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Märchenbasar

Der verwunschene Prinz Edelmut

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Hinter neun Ländern, sieben endlosen Meeren und drei dichten alten Eichenwäldern steht ein herrliches goldenes Schloss mit vielen großen und kleinen Türmen. Den größten Turm schmückt eine Fahne mit dem Königswappen. Darauf prangt ein stolzes Pferd mit einem noch stolzeren Reiter. Es stellt den Königssohn Edelmut dar. Dieser Prinz hat jedoch seinen Namen zu Unrecht. Er ärgert sowohl Mensch als auch Tier und prahlt sogar damit. Der König hat seine liebe Not mit ihm. Er weiß nicht, ob er es jemals verantworten kann, ihm Zepter und Krone zu übergeben. Die Königin aber liebt ihren einzigen Sohn über alles. Stets entschuldigt sie sein Verhalten gegenüber dem König: „So lass ihn doch. Er ist ja noch ein halbes Kind. Soll er sich erst einmal vergnügen, bevor er das Regieren erlernt und die Herrschaft übernimmt.“ Prinz Edelmuts größtes Vergnügen besteht in der Jagd. Bei edlen Pferden kann er nicht an sich halten. Er muss sie ganz einfach unter sich spüren, ihre Kraft beherrschen. Abends vergnügt er sich beim Tanz mit schönen jungen Hofdamen. Dieses Leben währt nun schon einige Jahre.

Am einundzwanzigsten Geburtstag des Prinzen schlendert am frühen Nachmittag ein Waldmännlein auf das Schloss zu. Es trägt eine grüne Zipfelmütze und hat einen langen, weißen Moosbart im Gesicht. Schrumplige kleine Füße stecken in geflochtenen Bastschuhen. Auch seine Jacke ist grün. Die Hose wirkt wie aus Baumrinde gefertigt. In der rechten Hand hält es einen knorzigen Wanderstab. Als die Schlosswache das Männlein erblickt, will sie es gefangen nehmen. Niemand darf ins Schloss, der nicht eingeladen ist. Das Waldmännlein aber macht sich flugs unsichtbar und huscht an ihr vorbei. Die Wachen knallen mit ihren Lanzen und Nasen aneinander. Sie gucken sich verdutzt an, zucken mit den Schultern und stellen sich an ihre Plätze zurück.
Das Männlein ist Bimpus, das Oberhaupt der Waldtrolle. Viele Tiere beschweren sich täglich bei ihm über den Prinzen. Er beschädigt Bäume, reißt kleine Tannen vor Übermut und Zerstörungslust aus. Obendrein schießt er bei der Jagd auf Muttertiere. Die Waldtrolle haben den ganzen Tag zu tun, die Waisenkinder zu finden, um sie anderen Muttertieren zu übergeben. Das Maß ist voll. Prinz Edelmut muss einen Denkzettel verpasst bekommen. Kein Tag scheint Bimpus geeigneter als der einundzwanzigste Geburtstag dieses Unholds. Bimpus marschiert unsichtbar auf dem Schlosshof umher, hört Musik und das Lachen der Gäste. Die Schlosstür ist zugesperrt. Also zieht er an der Glocke. Sie ertönt laut. Doch bevor die Schlosstür geöffnet wird, verwandelt sich Bimpus in ein herrliches Ross mit goldenem Zaumzeug. Daran ist ein Brief befestigt. Der Diener des Prinzen öffnet die Tür. Er bestaunt das Pferd. Dabei bemerkt er den Brief, nimmt ihn und dreht ihn in der Hand hin und her. Verwundert schüttelt der Diener den Kopf und trägt die Botschaft auf einem silbernen Tablett zu seinem Herrn. Dieser prahlt gerade, was er doch für ein herrliches Reh heute Vormittag im Wald geschossen hat. Ohne Eile öffnet er den Brief, liest die Zeilen und runzelt seine Stirn. Ungläubig wirft Edelmut den Brief zurück auf das Tablett und entschuldigt sich bei seinen Gästen: draußen stünde ein Geschenk. Er komme gleich zurück. Unruhig und unsicher marschiert er grübelnd den langen dunklen Gang entlang. Die große Schlosstür wird geöffnet. Was er erblickt, raubt ihm fast den Verstand. Staunend läuft er um das Pferd mit dem goldenen Zaumzeug herum. Über dem Rücken des Pferdes liegt eine prächtig gestickte Decke. Sogar der Sattel und die Steigbügel sind aus purem Gold. Der Prinz kann nicht anders. Er steigt auf das Pferd, und darauf hat es nur gewartet. Ab geht es in wildem Galopp. Schon sind sie außer Sichtweite des Schlosses. Prinz Edelmut versucht, das Pferd zum Stehen zu bringen. Aber es will ihm nicht gehorchen. Das Tier scheint außer Kontrolle geraten zu sein.

