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Der Waldmensch

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Es war einmal ein König in Engelland, der in seinem Reiche ein großes Waldmoor hatte, das ganz wüst und öde lag und durch das weder Weg noch Steg führte. Niemand durfte sich da hinein wagen, denn es ging die Sage, daß noch alles Lebendige, sei es nun Mensch oder Thier gewesen, drinnen gleich für immer spurlos verschwunden wäre. Und die Leute nannten es das Wildmoor.
Der König wollte dieses Wildmoor aber doch einmal genau untersucht haben und ließ es deshalb von seinem Heere ganz umzingeln und dann seine Soldaten von allen Seiten in dasselbe eindringen. Mitten drinnen fanden sie einen großen Waldmenschen, welcher gerade dalag und schlief. Es gelang ihnen, denselben gut und sicher zu binden und zu fesseln, ehe er erwachte, und so brachten sie ihn an den Hof des Königs. Es war ein wunderlicher Kerl zum Anschauen: er war ganz wie ein Mensch geschaffen, nur bedeutend größer und haarig vom Kopf bis zur Zehe, und hatte auch nur ein Auge, daß sich mitten auf seiner Stirne befand.
Der König war ungemein froh über den Fang, den er gemacht, denn er war überzeugt, daß der Waldmensch große Schätze im Verborgnen habe, von denen er gar zu gerne ein gut Theil abbekommen hätte. Aber der Waldmensch sprach kein Wort und gab keine Antwort, so viel man ihn auch fragen mochte. Da ließ ihn der König in einen großen eisernen Käfig sperren und diesen in einen Thurm aus lauter Granitsteinen einmauern. Täglich wurde ihm durch die eisernen Gitterstangen Speise und Trank hineingeschoben und der König selbst bewahrte die Schlüssel des Thurmes bei sich.
Aber da geschah es, daß er, um einem benachbarten König, denn damals gab es noch viele Könige in Engelland, sein Land vertheidigen zu helfen, in den Krieg ziehen mußte. Die Schlüssel zu dem Thurm vertraute er seiner Gemahlin an und bat sie, wohl darauf aufzupassen, denn er that ein feierliches Gelübde und schwur, daß es derjenige – und sei es wer immer – mit dem Leben bezahlen müsse, der den Waldmenschen entschlüpfen ließe. Da versprach auch die Königin mit Hand und Mund, daß sie die Schlüssel nie, weder bei Tag noch bei Nacht, aus den Händen lassen oder geben werde. Und darauf reiste der König fort.
Dieser König und seine Gemahlin hatten nur ein einziges Kind, einen hübschen, aufgeweckten Knaben, welcher zu dieser Zeit gerade sieben Jahre alt war. Eines Tags lief er im Hofe herum und spielte Ball mit seinem goldenen Apfel; und einmal warf er ihn so ungeschickt, daß er schnurstracks zwischen die Eisengitter durch in den Thurm zu dem Waldmenschen hineinflog. Da lief der Knabe hin und bat den Waldmenschen, den Ball wieder herauszuwerfen. Aber der Waldmensch sagte »Nein«, er bekäme seinen Apfel nicht zurück, außer wenn er selbst hereinkomme und sich ihn hole. Und zugleich sagte er ihm, wie er es machen müsse, um seiner Mutter die Schüssel heimlich wegzunehmen.
Der kleine Prinz eilte dann zur Königin hinein und legte ihr seinen Kopf auf den Schoß und sagte: »O Mutter, es juckt mich etwas auf dem Kopf, schaue einmal, was es ist!« Sie sah wirklich nach und sagte dann: »Es ist nichts!« Währenddem aber hatte ihr der Prinz die Schlüssel heimlich aus dem Sack genommen und ging damit zum Thurm zurück, öffnete die äußerste Thür und sagte: »Gieb mir jetzt meinen goldenen Apfel.« – »Nein, du mußt auch noch die nächste Thür aufmachen,« antwortete der Waldmensch. Das that der Königssohn und bat dann um seinen goldenen Apfel. Jedoch der Waldmensch sagte, nun müsse er auch noch die innerste Thür öffnen; und als der Prinz dies gethan, bekam er endlich seinen goldenen Apfel wieder.
