Das Weib war einverstanden, und er zog in die weite Welt. Er durchwanderte viele Dörfer und Städte, fand aber nirgends einen Verdienst. So zog er immer weiter und weiter und kam auch in einen dichten Wald, in dem er die Wegspur verlor und mehrere Tage umherirrte, ohne auch nur auf eine Lichtung gelangen zu können. Er war schon ganz entkräftet und mutlos, als er einem Jäger begegnete, der ihn verwundert fragte: »Mensch, wie kommst du in diese Wildnis?« Der Mann sagte ihm, daß er einen Verdienst suche und sich verirrt habe. »Da ist dir leicht zu helfen,« meinte der Jäger; »am Ende dieses Waldes habe ich ein Jägerhaus; in diesem müßtest du wohnen und den Namen jedes Reisenden, der dort vorüber zieht, aufschreiben. Das wäre deine Arbeit.« – »Und was wäre mein Lohn, o Herr?« fragte der Arme, »denn du weißt doch, daß für die Nahrung allein nur der Hund dient.«
»Du wirst schon zufrieden sein«, sagte der Jäger.
Der Arme willigte nun mit Freuden ein, und nachdem der Jäger ihm den richtigen Weg gewiesen, stieß er auch bald auf das Jägerhaus. Er fand darin etwas Maisbrei in einer Holzschüssel, die nie leer wurde, wie oft er auch daraus aß, und ein Buch mit leeren Blättern. Und da er den guten Mönchen des Klosters in seinem Heimatsdorfe die Kunst des Schreibens etwas abgelauscht hatte, so schrieb er fein säuberlich auf die weißen Blätter die Namen aller, die an dem Walde vorbei zogen. Nach einem Jahre war das Buch voll. Jetzt kam auch der Jäger, und da er mit dem Geschriebenen sehr zufrieden war, gab er dem Armen einen Beutel Dukaten und entließ ihn. Wer war nun glücklicher, wer war fröhlicher, als er? In seiner Herzensfreude sagte er dem Jäger, daß er für die empfangene Wohltat ihm alles zu Liebe tun und ihm das Liebste, was er habe, schenken würde. Der Jäger verlangte nun, daß der Arme das, was er soeben gesagt, schriftlich geben möge. Er tat es ohne Arg und zog singend seines Weges.
Zu Hause harrte seiner noch eine Freude: während seiner Abwesenheit hatte sein Weib einen Knaben geboren.
Da sie jetzt auch genug Geld hatten und der Mann es durch seinen Fleiß immer noch vermehrte, so hätten sie sehr glücklich leben können. Der Mann war jedoch immer bekümmert, da er des Versprechens gedachte, das er dem Jäger gegeben, und er fürchtete, daß ihm dieser eines tags sein einziges Kind abfordern werde.
Die Zeit kam und ging, das Kindchen gedieh, und die besorgten Eltern gedachten immer seltener des Jägers und jenes Versprechens. Da geschah etwas Seltsames, Schreckliches. In einer finsteren Nacht, als ein eisiger Nord wehte, heulte plötzlich der Hund laut auf, so, als hätte man ihm etwas zuleide getan. Dann hörte man ein unheimliches Geräusch vor der Haustüre: diese sprang auf, und über die Schwelle wälzte sich ein blutgefüllter Menschenbalg, ein Vampyr.
»Nun mußt du dein Versprechen einlösen«, klang es dumpf. Das entsetzte Ehepaar beschwor das Schreckgespenst im Namen Gottes und des heiligen Johannes sich zu entfernen, sprengte Weihwasser aus, und so mußte es zurückweichen. Bevor der Unhold aber die Schwelle verließ, sagte er: »Möge das Kind immerhin noch dableiben; nach fünfundzwanzig Jahren ist es in jedem Falle mein.«
Der Mann und das Weib fanden erst wieder im Morgengrauen Schlaf. Und beide hatten den gleichen Traum. Der heilige Johannes, ihr Hauspatron, stieg aus seinem Rahmen in der Stubenecke nieder, schwang das vor seinem Bilde hängende Lämpchen wie ein Räucherfaß und sprach: »Lasset den Knaben Mönch werden, dann kann ihm der wilde Jäger, der gestorben und zum Vampyr geworden ist, nichts anhaben.«
Das Ehepaar erwachte, ihr kleiner Hausaltar sah aus wie immer, aber in der Stube schwebte ein feiner Duft, wie aus einem geweihten Räucherfaß.