Nach einigen Stunden gelangen sie in einen tiefen Wald. Der wilde Ritt hört auf. In diesem Wald steht eine kleine Hütte. Erschöpft lässt sich Prinz Edelmut vom Pferd gleiten und schaut sich um. Nichts kommt ihm bekannt vor. So will er erst einmal die Nacht in der kleinen Hütte verbringen, zuerst jedoch das kostbare Pferd anbinden. Aber wo ist es? Weg, als hätte es der Wald verschluckt. Doch viel zu müde, um darüber nachzudenken, schlurft er in die Hütte. Sie ist nur mit dem Nötigsten eingerichtet. In der Mitte steht ein großer runder Tisch. An ihm sitzt der Troll Bimpus. „Guten Tag, junger Herr“, sagt dieser freundlich.
„Du hast mir gerade noch gefehlt, mach, dass du wegkommst. Ich habe heute genug Merkwürdiges gesehen und erlebt“, faucht ihn der Prinz an. „Außerdem bin ich hungrig, durstig und müde.“
Das Gesicht des Trolls färbt sich puterrot vor Zorn. Doch er beherrscht sich, sieht ihn nur mit seinen wasserblauen Augen scharf an. „Dein Hunger soll gestillt werden. Du sollst auch eine Lagerstätte für die Nacht erhalten. Aber nur, wenn du mich darum bittest.“
„Was soll ich?“, fährt ihn der Prinz herrisch an und knallt mit der geballten Faust auf den Tisch. „Was bildest du dir eigentlich ein? Ich soll um etwas bitten? Wer bist du denn schon, hä? Ich bin der Herr, ich bin … “
„… Prinz Edelmut, ich weiß“, sagt Bimpus mit fester ruhiger Stimme. Verdutzt schaut ihn der Prinz an und weiß darauf nichts zu sagen. Bimpus wiederholt, was er gesagt hat: „Bitte mich um das Gewünschte, so wirst du es erhalten. Und morgen früh bringt dich das Pferd zurück ins Schloss.“
Prinz Edelmut ist nun ebenfalls rot vor Zorn. „Was soll ich? Ich soll dich lächerlichen Zwerg um etwas bitten?“, schreit er wie ein wildgewordener Löwe. Bimpus hat genug und hebt plötzlich seinen Zauberstab, aus dem goldene Sternchen zu einem Kreis über dem Stab zusammenschweben. So sehr der Prinz auch weiterschimpfen will, es gelingt ihm weder sich zu rühren, noch ein Wort herauszubringen. Er steht wie gelähmt. Bimpus steht auf, schaut ihn durchdringend an und spricht mit beschwörenden Worten: „Da du, Prinz Edelmut, bisher nur in Saus und Braus gelebt, die Bäume im Wald sinnlos ausgerissen und vielen Tierkindern die Mutter in deiner wahllosen Jagdlust genommen hast, dem König nur Kummer bereitest, verbanne ich dich in dieses Haus und diesen Wald. Du sollst als hässlicher, von deinen Lastern gebeugter Mann herumlaufen, bis du ein besserer Mensch geworden bist und dich jemand von Herzen gern hat. Dafür hast du ein Jahr lang Zeit. Gelingt dir das nicht, bleibst du bis an dein Lebensende hier gefangen.“ Zur Bekräftigung seiner Worte schwingt er erneut den Zauberstab. Die goldenen Sternchen fallen wie Regen über den Prinzen. Bimpus und der ganze Spuk sind mit einem Male verschwunden. Prinz Edelmut kann sich wieder bewegen. Aber was ist das? Wo ist sein federleichter Gang geblieben? Ihm ist, als hätte er einen Sandsack auf dem Rücken, der ihn zu Boden drückt, den er nicht abschütteln kann. Zuerst zornig, dann traurig, legt er sich auf das harte Bett in einer Ecke der Hütte. Er weint bitterlich, bis er endlich einschläft.

