In einem großen Zarenreich war einmal ein Minister, und der hatte einen Sohn Joseph. Joseph hatte ein gar schlechtes Gedächtnis. Ging er aus in Haus auf den Hof – schon hatte er vergessen, was er dort eigentlich gewollt hatte. Und wenn er wieder ins Haus zurück wollte ? da wußte er nicht mehr, wo die Tür war. Aber ansonsten war er ein recht ansehnlicher und geschickter Bursche. Am liebsten ging er in den Wald auf die Jagd. Nur wollte ihn sein Vater nicht in den Wald lassen, denn er befürchtete, daß der Jüngling nicht wieder aus dem Wald herausfinden würde. Aber Joseph bat so lange, bis ihn der Vater eines Tages mit einem Diener in den Wald zur Jagd schickte.
Als sie in den Wald kamen, sahen sie einen Hasen. Joseph legte an und schoß und ging dann den Hasen suchen. Der Diener verlor seinen jungen Herrn aus den Augen, kehrte nach Hause zurück und berichtete, daß er nicht wüßte, wohin der Jüngling verschwunden sein könne. Gar traurig war da der Vater, denn er hatte nur diesen einzigen Sohn.
Inzwischen irrte Joseph in dem Wald umher, bis er zu einem Teich kam. Und in dem Teich badeten zwölf Mädchen, eine schöner als die andere. Es waren Elfen. Joseph schlich sich leise heran, stahl einer Elfe die Kleider und versteckte sich. Nach einer Weile stiegen die Elfen aus dem Wasser. Elf zogen sich an, doch die zwölfte fand ihre Kleider nicht.
Da trat Joseph hervor und sprach: „Du brauchst deine Kleider nicht zu suchen. Ich habe sie. Aber ich gebe sie dir erst, wenn du mich nach Hause führst. Allein finde ich den Weg nicht.
Was blieb der armen Elfe anderes übrig? Sie führte Joseph nach Hause, doch der gab ihr auch dort die Kleider nicht zurück. Er gab ihr andere, und das Elfenkleid schloß er in einen Schrank ein. Und ohne ihre Kleider konnte die Elfe nicht zurückkehren. Sie blieb bei Joseph und wurde seine Frau.
Drei Jahre lebten sie zufrieden zusammen: Dann wurde ihnen ein Sohn geboren. Und noch weitere fünf Jahre lebten sie glücklich. Doch eines Tages ging der vergeßliche Joseph aus dem Haus und ließ den Schlüssel an dem Schrank stecken, in dem die Elfenkleider waren. Als er nach Hause kam, war seine Frau fort, und sein Söhnchen auch. Und so machte sich Joseph auf, beide zu suchen.
Er irrte durch den finsteren Wald und fragte jedes Tier, dem er begegnete, bis er auch einen alten Wolf traf. „Wolf, frißt du mich nicht auf?“ „Nein, du bist ein armer Wanderer.“ „Und bist du nicht einer Frau mit einem Söhnchen begegnet?“ „Nein, aber vielleicht weiß mein älterer Bruder mehr.“
Der Wolf rief mit starker Stimme, und sogleich scharten sich die Wölfe zusammen. Als letzter hinkte ein alter Wolf herbei. Keiner wußte etwas von der Frau und dem Jungen. Nur der Bruder des Wolfes sagte: „Ich weiß von ihr, sie ist im zwölften Land von hier.“
Da wurde Joseph traurig, denn so weit würde er gewiß nicht gehen können. Doch der hinkende Wolf sprach zu ihm: „Setz dich auf meinen Rücken, ich werde dich zu ihrer Hütte tragen!“ Und noch ehe sich’s Joseph versah, standen sie am Fuße eines hohen Berges, und dort stand eine Hütte. In der Hütte wohnt eine alte Hexe mit ihren zwölf Töchtern“, sprach der Wolf „Eine von ihnen ist deine Frau. Wirst du dir das merken?“
Joseph nickte, aber kaum war der Wolf verschwunden, da hatte er schon wieder alles vergessen. Er ging um die Hütte herum, und da sah er einen Jungen spielen. „Weißt du nicht, Junge, wo hier zwölf Jungfrauen wohnen?“ „Hier in der Hütte. Aber es sind nur elf, die zwölfte ist meine Mutter.“
Da wußte Joseph, daß es sein Sohn war mit dem er sprach, und so trat er mit ihm in die Hütte. Dort saß die alte Hexe und lachte häßlich. „So hast du doch deine Frau gefunden! Du kannst sie mitnehmen, aber nur, wenn du sie zwischen den zwölf Schwestern erkennst.“
Bald darauf kamen die zwölf Elfen nach Hause, und Josephs Frau war gar froh, als sie ihren Mann sah. Sogleich ließ sie ihm über ihren Sohn ausrichten, wenn er sie zwischen den zwölf erkennen wolle, so solle er auf die zweite von rechts zeigen.