Aber der Waldmensch sprang zugleich aus seinem Käfig heraus und gab dem jungen Königssohn ein Pfeifchen und sagte: »Wenn du irgend einmal in Noth oder Gefahr kommen solltest, so blase nur hinein und rufe mich und ich werde dir dann beistehen.« Und mit diesen Worten lief der Waldmensch davon und dem Wildmoor zu.
Da stieg dem Prinzen das Blut in den Kopf und es wurde ihm heiß, als er sah, wie der Waldmensch seiner Wege lief, denn er wußte ja, was sein Vater demjenigen geschworen, der den Gefangenen entschlüpfen ließe. Er schloß wieder vorsichtig alle Thüren und ging zurück zur Königin, legte ihr seinen Kopf auf den Schoß und sagte: »O Mutter, es beißt mich etwas, schaue doch, was es ist!« – »Ach, lasse mich in Ruhe, es ist ja nicht wahr!« rief die Königin aus, aber sie schaute dennoch auf seinem Kopfe nach und währenddem steckte ihr der Prinz die Schlüssel wieder ebenso heimlich in die Tasche hinein, wie er sie herausgenommen.
Als die Leute am andern Tag kamen und den Waldmenschen füttern wollten, – war er verschwunden und niemand konnte begreifen, wie er durch die verschlossenen Thüren kommen konnte. Die Königin hörte mit Entsetzen diese Nachricht, aber sie hatte gleich einen Verdacht, wie das zugegangen sein müsse, sagte jedoch nichts, weder zu ihrem Sohn, noch zu sonst jemand und wartete ruhig, bis der König aus dem Kriege zurückkam.
Der König wurde wie rasend, als er erfuhr, daß sein Waldmensch entkommen sei und sagte, daß das, was er geschworen, gehalten werden müsse; die Königin, die die Schlüssel in ihrem Gewahrsam hatte, sollte sich verantworten und sagen, was geschehen sei, denn sie mußte wissen, wer den Waldmenschen herausgelassen! Aber die Königin sagte, daß sie es nicht gethan und auch nie die Schlüssel aus der Hand gegeben habe – und weiter wüßte sie nichts. Daraufhin verurtheilte sie der König zum Tode und sie wurde auf die Richtstätte hinausgeführt. Aber da trat der Prinz vor und sagte, seine Mutter sei unschuldig, denn er habe ihr die Schlüssel heimlich aus der Tasche genommen und sie ebenso wieder zurückgebracht, und er habe den Thurm des Waldmenschen geöffnet, um seinen goldenen Apfel herauszuholen, der ihm hineingefallen war. Damit war zwar die Königin gerettet, aber nun sollte der Prinz sein Leben verlieren, wie es der König geschworen. Der Vater wollte sein einziges Kind dennoch nicht geradezu tödten lassen, sondern befahl, daß man den Prinzen sogleich zum Wildmoor führen und ihn hineinjagen solle, denn da drinnen müsse er doch sicher umkommen – und so blieb der Eid des Königs in voller Kraft.
Da wurde der Königssohn zum Wildmoor hinausgeführt und man sagte noch zu ihm, wenn er sich jemals außerhalb desselben blicken lasse, – wenn er überhaupt wieder herauskommen könnte, – so müsse er es augenblicklich mit den Tode bezahlen. Da blieb ihm freilich nichts anderes übrig, als zu machen, daß er weiterkam und in das Moor hineinzuwandern. Er mußte nur immer schauen, trockenen Grund und Boden unter den Füßen zu haben und sich vor Sümpfen und Morästen sorgfältig hüten. Und so schritt er vorwärts und arbeitete sich hinein in das Wildmoor, das sich nach allen Seiten meilenweit erstreckte und ganz von Wald und Sträuchern überwachsen war.
