Es war einmal ein armer Bauerssohn namens Jost, der mit seiner alten Mutter in einer kleinen Hütte am Waldesrand lebte. Seine Felder trugen nur spärliche Ernte, und oft wusste er nicht, wie er den kommenden Winter überstehen sollte. Doch war Jost fleißig und hatte ein gutes Herz.
Eines Tages sprach die Mutter: „Mein Sohn, tief im dunklen Forst soll ein Brunnen sein, dessen Wasser Glück bringt. Doch viele, die ihn suchten, kehrten nie zurück.“
Jost, entschlossen, sein Schicksal zu wenden, nahm einen knorrigen Wanderstab und ein Stück Brot und zog aus. Drei Tage und drei Nächte wanderte er durch dichten Wald, bis er auf eine alte Frau traf, die schwer beladen mit Holz war. Mitleidig nahm er ihr die Bürde ab und trug sie bis zu ihrer Hütte.
„Du bist ein guter Bursche,“ sprach die Alte, „darum gebe ich dir einen Rat. Der Brunnen, den du suchst, liegt hinter sieben Dornenhecken. Doch hüte dich, denn eine böse Hexe bewacht ihn. Sie wird dich locken, doch darfst du nicht antworten. Bleib standhaft und schöpfe das Wasser in dein Gefäß, ohne dich umzublicken!“
Jost dankte der Alten und setzte seinen Weg fort. Bald fand er die sieben Hecken, die dicht und undurchdringlich schienen. Doch kaum hatte er den Fuß auf den schmalen Pfad gesetzt, teilten sie sich wie von Geisterhand. Vor ihm lag der Brunnen, sein Wasser glitzerte silbern im Mondlicht.
Kaum hatte er sich über den Rand gebeugt, da ertönte eine süße Stimme: „Junger Mann, du bist so weit gereist! Bleib doch einen Augenblick und ruhe dich aus.“
Jost erinnerte sich an die Worte der Alten und schwieg. Die Stimme wurde klagend: „Ach, mein Herz schmerzt! Willst du mir nicht helfen?“
Er biss sich auf die Lippen und schöpfte weiter. Da erklang ein wütender Schrei, ein kalter Wind fuhr durch den Wald, doch Jost füllte seine Kanne und floh ohne einen Blick zurück.
Kaum war er über die siebte Hecke, verstummte der Sturm. Er eilte nach Hause und gab seiner Mutter das Wasser. In der Tat war es wundersam: Das Dach wurde fester, das Feld brachte reiche Ernte, und bald schon wurde Jost ein wohlhabender Mann.
Die Kunde von seinem Glück drang bis in das Königsschloss. Der alte König, von einer schweren Krankheit geplagt, ließ ihn rufen. Jost brachte ihm das Wasser, und kaum hatte der König davon getrunken, kehrte die Kraft in seine Glieder zurück. Zum Dank bot er Jost die Hand seiner Tochter an, die so schön war wie der Frühling.
So wurde aus dem armen Bauerssohn ein glücklicher Prinz. Doch niemals vergaß er, woher er kam, und half den Armen und Bedürftigen. Und wenn er an jenen Brunnen dachte, wusste er, dass Glück oft denen zuteil wird, die Mut, Fleiß und ein gutes Herz besitzen.
Und so lebten sie glücklich bis an ihr Ende.
©2025 Mario Eberlein