Doch kaum hatte Joseph das gehört, da hatte er es auch schon vergessen. Und als dann die zwölf Elfen nebeneinander standen, da wußte er nicht, welche die richtige war. Erst als sie ihn am Ärmel zupfte, zeigte er auf sie.
Doch die Alte hatte alles gesehen und sagte: „Du hast richtig gewählt, doch nicht allein. Deshalb darfst du mit deiner Frau leben, doch nur hier in meiner Hütte.“ Natürlich gefiel das weder Joseph noch seiner Frau. Und so warteten sie nur darauf, daß die Alte einmal nicht aufpassen würde, damit sie fliehen konnten. Sie warteten und warteten, aber die Alte war auf der Hut. Einmal aber nickte sie doch ein. Und da nahm Josephs Frau schnell den Hexenbesen, sie setzten sich alle drei darauf, und schon flogen sie über Berge und Wälder, über Wiesen und Felder, über zwölf Länder.
Doch die Alte schlief nicht lange. Und kaum war sie erwacht, da sah sie, was geschehen war. Sie setzte sich auf ihren Hexenrechen, und bald hatte sie die Flüchtlinge eingeholt. „Es steht schlimm mit uns“, sagte die Tochter, als sie die Alte hinter sich sah. „Aber irgendwie werden wir uns schon helfen.“ Schnell flog sie zur Erde, verwandelte Joseph in einen Teich, ihr Söhnchen in eine Seerose, den Hexenbesen in eine Pappel und sich selbst in eine Gans, die auf dem Teich schwamm.
Da kam auch schon die Alte geflogen und lockte: „Gänschen, Gänschen, mein schönes Töchterchen, schwimm zu mir, sieh, was für ein schönes Geschenk ich dir mitgebracht habe!“
Die Gans schwamm zum Ufer, und die Alte reichte ihr eine silberne Nuß. Schnell versteckte die Gans die Nuß unter ihren Flügeln, und schon schwamm sie wieder mitten auf dem Teich.
„Gänschen, Gänschen, mein schönes Töchterchen, schwimm zu mir, sieh, was für ein schönes Geschenk ich dir mitgebracht habe!“ rief die Alte zum zweiten Mal und reichte ihr ein goldenes Ei. Doch auch das Ei verschwand schnell unter dem Flügel, und die Gans schwamm wieder auf dem Teich.
Zum dritten Mal lockte die Alte: „Gänschen, Gänschen, mein schönes Töchterchen, schwimm zu mir, sieh, was für ein schönes Geschenk ich dir mitgebracht habe!“ Doch diesmal schwamm die Gans nicht zum Ufer. Sie wußte, daß es ihr ein drittes Mal vielleicht nicht gelingen würde zu entfliehen. Die Alte wartete ein Weilchen am Ufer, dann setzte sie sich auf ihren Rechen und flog unverrichteterdinge nach Hause.
Als die Alte verschwunden war, gab Josephs Frau allen ihre ursprüngliche Gestalt zurück, und gemeinsam flogen sie auf dem Hexenbesen zum Hause des Ministers. „Wartet hier“, sprach Joseph, als sie bereits vor dem Hause standen. „Ich gehe voraus und will Euch mit großen Ehren empfangen. Alle sollen sehen, daß ich endlich meine Frau und mein Kind gefunden habe.“ „Geh nicht“, bat seine Frau. “ Schon nach drei Schritten wirst du uns vergessen haben.
Doch Joseph ließ nicht mit sich reden. Er ging allein ins Haus und – wie sollte es auch anders sein – vergaß alles. Und er lebte, als hätte er nie Frau und Kind gehabt. Er verlobte sich mit einem anderen Mädchen, und gar bald sollte die Hochzeit sein.
Vor der Hochzeit gab Joseph einen Ball, der drei Tage dauern sollte. Da knackte Josephs Frau die silberne Nuß und zog ein silbernes Kleid heraus und ging zum Ball. Und sie war so schön, daß alle sie bewunderten. Joseph tanzte nur mit ihr, so daß die Braut vor Neid erblaßte. Doch er erkannte seine Frau nicht.
Am nächsten Abend erschien Josephs Frau in einem goldenen Kleid aus dem goldenen Ei. Sie war schön wie die Sonne, und Joseph tanzte wieder nur mit ihr, doch auch diesmal erkannte er sie nicht.
Auch am dritten Tag erschien Josephs Frau auf dem Ball. Diesmal aber trug sie ihr Elfenkleid, und an der Hand führte sie ihren Sohn. „Wie kannst du heiraten, wenn du bereits Frau und Kind hast?“ fragte sie. Da fiel es Joseph wie Schuppen von den Augen. Er schickte seine Braut nach Hause, und lebte von da an glücklich mit seiner Elfe, und seinem Söhnchen.
Quelle: ukrainisches Märchen