Es war schon gegen Abend, als man den Prinzen hineinjagte; und als er so tief hineingekommen war, als er eben konnte, bevor es stockfinster wurde, wollte er auf einen Baum hinaufklettern, um da zu übernachten und zu warten, bis der neue Tag anbräche. Da blieb er auf einmal an einem Ast hängen und als er nachsah, was Schuld daran war, da war es das Pfeifchen, das er vom Waldmenschen bekommen hatte. An das hatte er früher gar nicht gedacht, aber jetzt fing er gleich an so fest hineinzublasen, als er nur konnte und rief aus vollem Halse: »Waldmensch! Waldmensch!« Und im selben Augenblick stand der Gerufene auch schon vor ihm und blickte ihn recht freundlich mit dem einen Auge, das er mitten auf der Stirn hatte, an und sagte: »Setz‘ dich auf meinen Rücken!« und der Knabe war nicht faul, setzte sich auf seine Schultern, ließ ihm die Füße um den Hals hängen und hielt sich in den dichten Haaren fest. Darauf lief der Waldmensch mit ihm tiefer ins Wildmoor hinein und plötzlich sank er mit ihm gerade in die Erde hinunter. Da war seine Wohnung und es sah inwendig ganz wie ein Schloß aus. Der Prinz bekam gut zu essen und ein gutes Bett und schlief die ganze Nacht in süßer Ruhe.
Am darauffolgenden Morgen kam der Waldmensch herein zu dem Königssohn und sagte zu ihm:

»Da sollst du künftig wohnen, hier bist du zu Haus,
Und deine Lehrzeit ist in sieben Jahren aus,

und dann kannst du allein, auf eigene Faust in die weite Welt hinausziehen.« Dann nahm er den Knaben mit sich in seinen Stall hinaus und zeigte ihm alle seine Pferde, sowohl braune, als schwarze und weiße und er führte ihn weiter, vor das Schloß hinaus und herum und da waren sowohl Gärten und Wiesen, als auch ein Fechtplatz und eine Rennbahn. Und dann unterrichtete er den Knaben jeden Tag im Reiten und Rennen, im Schlagen und Fechten, im Schießen und Schwimmen und im Spießeschleudern und Lanzenwerfen.
So vergingen sieben lange Jahre und der Königssohn war vierzehn Jahre alt geworden, konnte aber leicht für achtzehn gelten, so groß und stark, so gerade und schlank, so hübsch und geschmeidig war er. Da sagte der Waldmensch zu ihm: »Tauche jetzt deinen Kopf in diesen Brunnen!« Und als er es gethan hatte, war sein Haar wie lauteres Gold geworden. Dann gab ihm der Waldmensch einfache Kleider und sagte zu ihm, daß er sie anziehen und dann draußen in der weiten Welt sein Glück versuchen solle. Noch am selben Abend nahm ihn der Waldmensch auf den Rücken und lief die ganze Nacht hindurch mit ihm; der Bursche konnte aber nicht sehen, ging es über Land oder Wasser, aber schnell ging es, das merkte er und weit waren sie auch gekommen, ehe der Morgen graute. Da ließ er ihn vom Rücken herabgleiten, stellte ihn auf den Boden und nahm Abschied von ihm. »Nicht weit von hier befindet sich ein Königsschloß,« sagte er, »dort gehe hinein und nimm jeden Dienst an, den du bekommen kannst. Sage aber niemals, wo du zu Hause bist oder von wannen du kommst und so lange du in niedern Diensten stehst, behalte immer deine Mütze auf dem Kopf, damit niemand dein goldnes Haar zu sehen bekommt. Was du sonst zu thun hast, wirst du schon selbst herausfinden. Aber alles, was ich an Waffen oder Pferden besitze, steht dir jederzeit zur Verfügung, sobald du es nur wünschest und du kannst es mir wieder zurückschicken, wann du willst. Und du brauchst dich nie zu scheuen, zu verlangen, was du nur irgend wünschest.«
Kaum hatte der Waldmensch seine Rede beendigt, war er auch schon verschwunden und der Jüngling ging seiner Wege weiter zum Königsschloß und da fragte er, ob er nicht in Dienst genommen werden könnte. Ja, man konnte ihn schon brauchen und zwar als Gärtnerjungen, damit er im Garten des Königs graben und jäten, pflanzen und gießen helfe. Das war ihm ganz recht und er ging zum Gärtner, um sich bei ihm zu melden und vorzustellen. »Hut ab vor dem Herrn Schloßgärtner!« sagte dieser, denn er bildete sich viel auf seinen Titel ein. »Aber ich darf meine Mütze nicht herunter nehmen, denn ich bin grindig auf dem Kopf,« erwiderte der Königssohn. »O pfui Teufel!« rief der Gärtner aus, »dann mag ich dich aber auch nicht in meinem Hause haben und du mußt draußen in der Scheuer schlafen.« Und das war der Königssohn auch zufrieden.