Als der Knabe sieben Jahre alt war, gaben ihn die Eltern zu den Mönchen ins Kloster. Er wurde groß und schön, lernte fleißig und erhielt noch in ganz jungen Jahren die Priesterweihe. So oft er heim zu seinen Eltern kam, fand er sie traurig, und da auch schon ein Bart sein Antlitz zu beschatten begann, so faßte er sich ein Herz und frug seinen Vater um den Grund seines Kummers. Der Vater gestand ihm alles und sagte, die fünfundzwanzig Jahre seit jener Schreckensnacht wären jetzt bald um und deshalb könnten er und die Mutter aus Besorgnis ihres Leben nicht froh werden.
Der Mönch erschrak heftig und faßte den Vorsatz den Vampyr aufzusuchen, um von ihm jenes schriftliche Versprechen mit Hilfe Gottes und des heiligen Johannes wieder zurück zu erhalten und dadurch seine Seele zu retten.
Er bereitete sich nun vor wie zum Tode, beichtete, empfing das heilige Abendmahl, versöhnte sich mit allem auf der Welt, mit den Vögeln in den Bergen, den Fischen im Wasser und den Schlangen unter den Steinen, schützte sein Haupt und seine Brust mit heiligen Amuletts, nahm einen geweihten Stab zur Hand und zog davon. Ohne zu ermüden, ging er Tag und Nacht immerfort und kam auch in jenen Wald, in dem sich damals sein Vater verirrt hatte. Die Nacht brach herein und mit ihr ein furchtbarer Sturm, der alte Bäume wie Schilfrohr knickte, und dabei strömte der Regen wie aus Tonnen.
Der Mönch sah ein schwaches Licht schimmern, ging diesem nach und fand eine kleine Hütte, in die er mit frommen Gruß und der Bitte um ein Nachtlager eintrat. Eine alte Frau küßte ihm erfreut die Hand und sagte: »Dank sei dem lieben Gott, daß er einen solchen Mann in mein unwürdiges Haus treten läßt! Aber, teurer Vater, du kannst nicht hier bleiben, denn mein Sohn ist ein großer Missetäter, ein Räuber und Mörder, und er würde dich erschlagen, wenn er dich fände.«
Der Mönch empfand keine Furcht und so bat ihn die Alte, sich wenigstens nebenan in der Kammer zu verbergen, was er auch tat. Der Räuber hatte aber kaum die Hütte betreten, als er schon ausrief: »Mutter, ich fühle einen Christenmenschen in der Nähe! Mag er doch hervorkommen und, wenn er will, meinen Kopf nehmen, mich vernichten, wie der Orkan die Eiche zerschmettert, denn ich bin so elend – so elend …« Der Mönch trat vor. Als der Räuber das priesterliche Gewand erblickte, wurde er leichenblaß. Er wollte einen frommen Gruß stammeln, aber die Zunge erstarrte ihm, er versuchte das Kreuz zu schlagen, aber die Hand wurde lahm. Erst als der Mönch des Himmels Gnade für ihn erflehte, lösten sich die unsichtbaren Fesseln, und wie ein Regenstrom überfluteten heiße Tränen des Sünders Antlitz und das seiner Mutter.
Liebreich tröstete der Mönch beide und erzählte dann seine Geschichte und wie er ausgezogen sei, dem Vampyr das schriftliche Versprechen seines Vaters zu entreißen. Als die Frau das vernommen, stürzte sie auf die Erde nieder, raufte sich das Haar, schlug sich mit den Fäusten auf die Brust und schrie: »Wehe, wehe uns Unglücklichen! Jener Jäger war mein Mann, der Vater dieses armen Sünders. Schoß er kein Wild, so schoß er auf die Menschen, die vorüberzogen. Gib, o Frommer, ihm die Grabesruhe, töte in ihm den Vampyr und bete für seine Seele!«
Ihre gellenden Klagen drangen hinaus in den Wald, und der Sturm antwortete mit Heulen und Toben.