Am nächsten Morgen wecken ihn die Vögel zeitig mit ihrem Gezwitscher. Edelmut sitzt auf dem Bettrand und fährt sich mit der Hand unsicher übers Kinn. Ihm wird allmählich bewusst, dass dies alles kein Traum, sondern schreckliche Wirklichkeit ist.

Eine Woche vergeht mit nichts anderem wie Essen und Schlafen. „So kann es nicht weitergehen“, überlegt er. „Ich werde den Weg zum Schloss schon finden.“ Lange irrt er umher, findet aber weder Weg noch Steg und landet letztendlich wieder an der Hütte. Missmutig setzt er sich an den Tisch. Auf diesem liegt wie vergessen ein alter verblasster Spiegel. Gelangweilt schnappt ihn Edelmut und schaut hinein. Er erschrickt maßlos und murmelt niedergeschlagen: „So wie ich aussehe, erkennt mich ohnehin kein Mensch. Niemand würde mir glauben, dass ich Prinz Edelmut bin. Was soll ich nur machen?“ Verzweifelt vergräbt er sein hässliches Gesicht in den Händen. Da kommt plötzlich ein Vogel durchs offene Fenster gestürzt und landet bäuchlings mitten auf dem Tisch. Prinz Edelmut nimmt ihn behutsam in seine Hände und bemerkt, dass ein Flügelchen gebrochen ist. Fast selbstverständlich sucht er nach einer kleinen Schiene und reißt einen schmalen Streifen von seinem Bettlaken. Behutsam legt er dem Vogel einen Verband an, bettet ihn vorsichtig in eine Kiste und überlegt. „Sicher hat er auch Hunger und Durst.“ Liebevoll umsorgt der Prinz den kleinen Patienten. Es macht ihm sogar Freude, den kleinen Vogel während seiner Genesung zu betreuen.

Inzwischen heilt er auch andere Tiere. Er macht sich über sein Aussehen keine Gedanken mehr und bemerkt auch nicht, dass sein Buckel immer kleiner wird. Die Tiere lieben ihn und kommen täglich zu Besuch. Er streichelt sie, spricht mit ihnen und verteilt kleine Leckerbissen.

Ein Jahr ist vergangen, und eines Morgens steht Bimpus in der Tür der kleinen Hütte. Edelmut begrüßt ihn ohne jeglichen Groll und Hass. Bimpus lächelt verschmitzt, gibt ihm den alten Spiegel in die Hand und der Prinz schaut hinein. Er kann es kaum fassen. Klar erscheint sein schönes Antlitz, so, wie vor dem Zauber.
„Ich sehe, dass die Tiere dich von Herzen gern haben. Der Zauber ist gebrochen.“ Das Waldmännlein zwinkert dem Prinzen vergnügt zu. Es verwandelt sich flugs in das schnelle edle Pferd und bringt Edelmut auf dem kürzesten Weg zurück ins Schloss. Die Wachen, aus ihrem Schlaf gerissen, schauen ihnen verschlafen hinterher.

Auf dem Schlosshof verabschieden sich beide. Als sich der Prinz sogar noch bei Bimpus für die ihm erteilte Lehre bedankt, sagt dieser mit fröhlichen Augen: „Prinz Edelmut, jetzt bin ich sicher, dass du deinem Namen von nun an alle Ehre machen wirst. Du bist in deinem Innern edel geworden, hast gelernt zu achten und hilfreich zu sein. Du wirst ein guter und gerechter König werden.“ Mit diesen Worten ist er verschwunden, als hätte ihn der Erdboden verschluckt.
Der König und die Königin sind überglücklich, dass ihr Sohn heil und gesund zurückgekehrt ist. Er erzählt, was ihm bei dem Waldtroll widerfahren ist. Die Königin weint erlösende Tränen. Der König aber faltet die Hände. In einem Stoßgebet dankt er dem Waldtroll, lässt unverzüglich die Krönungsfeier des Prinzen vorbereiten und dankt ab. Frohen Herzens übergibt der alte König Krone, Zepter und damit die Regentschaft über das Königreich seinem einzigen Sohn. König Edelmut regiert seither gerecht und weise. Jagen geht er nicht mehr, da er gelernt hat, das Leben zu achten und zu lieben.

Quelle: Doris Liese

 

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