Der Gärtnerjunge versah seinen Dienst und alle mußten sich darüber wundern, wie gut er jede Arbeit zu verrichten verstand und wie ihm alles vortrefflich glückte. Denn wenn er nur den Spaten in die Erde steckte, so wünschte er sich, daß das Stück Boden, das er umgraben mußte, fertig bearbeitet sei – und da war es auch gleich umgegraben. Und wenn er einen Stock in die Erde steckte, so wünschte er, daß er grünen möchte; und kurz gesagt ging es immer so, daß alles, was er am Abend einpflanzte, am nächsten Morgen in vollem Wachsthum und schönster Blüte stand. Der Gärtner erkannte das auch an und war begreiflicherweise sehr zufrieden mit seinem Gehülfen.
Eines Morgens ging unser Gärtnerjunge, nachdem er wie gewöhnlich draußen in der Scheuer gelegen und geschlafen, sehr zeitig zu dem davor befindlichen Brunnen und wusch sich und nahm auch seine Mütze herab und kämmte sein langes goldenes Haar. Da traf es sich, daß des Königs jüngste Tochter – denn er hatte deren drei und alle drei waren wunderschöne junge Prinzessinnen, herrlich anzuschauen – die heute sehr frühe aufgestanden war, an das Fenster, das gerade in den Garten hinausging, hintrat und hinunterschaute; und da sah sie mitten zwischen den Bäumen etwas glänzen und scheinen und sie glaubte zuerst, es sei die aufgehende Sonne. Als sie aber näher hinblickte, sah sie, daß es des Gärtnerjungen Haar war, das wie reinstes lichtes Gold erglänzte. Das merkte sie sich gut; aber so oft sie auch in den Garten hinunter kam, immer hatte der Bursche seine Mütze auf, die er weder vor ihr, noch sonst vor jemandem aus der königlichen Familie abnahm, so wenig wie vor dem Gärtner oder andern. Sie konnte ihn aber von dieser Zeit an nicht mehr aus den Augen lassen und beobachtete ihn und es schien ihr, daß er der allerhübscheste Bursche sei, den sie je gesehen; und daher konnte sie auch nichts anderes glauben, als daß er unmöglich der sein könne, für den er sich ausgab. Ihre beiden Schwestern neckten und zogen sie oft damit auf, daß sie ein Auge auf den grindigen Gärtnerjungen geworfen, denn sie konnte ihre Augen gar nicht von ihm lassen, wenn sie an ihm vorbeigingen. Ja, es geschah sogar einmal, als sie eines Tags mit ihrem Vater und ihren Schwestern um die Mittagsstunde im Garten spazieren ging und den Gärtnerjungen auf einer Rasenbank schlafend fand, daß sie sich in Gegenwart aller nicht enthalten konnte, hinzugehen und seine Mütze ein wenig zu lüpfen. Die Schwestern lachten sie aus und der König schalt sie aus: so einen ordinären Menschen anzurühren! – aber sie kümmerte sich nicht darum, denn sie hatte ja einen Schimmer von seinem goldenen Haar gesehen.
Es verging wieder geraume Zeit, da nahm sich der König vor, seine drei Töchter an jene edlen und vortrefflichen Ritter zu verheiraten, welche im Tourniere den Preis gewännen. An drei Tagen sollte geritten und gestritten werden und der, welcher am jeweiligen Tag Sieger blieb und alle andern Ritter aus dem Feld schlug, sollte von der Hand derjenigen Prinzessin, für die gerade das Tournier abgehalten wurde, einen goldenen Apfel bekommen und ihr Bräutigam sein.
Am ersten Tag sollte die älteste Tochter des Königs erkämpft werden und es hatten sich zum Tournier viele in- und ausländische Prinzen und Ritter eingefunden. Da ging der Gärtnerjunge in den Wald hinaus und wünschte sich seinen braunen Hengst aus dem Stall des Waldmenschen und Rüstung und Reitzeug dazu aus blankem Stahl. Und augenblicklich war alles da, was er sich wünschte. Jetzt schwang er sich auf den Gaul und sprengte dahin, wo das Tournier abgehalten wurde; und da wurden Lanzen geworfen, da wurde geritten und gestoßen, daß viele Ritter ins Gras beißen und ihr Leben oder ihre gesunden Glieder lassen mußten. Aber der Ritter in der blanken Stahlrüstung blieb Sieger und überwand alle andern und bekam auch den goldenen Apfel der Prinzessin; dann ritt er aber davon und niemand sah oder wußte, wo er geblieben. Den goldenen Apfel jedoch warf er einem zierlich geputzten Ritter, einem Herzogssohn zu, der außerhalb der Schranken stand und seine Haut gar nicht zu Markte getragen hatte.