Die drei seltsamen Gefährten, die das Schicksal zusammengeführt, machten sich auf nach dem Dorfe am Rande des Waldes, das sie nach vielem Mühsal erreichten. Noch war es finstere Nacht, als sie an die Haustüren der Dörfler pochten und um Gottes und des Gekreuzigten willen um Beistand baten. Den Leuten fuhr der Schreck in die Knochen. Seit langem schon schlich sich ein langsames, stetes Sterben durch das Dorf; seit langem trübte und verunreinigte etwas immer wieder ihre Tränken und Brunnen, verdarb das Saatgut in den Speichern. »Ein Vampyr ists, ein Vampyr!«, ging es in bleicher Furcht flüsternd von Mund zu Mund. Ein kohlschwarzer Hengst ohne irgend einem Abzeichen wurde herbeigeführt, und während die Weiber und Mädchen ermahnt wurden, die Kinder und das Herdfeuer zu behüten, entzündeten die Männer an der heiligen Herdflamme die Kienholzfackeln, der Älteste ergriff den zitternden Hengst am Halfter und schritt betend mit dem Mönch, der Witwe des wilden Jägers und dem Räuber voran. Die übrigen folgten schweigend.
So zogen sie nach dem Friedhofe, der auf dem Scheitel eines steinigen Hügels lag. Als die Männerschar keuchend hinauf kam, sahen sie einen schwarzen Menschenschatten dahinhuschen und verschwinden, der ein weißes Laken über der Schulter trug. Es heulte und pfiff in den Lüften, und der Sturm versuchte die Fackeln auszulöschen. Um jeden Schritt kämpfend, drangen die Männer vor und leuchteten dann über jedes Grab hin, ob es auch unversehrt sei und nichts auf einen Vampyr hindeute. Sie suchten und suchten, bis sie endlich an der Ostseite eines eingesunkenen Grabes ein Loch fanden, aus dem etwas herauslugte. Ein Beherzter griff hin und zog einen buntgestickten Socken hervor, den das Weib des Jägers als einen von denen erkannte, die sie dem Toten auf der Bahre angezogen und den jetzt der Vampyr verloren hatte, als er eiligst in sein Grab geschlüpft war. Der Rapphengst wurde vorgeführt, und obgleich er willig über jedes Grab schritt, über das des wilden Jägers brachte ihn keine Macht. Schläge und Lockungen versagten.
Es sprach nun der alte Bauer: »Männer, es scheint klar zu sein, daß dies hier das Grab eines Vampyrs ist. Tun wir also, was in solchen Fällen unsere Ahnen taten, um dem Volke und dem Toten die Ruhe wiederzugeben.«
In frommem Gesange erhob sich hierauf des Mönches Stimme über den Sturm. Die Männer fällten den Stamm eines alten Hagedorns, machten einen Pfahl zurecht und ließen seine Spitze von dem Feuer ankohlen, das sie mit den Fackeln von ihrem gesegneten Herde mitgebracht. Dann öffneten sie das Grab.
Unten lag der Tote ganz unversehrt, so wie er vor langen Jahren in die Erde gebettet ward. Die Männer bildeten einen Kreis und hielten die Fackeln hoch, und in dem zuckenden, blutigroten Schein zuckte auch des Vampyrs von rotem Menschenblute gequollener Leib. Und jetzt stieß der Mönch den Hagedornpfahl dem Vampyr wuchtig durch die Brust; dann tat es dessen Weib, dann dessen Sohn und dann alle Männer dem Alter nach. Der Vampyr wand und wälzte sich unter den Stößen, und herzzerreißende Seufzer stiegen aus dem Grabe herauf, Laute, wie jene, die ein Felsblock ausstößt, wenn er losgebrochen wird von seinem Mutterboden …
Der Sturm war verstummt, die Sonne ging auf, und im Grabe lag nur mehr eine unförmliche Masse. Die Männer entblößten das Haupt und schlossen das Grab. Jetzt ruhte der wilde Jäger in ewigem Frieden.
Vergeblich jedoch hatte der Mönch nach der Schrift, die seines Vaters Versprechen enthielt, in dem Grabe gesucht, und deshalb glaubte er, daß sie gewiß in der Hölle verwahrt werde und er sie von dort holen müsse. Er nahm daher wieder den geweihten Stab zur Hand, um zur Hölle zu wandern; vorher mußte er aber dem reuigen Sünder versprechen, ihm nach seiner Rückkehr die Beichte abzunehmen und das heilige Abendmahl zu spenden.
