbringen; er sollte d’rum die Mauern aufreißen lassen.
Das Mädchen that wie ihr gerathen war; der Fürst erstaunte, und nahm die Rede von dem Jünglinge wirklich nur für einen Traum, weil er ihn zwar nicht vergessen hatte, aber seine Asche schon längst von den Mauern begraben glaubte. Aber weil er in so großer Noth war, freute er sich doch und sah in seiner Angst auch den Traum seiner Tochter als möglich an. Der König ließ also die Mauern aufreißen und ein schöner junger Ritter sprang heraus.
»Du wirst nicht länger Angst haben, mein König!« rief der Jüngling von Hoffnung begeistert, und indem er mit seiner Rechten den Pfeil herauszog, schleuderte er ihn mit solcher Gewalt ins Tatarenlager hinüber, daß selber die Thurmknöpfe des Fürstenpallastes umstürzten. Als das der Tatarenfürst sah, wollte er jetzt den, der das Alles Vollbracht hatte, sehen und auch näher kennen lernen. Da erbot sich der Jüngling zu ihm zu kommen und machte sich mit einem Gefolge von zwölf Rittern auf den Weg zu ihm. Aber weil er die Zauberkunst des Tatarenfürsten auf die Probe stellen wollte, unterschied er sich in gar Nichts von seinen Begleitern, machte sich auch in Waffen, Kleidern und der ganzen Rüstung ihnen so weit es anging gleich.
Der Fürst empfing sie mit großer Pracht, und da er bemerkte, daß sie einander Alle glichen, errieth er die List welche dahinter steckte. Aber um seine Unwissenheit nicht zu verrathen, wollte er nicht fragen, wer der weise Held mit dem starken Arme wäre, sondern trug seiner Mutter, einer Zauberin, auf es herauszubringen. In dieser Absicht ließ sie die alte Hexe alle in ein Schlafzimmer führen; sie selbst schlich sich in ein Versteck in der Stube. Als die Anwesenden ruhig geworden waren, rief sie so recht zufrieden aus: »Ei wie guten Wein hat doch der Fürst!« »Freilich guten!« sagte da einer, »es ist ja Menschenblut d’runter.« Die alte Hexe merkte sich das Bett aus dem die Worte kamen, und als sie schliefen, schnitt sie ihm etwas vom Zopfe ab, schlich sich leise aus der Stube und hinterbrachte das Zeichen ihrem Sohne. Die Gäste wachten auf, und alsbald bemerkte unser Held das Zeichen, und um es zu vereiteln, schnitt er bei Allen etwas ab. Wie sie nun zu Mittag aßen, wußte der Fürst nicht, woran er sich zu halten hatte.
Die andere Nacht schlich sich des Fürsten Mutter wieder hinein, und sagte wieder: »Ei was für gutes Brot hat der Tatarenfürst!« »Freilich gutes!« sagte da ein Anderer, »es ist ja Muttermilch drunter.« Und als sie schliefen, schnitt sie dem der in dem Bette lag, woher die Stimme gekommen war, ein ganz kleines Schnipsten vom Knebelbart ab, und that das Zeichen ihrem Sohne zu wissen. Diesmal waren sie noch aufmerksamer aufeinander, und wie sie das Zeichen bemerkten, schnitten sie sich Alle eben so viel von ihren Knebelbärten ab, und am andern Tage wußte der Fürst wieder nicht woran er war.
Den dritten Abend versteckte sich die Alte nochmals und sagte laut vor sich hin: »Etwas für ein schöner Mann ist der Tatarenfürst!« »Freilich schön, weil er ein Bankert ist,« antwortete ein Anderer; und als sie schliefen, machte sie an der Helmblende dessen, von dem die Stimme gekommen war, ein kleines Zeichen und that das Zeichen ihrem Sohne zu wissen. Am andern Morgen sah der Fürst die Helme Aller so gezeichnet.
Zuletzt bezwang sich der Fürst und sagte: »Ich sehe es ist unter euch ein größerer Meister als ich bin, aber umsovielmehr wünsche ich ihn zu kennen; darum mag er sich nennen. Ich möchte den sehen und kennen lernen, den seltenen Mann, der weiser und mächtiger sein will als ich.« Der Jüngling sprang auf und sagte: »ich habe nicht weiser und stärker sein wollen als du, ich habe nur das vollbracht was du uns aufgegeben hattest, und ich bin auch Der, welcher in den drei Nächten gezeichnet worden ist.« »Das ist gut, Jüngling, jetzt beweist aber deine Worte: wie kann Menschenblut im Weine sein?« »Laß den Kellermeister kommen und er solls dir sagen,« war des Jünglings Antwort. Der erschien zitternd und gestand, zur Zeit da er jenen Wein eingefüllt, hätte er sich mit seinem Messer in den Finger geschnitten, und davon wäre ein Tropfen hineingefallen. »Wie aber war Muttermilch in dem Brote?« fragte der Fürst. »Laß die Bäckerin rufen und sie muß es sagen,« sprach der Jüngling. Und als diese gefragt wurde, erzählte sie, sie stille jetzt ihr Kind, und weil sie es vorher an der Brust gehabt, so hätte die Milch während dem Kneten wieder zu stießen angefangen und wäre etwas davon hineingeflossen. Die Mutter Zauberin aber, als dir Rede auf den letzten Ausspruch des Jünglings kam, gestand jetzt von Neuem, daß der Fürst wirklich ein Bankert wäre.
Da bezähmte der Fürst seinen Zorn nicht länger, sondern rief wüthend in seinem Uebermuth: »Ich werde einen solchen Menschen nicht leiden, der sich mit mir messen kann; ich oder du, einer von uns Beiden muß sterben. Sieh dich vor, Jüngling!« Und bei diesen Worten stürzte er mit blitzendem Säbel auf ihn los. Den Jüngling rettete nur ein unverhoffter Fehltritt des Fürsten, aber ehe der wieder auf seinen Füßen stand, durchstach er ihn und trug sein Haupt auf den Säbel gespießt heim zum König. »Sieh was mit mir geschehen ist, das war mein Traum,« sagte jetzt der siegreiche Jüngling, »aber vorher konnte ich ihn nicht sagen, sonst wäre er wohl nicht wahr geworden.« Der König umarmte jetzt den Jüngling, übergab ihm sein halbes Königreich und seine Tochter, und vielleicht leben sie noch glücklich zusammen, wenn sie nicht gestorben sind.
[Europa: Ungarn. Märchen der Welt ]