Am nächsten Tag sollte für die zweite Prinzessin gefochten und gekämpft werden und da waren auch nicht weniger Prinzen und Ritter gekommen, welche den Preis erringen wollten, als tags zuvor. Da ging der Gärtnerjunge wieder in den Wald hinaus und wünschte sich seinen schwarzen Hengst aus dem Stall des Waldmenschen und Rüstung und Reitzeug dazu aus glänzendem Silber. Dann ritt er hin und kämpfte mit den andern, bis er den Sieg über alle davontrug und auch den zweiten goldenen Apfel bekommen mußte. Diesen gab er einem Grafensohn, den er aus dem Sattel geworfen, und dann ritt er seiner Wege in den Wald hinaus und kam in seinen alten Kleidern zurück.
Am dritten Tag mußte die jüngste Prinzessin erkämpft werden, und sie war die schönste von den drei Töchtern des Königs und man riß sich nicht weniger um sie, als vorher um ihre Schwestern. An diesem Tag wünschte sich der Gärtnerjunge seinen weißen Hengst aus dem Stall des Waldmenschen und Rüstung und Reitzeug dazu aus lauterem, funkelndem Gold. Und er ließ seine goldenen Locken unter dem Helm hervorschauen und ganz über die Schultern fallen; und so sprengte er zur Rennbahn hin, wo das Tournier stattfand und alle, die ihn da sahen, glaubten eher, er sei ein Engel Gottes, als ein Mensch. Und er ritt und stach, daß keiner gegen ihn Stand halten konnte. Da bekam er denn auch den goldenen Apfel von der Hand der schönen Prinzessin; den aber gab er nicht weg, sondern behielt ihn fest in der Hand und sprengte wieder davon und niemand wußte wohin. Er ritt nur in den Wald hinein, wünschte sich in seine alten Kleider zurück und versteckte seine goldenen Haare unter seiner Pelzkappe.
Jetzt wurden diejenigen vorgerufen, welche die Preise an den drei Tagen davontrugen, und der zierlich geputzte Herzogssohn und der geschlagene Grafensohn kamen ganz hochmüthig mit ihren goldenen Aepfeln daher und es wurde dann jeder mit einer Prinzessin verlobt. Aber der goldene Ritter meldete sich nicht und niemand wußte, wo er geblieben war. Die zwei älteren Prinzessinnen, von denen jede eine Freude an ihrem Bräutigam hatte, machten sich lustig über die jüngste, die, wie sie sagten, keiner wolle. »Aber es ist ja wahr,« spöttelten sie, »du hast ja auch schon deinen Liebsten und das ist der grindige Gärtnerjunge; warte, wir wollen ihn gleich holen lassen!« Und sie ließen ihn wirklich holen und er kam in seinen alten Kleidern, mit der Pelzmütze auf dem Kopf; in der Hand aber hielt er den Apfel der Prinzessin.
Da sprang der König auf und fuhr auf ihn los und sagte: »Den hast du nur auf dem Aehrenfeld gefunden und er gehört nicht dir!« Aber der Gärtnerjunge antwortete: »Nein, ich habe ihn auf dem Feld der Ehre gewonnen und die Prinzessin ist mein!« Nun ging die jüngste Prinzessin zu ihm hin, reichte ihm die Hand und sagte, daß der, welcher ihren Apfel habe, auch ihr rechter Bräutigam sei. Der König erklärte dies für Schande und Spott, weil er fest glaubte, daß der goldene Ritter seinen Apfel verloren habe und jetzt noch suche und nur deshalb nicht gekommen wäre, aber er würde schon kommen, – und dann würde die ganze Geschichte aufgeklärt werden. Die beiden älteren Schwestern fanden, daß es ein famoser Spaß wäre, daß die jüngste Prinzessin so vernarrt sei und sie wußten gar nicht, was sie alles erfinden sollten, um sie und ihren gemeinen Bräutigam zu verhöhnen und auszuspotten. Aber die jüngste Prinzessin war ihrer Sache gewiß, denn sie hatte den Gärtnerjungen in dem goldenen Ritter wiedererkannt und drum war sie stille und froh und kümmerte sich gar nicht darum, daß ihn der König zurück in den Garten jagte, während die anderen zur Tafel gingen und die Verlobung der beiden ältern Prinzessinnen feierten.