Wohin immer sich der fromme Mann wandte, immer fand er sich auf einem schmalen Pfade. Dieser führte ihn endlich zu einem Felsen und von da nicht weiter. Er schlug mit seinem Stab gegen den Fels und dieser spaltete sich, so daß er seinen Weg durch eine finstere Höhle fortsetzen mußte. So ging es eine lange Strecke fort, bis er endlich in die Hölle kam. Hier sah er die Qual der armen Seelen in dem unermeßlich großen Feuer. In einer Ecke saßen grinsend eine Menge Teufel mit Hörnern und roten Kappen, und in ihrer Mitte hockte ein dickes Scheusal, das auf einem Fuß lahm war: Hromi-Dada, der oberste der Teufel. Der Mönch zog nun die heiligen Amuletts hervor, mit denen er sich gewappnet, und warf sie unter das Satansvolk. Dieses floh in eine andere Ecke, und der große Krumme begann den Mönch zu beschwören, er möge verlangen, was er wolle, nur möge er die Amuletts zusammensuchen und einstecken. »Du siehst doch,« winselte er, »daß ich bereits auf einem Fuß hinke; willst du vielleicht, daß ich auch den andern breche?« Jedoch der Mönch erwiderte, daß er sich nicht eher von der Stelle rühren werde, bis man ihm nicht die Schrift seines Vaters zurückgegeben habe. Hromi-Dada gab nun den Befehl, daß das sofort geschehe. Aber der Teufel, der das Schriftstück verwahrte, wollte davon nichts wissen, und deshalb ließ ihn der Hinkende auf alle möglichen Arten martern. Sie hängten ihn auf, warfen ihn ins lebendige Feuer, – alles umsonst. Da befahl Hromi-Dada, den Unfolgsamen auf das Nadelbett zu werfen, welches für des Jägers Sohn, den Räuber, bereit stand. Wie der Teufel das hörte, warf er schnell die Schrift von sich. Der Mönch raffte sie auf und floh hinweg.
So schnell er nur konnte eilte er heim, um seinen Eltern die Schrift zu bringen und ihnen seine Erlebnisse zu erzählen. Aber er konnte das Elternhaus nicht finden, so viel er auch suchte. Auch das Gehen wurde ihm recht schwer, er wußte nicht warum. Endlich war er in seinem Kloster, – doch wie hatte sich hier alles verändert? … Weder konnte er jemanden wiedererkennen, noch wurde er von jemandem gekannt. Er nannte seinen Namen, – die Mönche schlugen in den Büchern nach und sagten ihm, vor dem Wunder ehrfürchtig die Stirne neigend, daß er vor genau dreihundert Jahren aus dem Kloster fortgegangen sei.
Gottergeben wartete er nun auf das Ende seines Lebens. Eines Tages wünschte er in den nahen Friedhofshain geführt zu werden, wo er auch die Gräber seiner Eltern vermutete. Betend ließ er sich dort nieder. Da hörte er die Mitbrüder seinen Namen rufen. Sie hatten einen Apfelbaum bemerkt, dessen fruchtbeladene Zweige sich bis zum Boden neigten. Die Früchte dufteten köstlich, doch als die Brüder einige pflücken wollten, schnellten die Zweige in die Höhe und waren nicht zu erlangen. Die Brüder holten den Greis herbei, damit er das Merkwürdige schaue und deute, und nun sahen sie unter dem Apfelbaum auch einen uralten Mann knieen, mit gefalteten Händen und gen Himmel gerichteten Augen. »Gelobt sei Gott,« sagte er zu dem greisen Mönche, »daß du kommst, damit ich endlich sterben kann!« Es war der Sohn des wilden Jägers, jener arme Sünder, der noch immer auf die Lossprechung wartete. Der greise Mönch nahm nun dem Unglücklichen die Beichte ab, reichte ihm das heilige Abendmahl, und gleich darauf schloß der mit Gott Versöhnte seine Augen. Die duftenden Früchte des Apfelbaumes verwandelten sich in weiße Vögel, die jubilierend gegen Himmel flogen. Es waren die Seelen jener Menschen, die der wilde Jäger und sein Sohn während ihres Lebens getötet hatten.
Auch die Stunden des Mönches waren jetzt gezählt, da er des Vaters Versprechen gesühnt und das seinige erfüllt hatte. Während er entschlief, begann der abgestorbene Baum, der zwischen zwei moosumsponnenen Grabesstellen wurzelte, aufs neue zu grünen. Es waren die Gräber seiner in Gram um ihn dahingegangenen Eltern, zu denen man ihn bettete.
Ewiger Frühlingshauch weht über diesem Erdenfleck, auf dem das Dorngestrüppe weiße Rosen trägt.
Quelle:
(Bosnien: Milena Preindlsberger-Mrazovic: Bosnische Volksmärchen)