Der Tag verging, aber es kam und meldete sich kein goldener Ritter und darüber gerieth der Konig in eine sehr üble Laune. Die Schwestern jedoch verhöhnten die jüngste Prinzessin und sagten: »Dein Ritter will und mag dich nicht, darum warf er seinen Apfel weg und machte sich selbst unsichtbar. – Aber du hast ja deinen grindigen ‚Gärtnerjungen‘.« – »Ja freilich habe ich ihn,« antwortete sie, »und er ist gut genug für mich.«
Als man von der Tafel aufstand, ging die jüngste Prinzessin in den Garten hinunter und suchte ihren Gärtnerjungen auf und der nahm seine Mütze vor ihr ab, daß seine goldenen Locken über seine Schultern fielen, und dann küßte er sie auf Hand und Mund und sagte ihr, wer er wäre, daß er ebenso gut wie sie von königlicher Geburt sei, so daß sie sich seiner nicht zu schämen brauche. Er sagte ihr auch, daß er es gewesen sei, der alle drei goldenen Aepfel gewonnen habe, die zwei ersten hätte er aber weggeschenkt, weil er keine der beiden ältern Töchter des Königs, sondern nur sie, die er jetzt auch bekommen und die ihm so treu und hold gewesen, wollte. Und es solle nicht mehr lange dauern, dann würde auch er mit Ehren an der Tafel des Königs sitzen.
Am nächsten Tag sollten die beiden hochgeborenen Bräutigame hinaus auf die Jagd reiten. Da sagten die beiden älteren Prinzessinnen, die sich wieder einen Spaß machen wollten, daß der dritte Bräutigam auch mit müßte. Der Gärtnerjunge wurde geholt und so zur Jagd ausgerüstet, wie es den beiden lachlustigen Prinzessinnen am passendsten erschien: er bekam einen kleinen grauen Esel zu reiten und statt einer Büchse eine hölzerne, zweispitzige Mistgabel aus dem Kuhstall und so mußte er mit den beiden feinen Junkern zum Hofe hinausreiten. Und die Prinzessinnen waren nahe daran sich todt zu lachen, als sie diesen Aufzug sahen.
Als die drei Jäger noch nicht weit vom Schlosse entfernt waren, theilte sich der Weg: rechts befand sich eine liebliche Gegend mit schönen hohen Wäldern; links aber ein weites, ödes Moos mit altem, verkrüppeltem und niederem Strauchwerk. Die beiden Herren schlugen den Weg nach rechts ein, während sich der Gärtnerjunge auf dem Esel nach links im Moose hielt. Und als er da hineinkam, wünschte er sich seinen guten Bogen aus dem Schlosse des Waldmenschen her und wünschte sich dazu recht viel Hirsche und Hasen, Füchse und Eber und bald hatte er so viel Wild erlegt als sein Esel nur tragen konnte. Dann zog er zu der Stelle, an der sich der Weg theilte und gegen Abend kamen die zwei Herren sehr niedergeschlagen dahergeritten und ließen die Köpfe hängen, denn sie hatten nicht einmal so viel als einen Hasen getroffen. Als sie das viele Wild auf dem Esel liegen sahen, gaben sie dem Gärtnerjungen gute Worte und baten ihn, es ihnen zu verkaufen. Dazu war er auch geneigt, nur wollte er ihre goldenen Aepfel für das Wild haben, – oder er gäbe ihnen sonst auch nicht ein einziges Haar. Schließlich mußten sie darauf eingehen, dann theilten sie das Wild und ritten stolz damit im Hofe ein. Hinter ihnen aber kam der Gärtnerjunge auf dem kleinen, grauen Esel mit seiner hölzernen Mistgabel auf dem Rücken. Das war wieder etwas zum Lachen für die Prinzessinnen.
Am andern Tag wollten die zwei Herren abermals auf die Jagd reiten und der Gärtnerjunge mußte wie gestern auf dem grauen Esel und mit der zweispitzigen Mistgabel mitreiten. Die Herren wählten denselben Weg wie das erstemal und warteten heute da auf besseres Glück, während der Gärtnerjunge wieder ins Moos einbog. Und es ging genau so wie gestern: als die Herren gegen Abend an die Stelle kamen, an der sich der Weg theilte, kamen sie mit leeren Händen, während der Gärtnerjunge dastand mit so viel Wild, als der Esel nur schleppen konnte. Da verhandelten sie wieder mit ihm, um es ihm abzukaufen. Aber heute wollte er nichts verkaufen, außer für einen Riemen, den er jedem der beiden aus der Haut schneiden wollte. »Ich werde die Herren tiefer in den Wald hinein an eine Stelle führen, an der es gewiß niemand sehen kann,« sagte er. Und da sie keine große Auswahl hatten und auch nicht billiger kaufen konnten, nebenbei aber doch für tapfere und tüchtige Ritter gehalten werden wollten, sowohl auf der Jagd als auf dem Tournier, so gingen sie auch auf diesen Handel ein. Jetzt zog der Gärtnerjunge ein verrostetes Messer aus der Tasche hervor, das biß und brannte schrecklich und mit diesem schnitt er jedem einen Riemen aus dem Rücken. Aber sie kamen trotzdem ganz stramm und stolz im Hof des Königs angeritten und ernteten sowohl Dank als Ehre für ihre Geschicklichkeit auf der Jagd, während der Gärtnerjunge sich auf die Mistgabel stützend hinter ihnen drein gehumpelt kam und den Esel am Halfter daherzog.
Tags darauf sollte ein großes Gastmahl bei Hofe sein und die Verlobung gefeiert werden. Aber noch in derselben Nacht kam eine Botschaft, daß Krieg im Lande ausgebrochen sei, daß ein ganzes Heer von Seeräubern des Königs Reich überfallen habe und Stadt und Land mit Sengen und Brennen verheere. Da zogen alle Krieger und Reisigen des Königs aus, um auf den Feind zu stoßen, und die zwei vornehmen Bräutigame mußten natürlicherweise auch mit. Und auch der Gärtnerjunge nahm seine hölzerne, zweispitzige Mistgabel, setzte sich auf den kleinen grauen Esel und ritt so mit ihnen zum Hof des Königs hinaus. Der Weg führte über ein Torfmoor und da drangen die beiden edlen Herren plötzlich so auf ihn ein, daß sie ihn in einen Sumpf an der Seite des Weges hineindrängten. In diesem blieb der Esel stecken und konnte sich mit seinen vier Füßen weder vor- noch rückwärts bewegen und je mehr er zappelte und stampfte, um so tiefer sank er. Da bat der Gärtnerjunge die beiden, ihm herauszuhelfen; aber diesen wäre es ja gerade recht gewesen, wenn er gleich bis auf den Grund hinunter gesunken wäre, damit die Geschichte von ihren goldenen Aepfeln und den Riemen, die er aus ihrer Haut geschnitten, nie aufkommen konnte. Darum ritten sie davon und ließen den Gärtnerjungen im Torfmoor stecken.
Sobald sie weiter fort waren, wünschte er sich auf trockenes Land und dann den weißen Hengst und die Rüstung und Reitzeug aus funkelndem Gold, also gerade das, was er sich wünschte, als er zum Tournier für die dritte Prinzessin ritt. Dann jagte er dahin, wo die Schlacht geschlagen wurde. Er kam gerade da an, als der Feind die Oberhand zu gewinnen drohte und die Mannen des Königs hart bedrängte, so daß sich ein Flügel des Heeres schon zur Flucht gewendet hatte und die zwei feinen Bräutigame waren die allerersten, die flohen. Der goldene Ritter aber ritt vor an die Spitze und hieb sogleich tüchtig ein auf den Feind und flößte den Soldaten des Königs wieder neuen Muth ein; da drehte sich das Glück und der Feind mußte sich auf seine Schiffe zurückflüchten, nachdem er die Hälfte seiner Mannschaft verloren hatte.
Alle waren der einen Ansicht, daß dem fremden Ritter allein die ganze Ehre des Sieges gebühre und er mußte ihnen zurück an den Hof des Königs folgen, und sogleich kamen jetzt der Herzogssohn und der Grafensohn und begrüßten den Prinzen, denn sie konnten es ja augenblicklich sehen, daß es ein Prinz war, und sie dankten ihm für seine glänzende Hülfe und hießen ihn im voraus willkommen am Hofe des Königs, sie erkannten ihn ja wieder vom Tourniere her und sie sagten, daß er jetzt auch ihr Schwager werden solle, nach dem man in den letzten drei Tagen so viel fragte, während er sich verborgen hielt. Die jüngste Prinzessin, die er sich errungen, sei ein herrliches Mädchen, sagten sie, obwohl nicht so geistreich und witzig, wie ihre zwei ältern Schwestern. Sie sei ein wenig beschränkt und habe sich sogar schon halb und halb mit einem grindigen Gärtnerjungen verlobt, der den Apfel gefunden, den der Prinz verloren haben müßte. Wenn sie jetzt aber den Prinzen zu Gesicht bekomme, so würde es damit gewiß vorbei sein. Und im stillen glaubten sie ja auch fest, daß der Gärtnerjunge jetzt längst unten auf dem Grunde des Torfmoors liege. Der Königssohn ließ sie reden und folgte ihnen an den königlichen Hof, wo ihm der König selbst entgegenkam. Es war ihm schon die Meldung zu Ohren gekommen, daß der goldene Prinz die Schlacht gewann, gerade so, wie er vor drei Tagen die dritte Prinzessin gewonnen habe. Und der König führte seine jüngste Tochter an der Hand und verlobte sie mit dem Prinzen. Dann wurde ein prächtiges Festmahl abgehalten, der Prinz bekam den Ehrenplatz an der Tafel gerade gegenüber dem König und alle zeichneten ihn mit den größten Ehren aus.
Während der Mahlzeit zog der Prinz den goldenen Apfel hervor, den er von seiner Braut nach dem Tournier bekommen und zugleich auch den goldenen Apfel, mit dem er an seines Vaters Hof gespielt hatte und auf dem sein Name mit der Krone stand und reichte beide seiner jungen Braut als Festgabe dar. Der König saß da und erwartete, daß es die beiden andern Ritter eben so machen sollten; aber die blieben sitzen und thaten gar nicht dergleichen. Bald darauf zog der goldene Prinz noch einen Apfel hervor und dann noch einen und reichte auch diese seiner jungen Braut und sagte: »Gleich und gleich gesellt sich gern und darum sollen diese zwei Aepfel ebenfalls dein eigen sein.« Dem König schien, als sollte er diese zwei Aepfel kennen und als er sie zu Gesicht bekam, fand er wirklich auch die Namen seiner beiden ältern Töchter darauf, denn es waren ja dieselben, welche sie am ersten und zweiten Tag den Siegern im Tournier gegeben hatten. Da fragte er, wie sie in den Besitz des Prinzen gekommen seien. Und der erzählte jetzt alles: – daß er niemand anderes sei, als der, den man immer den grindigen Gärtnerjungen geheißen und daß er an allen drei Tourniertagen den Sieg davon getragen, aber die beiden ersten Aepfel den zwei andern Bräutigamen geschenkt habe. Diese hätten sie ihm aber jetzt wieder für das Wild, das er und nicht sie auf der Jagd erlegt hatte, verkauft und außerdem hätten sie sich ein jeder einen Riemen dafür aus der Haut schneiden lassen müssen.
Als der König das vernahm, wurde er rasend vor Zorn und sagte, daß die beiden Niederträchtigen augenblicklich seinen Hof verlassen sollten und ihre Bräute gleich mitnehmen könnten. Und die gingen auch mit, denn sie mochten jetzt doch nicht mehr daheim bleiben. Aber der Königssohn aus England hielt Hochzeit mit der jüngsten Königstochter und bekam das halbe Reich, um darüber zu herrschen und dasselbe zu regieren, so lange der alte König noch lebte und als er gestorben war das ganze. Und da lebt er vielleicht noch mit seiner treuen Königin herrlich und in Freuden.

[Dänemark: Svend Grundtvig: Dänische Volksmärchen ]

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